Einführende Vorträge zur Apostelgeschichte
Kapitel 8
Ich habe die praktischen Ergebnisse von Stephanus' Tod schon berührt und möchte mich daher nicht ausführlicher damit beschäftigen. Mein Wunsch besteht natürlich einfach darin, einen Überblick über das wichtige Buch vor uns zu geben, indem ich versuche, das Zukünftige mit dem Vergangenen zu verbinden. Dafür ist unser Kapitel offensichtlich ein kennzeichnendes Beispiel. Saulus war mit Stephanus' Tod einverstanden. Er war ein Muster von jüdischen Gefühlen in ihrer besten Ausprägung. Die Juden waren jetzt eines Widerstands bis aufs Blut schuldig, und zwar weitgehender als ihre Väter. Sie hatten das himmlische Zeugnis von Jesus abgelehnt. Nichtsdestoweniger vergaß jener Gott, welcher die Ehre des gekreuzigten Jesus verteidigte, auch seinen Märtyrer Stephanus nicht. Obwohl eine heftige Verfolgung ausbrach, welche alle Gläubigen in Jerusalem außer den Aposteln über das Gebiet von Judäa und Samaria zerstreute, fehlte es offensichtlich nicht an gottesfürchtigen Männern, die Stephanus beerdigten. Sie waren bestimmt keine Christen; aber Gott kontrolliert jedes Herz. Sie „stellten eine große Klage über ihn an“ (V. 2). Das passte zu ihnen. Sie besaßen nicht jene Freude, welche in die Gegenwart Gottes schaute. Sie empfanden in einem gewissen Grad, und zwar zu Recht, die schreckliche Tat, die begangen worden war; und da ihre Gefühle auf jeden Fall echt waren, hielten sie eine angemessene Wehklage. „Saulus aber verwüstete die Versammlung, indem er der Reihe nach in die Häuser ging; und er schleppte sowohl Männer als Weiber fort und überlieferte sie ins Gefängnis“ (V. 3). Religiöse Verfolgung ist ohne Ausnahme erbarmungslos und blind sogar gegen die gewöhnlichsten Empfindungen der Menschlichkeit.
„Die Zerstreuten nun gingen umher und verkündigten das Wort“ (V. 4); denn der Gott, der nicht nur die Herzen regiert, sondern auch alle Umstände beherrscht, stand nun im Begriff, seine ewigen Herzensratschlüsse zu verwirklichen. Er machte jetzt die Jünger zu Zeugen Jesu bis an die Enden der Erde, wenn auch zuerst in Judäa und Samaria. Das Zeugnis musste natürlich zunächst in der Stadt Jerusalem verbreitet werden. Aber jetzt erreichten die Wege Gottes deren alte Nebenbuhlerin Samaria. Philippus, den die Apostel nach der Wahl der Jüngermenge für die Armenspeisung eingesetzt hatten, zog hinab in eine Stadt Samarias, indem er Christus predigte. Das stützte sich keineswegs auf seine Ordination. Er war eingesetzt worden, um die Tische zu bedienen. Seine Predigt hingegen beruhte ausschließlich auf der Berufung durch den Herrn. Wo die Menschen für irdische Dinge eine Wahl treffen, erkennt der Herr dies an. In Angelegenheiten, wo sie etwas geben möchten und ihre Gaben verteilt werden, darf sein Volk mitreden. Er begegnet ihm in Gnade, wo Beschwerden Einhalt geboten werden sollen, und zeigt, dass Er eine angemessene Wahl ehrt und auf die Einsicht der Gläubigen dabei vertraut. Das gilt allerdings nicht für den Dienst des Wortes bzw. des Zeugnisses vom Herrn. Hier ist es allein der Herr, welcher gibt, beruft und aussendet. Philippus war nicht nur einer der Sieben, sondern auch ein Evangelist, wie uns ausdrücklich an einer anderen Stelle dieses Buches gesagt wird (Kap. 21, 8). Die Unterscheidung zwischen beiden Aufgaben ist sehr wichtig. Auf der einen Seite sehen wir den Auftrag, den Menschen ihm übertragen hatten, auf der anderen die Gabe, welche der Herr mitteilt (Eph 4). Diese Bemerkung mache ich nur im Vorbeigehen. Den meisten Gläubigen hier ist diese Wahrheit bekannt, dennoch mag sie für den einen oder anderen nützlich sein.
