Einführende Vorträge zur Apostelgeschichte
Kapitel 3+4
In Kapitel 3 wird ausführlich ein Wunder geschildert, welches die Gefühle des Volkes und besonders seiner Führer (Kap. 4) herausstellte. Beim Hinaufgehen zum Tempel (auch die Apostel pflegten diese Gewohnheit) begegneten Petrus und Johannes einem lahmen Mann. Als dieser Petrus um ein Almosen bat, gab Petrus ihm etwas viel Besseres. So handelt die Gnade, die nach Einschätzung der Menschen und auch in Wirklichkeit an irdischen Mitteln arm ist, immer. Petrus sagte zu dem erwartungsvollen Mann: „Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: In dem Namen Jesu Christi, des Nazaräers, stehe auf und wandle!“ (V. 6). Der Kranke stand in der Kraft Gottes sofort auf und blieb bei den Aposteln, wandelnd und springend und Gott lobend. „Und das ganze Volk sah ihn“ (V. 9).
Dies erregte allgemeine Aufmerksamkeit; und Petrus hielt eine weitere Ansprache, die zu Recht als eine jüdische Predigt bezeichnet wird. Offensichtlich hinderte seine Darlegung der christlichen Stellung des Segens im vorigen Kapitel den Apostel nicht, die Männer von Israel (denn so redete er sie hier an) zunächst auf ihre schreckliche Lage durch die Verwerfung Christi und danach auf die Rettungsmöglichkeit hinzuweisen, die Gott ihnen in seiner Gnade trotz allem als Antwort auf die Fürsprache Christi noch anbot. „Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat seinen [nicht „Sohn“, sondern] Knecht Jesus verherrlicht“ (V. 13). Wir kennen Ihn als den Sohn Gottes – und der Heilige Geist, der dieses Buch geschrieben hat, noch unendlich viel mehr. Wir sollten indessen immer an dem festhalten, was Gott sagt; und das Zeugnis Gottes enthüllte jetzt noch nicht – insbesondere nicht im Umgang mit den Juden – alle Herrlichkeiten Christi. Sie werden nach und nach herausgestellt. Je mehr der Unglaube des Menschen wuchs, desto mehr offenbarte sich Gottes Eifer für die Herrlichkeit Christi. Die Juden hatten den Herrn vor Pilatus mit Verachtung verworfen, als dieser Ihn losgeben wollte. Sie hatten den Heiligen und Gerechten verleugnet und stattdessen um einen Mörder gebeten. Sie hatten den Fürst (Urheber, Anführer) des Lebens getötet, welchen Gott aus den Toten auferweckt hat. Damit hatten sie eindeutig gezeigt, was sie waren. Auf der anderen Seite hatte sein Name durch den Glauben an Ihn (und sie waren Zeugen von dieser Kraft) den Gelähmten stark gemacht, den sie kannten und jetzt vor sich sahen. „Der Glaube, der durch ihn ist, hat ihm diese vollkommene Gesundheit gegeben vor euch allen. Und jetzt, Brüder, ich weiß, dass ihr in Unwissenheit gehandelt habt, gleichwie auch eure Obersten. Gott aber hat also erfüllt, was er durch den Mund aller Propheten zuvor verkündigt hat, dass sein Christus leiden sollte“ (V. 16–18).
