Einführende Vorträge zur Apostelgeschichte

Kapitel 2

Einführende Vorträge zur Apostelgeschichte

Am Tag der Pfingsten waren sie alle an einem Ort zusammen, denn Gott ließ die Jünger in einer Haltung des Gebets und Flehens auf seine Gabe warten. Sie sollten ihre Schwachheit fühlen. Diese ist tatsächlich die Bedingung für wahre geistliche Kraft. Das gilt stets für die Seele – wenn nicht unbedingt für das Zeugnis nach außen, so doch für die Seele. „Und plötzlich geschah aus dem Himmel ein Brausen, wie von einem daherfahrenden, gewaltigen Winde, und erfüllte das ganze Haus, wo sie saßen. Und es erschienen ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer, und sie setzten sich auf jeden einzelnen von ihnen. Und sie wurden alle mit Heiligem Geiste erfüllt und fingen an, in anderen Sprachen zu reden, wie der Geist ihnen gab auszusprechen“ (V. 2–4). Wir sollten gut beachten, in welcher Gestalt der Heilige Geist sich hier zeigte. Sie war genau dem Zweck angepasst, für den Er gegeben wurde. Er kam jetzt nicht als ein Zeugnis der Gnade des Herrn wie in den Evangelien, obwohl nur die Gnade Ihn den Menschen schenken konnte. Sein Aussehen entsprach auch nicht dem, welches wir später in der Offenbarung sehen, wo von den sieben Geistern Gottes gesprochen wird, die über die ganze Erde ausgesandt sind. Die Zungen waren zerteilt, denn der Heilige Geist sollte kein Volk zubereiten, das mit einem Mund spricht. Gott begegnete dem Menschen da, wo er sich befand, und hob nicht das alte Gericht über seinen Stolz auf. Gott neigte sich gnädig zum Menschen herab, und zwar zur Menschheit, so wie sie ist. Das Aussehen des Geistes sprach nicht von Regierung und noch weniger von Herrschaft über eine bestimmte Nation. Die zerteilten Zungen zeigen eindeutig, dass Gott sowohl an die Nationen als auch an die Juden dachte. Doch sie waren „wie von Feuer“, denn das Zeugnis der Gnade beruht nichtsdestoweniger auf Gerechtigkeit. Das Evangelium kann Böses nicht ertragen. In dieser wunderbaren Weise spricht Gott nun durch den Heiligen Geist. Wie groß auch immer die Barmherzigkeit Gottes, wie eindeutig die Schwachheit, Not und Schuld des Menschen – die Heiligkeit darf nicht im Geringsten geschmälert werden. Gott kann das Böse im Menschen niemals dulden. So gefiel es dem Heiligen Geist hier, den Charakter seiner Gegenwart durch ein angemessenes Zeichen zu veranschaulichen, auch wenn Er aus Gottes Gnade heraus gegeben wurde; denn die Grundlage ist immer die Gerechtigkeit Gottes. Gott konnte vollkommen segnen. Seine Herrlichkeit wurde nicht geschmälert. Stattdessen war das Kommen des Geistes sein Siegel auf die Makellosigkeit des Werkes unseres Herrn Jesus. Gott zeigte nicht nur sein Interesse an dem Menschen und seine Gnade gegen die Bösen und Verlorenen, sondern vor allem ehrte Er Jesus. Kein Vorrecht und keine Grundlage bietet mehr Sicherheit für uns. Keiner Quelle der Segnung dürfen wir uns mehr Rühmen als unseres Herrn. Nichts befreit uns mehr von unserem Ich als dieses Bewusstsein.

