Elia, der Tisbiter
Der Prophet und sein Gott
Nachdem das Volk seine Entscheidung getroffen hatte und die götzendienerischen Propheten erschlagen worden waren, wusste Elia, dass der Regen nahe war. Deshalb sagte er zu Ahab: „Geh hinauf, iss und trink, denn es ist ein Rauschen eines gewaltigen Regens“ (1. Kön 18,41). Wir müssen beachten, dass der ersehnte Regen nicht sofort begann, nachdem das Volk gerufen hatte: „Der HERR, er ist Gott! Der HERR, er ist Gott!“ Nach der göttlichen Ordnung musste Elia erst darum bitten. Er war in dieser schweren Zeit sozusagen der Verwalter Gottes in Bezug auf Israel. Seine Lippen hatten das Gericht vorhergesagt und seine Lippen mussten auch den Segen ankündigen. Doch in beiden Fällen, dem Gericht und dem Segen, ging Gebet voraus. Deshalb sehen wir den Propheten auf den Gipfel des Bergs gehen, um mit Gott zu reden.
Ahab in seiner Selbstsucht bereitete sich auf seinen Heimweg vor – nicht, um dort zu beten, sondern um ein Festmahl zu halten. Er hatte die Gewissheit, dass die lang andauernde Dürre zu Ende ging, das allein zählte. Bald würde es wieder genug Nahrung für seine Rosse und Maultiere geben! In der Zwischenzeit war ein üppiges Mahl eher nach seinem Geschmack als eine Gebetsstunde.
Und wo war Obadja? Der Herr belehrt uns in Matthäus 18,19 darüber, wie wertvoll es ist, wenn zwei zusammen beten. Doch die beiden müssen in Übereinstimmung sein, sie müssen beide in gleicher Weise abgesondert für Gott sein und in seinen Wegen wandeln, wenn ihre Gebete etwas bewirken sollen. Ach, es gab keine Übereinstimmung zwischen Elia und Obadja, obwohl doch beide durch den Geist geborene Menschen waren! Obadja stand Elia nicht bei, als dieser dem Feind gegenüberstand, noch beugte er seine Knie mit ihm, als Elia zu Gott flehte. Wie viel ließ sich Obadja entgehen, indem er der Welt nachgab und Bequemlichkeit und Ehre in der Mitte der Gottlosen entgegennahm! Ebenso ließ sich Jonathan sehr viel entgehen, indem er sich nicht von dem von Gott verworfenen Saul trennte – er hätte zu David hinausgehen sollen! Jonathan hätte nie die Psalmen Davids schreiben können. „Ihr [seid] herrlich“, schrieb der Apostel Paulus den leichtlebigen Korinthern, „wir aber verachtet“ (1. Kor 4,10). Aber zweifellos war Paulus glücklicher als sie. Getrennt von den Systemen dieser Welt zu stehen, ist nach dem Urteil der Menschen Verlust, aber der geistliche Gewinn aus der Gemeinschaft mit Gott ist gewaltig!
Sicherlich hatte Elia das gleiche Bedürfnis nach Essen und Trinken wie Ahab! Die Ereignisse dieses Tages waren anstrengend gewesen und die Knechte Gottes werden genauso wie andere Menschen hungrig und matt. Sogar der Sohn Gottes saß in Mattigkeit an dem Brunnen zu Sichar, während seine Jünger in die Stadt gegangen waren, um Nahrung zu kaufen. Aber das Geistliche erhebt sich über das Leibliche. Die augenblicklichen Bedürfnisse des Leibes sind vergessen, wenn mächtige geistliche Kräfte am Wirken sind. Als die Jünger zurückkehrten und den Herrn aufforderten, zu essen, antwortete Er: „Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt“ (Joh 4,32). Sein Geist war zutiefst gestärkt worden durch die Unterhaltung mit der Samariterin. Auf die gleiche Weise erhob sich Elia über seine leiblichen Bedürfnisse und gab sich ganz dem Gebet hin.
Die Gewissheit, dass Gott zum Geben bereit ist, macht das Gebet nicht überflüssig. Deshalb sagte der Herr in Hesekiel 36,37, nachdem Er seine Gnadenabsichten in Bezug auf Israel ausführlich dargelegt hatte: „Auch noch um dieses werde ich mich vom Haus Israel erbitten lassen, dass ich es ihnen tue.“ Elia beugte sich zur Erde und legte sein Angesicht zwischen seine Knie. Das war eine angemessene Haltung! Er, der kühn und aufrecht vor dem König, den Propheten und dem Volk gestanden hatte, nahm nun vor Gott den niedrigsten Platz ein. Sein Erfolg hatte ihn nicht in Hochstimmung versetzt. Sein Name würde berühmt werden, sobald sich die Begebenheit vom Karmel durch Israel, Juda und andere Länder ausbreitete – doch der Prophet suchte nicht Ehre für sich selbst. Er war nur der Knecht des Herrn und hatte nach seinem Wort gehandelt. Nachdem er seinen Auftrag erfüllt hatte, warf er sich zu den Füßen dessen nieder, der ihn gesandt hatte.
Das Gebet ist keine leichtfertige Angelegenheit. Es ist etwas Wunderbares, in die Gegenwart der Majestät Gottes zu treten! Dabei sollten wir uns an seine Größe und an unsere Nichtigkeit erinnern. Aber was für ein wunderbares Vorrecht ist es, uns schon jetzt dem Vater in dem Namen des Sohnes und in der Kraft des Heiligen Geistes nahen zu dürfen!
