Der Brief an die Römer
Kapitel 5
Nachdem nun der Apostel die großen Grundsätze der Wahrheit im Blick auf die Rechtfertigung und auf das Leben dargestellt hat, fängt er jetzt an, sie auf den Menschen, d.h. auf den Zustand der Seele, anzuwenden. Er zeigt ihre Wirkung, wenn sie durch Glauben und durch die Kraft des Heiligen Geistes aufgenommen wird. Das Werk der Versöhnung ist vollbracht, und die Kraft dieses Werkes ist Christus für uns bei Gott. Der Gläubige genießt die Segnungen dieses Werkes und ist gerechtfertigt. „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott“ (Vers 1). Die Rechtfertigung ist unser wirklicher Zustand vor Gott aufgrund des Werkes Christi, seines Todes und seiner Auferstehung. Auch sehen wir in der Heiligen Schrift ganz klar, dass Gott die Rechtfertigung nie vom Glauben trennt; denn weil diese Rechtfertigung allein das gesegnete Resultat des Werkes Christi ist, so können wir sie nicht anders haben, als dadurch, dass unsere Seelen durch Glauben in lebendige Verbindung mit Gott gebracht werden.
Es gibt nun drei überaus gesegnete Vorrechte, die der Rechtfertigung aus Glauben folgen:
- Wir haben Frieden mit Gott (Vers 1),
- wir haben Zugang zu dieser Gnade, in der wir stehen, d.h., wir erfreuen uns der Gunst Gottes, und
- wir rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes (Vers 2).
Wir haben Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus. Es besteht keine Scheidewand, keine Trennung mehr zwischen uns und Gott. Die Sünde ist getilgt; jede Frage darüber ist völlig beantwortet; das Opfer Christi hat jede Forderung Gottes gegen uns völlig befriedigt. Alles, was hinter uns liegt, alles, was mit dem alten Menschen verbunden ist – nicht nur unsere wirklichen Sünden, sondern alles, was irgendwie vom Gericht erreicht werden könnte, ist weggetan, und darum haben wir einen vollkommenen Frieden. Dieser Friede ist aber nicht auf irgendetwas in uns, auf unser Tun und Lassen, auf unsere Gefühle oder Erfahrungen, sondern allein auf Christus gegründet. Der Glaube findet ihn stets außerhalb von uns in dem Werk Christi, und zwar als eine Folge unserer Rechtfertigung durch dieses Werk. Dieser Friede ist auch nicht ein Gegenstand unserer Hoffnung, sondern wir haben Frieden. Es ist nicht ein Friede mit uns selbst, sondern mit Gott. Unser befreites Gewissen erkennt Gott selbst als den alleinigen Erretter. Jeder Gedanke, ob Er etwa noch Zorn gegen uns hätte, ist völlig verschwunden. Er selbst ist es, der uns von allem, wodurch sein gerechter Zorn auf uns lastete, befreit hat. Der Gott, mit dem wir Frieden haben, ist ein Gott, der uns geliebt hat, ein Gott, der, indem Er seine Macht in Liebe und Gerechtigkeit ausübte, den auferweckte, der alle unsere Sünden trug, und der den, der diese Sünden völlig vernichtete und dessen Werk Ihn vollkommen verherrlichte, in seine Gegenwart gebracht hat. Ebenso sind nun auch wir, da es sich bei dem Werk Christi um uns handelte, in die Gegenwart Gottes gebracht – in die Gegenwart des Gottes, der Liebe ist.
Wir haben aber nicht allein Frieden mit Gott, sondern wir erfreuen uns auch der Gunst Gottes; wir haben durch Christus „mittels des Glaubens auch den Zugang zu dieser Gnade, in der wir stehen“ (Vers 2). Gnade charakterisiert alle unsere wirklichen Beziehungen zu Gott. Wir stehen für immer in dieser Gnade und können in allen gegenwärtigen Umständen auf seine Liebe und Treue rechnen. Wir sind in und mit Christus stets ein Gegenstand der Gunst und des Wohlgefallens Gottes.