Zu jener Zeit weilten in Jerusalem Menschen aus allen Nationen unter dem Himmel, d. h. „Juden, gottesfürchtige Männer.“ Und als in der Umgegend bekannt wurde, dass der Heilige Geist unter diesen Begleitumständen den versammelten Jüngern gegeben worden war, „kam die Menge zusammen und wurde bestürzt, weil jeder einzelne in seiner eigenen Mundart sie reden hörte. Sie entsetzten sich aber alle und verwunderten sich und sagten: Siehe, sind nicht alle diese, die da reden, Galiläer? Und wie hören wir sie, ein jeder in unserer eigenen Mundart, in der wir geboren sind: Parther und Meder und Elamiter, und die Bewohner von Mesopotamien und von Judäa und Kappadocien, Pontus und Asien, und Phrygien und Pamphylien, Ägypten und den Gegenden von Libyen gegen Kyrene hin, und die hier weilenden Römer, sowohl Juden als Proselyten, Kreter und Araber – wie hören wir sie die großen Taten Gottes in unseren Sprachen reden? Sie entsetzten sich aber alle und waren in Verlegenheit und sagten einer zum anderen: Was mag dies wohl sein? Andere aber sagten spottend: Sie sind voll süßen Weines. Petrus aber stand auf mit den Elfen, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Männer von Judäa, und ihr alle, die ihr zu Jerusalem wohnet ...“ (V. 6–14). Dabei stellte er sich in seiner Ansprache zunächst auf einen niedrigeren Boden als später. Beides geschah mit einer nicht wenig auffallenden Weisheit. Anfangs zitierte er einen Abschnitt der Prophetie Joels. Wir können sehen, dass der Prophet denselben begrenzten Gesichtskreis wie Petrus vor Augen hat. Das heißt: Im Vordergrund der Prophezeiung Joels stehen die richtigerweise als Juden bezeichneten Menschen und Jerusalem. So bewundernswert vollkommen ist das Wort Gottes selbst in den kleinsten Einzelheiten.

Wir bemerken demnach, dass Petrus festhält, wie das vor ihren Blicken in Jerusalem geschehene Wunder mit Ereignissen übereinstimmt, auf die sie durch ihren Propheten eigentlich hätten vorbereitet sein müssen. „Dies ist es, was durch den Propheten Joel gesagt ist“ (V. 16). Petrus sagt nicht, dass es sich um die Erfüllung der Vorhersage handelt. Theologen haben dies behauptet, aber nicht der Geist Gottes. Der Apostel äußert einfach: „Dies ist es, was ... gesagt ist.“ Der Charakter stimmte überein. Inwieweit die Verheißung damals erfüllt wurde, steht auf einem anderen Blatt. Auch hatte nicht Wein ihren Geist in Erregung versetzt, sondern ihr Herz war mit dem Geist Gottes erfüllt worden, der nach seiner eigenen Macht und unter allen Menschenklassen wirkte. „Und es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, dass ich von meinem Geiste ausgießen werde auf alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure Jünglinge werden Gesichte sehen, und eure Ältesten werden Träume haben; und sogar auf meine Knechte und auf meine Mägde werde ich in jenen Tagen von meinem Geiste ausgießen, und sie werden weissagen. Und ich werde Wunder geben in dem Himmel oben und Zeichen auf der Erde unten: Blut und Feuer und Rauchdampf; die Sonne wird verwandelt werden in Finsternis und der Mond in Blut, ehe der große und herrliche Tag des Herrn kommt. Und es wird geschehen, ein jeder, der irgend den Namen des Herrn anrufen wird, wird errettet werden“ (V. 17–21). Soweit es sich um das Zitat aus Joel handelt, bricht Petrus hier ab.

Dann spricht er seine Zuhörer in Vers 22 als „Männer von Israel“ an. Sie sind nicht einfach mehr Männer von Judäa oder Jerusalem. Daher wendet er sich jetzt zu den gemeinsamen Hoffnungen der ganzen Nation und beweist gleichzeitig ihre gemeinsame Schuld. „Männer von Israel, höret diese Worte: Jesum, den Nazaräer, einen Mann, von Gott an euch erwiesen durch mächtige Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte tat, wie ihr selbst wisset – diesen, übergeben nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geheftet und umgebracht. Den hat Gott auferweckt, nachdem er die Wehen des Todes aufgelöst hatte, wie es denn nicht möglich war, dass er von demselben behalten würde“ (V. 22–24).