Philippus zog also hinab, indem er Christus predigte. „Und die Volksmengen achteten einmütig auf das, was von Philippus geredet wurde, indem sie zuhörten und die Zeichen sahen, die er tat“ (V. 6). Doch das Zeugnis durch Wunder erreicht oft nur das Fleisch. Wunder sind tatsächlich ein Zeichen an die Ungläubigen; und welche Wirkung sie hervorrufen, zeigt uns der Geist Gottes in dem Kapitel vor uns. Der Herr gibt sie in seiner Gnade als Zeichen, um die sorglosen Herzen der Menschen anzuziehen. Dennoch sind sie gefahrvoll, wenn sie zum Ruheplatz und ausschließlichem Gegenstand der Seele werden. Letzteres war der verhängnisvolle Fehler, der damals gemacht wurde – aber nicht nur damals und dort, sondern auch von vielen Millionen Seelen seit jenen Tagen bis heute. Der Glaube kann niemals auf einer anderen Grundlage ruhen als dem Wort Gottes. Alles andere ist nutzlos und neigt dazu, den Menschen zu verherrlichen und zu verführen. Bei dieser Begebenheit in Samaria wirkte zweifellos der Heilige Geist in einer Kraft, welche unreine Geister austrieb und die Kranken heilte sowie Freude in die Herzen der Menschen jener ganzen Stadt ausbreitete. Augenscheinlich war es die sich damals so reichhaltig enthüllende äußere Entfaltung von Kraft, welche auf die fleischliche Gesinnung des Simon einwirkte. Er selbst hatte den Ruf eines „Großen“ und war bisher das Gefäß einer Art dämonischen Macht gewesen. Es war die elende Macht Satans, mit der er die Augen der Menschen blendete. Als Simon sich jetzt übertroffen sah, versuchte er als ein verschlagener Mann aus dieser ihm überlegenen Kraft nach Möglichkeit Nutzen zu ziehen. Er suchte nicht Christus, sondern sich selbst. Er wollte neuen Einfluss gewinnen und nicht seinen alten verlieren. Warum sollte er nicht diese neue Methode, wenn möglich, zu seinem eigenen Zweck verwenden?
Folglich wurde unter der Schar derer, welche das Evangelium annahmen und getauft wurden, auch Simon gefunden. Philippus hatte nicht das Unterscheidungsvermögen, um ihn zu durchschauen. Evangelisten sind normalerweise leichtgläubig. Es mag sein, dass der Herr eine Entfaltung des wahren Charakters Simons vor aller Augen zu diesem Zeitpunkt nicht zuließ. Er entging jedoch kurze Zeit später nicht den durchdringenden Augen des Petrus. Uns wird nur gesagt: „Als sie aber dem Philippus glaubten, der das Evangelium von dem Reiche Gottes und dem Namen Jesu Christi verkündigte, wurden sie getauft, sowohl Männer als Weiber. Aber auch Simon selbst glaubte“ (V. 12–13). Die Bibel zeigt, dass es auch Glauben gibt, der auf äußeren Beweisen beruht, obwohl sie ihn nicht als göttlich anerkennt. Und so ist es bis heute. Davon berichtet Johannes häufig. Derselbe