Unsere Segnungen gehen aber noch weiter. Im Geist durch die Kraft der Auferstehung Christi in die Gegenwart Gottes gebracht, rühmen wir uns auch in der Hoffnung seiner Herrlichkeit. Wir werden durch Christus dorthin gebracht, wohin Er selbst vorangegangen ist; und dort, wo Er ist, einzugehen, heißt in seine Herrlichkeit eingehen; und dieser Herrlichkeit rühmen wir uns jetzt in Hoffnung -eine Hoffnung, die in der Auferstehung Christi einen sicheren und festen Grund hat.
Wir sehen hier auch, dass Gott selbst die Quelle von allem ist, dass Er selbst alles dargestellt hat. Die gute Botschaft, durch die das von Ihm vollbrachte Heil verkündigt wird, ist das Evangelium Gottes; die Kraft, die jetzt noch durch das Evangelium wirkt, ist die Kraft Gottes zum Heil; die Gerechtigkeit, die darin offenbart wird, ist die Gerechtigkeit Gottes; die Gunst, die wir genießen, ist die Gunst Gottes, und die Herrlichkeit, in die wir jetzt schon in Hoffnung eingeführt sind, ist die Herrlichkeit Gottes. Alles steht in Verbindung mit seiner Macht, offenbart in der Auferstehung und auf eine besondere Weise in der Auferstehung Christi.
Wir haben also im Blick auf die Vergangenheit Frieden, in der Gegenwart stehen wir in der Gunst Gottes und im Blick auf die Zukunft erwarten wir die Herrlichkeit. In gewisser Hinsicht ist in diesen drei Stücken: – Frieden, Gnade und Hoffnung – die ganze gesegnete Stellung eines Christen ausgedrückt. Doch gibt es noch mehr, denn wir hören noch zweimal den Ausdruck: „Nicht allein aber das“ (Verse 3 und 11). Gott enthüllt hier noch mehr Gnade und geistlichen Genuss.
Es ist für den aus Glauben Gerechtfertigten nichts mehr zu fürchten übrig geblieben, sondern nur zu rühmen. Er erfreut sich der Gunst Gottes, und von dort aus werden selbst alle Umstände auf dieser Erde, sogar die Trübsale, für ihn in Segen verwandelt. „Wir rühmen uns auch der Trübsale“ (Vers 3). Sie üben das Herz, sie machen uns los von der Welt, sie offenbaren die Regungen des Fleisches und lassen uns erkennen, dass, auf welche Weise die Versuchungen Satans kommen mögen, uns nichts von der Liebe Gottes trennen kann. Alle Versuchungen dienen vielmehr dazu, den eigenen Willen und die eigene Wirksamkeit des Herzens niederzuhalten und uns immer fähiger zu machen, Gott alles zu übergeben; denn in Wahrheit werden alle Dinge durch Ihn geleitet. Durch die Trübsale begegnet Gott also unserem Fleisch, bewirkt ein tieferes Gefühl unserer Abhängigkeit und bringt uns immer näher zu sich selbst. In den Trübsalen erfahren wir auch das Mitgefühl und die Fürsorge seiner Liebe in so reichem Maß, wie uns selbst die Herrlichkeit keine Gelegenheit dazu geben wird. In allen Umständen ist seine segnende und mächtige Hand für uns tätig, in allen Versuchungen können wir auf seine Treue und Sorge für uns rechnen. Er lässt uns nichts begegnen, um uns zu beunruhigen, sondern nur um uns zu segnen, und deshalb haben wir alle Ursache, uns der Trübsale zu rühmen. Gerade das, was den Ungläubigen in Mutlosigkeit und Verzweiflung bringt, bewirkt bei den Gläubigen Mut, Vertrauen und Ausharren: die Trübsal bewirkt Ausharren. Anstatt es zu schwächen, wird es befestigt, weil Gott durch die Trübsal gerade dem in uns begegnet und es niederhält, was uns am Ausharren hindern würde. Er reinigt den Glauben von allem Unreinen, von allem, was von uns selbst ist und macht uns dadurch zum Ausharren fähig; denn nur das hält stand, was von Gott ist.
