Elia, der Tisbiter
Die Witwe in Zarpath
Die Witwe in Zarpat, eine sidonische Frau, ist einer der bemerkenswertesten Charaktere der biblischen Geschichte. Ungefähr tausend Jahre nach ihrer Zeit erwähnt der Herr Jesus sie öffentlich, allerdings ohne ihren Namen zu enthüllen (Lk 4,25.26). Doch ihr Name ist in den Himmeln genauso bekannt, wie der Name der Witwe, die zwei Scherflein in den Schatzkasten des Tempels legte (Lk 21,2). An dem zukünftigen Tag der Belohnung werden diese beiden Witwen ein herzliches Lob empfangen. Die Witwe in Zarpat wird eines Propheten Lohn empfangen, weil sie für Elia sorgte, als sein Leben in Gefahr war (Mt 10,41). Sämtliche derartige Handlungen werden durch unseren Gott anerkannt und sorgfältig aufgezeichnet. Gastfreundliche Menschen gefallen Ihm. Wenn der Sohn des Menschen auf dem Thron seiner Herrlichkeit sitzen wird, wird Er diejenigen aufs Höchste preisen, die seinen bedürftigen Boten gegenüber hilfsbereit gewesen sind (Mt 25,31–40). Welche Freude wird es für diese gastfreien Menschen sein, seine Stimme zu hören. Welche Ehre wird es für sie sein, vor den Heerscharen der Engel, die an jenem großen Tag den Thron des Königs der Könige umgeben werden, ausgezeichnet zu werden! Die Erde ist schon Zeuge wunderbarer Augenblicke gewesen, aber sie hat noch nichts gesehen, was mit der von unserem Herrn in Matthäus 25 beschriebenen Erhabenheit verglichen werden könnte.
Den Engeln ist es nicht gegeben, die Diener des Herrn zu beherbergen, obwohl sie auf andere Weise für sie Sorge tragen. Wir können heute zwar nicht mehr dem Herrn selbst ein Mahl zubereiten, wie es Martha tat, aber wir können dies vielleicht für einen hungrigen Menschen tun, der danach trachtet, Ihm in dem Evangelium seiner Gnade zu dienen. Solche Boten werden in 2. Korinther 8,23 als „Christi Herrlichkeit“ bezeichnet. Der Apostel Johannes schrieb seinem Freund Gajus: „Wir nun sind schuldig, solche aufzunehmen“ (3. Joh 8). Jedem, der seine Türen weit für diejenigen öffnet, die in dem Namen des Herrn ausgegangen sind, darf versichert sein, dass Er dies mit liebevoller Aufmerksamkeit so betrachtet, als wäre es an Ihm selbst getan worden. Dennoch wäre es beschämend, wenn der Diener des Herrn bei seiner Rückkehr sagen müsste: „Sie haben mich wie einen Engel Gottes aufgenommen; sie sind gar nicht darauf gekommen, dass ich Nahrung benötigen könnte.“
Kehren wir zu der öffentlichen Erwähnung der Witwe in Zarpat durch den Herrn Jesus zurück. Als Er in der Synagoge zu Nazareth aufstand und Jesaja 61,1.2 las und das Volk darauf hinwies, dass diese Schrift durch seine Gegenwart heute vor ihren Augen erfüllt sei, fragten sie sofort geringschätzig: „Ist dieser nicht der Sohn Josephs?“ (Lk 4,22). Der Herr warnte sie, dass sich durch solchen Unglauben die Segnungen Gottes an andere Stellen wenden würden. Er erinnerte sie sogleich an zwei bemerkenswerte Beispiele, wo sich die Segnungen Gottes zu den Nationen gewandt hatten und an den Nachkommen Abrahams vorübergegangen waren. Naaman, der Syrer, wurde zu einer Zeit von seinem Aussatz geheilt, als es in Israel viele Aussätzige gab, die aber nicht den nötigen Glauben besaßen, um bei Gott Heilung zu suchen.