Danach forderte Petrus sie zu Buße und Bekehrung auf, damit ihre Sünden ausgelöscht und Zeiten der Erquickung vom Angesicht des Herrn kommen konnten „und er den euch zuvorverordneten Jesus Christus sende, welchen freilich der Himmel aufnehmen muss bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von welchen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat“ (V. 20–21). Gott hatte sein durch den Propheten Mose ausgesprochenes Wort erfüllt; denn Mose war keineswegs der Erretter Israels, sondern nur ein Zeuge der Erlösung in einem schwachen Beispiel von der Macht Gottes zu Moses Zeit. Letzterer erwartete den großen Propheten und Befreier, der noch kommen sollte. Jetzt war dieser da. Das stellt Petrus seinen Zuhörern vor. Er spricht nicht nur von seinem Kommen, der Ankunft des Segensspenders und seiner Verwerfung in ihrer Mitte, sondern auch wie schrecklich es ist, mit dieser ernsten Wahrheit zu spielen. Wer sich Ihm nicht beugen würde, sollte nach den Worten ihres eigenen Propheten Mose ausgerottet werden. „Jede Seele, die irgend auf jenen Propheten nicht hören wird, soll aus dem Volke ausgerottet werden“ (V. 23). Auch alle anderen Propheten hatten von diesen Tagen geredet. Die Juden waren die Söhne der Propheten und des Bundes, den Gott mit ihren Vätern geschlossen hatte, indem Er zu Abraham sagte: „Und in deinem Samen werden gesegnet werden alle Geschlechter der Erde“ (V. 25). Dieser Same war jetzt gekommen. Daher mussten sie sich entscheiden. Ach, sie hatten schon ihren Willen gegen Ihn durchgesetzt! Aber auf seine Fürsprache hin (welche Gnade!) war Gott bereit, ihnen alles zu vergeben. Sie hatten nur Buße zu tun und sich zu bekehren, damit ihre Sünden ausgelöscht würden.
So finden wir hier einen Appell an die Nation als solche; denn wir erkennen auffälligerweise in all diesen Worten keinen Hinweis auf den Herrn Jesus als Haupt seiner Kirche (Versammlung). Von dieser Wahrheit ist bisher nichts bekannt gemacht worden. Nein, diese Predigt erhebt sich in ihren Aussagen über Jesus noch nicht einmal auf das Niveau des vorigen Kapitels. Selbstverständlich befindet Er sich auch hier im Himmel. Er ist jedoch bereit, zurückzukehren und irdische Macht, Segnung und Herrlichkeit einzuführen. Israel muss sich nur in Buße an Ihn wenden. Dieses Zeugnis gab ihnen Petrus. Es war wahr und bleibt bestehen. Wenn Israel im Herzen sich zum Herrn wendet, wird Er, der diesen Sinneswandel im Verborgenen bewirkt hat, öffentlich zu ihnen zurückkehren. Wenn sie sagen: „Gesegnet, der da kommt, im Namen Jahwes!“ (Ps 118, 26), wird der Messias in der Fülle des Segens kommen. Dann können Ihn die Himmel nicht mehr zurückhalten. Er wird sie verlassen und sowohl Erde als Himmel mit Herrlichkeit füllen. Kein Wort Gottes vergeht; es bleibt unveränderlich wahr.
Inzwischen werden durch den Unglauben Israels andere, noch tiefere Ratschlüsse ans Licht gestellt. Dieser Unglaube enthüllt sich in nicht geringem Maß in
Kapitel 4,
dessen Begebenheiten eigentlich mit zum 3. Kapitel gehören, denn es geht um dasselbe Thema. „Während sie aber zu dem Volke redeten, kamen die Priester und der Hauptmann des Tempels und die Sadducäer auf sie zu, welche es verdross, dass sie das Volk lehrten und in Jesu die Auferstehung aus den Toten verkündigten. Und sie legten die Hände an sie und setzten sie in Gewahrsam bis an den Morgen, denn es war schon Abend. Viele aber von denen, welche das Wort gehört hatten, wurden gläubig; und es wurde die Zahl der Männer bei fünftausend“ (V. 1–4). Darauf folgte am nächsten Morgen die Ratsversammlung; und Petrus wurde von den Führern des Volkes aufgefordert darzulegen, in welcher Kraft oder in welchem Namen sie jene Heilung vollbracht hatten. Er antwortete voll Heiligen Geistes: „Oberste des Volkes und Älteste von Israel! Wenn wir heute über die Wohltat an einem kranken Menschen verhört und gefragt werden, wodurch dieser geheilt worden ist, so sei euch allen [er ist überaus kühn und kompromisslos] und dem ganzen Volke Israel kund, dass in dem Namen Jesu Christi, des Nazaräers, welchen ihr gekreuzigt habt, den Gott auferweckt hat aus den Toten, dass durch ihn dieser gesund vor euch steht. Dieser ist der Stein, der von euch, den Bauleuten, für nichts geachtet, der zum Eckstein geworden ist“ (V. 8–11). So wird wieder auf ihre eigenen Schriften verwiesen. „Es ist in keinem anderen das Heil, denn auch kein anderer Name ist unter dem Himmel, der unter den Menschen gegeben ist, in welchem wir errettet werden müssen“ (V. 12).