Mann, welcher uns vor allen anderen von dem gottgegebenen Charakter des wahren Glaubens berichtet und uns in dessen geheime Kraft und Glückseligkeit, nämlich in das damit verbundene ewige Leben, einführt – dieser selbe Johannes zeigt uns mehr als andere Schreiber Beispiele von auf menschliche Weise erzeugtem Glauben. Solchen Glauben besaß Simon. Das Lukasevangelium beschreibt Ähnliches. Damit meine ich keinen unaufrichtigen Glauben, sondern rein menschlichen. Dieser ist nicht vom Heiligen Geist bewirkt. Er ist menschlicher Art und stützt sich auf Vernunftgründe, Beweise und Begebenheiten, die das Herz überwältigen. Darin ist jedoch nichts Göttliches. Die Seele begegnet nicht Gott. Ohne diese Begegnung ist Glaube nutzlos; und Gott wird nicht in seinem Wort geehrt. Die Entfaltung der Kraft überwältigte Simons Denken. Er war ein Verehrer der Kraft, welcher in der Vergangenheit wahrlich tief hinabgestiegen war, um wahllos aus jeder Quelle das Gefäß einer Kraft jenseits der des Menschen zu werden, bis er schließlich dem Feind Gottes und des Menschen begegnete. Er konnte die Macht Gottes in Philippus nicht leugnen, welche sich mühelos jeder anderen Kraft überlegen erwies, welche er selbst ausgeübt hatte. Das zog ihn an. Es war das einzige Verbindende zwischen ihm und Philippus. So wird hier gesagt: Er „hielt sich zu Philippus; und als er die Zeichen und großen Wunder sah, welche geschahen, geriet er außer sich.“ Ein Gläubiger wäre viel mehr über die Gnade Gottes außer sich geraten und hätte sich in Anbetung vor Ihm verneigt. Durch die Wahrheit Gottes wäre das Gewissen erforscht worden; und das Herz hätte sich mit Lobpreis gefüllt wegen der Gnade Gottes. Weder das eine, noch das andere erfüllte jemals die Gedanken oder Gefühle Simons.
„Als aber die Apostel, welche in Jerusalem waren, gehört hatten, dass Samaria das Wort Gottes angenommen habe, sandten sie Petrus und Johannes zu ihnen“ (V. 14). Es war von größter Bedeutung, dass in praktischer Hinsicht die Einheit aufrechterhalten blieb. Die Verkündigung der Wahrheit von dieser Einheit genügte nicht; sie musste auch in der Praxis verwirklicht werden. Darum mussten Petrus und Johannes, zwei Führer unter den Aposteln, aus Jerusalem nach Samaria reisen. Das war jedoch nicht der einzige Grund. Gott ordnete es so, dass der Heilige Geist nicht sofort auf die Jünger in Samaria herabkam. Damit meine ich nicht allein Simon oder andere falsche Brüder, sondern auch die echten. Zweifellos hätten sie nicht dem Evangelium glauben können ohne das lebensspendende Werk des Heiligen Geistes. Wir müssen indessen unterscheiden zwischen dem Leben, welches der Heilige Geist mitteilt, und der Gabe des Heiligen Geistes.
