Elia, der Tisbiter
Die schlimme Vergangenheit des Volkes Israel
Das unvermittelte Auftreten Elias in der Öffentlichkeit mit seiner furchtbaren Ankündigung an den König und das Volk erfordert eine Erklärung. Furchtlos betrat er den Königshof und sagte: „So wahr der HERR lebt, der Gott Israels, vor dessen Angesicht ich stehe, wenn es in diesen Jahren Tau und Regen geben wird, es sei denn auf mein Wort!“ (1. Kön 17,1). Was für eine Botschaft des Gottes, der an anderer Stelle und zu anderer Zeit gesagt hatte: „Als Israel jung war, da liebte ich es, und aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“ (Hos 11,1). Was war der Grund für diese schreckliche, in der Weltgeschichte wahrscheinlich beispiellose Züchtigung, die durch Elia auf diese Weise angekündigt wurde?
Wie es scheint, war Ahab angesichts der Furchtlosigkeit des Boten und der Schrecklichkeit der Botschaft wie gelähmt, denn er unternahm in diesem Moment nichts gegen Elia. Dabei hatte er doch sonst keine Skrupel, unschuldiges Blut zu vergießen! Um diese Situation richtig verstehen zu können, ist es notwendig, darüber nachzudenken, in welcher Beziehung Israel zu Gott stand.
Eine mit Israel vergleichbare Stellung auf der Erde hat keine andere Nation je gehabt und das wird auch in Zukunft nicht geschehen. Israel bildete den Mittelpunkt der Wege Gottes hinsichtlich seiner Regierung und seiner Segnungen. Die Könige und Staatsmänner dieser Erde haben darüber kein Verständnis – daher sind all ihre Verhandlungen nutzlos, zur Enttäuschung für Millionen. Israel wird nicht beachtet, Christus wird nicht beachtet, Gott wird nicht beachtet! Wie kann da Beständigkeit selbst in den sorgfältigst ausgearbeiteten Plänen sein, die das friedliche Miteinander der Nationen zum Ziel haben?
Die von Gott für Israel bestimmte Stellung wird so beschrieben: „Und der HERR wird dich zum Haupt machen und nicht zum Schwanz, und du wirst nur immer höher kommen und nicht abwärts gehen, wenn du den Geboten des HERRN, deines Gottes, gehorchst“ (5. Mo 28,13). Als die Nachkommen Noahs mit ihren verschiedenen Sprachen weit zerstreut wurden und hier und da nach ihrem Gutdünken Länder in Besitz nahmen, leitete die unsichtbare Hand Gottes sie so, wie Er es im Blick auf das zukünftige Israel für nötig erachtete. Zu dieser Zeit erkannte niemand dieses Wirken Gottes. Vielleicht hat Gott zu Abraham und zu anderen davon gesprochen; dies erklärt die Worte Moses, als er die Stellung Israels unter den Nationen beschrieb, kurz bevor die Stämme Israels das Land Kanaan betraten: „Gedenke der Tage der Vorzeit, merkt auf die Jahre von Geschlecht zu Geschlecht; frage deinen Vater, und er wird es dir kundtun, deine Ältesten, und sie werden es dir sagen. Als der Höchste den Nationen das Erbe austeilte, als er voneinander schied die Menschenkinder, da stellte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der Kinder Israel“ (5. Mo 32,7.8). Die Menschen können jederzeit gewaltsam Hand an die Gebiete legen, die sie für sich begehren, doch nur wenn Gott dies zulässt, können sie dabei auch den Sieg erringen. Der allwissende Schöpfer sieht so manche Wege, in denen der Grimm der Menschen seinen Absichten dient. Es gibt also eine beherrschende Hand, die alle Bewegungen der Nationen kontrolliert – selten nimmt der Mensch sie wahr. Dies war zu den frühesten Zeiten wahr und ist es auch heute noch.