Der Prophet, der in den dreieinhalb zurückliegenden Jahren dafür gebetet hatte, dass es nicht regnen möge, betete jetzt, dass es Regen geben möge. Doch sogar hier – und zweifellos hatte der Prophet schon vor der großen Versammlung am Berg Karmel über diese Angelegenheit mit Gott gesprochen – wurde sein Gebet nicht sofort beantwortet. Er sagte zu seinem Diener (war dies vielleicht der Sohn der Witwe, den er aus den Toten auferweckt hatte?): „Geh doch hinauf, schau zum Meer hin“ (1. Kön 18,43). Dieser kehrte zurück und sprach: „Es ist nichts da.“ Oftmals erprobt Gott den Glauben seines Volkes, aber Er ermuntert uns: „Verharrt im Gebet und wacht darin mit Danksagung“ (Kol 4,2) und: „Zu aller Zeit betend mit allem Gebet und Flehen in dem Geist“ (Eph 6,18).
Die Witwe in Lukas 18,2–5 war wahrscheinlich nicht nur ein bloßer gleichnishafter Charakter, sondern eine wirkliche Person, die der Herr beobachtet hatte. Ihre Beharrlichkeit erregte seine Aufmerksamkeit. Sie hatte eine Klage und brachte sie vor den Richter. Der jedoch war nicht bereit, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen. Aber die Frau hatte Ausdauer. Morgen für Morgen, wenn sich die Türen des Gerichtshofes öffneten, kam diese Witwe herein! Dies sollten wir nicht missverstehen! Gott ist nicht gleichgültig oder nicht zum Segnen bereit und wird auch mit Sicherheit einen Bittsteller nicht abweisen – und diese Frau war arm und eine Witwe. Er fordert uns mit diesem Gleichnis auf, die Ausdauer dieser Witwe nicht zu vergessen und ihr nachzueifern. Was würde geschehen, wenn wir nach einer Gebetsversammlung gefragt würden, wofür wir eigentlich gebetet haben? Könnten wir darauf immer eine zusammenhängende und schlüssige Antwort geben? Die Witwe hätte sehr deutlich begründen können, warum sie den Gerichtshof aufsuchte.
Elia sagte zu seinem Diener: „Geh wieder hin, siebenmal.“ Sieben ist die Zahl der göttlichen Vollkommenheit. Beim siebten Mal sagte der Diener: „Siehe, eine Wolke, klein wie die Hand eines Mannes, steigt aus dem Meer herauf“ (1. Kön 18,44). Der Herr Jesus sagte in seinen Tagen zu dem Volk: „Wenn ihr eine Wolke von Westen aufsteigen seht [und der Diener Elias blickte Richtung Westen], sagt ihr sogleich: Ein Regenguss kommt; und es geschieht so“ (Lk 12,54).
Die „Hand eines Mannes“ deutet auf etwas hin. Belsazar sah Finger einer Menschenhand, die auf dem Kalk der Wand des königlichen Palastes schrieben und seinen Untergang ankündigten (Dan 5,5). Es gibt einen Mann, in dessen Hand Gott Gericht und Segen gegeben hat: das Gericht in der Zukunft und den Segen schon jetzt (Apg 17,31). Nachdem Israel Buße getan und das Böse in seiner Mitte verurteilt hatte, wurden nun Segnungen gewährt.
Die kleine Wolke genügte Elia. Er sandte eine Botschaft an Ahab, der den Berg bis dahin offenbar noch nicht verlassen hatte: „Spanne an und fahre hinab, dass der Regen dich nicht aufhalte!“ (1. Kön 18,44). Der lang ersehnte Regen fiel schwer. „Und es geschah unterdessen, da wurde der Himmel schwarz von Wolken und Wind, und es kam ein starker Regen“ (1. Kön 18,45). Elia war so überwältigt und überglücklich, dass er etwas Bemerkenswertes tat: „Und die Hand des HERRN kam über Elia; und er gürtete seine Lenden und lief vor Ahab her bis nach Jisreel hin“ (1. Kön 18,46). Elia muss hungrig und erschöpft gewesen sein und war wahrscheinlich schon im fortgeschrittenen Alter, und doch machte er sich in der Freude seines Herzens zum „Fußsoldaten“ Ahabs. Die Dinge unter dem Volk Gottes schienen wieder in Ordnung zu kommen – das bedeutete diesem Mann, der den Herrn und sein Volk liebte, sehr viel.
In demselben Geist tanzte David „mit aller Kraft vor dem HERRN“, als die Bundeslade nach Zion gebracht wurde (2. Sam 6,14). Weder der König damals noch der Prophet jetzt dachten bei diesen gewaltigen Ereignissen an ihre Würde! Der Herr hat uns darüber belehrt, dass Freude im Himmel ist über einen Sünder, der Buße tut (Lk 15,7); und Johannes schrieb an seinen geliebten Freund Gajus: „Ich habe keine größere Freude als dies, dass ich höre, dass meine Kinder in der Wahrheit wandeln“ (3. Joh 4). Dies sind wahre Freuden, von denen die unglückliche Welt in ihrer Entfremdung von Gott nichts kennt. Und wenn wir, Gottes Heilige, nicht in Gemeinschaft mit Ihm unseren Weg gehen, werden solche Freuden auch für unsere Herzen nicht die Anziehungskraft haben, die sie eigentlich haben sollten.