„Das Ausharren aber bewirkt Bewährung (Erfahrung)“ (Vers 4); Erfahrung in den Wegen Gottes; Erfahrung unserer Schwachheit und seiner Liebe und Treue. „Die Bewährung (Erfahrung) aber Hoffnung“, so dass wir nicht als solche dastehen, die bald hoffen, bald fürchten, sondern als solche, die in allen Umständen mit Zuversicht zu Gott aufschauen und sich der Erfüllung aller seiner Zusagen und Verheißungen völlig sicher sind. Und so wird das Wort: „Der Herr ist mein Helfer, und ich will mich nicht fürchten“ (Heb 13,6) immer fester und gewisser in der Seele.
Diese Hoffnung aber ist allein auf das Werk Christi und auf seine Stellung im Himmel gegründet, und die Kraft derselben ist der Heilige Geist. „Die Hoffnung aber beschämt nicht; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist“ (Vers 5). Nicht nur hat Gott seinen Sohn für uns dahingegeben, sondern Er, der die Liebe ist, ist auch in uns. Wir genießen seine eigene Liebe in unserer Seele; denn sie ist durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen. Das gibt uns die völlige Gewissheit, dass wir Gottes Eigentum sind, und dass zwischen uns und Ihm ein Band geknüpft ist, das nie gelöst werden kann; ja, seine Liebe in uns bringt uns zu einer Kraft von Hoffnung, die nichts zu erschüttern vermag. Ruhend also in Christus, und dieses Zeugnis des Heiligen Geistes von der Liebe Gottes gegen uns im Herzen tragend, gehen wir sicher und getrost durch alle vielfältigen Versuchungen hindurch.
Obwohl nun der Genuss der Liebe Gottes in uns ist, so liegt doch der Beweis derselben außerhalb von uns, und dorthin wendet der Apostel jetzt gleich wieder unsere Gedanken. Der Glaube kann nie in dem ruhen was in uns, sondern allein in dem was außerhalb von uns ist – in Christus. Von dort gehen alle unsere Segnungen aus. Ist aber nicht unser völliges Unvermögen, unsere völlige Gottlosigkeit ein Hindernis, um diese Segnungen besitzen zu können, um ein Gegenstand der Liebe Gottes zu sein? Gewiss nicht; denn gerade an solche hat die Liebe Gottes gedacht; „denn Christus ist, da wir noch kraftlos waren, zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben“ (Vers 6). Es war gerade die Zeit, in der der Mensch als Gottloser offenbart und kraftlos war, aus seiner Gottlosigkeit herauszugehen, was er auch dann nicht vermochte, als Gott ihm unter dem Gesetz einen Weg zeigte. Gott liebt nicht wie ein Mensch. Während der Mensch für seine Handlungen der Liebe einen Beweggrund haben muss (Vers 7), entspringt im Gegenteil die Liebe Gottes aus Ihm selbst; denn wie konnte Gott in uns einen Beweggrund zur Liebe finden, da wir verhasst und einander hassend waren (Tit 3,3)? „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“ (Vers 8). Der Heilige Geist fragt nicht erst, was der Mensch ist, um zu wissen, was Gott sein wird; Er stellt uns einfach die Liebe Gottes vor. Und um uns völlige Sicherheit zu geben, lässt Er uns die Folgen des vollbrachten Werkes Christi für den Gläubigen sehen. Und ist Christus für uns gestorben, da wir noch Sünder waren, wie vielmehr werden wir, da wir nun durch sein Blut gerechtfertigt sind, durch Ihn von dem Zorn, d.h. von dem über diese Welt kommenden Gericht, errettet werden (Vers 9)? Der lebende Christus kann uns sicher nicht verderben, wenn der sterbende Christus uns errettet hat. Hat Gott uns, da wir noch Feinde waren, versöhnt durch den Tod seines Sohnes, wie vielmehr wird Er uns, da wir nun versöhnt sind, erretten durch sein Leben – durch die Kraft dieses unendlichen Lebens, worin Er selbst ewiglich lebt (Vers 10)? Sicher wird ein lebender Christus einen Freund erretten, wenn ein sterbender Christus einen Feind errettet hat. Wie beruhigend und ermunternd sind die einfachen Gedanken, die der Heilige Geist in diesen Versen vor unseren Blicken entfaltet!