Petrus unterstützt seine Ausführung mit den Worten Davids aus Psalm 16: „Ich sah den Herrn allezeit vor mir“ (V. 25). Dieser Psalm liefert den klarsten Beweis, dass der Messias (und kein Jude bezweifelte, dass er vom Messias sprach) während seines ganzen Lebens von einem uneingeschränkten Vertrauen auf Gott geprägt war. Er sollte sein Leben niederlegen in einem Vertrauen auf Gott, das im Leben wie im Sterben ungebrochen und vollkommen war, und zuletzt auferstehen. Es ist demnach der Psalm des Vertrauens auf Gott, welches durch Leben, Tod und Auferstehung hindurchgeht. Seine Erfüllung finden wir in Jesus und ganz sicher nicht in David, seinem Dichter. Die Juden hätten ihrem Gefühl nach die Sprache eines solchen Psalms von allen Menschen wohl am ehesten David zugeschrieben. Doch Petrus argumentiert, dass die Erfahrungen jenes berühmten Königs weit dahinter zurückblieben.

„Männer, Brüder 1, es sei erlaubt, mit Freimütigkeit zu euch zu reden über den Patriarchen David, dass er sowohl gestorben als auch begraben ist, und sein Grab ist unter uns bis auf diesen Tag. Da er nun ein Prophet war und wusste, dass Gott ihm mit einem Eide geschworen hatte, von der Frucht seiner Lenden auf seinen Thron zu setzen, hat er, voraussehend, von der Auferstehung des Christus geredet, dass er nicht im Hades zurückgelassen worden ist, noch sein Fleisch die Verwesung gesehen hat. Diesen Jesus hat Gott auferweckt, wovon wir alle Zeugen sind“ (V. 29–32).

So stimmten die letzten und wohlbekannten Ereignisse um Jesus mit dem inspirierten Zeugnis über den Messias überein. Nur auf Jesus ließ es sich beziehen. Doch diese Voraussagen waren nicht auf eine einzige Psalmstelle beschränkt. „Nachdem er nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen hat, hat er dieses ausgegossen, was ihr sehet und höret“ (V. 33). David ist jedoch nicht in den Himmel hinaufgestiegen. So wie Petrus vorher dargelegt hat, dass die Auferstehung von Jesus und keinem anderen vorhergesagt war, zitiert er nun einen weiteren Psalm, der zeigt, wie notwendig die Himmelfahrt des Messias war. Er sollte zur Rechten Jahwes sitzen. Denn David „sagt aber selbst: Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße“ (V. 34–35). Welcher Mann durfte sich zur Rechten Gottes niedersetzen? Sicherlich würde keiner behaupten, dass es David sei, sondern vielmehr sein Sohn, der Messias; und diese Tatsache stimmte vollkommen mit dem überein, was die Apostel persönlich gesehen hatten. „Das ganze Haus Israel wisse nun zuverlässig, dass Gott ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt“ (V. 36). Damit war der Beweis vollständig. Die Psalmen der Juden fanden ihr Gegenstück in dem Tod, der Auferstehung und der Himmelfahrt des Herrn Jesus, des Messias. Gott hat ihn „sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht.“ Das Zeugnis nimmt langsam an Gewicht zu. Wir sollten die Weisheit Gottes hierin durchaus bewundern und uns zunutze machen. Wenn Gott sich mit den Juden beschäftigt, lässt Er sich dazu herab, die Herrlichkeit seines Sohnes in einer Weise vorzustellen, dass sie vor allem an ihre alten Zeugnisse und Erwartungen anknüpft. Sie erwarteten einen Messias. Offensichtlich war alles verloren, weil sie Ihn verworfen hatten; und dieser Verlust mochte in den Augen frommer Juden endgültig erscheinen. Doch keineswegs! Gott hatte Ihn von den Toten auferweckt und damit eindeutig gezeigt, dass Er gegen ihre Tat war. Dennoch war die Erfüllung ihrer Hoffnungen in dem auferstandenen Jesus gesichert, welchen Gott zum Herrn und Christus gemacht hat. Trotz allem, was sie Ihm angetan hatten, gab Jesus keinesfalls seine Anrechte als der Christus auf. Gott hatte Ihn dazu gemacht. Nachdem sie ihre schlimmste Tat ausgeführt und Er das Schlimmste erlitten hatte, anerkannte Gott Ihn nach seinem Wort zu seiner Rechten. Selbstverständlich wird es für Ihn noch weitere Herrlichkeiten geben. Doch wie es auch Paulus sagt, wurde Jesus Christus, aus dem Samen Davids, nach seinem Evangelium aus den Toten auferweckt. Daran sollte Timotheus sich immer erinnern (2. Tim 2, 8). Außerdem konnte Paulus sich so weit herablassen, die Beziehung jener herrlichen Person des Herrn Jesus mit den Juden auf der Erde aufzuzeigen, obwohl er es liebte, entsprechend seiner eigenen Beziehung zu Ihm, den Herrn Jesus in himmlischer Herrlichkeit zu betrachten. So wurde das Band zwischen Gott und den Erwartungen des irdischen Volkes, obwohl durch den Tod zerrissen, in der Auferstehung auf ewig wieder zusammengeknüpft.