Gewissenlos wie sie waren, wurden die Führer des Volkes verwirrt von der ruhigen Selbstsicherheit, mit der die Wahrheit die Apostel ausgerüstet hatte – und das umso mehr, als die Ausdrucksweise und Sprache der Jünger bewies, dass die in ihnen wirkende Kraft des Heiligen Geistes ihren Zustand als ungebildete Männer nicht aufhob. Ihre Worte usw. zeigten nicht den Schliff einer Schule 1. Die Wahrheit verschmäht dialektischen Scharfsinn, denn sie benötigt ihn nicht. Dadurch wird jedoch die Kraft Gottes nur noch mehr verherrlicht, indem jegliche menschliche Fähigkeit ausgeschlossen wird. Außerdem stand dort jener Zeuge des geschehenen Wunders. Angesichts der Apostel, welche mit der unwiderstehlichen Kraft des Herrn bekleidet waren, und des Mannes, dessen Heilung ein stillschweigendes, körperliches Zeugnis davon ablegte, konnte die jüdische Führerschaft diese Männer nur hinausschicken, um miteinander zu beraten. Ein schuldbeladenes Gewissen verrät trotz seiner Halsstarrigkeit stets seine Schwachheit. Unveränderlich zeigt Gott an dem Verhalten des Menschen auf, dass seine Verdammung desselben gerecht ist. Auch am Tag des Gerichts wird Er dies erweisen. Unser Glaube weiß es heute schon. Er ist Gott und muss, wenn es um seine Offenbarung geht, entsprechend seinem Wesen handeln.
Wir sehen an dem Verhalten der Ratsversammlung, wie sogar jene, die das größte religiöse Bekenntnis ablegen, schnell miteinander reden, als gäbe es keinen Gott oder als könnte Er sie nicht hören. „Was sollen wir diesen Menschen tun? Denn dass wirklich ein kundbares Zeichen durch sie geschehen ist, ist allen offenbar, die zu Jerusalem wohnen, und wir können es nicht leugnen“ (V. 16). Sie hätten es gerne geleugnet, aber sie konnten nicht. Ihr Wille war – traurig zu sagen! – gegen Gott, gegen die Wahrheit und gegen Jahwe und seinen Gesalbten eingestellt. „Aber auf dass es nicht weiter unter dem Volke ausgebreitet werde, lasst uns sie ernstlich bedrohen, dass sie nicht mehr in diesem Namen zu irgendeinem Menschen reden“ (V. 17). Ihr fehlendes Gewissen konnte nicht verborgen bleiben. Sie bezeugten ihren Widerstand gegen Tatsachen, die sie kannten, und gegen eine Wahrheit, die sie nicht zu leugnen vermochten! Die Apostel konnten nicht anders, als über ihre Richter zu richten durch ihre herzerforschende Frage: „Ob es vor Gott recht ist, auf euch mehr zu hören, als auf Gott, urteilet ihr; denn es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden. Sie aber bedrohten sie noch mehr und entließen sie, indem sie nicht fanden, auf welche Weise sie sie strafen sollten, um des Volkes willen; denn alle verherrlichten Gott über das, was geschehen war. . . Als sie aber entlassen waren, kamen sie zu den Ihrigen“ (V. 19–23). In diesem Abschnitt erkennen wir, wie richtig es war, von einer neuen Familie zu sprechen. „Sie (kamen) zu den Ihrigen und verkündeten alles, was die Hohenpriester und die Ältesten zu ihnen gesagt hatten.