Auf noch etwas möchte ich immer wieder hinweisen: Die Gabe des Geistes Gottes bedeutet nicht notwendigerweise, dass solche gewaltigen Wunder der Macht geschehen, wie sie auf das habsüchtige und ehrgeizige Herz Simon Magus 1 einwirkten. Die Gabe des Heiligen Geistes ist keinesfalls identisch mit geistlichen Gaben. Letztere waren in frühen Tagen, insbesondere wenn es sich um solche eines außerordentlichen Charakters handelte, die äußeren Zeichen der Mitteilung des Geistes. Damals war es von größter Wichtigkeit, dass ein eindeutiges und augenfälliges Zeugnis davon abgelegt wurde. Seine Anwesenheit war selbst für Gläubige neu und beispiellos. Folglich wurden gewaltige Wunderwerke von Männern ausgeführt, die der Geist Gottes benutzte, wie z. B. hier durch Philippus. Später geschah dies auch durch andere Jünger, nachdem Petrus und Johannes herabgekommen waren und ihnen unter Gebet die Hände aufgelegt hatten. Der Heilige Geist kam auf sie und nicht, wie wir bemerken können, gewisse geistliche Kräfte. Sie empfingen nicht nur solche Kräfte, sondern vor allem jene göttliche Person. Die Bibel ist in Hinsicht auf diese Wahrheit klar und eindeutig. Ich kann verstehen, wenn Gläubige Schwierigkeiten haben; und niemand sollte wünschen, ihnen eine Überzeugung in Eile aufzuzwingen. Es hat nämlich überhaupt keinen Zweck, eine Wahrheit anzunehmen ohne den Glauben, der durch das Wort Gottes hervorgerufen, in Ausübung gebracht und erhellt worden ist. Andererseits scheint mir aber die Ehrehrbietung gegen Gottes Wort mich persönlich aufzufordern, dort die Wahrheit nachdrücklich darzulegen, wo sie für mich eindeutig ist.
Darum muss ich sagen, dass die Gabe des Heiligen Geistes hier nach meinem Urteil klar unterschieden ist von irgendeiner geistlichen Gabe an eine Seele oder einer sogenannten Wundermacht. Äußere Zeichen oder Kräfte konnten folgen. Doch vor allem wurde der Heilige Geist selbst nach den Worten des Herrn mitgeteilt. Er ist die Verheißung des Vaters. Diese wurde, wie wir alle wissen, zum ersten Mal an jenen erfüllt, die schon Gläubige waren – ja, sie wurde an ihnen erfüllt, weil sie schon Gläubige waren. Sie wurden dadurch nicht zu Gläubigen. Nachdem die Erlösung vollbracht war, wurde die Gabe des Heiligen Geistes zum Siegel für den Glauben und das Leben, welche die Jünger schon besaßen. Ohne Zweifel sind die Vorgänge in Samaria denen ähnlich, die wir in Jerusalem sahen. Dennoch bleibt jenes auffallende Kennzeichen bestehen, dass hier der Heilige Geist durch das Auflegen der Hände der Apostel mitgeteilt wurde und nicht wie dort völlig ohne menschliches Mitwirken. Von letzterem lasen wir nichts in dem göttlichen Bericht vom Pfingsttag. Ich denke auch, dass die Bibel eindeutig sagt, dass damals und dort nichts dieserart stattfinden konnte. Zunächst einmal waren es die Apostel und die übrigen Jünger selbst, die den Geist empfingen, während sie darauf warteten. Der Heilige Geist kam plötzlich auf sie ohne vorbereitende Zeichen. Allerdings war sein Kommen von solchen begleitet, wie sie seinem Herabsteigen angemessen waren: Ein gewaltiger Wind brauste daher; und danach erschienen Zeichen seiner Gegenwart auf einem jeden der Anwesenden. Ein Auflegen der Hände war indessen nicht erforderlich. Offensichtlich gab es aber bestimmte Gründe, die dies in Samaria notwendig machten. Es war von größter Bedeutung, dass ein Werk, welches für viele damals wie heute nicht wenig regelwidrig aussah, mit dem Anfang verbunden blieb. Nicht jene, die vorher die großen geistlichen Zeugen waren, hatten dort gearbeitet. Tatsächlich hörten wir bisher nur von den Aposteln, dass sie als Diener des Wortes gewirkt hatten – und noch nicht einmal von allen, obwohl sie wahrscheinlich alle predigten. Philippus hingegen war eindeutig ein Mann, der für eine ganz andere, eine äußerliche Aufgabe von der Kirche (Versammlung) bestellt worden war. Trotzdem hatte der Herr ihn anderswo zu einem neuen und erhabeneren Auftrag berufen, für den Er ihn durch den Heiligen Geist befähigt hatte.