Überrascht, erschüttert und bis ins Herz erschreckt durch das, was Petrus eindringlich vor sie stellte, riefen die Zuhörer ihm und den anderen Aposteln zu: „Was sollen wir tun, Brüder?“ (V. 37). Dies gab dem Apostel die Gelegenheit, nach der Weisheit Gottes eine sehr gewichtige Anwendung der Wahrheit auf die Seele, welche das Evangelium hört, aufzuzeigen. „Tut Buße!“, war seine Antwort. Buße ist viel mehr als Schuldbewusstsein des Herzens. Letzteres hatten sie schon. Doch es sollte sie weiterführen zu dem, was er für sie wünschte: „Tut Buße, und ein jeder von euch werde getauft auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (V. 38). Ohne Glauben gibt es keine wahre Buße zum Leben. Es entsprach indessen den Gedanken Gottes, dass hier der Buße und nicht dem Glauben Vorrang gegeben wurde. Die Juden besaßen sowohl das Zeugnis des Gesetzes als auch des Evangeliums. Dies hatte Petrus ihnen gerade nachdrücklich auf ihre Seelen gelegt. Weil sie diesem Zeugnis an ihr Gewissen glaubten, erfüllte, wie wir sehen, Kummer ihre Herzen.

Der Apostel lässt sie jedoch wissen, dass es eine Art des Selbstgerichts gibt, die weit über jeden Ausbruch des Kummers – weit über jede Einsicht und jeden Abscheu über die böseste Tat hinausgeht; denn zweifellos hatte die Kreuzigung Jesu letzteren Charakter. Buße ist die völlige Selbstaufgabe, ein Gericht über das, was wir sind, im Licht Gottes. Diese Buße sollte demnach nicht nur durch die negativen Merkmale einer Selbstaufgabe als ganz und gar böse vor Gott gekennzeichnet sein, sondern auch durch die Annahme des verworfenen und gekreuzigten Menschen, des Herrn Jesus. Daher folgt die Taufe eines jeden auf seinen Namen zur Vergebung der Sünde; „und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“

Letzteres ist also völlig verschieden von Glaube oder Buße. Durch Glauben besaßen sie zweifellos eine neue Natur und Leben in Christus. Doch der Empfang des Heiligen Geistes ist ein Vorrecht und eine Kraft, die jene übertrifft. In dem Fall vor uns musste diese Gabe auf Taufe (sowie Buße) folgen; denn bei den Juden war es von äußerster Wichtigkeit, dass sie ein öffentliches Zeugnis davon ablegten, wie sie ihre Ruhe und das Vertrauen ihrer Seelen ausschließlich in Jesus gefunden hatten. Da sie der Kreuzigung des Herrn schuldig waren, musste Er nun öffentlich als der Gegenstand ihres Vertrauens anerkannt werden. Auf diesem Weg sollten sie die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.