Als die ersten Nationen sich in ihren Ländern niederließen, warfen sie die Erkenntnis Gottes fort, die sie von Noah und seinen Nachkommen übernommen hatten, und stürzten sich in den Götzendienst. Römer 1,28 sagt, dass „sie es nicht für gut befanden, Gott in Erkenntnis zu haben“. Ihre Vorstellungen von einer Gottheit sanken unter dem täuschenden Einfluss Satans tiefer und tiefer. Zuerst haben sie „die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes verwandelt in das Gleichnis eines Bildes von einem verweslichen Menschen“ (Röm 1,23), dann wurden Bilder von Vieh, von Vögeln und von kriechenden Tieren aufgerichtet. Die Schlangenverehrung breitete sich aus. Es waren keine „nackten Wilden“, die auf diese Weise tiefer und tiefer stürzten, denn die alten Königreiche Babylon, Assyrien und Ägypten (neben anderen) besaßen viel Wissen und viele Kenntnisse. Aber es ist dem Menschen unmöglich, sich moralisch über das Niveau der Gegenstände seiner Verehrung zu erheben. Demzufolge werden die Verehrer von Tieren schon bald ein tierisches Verhalten annehmen. Hierbei sollte Römer 1,18–32 sorgfältig erwogen werden. Gott beschreibt hier in schrecklicher Weise die Tiefen der Verderbtheit und der Torheit, in die der Mensch hinabsinkt, wenn er Gott den Rücken zuwendet. Möge sich doch der fortschrittliche Mensch vor der immer weiter zunehmenden Gottlosigkeit hüten!
Das Land, dessen durch Gott gegebener Name „das Land Israel“ ist und von dem Gott sagt, dass es „die Zierde von allen Ländern“ ist (Hes 20,6), befand sich im Besitz von sieben anderen Nationen, als das Volk Israel seine Grenzen erreichte. Die immense Verderbtheit, mit der diese Nationen das Land erfüllt hatten, war völlig ausreichend, um ihnen jeden noch so geringen Anspruch auf weiteres Besitztum zu nehmen. In den Tagen Abrahams war das Maß ihrer Ungerechtigkeit noch nicht voll gewesen (1. Mo 15,16). Als aber die Heerscharen Israels als die Scharfrichter Gottes über sie kamen, war das Maß bereits voll und am Überlaufen. Wenn jemand daran zweifelt, dass es rechtmäßig war, diese Nationen zu vertreiben, um Raum für das auserwählte Volk des Herrn zu schaffen, so findet er in 3. Mose 18,25 die Erklärung: „Und das Land wurde verunreinigt, und ich suchte seine Ungerechtigkeit an ihm heim, und das Land spie seine Bewohner aus.“
Der Herr hatte das Land Abraham, Isaak und Jakob uneingeschränkt verheißen. Im tausendjährigen Friedensreich werden ihre Nachkommen es vom Nil bis an den Euphrat besitzen. Doch in den Tagen Josuas betraten sie es unter dem Bund vom Sinai, auf der Grundlage der Verantwortlichkeit. Die Bedingungen des Gesetzes, die vielen „Wenn“, wurden ihnen zum Verhängnis. Als Mose, der Fürsprecher und Vermittler des Volkes, starb, hinterließ er keinen Nachfolger in Bezug auf diese Aufgaben. Das Hohepriestertum war als Verbindung zwischen dem Herrn und dem Volk eingerichtet worden, und der Führer des Volkes war dessen Leitung unterstellt. „Und er soll vor Eleasar, den Priester, treten, und der soll für ihn das Urteil der Urim vor dem HERRN befragen: Nach seinem Befehl sollen sie ausziehen, und nach seinem Befehl sollen sie einziehen, er und alle Kinder Israel mit ihm“ (4. Mo 27,21).