Nicht allein aber unsere Errettung ist völlig gesichert, und nicht allein rühmen wir uns der empfangenen Segnungen, sondern, was noch weit mehr ist, „wir rühmen uns auch Gottes“ der uns alle diese Segnungen gegeben hat (Vers 11). Wir erfreuen uns der Gaben, aber unsere Ruhe und höchste Freude kann nur in dem Geber sein. Wir treten in den unendlichen und gesegneten Ozean der Erkenntnis Gottes ein, und seine Heiligkeit, die uns sonst natürlich erschrecken musste, ist jetzt unsere Freude; denn Er ist unser Gott, und was Er ist, ist unsere größte Freude.
Der Apostel hat nun das Fundament und die Quelle des Heils sowie auch die Zuversicht und den Genuss, die aus diesem Heil fließen, dargestellt; er hat alles auf Gott gegründet, der es nur mit verlorenen und ohnmächtigen Sündern zu tun hat, und somit ist der Boden völlig gereinigt, alle Ansprüche der Juden sind vernichtet. Sobald es sich um Sünde, um Gnade und um Sünder handelt, hört jeder Vorzug der Juden gegenüber den Nationen völlig auf; sie haben nichts zu rühmen. Der Jude kann nicht sagen, dass die Sünde durch ihn oder durch das Gesetz gekommen sei, sondern der Mensch trägt als Mensch die Schuld. Und diesen wichtigen Gegenstand behandelt der Apostel jetzt und stellt gleichzeitig den Gott aller Gnade, handelnd in Bezug auf die Sünde, vor unsere Augen. „So wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod“(Vers 12). Die Frage hinsichtlich der Sünde muss nicht auf das Gesetz sondern auf Adam, auf das Haupt des menschlichen Geschlechts zurückgeführt werden; denn die Sünde ist nicht durch das Gesetz gekommen – obwohl sie durch das Gesetz überströmender geworden ist und von da an erst als Schuld zugerechnet werden konnte – sondern durch einen Menschen, Adam, und durch die Sünde der Tod, „und so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben“ (Vers 12).
Die Bedeutung dieser Verse ist aber nicht, dass man allein durch die Zurechnung der Sünde Adams verdammt ist. Wohl ist es wahr, dass seine Sünde seinem Geschlecht zugerechnet ist; aber daneben ist auch der persönliche Zustand eines jeden vorhanden, der ihn wegen seiner eigenen Sünden verdammt. Wir sind fern von Gott geboren und haben eine Natur geerbt, die Feindschaft gegen Ihn ist. Der Sohn hat dieselbe Natur wie sein Vater – eine Natur, die zu allem Bösen fähig ist. Weil wir nun unter der Sünde geboren sind, so sind wir wohl fähig zu sündigen, aber darum noch nicht schuldig. Schuldig werden wir allein dadurch, dass wir wirklich sündigen. Der Apostel trennt aber unseren Fall in Adam – unseren Zustand unter diesem Fall – nicht von dem persönlichen Zustand unseres Herzens vor Gott. Wir sind schuldig, weil wir sündigen, und wir sündigen, weil wir Sünder und in Sünden geboren sind. Durch die Sünde ist Adam gestorben und wir mit ihm, und infolge dessen sündigen wir, und wir sind daher tot in Sünden und Übertretungen. Wir sind demnach in doppelter Beziehung unter den Folgen der Sünde Adams: Zuerst sind wir Sünder und haben eine verderbte Natur, und dann sind wir Schuldner vor Gott, weil wir infolge dieses natürlichen Zustandes gesündigt haben. Der Mensch ist also nicht nur Sünder, sondern auch Schuldner und kann daher gerechterweise gerichtet werden. Dies ist sehr wichtig; denn sobald wir die Sünde Adams zur alleinigen Ursache unserer Verdammnis machen, bleibt nichts übrig, um das Gewissen zu leiten.