Nichtsdestoweniger wurde sorgfältig darauf geachtet, jeden Anschein von Unabhängigkeit und Gleichgültigkeit gegen die Einheit abzuwehren. Der Heilige Geist wirkte vollkommen frei – unumschränkt frei. Diese Wahrheit können wir nicht beharrlich genug festhalten. Mit äußerster Sorgfalt wurde darauf achtgegeben, dass dem Heiligen Geist völlige Freiheit gelassen wurde zu handeln, wie Er es wollte. Das galt nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch bei der Evangelisation außerhalb derselben. Trotzdem sorgte Gott in seiner Voraussicht dafür, dass das Werk in Samaria mit dem von Ihm bewirkten in Jerusalem verbunden wurde. Obwohl Philippus gepredigt und seine Zuhörer das Evangelium angenommen hatten, mussten dennoch die Apostel zu ihnen herabkommen und ihnen unter Gebet die Hände auflegen. Erst danach empfingen sie den Heiligen Geist. Für jeden nachdenklichen Leser sollte eigentlich klar sein, dass es heutzutage die Voraussetzungen für eine solche Handlungsweise nicht mehr gibt. Ich mache diese Bemerkung folglich nur, damit niemand aus unserem Ereignis die Schlussfolgerung zieht, dass von Gott beauftragte Männer notwendigerweise ihre Hände auflegen müssten, um solch eine geistliche Segnung mitzuteilen.
Tatsächlich ist die Ansicht, dass die Handauflegung allgemein als ein Mittel zum Empfang des Heiligen Geistes erforderlich sei, ganz gewiss ein Irrtum. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in den großen Ereignissen, bei denen der Heilige Geist mitgeteilt wurde, Hände aufgelegt wurden. Es gibt zwei Gelegenheiten, wo ausnahmsweise ein Apostel oder mehrere so handelten. Davon lesen wir jedoch nichts zu Zeiten, die besonders bedeutsam und wichtig waren. Nehmen wir den feierlichsten Moment überhaupt, den Pfingsttag! Wer von uns, der die Bibel ehrt, könnte behaupten, dass auf irgendeinen der Jünger Hände aufgelegt wurden? Und doch wurde der Heilige Geist an jenem Tag mit besonderer Kraft mitgeteilt. Für uns, die Gläubigen aus den Nationen, ist allerdings ein Ereignis noch bedeutsamer: Bei der Aufnahme von Kornelius und seinen Hausgenossen in die Versammlung wird nichts von einem Handauflegen erwähnt, stattdessen finden wir unzweifelhafte Beweise des Gegenteils. Obwohl Petrus anwesend war, legte er an jenem Tag keiner Person seine Hand auf, bevor ihr der Heilige Geist gegeben wurde. Weit davon entfernt! Wir werden bald in Kapitel 10 sehen, dass, während er noch redete und sogar bevor sie getauft waren, der Heilige Geist mitgeteilt wurde. Am Pfingsttag wurden die Bekehrten zuerst getauft. Danach erhielten sie die Gabe des Heiligen Geistes. In Samaria waren sie, wie wir wissen, schon eine ganze Weile vorher getauft worden. Nachdem sie glaubten, wurden sie getauft, teilt uns Kapitel 8 mit. Sie erhielten indessen den Heiligen Geist erst einige Zeit später durch eine Handlung der Apostel.
Ich weise insbesondere darauf hin, um zu zeigen, wie die Bibel weit davon entfernt ist, die verkrampften Vorstellungen der Menschen gutzuheißen. Der einzige Weg nach der Wahrheit besteht darin, dem ganzen Wort Gottes zu glauben und nach den besonderen Grundsätzen zu forschen, durch welche Er uns die verschiedenen Wesenszüge seiner Handlungen lehrt. Sicherlich handelt Er immer weise und mit sich selbst in Übereinstimmung. Es sind wir, die alles durcheinander werfen und folglich die Segnung und die Schönheit der Wahrheit Gottes nicht wahrnehmen.