Aber diese Gabe ist in Wirklichkeit stets die Folge des Glaubens und niemals mit ihm identisch. Das ist eine wichtige und unumstößliche Wahrheit, die wir immer wieder herausstellen, auf der wir fest bestehen und der wir glauben sollten. Es geht hier nicht um eine Ansicht oder um Tradition; letztere zeigt nämlich in eine ganz andere Richtung. Ja, ich erlaube nicht einmal, die Angelegenheit als offene Frage zu bezeichnen oder als Gegenstand von Meinungen. Denn offensichtlich finden wir bei jeder Bekehrung einer Seele, von der die Bibel spricht, dass zwischen beiden ein – wenn auch oft nur kurzer – Zeitabschnitt vergeht. Die Gabe des Heiligen Geistes folgt auf den Glauben. Es sind verschiedene Handlungen, die nicht gleichzeitig stattfinden. Erstere setzt schon vorhandenen Glauben und nicht Unglauben voraus. Der Heilige Geist wird nämlich niemals einem Ungläubigen mitgeteilt, obwohl Er es ist, der Leben gibt. Die Bibel sagt, dass der Geist Gottes den Glaubenden versiegelt. Dies ist aber eine Versiegelung des Glaubens und nicht des Unglaubens. Das Herz wird durch den Glauben geöffnet und der Heilige Geist durch die Gnade Gottes dem Glaubenden geschenkt. Seine Gabe ist nicht die Voraussetzung zum Glauben. Davon lesen wir nirgendwo in der Schrift. Er macht den Ungläubigen lebendig und wird dem Gläubigen dargereicht. Obwohl wir in unserem Abschnitt nichts vom Glauben hören, erfahren wir doch, indem die Bekehrten nur zur Buße aufgerufen werden, dass sie geglaubt haben müssen. Wahrer Glaube ist immer von wahrer Buße begleitet. Beide gehen unveränderlich zusammen und sind die Voraussetzung für die Gabe des Heiligen Geistes. Dem entspricht auch die Darstellung des Apostels.

Er fügt dann hinzu: „Denn euch ist die Verheißung und euren Kindern und allen, die in der Ferne sind, so viele irgend der Herr, unser Gott, herzurufen wird“ (V. 39). Seine Worte scheinen über Israel hinauszugehen. Wie weit er selbst die Reichweite derselben verstand, kann wohl keiner von uns sagen. Wir wissen, dass Petrus später, als er aufgerufen wurde, zu den Nationen zu gehen, große Schwierigkeiten hatte. Daher dürfen wir hier bei ihm wohl kaum ein volles Verständnis seiner eigenen Worte voraussetzen. Wie dem auch sei – Petrus' Worte kamen von Gott, auch wenn er sie wahrscheinlich nicht richtig einschätzen konnte. Gott stand im Begriff, aus den Juden selbst und ihren Kindern ein Volk zu sammeln. Das war jedoch nicht alles; denn wir lesen weiter: „und allen, die in der Ferne sind, so viele irgend der Herr, unser Gott, herzurufen wird.“

Dann zeigt uns der Geist Gottes das schöne Bild von der Veränderung des Schauplatzes durch seine Gegenwart. „Die nun sein Wort aufnahmen, wurden getauft; und es wurden an jenem Tage hinzugetan bei dreitausend Seelen.“ Sie wurden zum Kern der Versammlung, den ersten Jüngern, hinzugefügt und „verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten“ (V. 41–42).