In Vers 12 erwähnt also Paulus die Sünde in der Welt als eine vorhandene Tatsache. Er bezeichnet das Vorhandensein des Todes als den deutlichsten Beweis, dass die Sünde eingetreten war. Der Tod ist das Kennzeichen der Sünde, für die der Mensch – mit oder ohne Gesetz – verdammt ist. „Denn bis zu dem Gesetz war Sünde in der Welt; Sünde aber wird nicht zugerechnet, wenn kein Gesetz da ist“ (Vers 13). Als allgemeiner Grundsatz wird hier gesagt, dass die Sünde durch das Gesetz offenbar geworden ist und dass, obwohl etwas in sich selbst böse sein kann, es doch nicht als Übertretung zugerechnet wird, solange man durch das Gesetz nicht weiß, dass es böse ist. „Der Tod herrschte von Adam bis auf Mose“ und das bewies, dass die Sünde da war; denn der Tod ist der Lohn der Sünde und nicht nur der Übertretung. Wenn man unter einem von Gott gegebenen Gesetz ist und es übertritt, ist der Tod die notwendige Folge. Als aber das Gesetz noch nicht da war, herrschte der Tod genauso und ergriff alle, die nicht unter dem Gesetz standen, und das bewies, dass auch diese unter ewigem Verderben waren. „Der Tod herrschte von Adam bis auf Mose, selbst über die, die nicht gesündigt hatten in der Gleichheit der Übertretung Adams“ (Vers 14), d.h. über alle, die in einer von der des Adam und auch der Juden unterschiedenen Stellung waren, die ohne Gesetz gesündigt hatten.
Der Apostel stellt hier die Juden mit Adam auf ein und denselben Boden, wie es auch der Prophet Hosea tat, als er in Kap 6,7 von jenen bezeugte: „Sie aber haben den Bund übertreten wie Adam“. Beide hatten einen bestimmten Befehl, den sie übertraten. Es war aber nicht so mit denen, die zwischen beiden in der Welt waren. Sie mussten sterben, weil sie sündigten; aber es war nicht in der Gleichheit der Übertretung Adams.
Der Apostel besteht hier deshalb so sehr auf dieser Wahrheit, weil er durch den Beweis, dass Adam das Haupt der ersten Schöpfung war und darum seine Sünde allen seinen Nachkommen zugerechnet ist, dahin kommen will, Christus als Haupt der zweiten Schöpfung einzuführen, in dem alle gerechtfertigt sind.
Adam ist ein Vorbild des Zukünftigen – des Christus. So wie der Ungehorsam Adams, so hatte auch der Gehorsam oder das Werk Christi eine Wirkung auf eine große Anzahl von Individuen. So wie der Tod alle Menschen traf, sowohl die, die wie Adam durch Übertretung bestimmter Gebote, als auch die, die auf andere Weise gesündigt hatten, so hat auch das Heilmittel gegen die Sünde, das der Herr Jesus gebracht hat, genauso allgemeine Wirkungen. Das Werk seines Todes hat einen Wert, der ganz und gar dem Zustand des Menschen angemessen ist, was auch immer die Form der Sünde sein mag. Der Jude starb unter dem Fluch des Gesetzes – Christus hat diesen Fluch getragen. Der Heide, ohne Gesetz, stirbt unter der Sünde – Christus befreit ihn durch seinen Tod.
In den folgenden Versen werden nun Adam und Christus einander gegenübergestellt. Diese Parallele befähigt uns nicht nur, in der rechten Weise über Sünde und Gnade zu urteilen, sondern zeigt uns auch die Tragweite und die Vortrefflichkeit des Werkes Christi. In dem ersten Adam haben wir die Übertretung, in dem zweiten, d.i. Christus, die Gabe in Gnade. Der Tod kam durch die Übertretung des ersten Adam – die überströmende Gnade Gottes und die Gabe in Gnade, d.h. das ewige Leben, durch Jesus Christus (Vers 15). Dann zeigt der Apostel in Vers 16, dass die Gnadengabe nicht im gleichen Verhältnis zu dem steht, was durch die Sünde von einem verursacht ist; denn das Urteil ist wohl aus einem 1 zur Verdammnis gekommen, aber die Gnadengabe ist aus vielen Übertretungen zur Gerechtigkeit. Diese Gnade ist zur Vergebung einer Menge von Übertretungen des Gesetzes hinreichend.