Als das Priestertum moralisch verderbt geworden war, sprach Gott von einem König. Wenn wir die verhängnisvolle Episode von Saul, dem König nach dem Willen des Volkes, beiseitelassen, haben wir in David den von Gott erwählten König. Das Priestertum stand dann nur noch an zweiter Stelle. Unter David und Salomo erreichte das Königtum seine höchste Macht und Blüte. Diese Könige sind beide Vorbilder auf Christus, die einzig wahre Hoffnung Israels und der Nationen. David stellt Ihn als Mann des Krieges vor, der über alle Widersacher seines Volkes siegreich sein wird. Salomo ist sein Vorausbild als Mann des Friedens. Beispiellose Herrlichkeit und Wohlstand erfüllten während der Regierung Salomos das Land. Aber leider wurde dieser höchstbegabte Monarch auch zum Anführer des Volkes in Bezug auf das schwerwiegende Abweichen von Gott. Um seine vielen fremden Frauen zufriedenzustellen, füllte er das Land mit fremden Göttern (1. Kön 11).
Als der Gott der Herrlichkeit Abraham berief und ihm seine Gedanken offenbarte (Apg 7,2), war es seine Absicht, alle Nationen durch den Nachkommen Abrahams zu segnen (1. Mo 12,2.3; 22,18). Die ganze Erde war zu dieser Zeit in die Dunkelheit und Unreinheit des Götzendienstes gesunken – sogar Abrahams eigene Familie diente fremden Göttern (Jos 24,2). Es war deshalb unumschränkte Gnade Gottes, dass er Abraham so segnete und ihn dann zu einem Segen für andere machte. Das Königtum wurde in Israel als Zeugnis für Gott auf der Erde eingerichtet. Das Volk hätte als Licht für alle die Lampe der göttlichen Wahrheit treu hochhalten sollen. Als sie aber auf das Niveau der sie umgebenden Nationen herabsanken, verschwand das Zeugnis und die Segnungen der Nationen wurden damit unmöglich. Die Nationen erwarten den Tag Christi. Wenn Er in königlicher Majestät erscheinen wird, wird Er all das, was unter den Händen Adams, Noahs, Davids, Salomos und anderer misslungen ist, aufnehmen und herrlich vollenden und erfüllen.
Auf den Tod Salomos folgte die Spaltung Israels. Dieser Bruch wurde bis heute nicht geheilt. Zehn Stämme folgten der Führung Jerobeams, des Sohnes Nebats. Die übrigen beiden Stämme blieben bei dem Haus Davids. Der Herr verhieß Jerobeam ein beständiges Haus, wenn er auf seinen Wegen wandeln würde, denn Jerobeam hatte erkannt, dass Gott das untreue königliche Haus durch ihn züchtigte. Trotzdem besaß Jerobeam kein Vertrauen in Gott und sein Wort und fürchtete um die Sicherheit seines Throns, falls das Volk weiterhin nach Jerusalem zur Anbetung gehen würde. Er errichtete goldene Kälber in Bethel und Dan und baute ihnen wahrscheinlich sogar Heiligtümer (1. Kön 11,37.38; 12,26–30; Amos 7,13). Er setzte Priester aus allen Stämmen ein und missachtete so das besondere Vorrecht der Leviten. Er richtete nach seinen eigenen Vorstellungen Feste ein und handelte somit entgegen der Anordnung Gottes in 3. Mose 23. Dadurch wurde das Volk völlig von Gott als seinem Mittelpunkt und von seinen Ordnungen abgelenkt. Dies alles war weit mehr als Untreue – es war offener Abfall.