Der Grund, warum die göttliche Weisheit zu dieser ganz anderen Verfahrensweise in Samaria anleitete, scheint mir in der Notwendigkeit zu bestehen, jene Unabhängigkeit zu verhindern, zu der auch Christen so leicht neigen. Die Gläubigen in Samaria waren diesem Übel ganz besonders ausgesetzt und benötigten große Wachsamkeit dagegen. Wie schmerzlich wäre es für den Geist Gottes gewesen, wenn jener alte Stolz Samarias sich gegen Jerusalem erhoben hätte! Gott wollte schon den Anfängen dazu jede Spitze abbrechen. Wir lesen von der freien Wirksamkeit seines Geistes in Samaria ohne die Apostel. Der Heilige Geist wurde jedoch erst durch das Auflegen ihrer Hände mitgeteilt. Diese feierliche Handlung war nicht nur ein altüberliefertes Zeichen göttlicher Segnung, sondern auch der Einsmachung. Das ist, wie ich annehme, der Grundsatz, auf dem der Unterschied in der göttlichen Handlungsweise bei beiden Gelegenheiten beruht.
Danach lesen wir, wie Simon nicht so sehr davon beeindruckt war, dass einzelne Menschen mit übernatürlicher Macht ausgerüstet waren, sondern vielmehr dass sie diese durch das Auflegen der Hände der Apostel empfingen. Sofort erkannte er darin mit dem Instinkt des Fleisches eine gute Gelegenheit persönlichen Gewinns. Er beurteilte andere entsprechend seinem eigenen Herzen und bot Geld an, um diese heiß ersehnte Kraft zu bekommen. Darin offenbarte sich dieser Mann. Wie oft zeigen unsere Worte, wer wir sind! Wie häufig dort, wo wir es am wenigsten vermuten! Das gilt nicht nur für Fälle, in denen wir richten (denn nichts richtet einen Menschen so oft, wie sein Urteil über andere!), sondern auch in unserem Verlangen nach Dingen, die wir nicht haben. Wie außerordentlich wichtig ist es für unsere Seelen, dass Christus vor uns steht und dass wir nichts anderes verlangen außer seine Herrlichkeit! Kein einziger Strahl des Lichtes Christi war in das Herz Simons gedrungen; und Petrus entdeckte sofort das falsche Herz. Mit der ihn kennzeichnenden Energie sagte er: „Dein Geld fahre samt dir ins Verderben, weil du gemeint hast, dass die Gabe Gottes durch Geld zu erlangen sei! Du hast weder Teil noch Los an dieser Sache, denn dein Herz ist nicht aufrichtig vor Gott“ (V. 20–21). Gleichzeitig erfüllte ihn jenes Mitleid, das alle besitzen, welche die Gnade Gottes kennen und das Endergebnis in seinem Gericht sehen. „Tue nun Buße über diese deine Bosheit und bitte den Herrn, ob dir etwa der Anschlag deines Herzens vergeben werde; denn ich sehe, dass du in Galle der Bitterkeit und in Banden der Ungerechtigkeit bist“ (V. 22–23). Gott hat kein Wohlgefallen am Tod des Sünders. Simon konnte nur antworten: „Bittet ihr für mich den Herrn!“ (V. 24). Er selbst hatte kein Vertrauen auf den Herrn – nicht im Geringsten! Während jene, die auf den Herrn vertrauen, kein Atom ihrer Zuversicht auf Menschen setzen, bestand in den Augen Simons die einzige Hoffnung auf Segnung für die Seele in der Einflussnahme eines anderen Menschen und nicht in der Gnade Christi. „Bittet ihr für mich den Herrn, damit nichts über mich komme von dem, was ihr gesagt habt.“