Außerdem erwähnt der Herr einen weiteren Fall: „In Wahrheit aber sage ich euch: Viele Witwen waren in den Tagen Elias in Israel, als der Himmel drei Jahre und sechs Monate verschlossen war, so dass eine große Hungersnot über das ganze Land kam; und zu keiner von ihnen wurde Elia gesandt als nur nach Sarepta im Gebiet von Sidon zu einer Frau, einer Witwe“ (Lk 4,25.26). Die Art und Weise, in der der Herr diesen Fall schildert, zeigt, dass es sich um eine große Ehre für die Witwe aus den Nationen gehandelt hat. Und sie wurde in einem der finstersten Abschnitte der Geschichte Israels von dem Gott Israels reich gesegnet. Daher wurde Elia zu Recht als „erster Apostel der Nationen“ bezeichnet. Die Erwähnung der Witwe und Naamans in der Synagoge erregte aber nur den Zorn des Volkes, das umgehend versuchte, den Herrn Jesus zu töten. Allein schon die Andeutung, dass Gott in irgendeiner Weise Notiz von den Nationen nehmen könnte, es sei denn, um sie zu vernichten, war den Juden verhasst. Sogar der Prophet Jona fühlte bis zu einem gewissen Grad ähnlich.
Die Anweisung des Herrn an Elia zu diesem Zeitpunkt erfordert sorgfältige Beachtung. Sie war höchst außergewöhnlich und Elia war wahrscheinlich überrascht, als er diese neue Mitteilung von Gott erhielt. Geduldig hatte er am Bach Krith gewartet, bis dieser ganz ausgetrocknet war – voller Zuversicht, dass der Herr sich zur rechten Zeit seiner Bedürfnisse erinnern würde. Hier war nun die neue Botschaft Gottes an ihn: „Mach dich auf, geh nach Zarpat, das zu Sidon gehört, und bleib dort. Siehe, ich habe dort einer Witwe geboten, dich zu versorgen“ (1. Kön 17,9). Gott erklärt seine Wege und sich selbst nicht immer, aber Er erwartet, dass seine Heiligen Ihm vertrauen. Philippus wurde von einem großen Werk in Samaria weggerufen, um an einen öden Ort zu gehen (Apg 8,26). „Und er stand auf und ging hin“ (Apg 8,27), ein gehorsamer Diener.
Unser Gott nimmt jedoch die demütige Anfrage eines verblüfften Boten nicht übel. Ananias von Damaskus wurde mit dem Auftrag aufgeschreckt, nach einem Mann namens Saulus von Tarsus zu fragen, und er sagte: „Herr, ich habe von vielen über diesen Mann gehört, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem getan hat. Und hier hat er Gewalt von den Hohenpriestern, alle zu binden, die deinen Namen anrufen“ (Apg 9,13.14). Dies war nicht ein Geist der Auflehnung bei Ananias – er war lediglich überrascht und verblüfft und sagte dies freimütig seinem Herrn. Dieser antwortete ihm in großer Gnade. Was für ein Herr ist doch unser Herr! Was für ein Gegensatz zu den kleinlichen Herrschern dieser Erde!
Elia empfing die Anweisung von dem Herrn und „er machte sich auf und ging nach Zarpat“ (1. Kön 17,10). Er stellte keine Fragen und machte keine Schwierigkeiten, aber sicherlich stiegen Gedanken in ihm auf. Der Herr hatte ausdrücklich gesagt, dass Zarpat zu Sidon gehörte. Um der Nahrung willen sandte Er also seinen Knecht aus dem Land Israel hinaus. Als Abraham während einer Hungersnot nach Ägypten hinabging, handelte er verkehrt und dabei kam nichts als Schwierigkeiten heraus (1. Mo 12,10). Als Elimelech und Noomi während einer anderen Hungersnot nach Moab gingen, handelten auch sie verkehrt und sie mussten sehr unter den Folgen leiden (Rt 1,1–5). Auf der anderen Seite handelte die Sunamitin, der Elisa begegnete, richtig, als sie mit ihrem Haus in das Land der Philister ging, während es in Israel an Brot fehlte – sie hatte nämlich ein „so spricht der Herr“ für den Weg, welchen sie ging (2. Kön 8,1.2).