Glücklicherweise verabscheute eine beträchtliche Anzahl der Menschen dieses Böse, weil das Wort Gottes noch Autorität über ihre Herzen besaß. Sie kehrten den schlimmen Neuerungen Jerobeams den Rücken zu – in einigen Fällen unter Aufgabe ihrer Häuser und Äcker – und gingen nach Süden, wo es immer noch eine gewisse Achtung vor dem Wort Gottes gab und wo sie wenigstens in dem Haus, das nach seinem Namen genannt wurde, anbeten konnten. Dass diese beträchtliche Bewegung ein echtes Wirken des Geistes war, wird aus der folgenden Stelle deutlich: „Und ihnen folgten aus allen Stämmen Israels die, die ihr Herz darauf richteten, den HERRN, den Gott Israels, zu suchen; sie kamen nach Jerusalem, um dem HERRN, dem Gott ihrer Väter, zu opfern“ (2. Chr 11,16). Der Einfluss dieser gottesfürchtigen Einwanderer war so hoch, dass die zwei Stämme drei Jahre lang auf den Wegen Davids und Salomos wandelten. Der beklagenswerte Aufbruch dieser Nation, der Bericht über die Verderbtheit Jerobeams und seiner Anhänger und das Zusammentreffen mit dieser Menge gottesfürchtiger Seelen, die ihre ganze Habe zurückgelassen hatten, öffneten offensichtlich Rehabeam und seinen beiden getreuen Stämmen die Augen für diese schwerwiegenden Gräuel, die sich seit mehreren Jahren in dem Land entwickelten. Und für eine Weile – leider nur für eine kurze Zeit – liefen die Dinge gut.
Diese Bewegung der Bewohner des nördlichen Reiches, die den Wunsch hatten, auch dann in Treue mit dem Herrn voranzugehen, wenn die große Masse von ihm abgefallen war, hat auch für uns heute eine Botschaft. Die Geschichte Israels ist zu unserer Ermahnung geschrieben (1. Kor 10,11). Wir, die wir nun statt Israel als Zeugen für Gott in dieser Welt sind, sollten aus diesen Berichten Nutzen ziehen.
Aber wie sieht es heutzutage mit uns aus? Wenn wir unsere Bibeln bei den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte öffnen, lesen wir mit innerer Freude von den Anfängen des Christentums. Welche Liebe! Welche Hingabe! Welch frohes Festhalten an den Belehrungen der Apostel, die das Sprachrohr Gottes für diese neue Haushaltung waren!
Selbst ein flüchtiger Blick auf die dazwischenliegenden Jahrhunderte zeigt uns, dass der geistliche Verfall immer schlimmer geworden ist. Die Einheit wurde zerstört. Rivalisierende Kirchen (nationale und andere) entstanden. Die längste Zeit des Christentums hindurch wurde eindeutig Götzendienst ausgeübt. Und sogar solche Gemeinschaften, die behaupten, griechischen und römischen Aberglauben zu verabscheuen, sind von tödlichen Irrlehren durchsetzt. Deutlich erklingt der Ruf nach Absonderung aus Gottes Wort, insbesondere aus 2. Korinther 6,14–18 und 2. Timotheus 2,15–26. Aber die Absonderung muss auch gründlich und vollständig sein, wenn Gott Gefallen daran haben soll. Sie muss sich auf alle Bereiche unseres Lebens erstrecken. Der große Aufruf nach religiöser Absonderung in 2. Korinther 6,14–18 wird von dem ernsten Appell gefolgt: „Lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes“ (2. Kor 7,1). Dies geht sehr weit.
Es kann passieren, dass wir uns entschieden von den Verbindungen mit der Welt in religiösen Dingen trennen und uns außerdem noch sehr nachdrücklich gegen eine Gleichförmigkeit oder Anpassung mit der Welt aussprechen, und doch in anderen Bereichen ungerührt mit der Welt gemeinsame Sache machen; so trügerisch ist das Fleisch, sogar in den Heiligen Gottes! Es wird oft in ernster Weise vom Sonntagschristentum gesprochen – hüten wir uns vor einer Sonntags-Absonderung. Unsere Taufe lehrt, dass wir der Sünde und der Welt gestorben sind (Röm 6) – sind wir dazu bereit?
Die Israeliten, die sich selbst von der Gottlosigkeit Jerobeams und seiner Anhänger absonderten und sich in das Königreich Juda begaben, hatten den Wunsch, an den Wegen des Herrn festzuhalten, wie sie im Wort Gottes niedergeschrieben sind. Die Neuerungen durch die unheiligen Männer im Nordreich waren abscheulich in ihren Augen. Dieses vortreffliche Beispiel wollen wir nachahmen!