Die Apostel kehrten, nachdem sie in den verschiedenen Dörfern der Samariter gepredigt hatten, nach Jerusalem zurück. Allerdings nicht das Wort Gottes! Das Evangelium wendet sich überall hin; es ist in keiner Weise an Jerusalem gebunden. Im Gegenteil, das große Thema unseres Kapitels zeigt gerade, wie jetzt der Strom der Gnade von Jerusalem wegfließt. Die heilige Stadt hatte das Evangelium zurückgewiesen. Sie hatten nicht nur den Messias verworfen sowie die Wahrheit, dass Er zum Herrn und Christus in der Höhe gemacht worden war, sondern auch das Zeugnis des Heiligen Geistes über den verherrlichten Sohn des Menschen im Himmel. Sie hatten seine Zeugen erschlagen und zerstreut. Wer wurde also in besonderer Weise als Werkzeug der freien Wirksamkeit des Heiligen Geistes außerhalb jener Stadt – ohne Plan, ohne menschliche Einwirkung, aber scheinbar als die Folge äußerer Umstände – benutzt? In Wirklichkeit leitete Gottes Hand alles. Jetzt wird Philippus von einem Engel des Herrn aufgefordert: „Stehe auf und geh gegen Süden auf den Weg, der von Jerusalem nach Gaza hinabführt; derselbe ist öde. Und er stand auf und ging hin“ (V. 26–27). Treffend schön ist die hingebende Einfalt, mit der er den Ruf seines Meisters beantwortete. Damit will ich nicht sagen, dass es ihn wenig Überwindung kostete; denn ich bin sicher, dass es für viele Männer Gottes eine schwere Prüfung gewesen wäre, jenes glänzende Werk zu verlassen, in dem Gott selbst machtvoll gewirkt hatte, indem Er Philippus für sein Werk benutzte. Letzterer ist jedoch ein echter Knecht und ist auf die Anweisung des Herrn sofort bereit zu gehen. Dabei hatte Gott ihm doch erlaubt, in Freude dort zu ernten, wo der Herr selbst in den Tagen seines Dienstes auf der Erde eine gewisse Erstlingsfrucht schmeckte (Joh 4). Samaria, welches sich der Wahrheit widersetzt hatte (vgl. Lk 9, 52ff.), brachte nun die Ernte, die durch einen Größeren als Philippus gesät worden war; und es war Freude in ganz Samaria, wo nach dem Wort des Herrn jetzt größere Werke geschahen als zuvor (vgl. Joh 14, 12).
Das genügte Gott jedoch nicht. Ein Mann aus Äthiopien, ein Eunuch mit großer Autorität unter der Königin der Äthiopier, kehrte von seiner Reise nach Jerusalem, wo er Gott anbeten wollte, zurück. Er machte sich auf die Rückreise ohne jene Segnung, die sein aufrichtiges Herz ersehnte. Er war hinaufgezogen zur großen Stadt der Festversammlungen (vgl. Jes 33, 20), aber die Segnung wurde dort nicht mehr gefunden. Jahwes Haus war in doppelter Weise öde geworden. Jerusalem hatte zu seinen übrigen Sünden noch hinzugefügt, dass es den Segen, als er vom Himmel hernieder kam, ablehnte. Es verwarf den Heiligen Geist, wie es den Messias verworfen hatte. Kein Wunder also, dass jenem Mann, der nach Jerusalem gereist war, um anzubeten, auf seiner Heimfahrt die ernste Sehnsucht seines Herzens nicht gestillt worden war.