“ Daraufhin redeten sie zu Gott in einer ganz neuen Weise, wie sie der Situation angemessen war: „Herrscher, du bist der Gott, der den Himmel und die Erde und das Meer gemacht hat und alles, was in ihnen ist; der du durch den Mund deines Knechtes David gesagt hast: Warum tobten die Nationen, und sannen Eitles die Völker? Die Könige der Erde standen da, und die Obersten versammelten sich wider den Herrn und wider seinen Christus. Denn in dieser Stadt versammelten sich in Wahrheit wider deinen heiligen Knecht [wieder lesen wir vom „Knecht“] Jesus, den du gesalbt hast, sowohl Herodes als Pontius Pilatus mit den Nationen und den Völkern Israels, alles zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvorbestimmt hat, dass es geschehen sollte. Und nun, Herr, sieh an ihre Drohungen und gib deinen Knechten, dein Wort zu reden mit aller Freimütigkeit, indem du deine Hand ausstreckst zur Heilung, und dass Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen deines heiligen Knechtes Jesus“ (V. 24–30). Und Gott antwortete. „Als sie gebetet hatten, bewegte sich die Stätte, wo sie versammelt waren; und sie wurden alle mit Heiligem Geiste erfüllt“ (V. 31). Den Heiligen Geist hatten sie schon vorher empfangen. Doch das mit Ihm Erfülltsein geht weiter und setzt voraus, dass dem Fleisch kein Raum gelassen wird. Die Kraft des Heiligen Geistes nahm für eine bestimmte Zeit von allem Besitz. „Sie wurden alle mit Heiligem Geiste erfüllt und redeten das Wort Gottes mit Freimütigkeit.“ Das war die Wirkung. Die Gläubigen wurden seine Zeugen.
„Die Menge derer aber, die gläubig geworden, war ein Herz und eine Seele; und auch nicht einer sagte, dass etwas von seiner Habe sein eigen wäre, sondern es war ihnen alles gemein“ (V. 32). Der Geist Gottes wiederholt diese Angabe, wie ich annehme, als weiteren Beweis seiner Wirksamkeit an den Seelen der Erlösten zu jener Zeit; denn inzwischen waren ja viele Gläubige hinzugekommen. „Und mit großer Kraft legten die Apostel das Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesus ab; und große Gnade war auf ihnen allen. Denn es war auch keiner dürftig unter ihnen, denn so viele Besitzer von Äckern oder Häusern waren, verkauften sie und brachten den Preis des Verkauften und legten ihn nieder zu den Füßen der Apostel“ (V. 33–35). Wir erkennen hier eine etwas andere Entwicklung als im zweiten Kapitel. Das, was wir dort fanden, scheint von einer größeren Freiheit zu sprechen und vielleicht für einige Leser von einer bemerkenswerteren Schlichtheit. Dennoch war beides zur jeweiligen Zeit angemessen. Die Hingabe war dieselbe, obwohl die Anzahl der Christen stark zugenommen hatte durch die beständige mächtige Wirksamkeit des Heiligen Geistes; und der Geist Gottes gibt sich Mühe, uns dies zu zeigen. Aber mit wachsender Zahl konnte die Einfachheit nicht in der vorherigen auffallenden Weise aufrecht erhalten werden. Im früheren Fall war die Verteilung der Güter an alle persönlicher und unmittelbarer; jetzt erfolgte sie durch die Apostel. Das Geld der verkauften Besitztümer wurde zu den Füßen der Apostel niedergelegt; und jeder erhielt davon nach seinem Bedarf. Einer unter den Gläubigen fiel dabei wegen der Innigkeit seiner Liebe besonders auf. Das war Barnabas, von dem wir später in anderer, bedeutungsvollerer Hinsicht noch viel hören werden.
Fußnoten
- 1 Anm. d. Übs.: Es geht hier nicht um das, was wir als Schulbildung bezeichnen; denn die Apostel konnten durchaus Lesen und Schreiben. Stattdessen wird hier von der Vertrautheit mit der Ausdrucksweise einer philosophischen oder in unserem Fall theologischen Denkschule gesprochen.