In dem ersten Adam herrscht der Tod über uns, in dem zweiten herrschen die Befreiten im Leben. Welcher gesegnete Gegensatz! „Denn wenn durch die Übertretung des einen der Tod durch den einen geherrscht hat, so werden viel mehr die, welche die Überfülle der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, im Leben herrschen durch den einen, Jesus Christus“ (Vers17). Sie haben nicht nur Vergebung ihrer Sünden, sondern auch die Gabe der Gerechtigkeit, und darum herrschen sie im Leben. Durch den Glauben an Jesus wird uns also nicht nur eine Sünde Adams, sondern alle nachher begangenen Sünden vergeben, so dass die Gnadengabe auch hierin überströmender ist als die Schuld. Aber nicht allein das, sondern wir werden zu Gerechten gemacht; das ist die zweite Schöpfung.
Adam war vor dem Fall rein, aber nicht heilig und vollkommen; der Christ aber, durch das Blut Christi gereinigt, ist heilig und vollkommen, so dass er nicht in den Zustand Adams zurückgeführt wird, sondern dass er vor Gott in Christus, eins mit Ihm und als ein neues Geschöpf dasteht. Der Christ ist also in einem ganz anderen, weit herrlicheren Zustand, als der erste Mensch in seiner Reinheit war. Er braucht durch seinen Gehorsam das Leben nicht zu bewahren und kann es auch durch seinen Ungehorsam nicht verlieren. Er herrscht im Leben.
Mit Vers 17 schließt eine Parenthese, die mit Vers 13 begonnen hat. In Vers 18 wird der allgemeine Gedanke, obwohl noch immer in der Parallele zwischen Adam und Christus, wieder aufgenommen. Wir haben hier besonders die Worte gegen alle zu beachten. „Wie es durch eine Übertretung gegen alle Menschen zur Verdammnis gereichte, so auch durch eine Gerechtigkeit gegen alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens“ (Vers 18). Die Verdammnis gegen alle Menschen ist nicht im Resultat, sondern in ihrer eigenen und natürlichen Wirkung erfüllt. Die Gnade kommt hinein, um zu befreien. Ebenso ist durch die eine Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens gegen alle Menschen gekommen – nicht auf alle, sondern gegen alle Menschen – nicht als Anwendung, sondern als Richtung. Wie Adams Sünde nicht allein auf Adam ruhte, sondern zu vielen überströmte, so endete die Gerechtigkeit Christi nicht in Ihm, sondern strömte zu vielen über. In Vers 19, wo es sich um die Anwendung handelt, sehen wir, dass das Wort viele gebraucht wird, und nicht alle, wie im vorhergehenden. Ich kann also jeder Kreatur das Evangelium predigen und zu dem Sünder sagen, dass das Blut des Herrn Jesus Sühnung getan und er zu Gott kommen kann; aber zu den Gläubigen kann ich sagen: „Du bist in Christus gerechtfertigt“!
Wozu nun das Gesetz? Es kam, „damit die Übertretung überströmend würde. Wo aber die Sünde überströmend geworden ist, ist die Gnade noch überreichlicher geworden; damit, wie die Sünde geherrscht hat im Tod, so auch die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (Verse 20 und 21). Wenn die Gerechtigkeit herrschte wie die Sünde im Tod geherrscht hat, so würden wir unter ewiger Strafe stehen; aber die Gnade herrscht, und zwar durch die Gerechtigkeit. Die Gnade ist überströmend geworden und nicht die Gerechtigkeit. Gott übt sein unumschränktes Recht in Gnade zu ewigem Leben aus. Außer einem gewissen Schimmer von dem ewigen Leben, erwarteten die Juden nur das Leben diesseits des Todes; Gott rechtfertigt in seiner Gnade durch Jesus und gibt das ewige Leben über den Tod hinaus.
Fußnoten
- 1 Das Wort „einem“ bezieht sich hier nicht direkt auf Adam als einzelne Person, sondern soll vielmehr eine Einheit, im Gegensatz zu dem Wort „vielen“ ausdrücken.