Nun leitete nicht mehr ein Engel, sondern der Heilige Geist. Ein Engel hat es mit den Umständen der Vorsehung zu tun, der Heilige Geist hingegen mit dem, was sich unmittelbar mit den geistlichen Bedürfnissen und dem Segen befasst. So sagte der Geist zu Philippus: „Tritt hinzu und schließe dich diesem Wagen an!“ (V. 29). Philippus handelte sofort. Beglückt hörte er den Eunuchen den Propheten Jesaja lesen und stellte ihm die Frage, ob er überhaupt verstand, was er las. Die Antwort lautete: „Wie könnte ich denn, wenn nicht jemand mich anleitet?“ (V. 31). Daraufhin wurde Philippus eingeladen, auf den Wagen zu steigen und sich zu ihm zu setzen. Der angesprochene Bibelabschnitt war, wie wir wissen, Jesaja 53; und der Eunuch fragte, von wem der Prophet diese Worte aussprach – „von sich selbst oder von einem anderen?“ (V. 34). So groß war sein Unverständnis selbst über den allgemeinen Gegenstand des Kapitels. „Philippus aber tat seinen Mund auf, und, anfangend von dieser Schrift, verkündigte er ihm das Evangelium von Jesu“ (V. 35). Das genügte. Was könnte dieser Name, verbunden mit Glauben an ihn, nicht alles bewirken? Die Tatsachen an sich waren bekannt. Wir dürfen indessen versichert sein, dass sie niemals zuvor in dieser Weise der Seele des Äthiopiers vorgestellt worden waren. Niemals waren sie mit dem lebendigen WORT und seiner Gnade in Verbindung gebracht worden. Jetzt wurden sie in Beziehung zu den Bedürfnissen des Äthiopiers gesetzt; und sofort wurde es licht in seiner Seele. O, welch ein Segen ist es, einen solchen Heiland zu haben und zu kennen! Welch eine Freude, diesen Heiland anderen Menschen ohne Einschränkung verkünden zu dürfen, sogar einer Seele so verfinstert wie die jenes Äthiopiers, der damals und dort getauft wurde!
Beachten wir, dass der 37. Vers nicht zum Gespräch zwischen dem Kämmerer und Philippus gehört, sondern menschlicher Einbildung entstammt 2! Der Äthiopier in seiner damaligen Unwissenheit konnte nicht der Kanal sein, durch welchen Gott solch ein bemerkenswertes Bekenntnis ablegen ließ. Dazu war es noch zu früh. Dieses Bekenntnis war einem anderen Mann vorbehalten, von dem wir im nächsten Kapitel lesen. Hier sehen wir einen Fremdling, der in Jesus von Nazareth den vorhergesagten Messias erkannte – einen Messias, der zweifellos litt und dabei die Sühnung bewirkte. Natürlich nahm der Äthiopier die Wahrheit an. Dennoch ist es besser, wenn wir den Inhalt von Vers 37, vor allem in diesem Zusammenhang, schnell vergessen. Alle jene, welche die Quellenlage kennen, wissen, dass die besten Autoritäten den ganzen Vers ablehnen.
„Er zog seinen Weg mit Freuden“ (V. 39). Obwohl der Geist des Herrn Philippus hinwegnahm, war das Herz des Kämmerers so von der Wahrheit erfüllt, dass – wir dürfen dessen sicher sein – alle Ereignisse letztere in seinen Augen nur bestätigten. Wie könnte irgendetwas zu groß und zu wunderbar sein für ihn, dessen Herz gerade die Bekanntschaft Jesu gemacht hatte? Fühlte er sich nicht viel mehr in Jesus gegründet, nachdem kein anderer Gegenstand mehr vor seiner Seele stand? Der Herr hatte Philippus herzugebracht; und sein Geist nahm ihn wieder hinweg. Aber der Heilige Geist war es auch, der dem Fremdling Jesus gegeben und für immer geschenkt hatte. „Philippus aber wurde zu Asdod gefunden; und indem er hindurch zog, verkündigte er das Evangelium“ (V. 40).
Fußnoten
- 1 „Magus“ (lat. „Zauberer“). Unter diesem Beinamen ist Simon in der Christenheit allgemein bekannt geworden. (Übs.)
- 2 Darum fehlt er auch in unserer Bibel. Vergleiche die Luther-Übersetzung (bis 1984): „Philippus aber sprach: Glaubst du von ganzem Herzen, so mag's wohl sein. Er antwortete und sprach: Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist.“ (Übs.)