In Elias Fall sandte der Herr ihn nicht einfach nur aus dem Land Israel hinaus, sondern Er sandte ihn in das Königreich des Vaters von Isebel. Die Katastrophen, die während der Regierung Ahabs über Israel hereinbrachen, hatten ihren Ursprung in erster Linie in Sidon. Dies wird noch bedeutsamer, wenn wir in der Heiligen Schrift etwas weiter zurückgehen. Sidon, „die große Stadt“ (Jos 11,8; 19,28), war ein Teil der Verheißung an Abraham. Zur Zeit der Eroberung unter Josua war es eigentlich Aser zugeteilt, aber Aser hatte zu keiner Zeit ausreichend Glauben und Energie, um das in ihr wohnende Böse auszurotten und die Stadt wirklich in Besitz zu nehmen. Richter 1 beschreibt ein trauriges Kapitel von Trägheit und Gleichgültigkeit. Aser wird in den Versen 31 und 32 besonders deshalb erwähnt, weil er im Austreiben der Amoriter aus Sidon und verschiedenen anderen Städten versagt (vgl. Jos 11,8; 19,28). Die Belehrung aus dem Versagen Asers sollten wir nicht missachten. Wenn wir nicht im Glauben die Oberhand über das Böse in uns selbst gewinnen, wird dies mit der Zeit einen schlimmen Einfluss auf uns ausüben.
Darüber hinaus hatte der Herr zu Elia gesagt: „Ich habe dort einer Witwe geboten, dich zu versorgen.“ Wir sind es gewohnt, von Witwen als von bedürftigen Personen zu denken, die die mitfühlende Fürsorge anderer benötigen. Doch Elia wurde hier von seinem Gott absichtlich aufgefordert, sich selbst unter die Fürsorge einer Witwe zu begeben. Die nationalen Gefühle des Propheten mochten dagegen sprechen, in ein heidnisches Gebiet zu gehen. Seine religiösen Empfindungen mochten ihm den Schmelztiegel des Baal-Götzendienstes abscheulich erscheinen lassen. Und seine männlichen Gefühle mochten ihn davor zurückschrecken lassen, einer Witwe zur Last zu fallen.
Doch jeder, der zu irgendeiner Zeit begehrt, dem Herrn wohlgefällig zu dienen, muss an erster Stelle Gehorsam lernen. Seine Knechte müssen da hingehen, wo Er sie hinsendet. Sie müssen das ausführen, was Er ihnen aufträgt, und die Botschaft überbringen, die Er ihnen gibt. In dieser Hinsicht schreibt Paulus, zu einem Zeitpunkt, als das Handeln Gottes mit ihm hinsichtlich des Dienstes etwas befremdend war, in 2. Korinther 2,14: „Gott aber sei Dank, der uns allezeit im Triumphzug umherführt in Christus und den Geruch seiner Erkenntnis an jedem Ort durch uns offenbart!“ Es war ihm bewusst, dass er nur ein Gefangener in der Hand des Herrn war, der ihn nach seinem Gutdünken hierhin und dorthin führte. Aber die Ketten waren Ketten der Liebe und alle Führungen geschahen in vollkommener Weisheit. Solange er für Gott ein Wohlgeruch Christi war, war es ihm einerlei, welcher Art sein Dienst sein mochte und wo er ihn ausüben sollte. Troas, Korinth – wenn es der Wille Gottes war, war ihm alles recht. Welch eine Gnade, die einen reißenden Wolf in einen Wohlgeruch Christi verwandeln kann!