Nachdem die Gläubigen in eine neue Beziehung gebracht worden waren, bedurften sie der Belehrung. Dafür gab ihnen Gott in den Kindertagen seiner Versammlung vor allem die Apostel. Es war von größter Bedeutung, dass alle Erlösten in der Gnade und Wahrheit, die durch Jesus Christus gekommen waren, völlig gegründet wurden. So erhielten die Apostel eine ganz besondere, ausschließlich ihnen gehörende Stellung vor allen anderen Auserwählten des Herrn, um die Grundlage seines Hauses zu legen und dort in seinem Namen zu führen und zu verwalten. Das finden wir im Neuen Testament. Als Frucht ihrer Tätigkeit und unmittelbar damit in Verbindung stehend folgt die „Gemeinschaft“, von der wir als nächstes lesen. Daran schließt sich das „Brechen des Brotes“, der förmliche Ausdruck christlicher Gemeinschaft und das spezielle äußere Zeichen der Erinnerung an den, dessen Tod sie alles verdankten. Zuletzt folgen unmittelbar auf das Mahl des Herrn die „Gebete“; denn wie groß die Gnade Gottes auch sein mag – die Christen befinden sich auf einem gefährlichen Weg und benötigen hienieden Abhängigkeit.

„Es kam aber jede Seele Furcht an, und es geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, welche glaubten, waren beisammen und hatten alles gemein“ (V. 43–44). Dieses einzigartige Verhalten – wunderschön und gesegnet zu seiner Zeit – zeigte sich in Jerusalem. Ich bezweifle jedoch nicht, dass es den Jerusalem-Zustand der Versammlung Gottes kennzeichnete. Wir verstehen dies gut. Zunächst einmal befanden sich damals alle Glieder der Kirche (Versammlung) an einem einzigen Ort. Daher erscheint es uns ganz natürlich, wenn unter ihnen ein wirkliches und starkes Familiengefühl herrschte. Ich glaube allerdings nicht, dass ihr Zusammengehörigkeitsgefühl über das Bewusstsein hinausging, Gottes Familie zu sein. Tatsächlich bildeten sie den Leib Christi. Sie waren durch den einen Geist zu einem Leib getauft worden. Doch die Tatsache und das Wissen davon sind zwei ganz verschiedene Dinge. Die Entwicklung dieser Gedanken war indessen einem anderen und noch bedeutsameren Zeugen von der Herrlichkeit des Herrn Jesus vorbehalten. Da sich in jenen Gläubigen aber das Bewusstsein von einer Familienbeziehung in voller Stärke entfaltete, erkennen wir als ihre Frucht den wunderbaren Sieg der Gnade über die Selbstsucht. Gehört er oder sie zum Haushalt Gottes? Das war der beherrschende Gedanke und nicht der eigene Besitz. Die Gnade gibt, ohne etwas zurückzuerwarten. Auch sucht die Gnade nicht das Ihrige, sondern das, was Christi ist.

Wir finden noch ein weiteres Kennzeichen davon: Alles atmete sowohl göttliches als auch familiäres Leben. Das tägliche Brotbrechen, zum Beispiel, war sicherlich ein treffendes Zeugnis davon, wie Christus ständig vor ihren Herzen stand, obwohl natürlich auch von der Übereinstimmung ihrer Gefühle. So verkauften sie ihre Besitztümer und Habe und „verteilten sie an alle, je nachdem einer irgend Bedürfnis hatte“ (V. 45).

Außerdem verharrten sie „täglich einmütig im Tempel“ (V. 46). Dies ist eine weitere Besonderheit. Wir sehen bis jetzt nicht im Geringsten ein öffentliches Zerreißen des Bandes zum Judentum – auf jeden Fall nicht in Hinsicht auf seinen Gottesdienst. Das Kreuz bewirkte, wie wir wissen, dem Grundsatz nach einen Bruch, und zwar einen unheilbaren, mit allem, was zum ersten Menschen gehört. Hier indessen machte die Stärke alter Gewohnheiten in Verbindung mit der ihre Seelen überwältigenden Freude die Erlösten sozusagen zu besseren Juden. In ihnen befand sich jetzt ein stärkerer Wein, als je die alten Schläuche des Gesetzes gefüllt hatte (Lk 5,37). Es war daher vorauszusehen, dass sie in nicht langer Zeit zerreißen würden. Im Augenblick dachten die Jünger jedoch nicht im Geringsten daran. Sie verharrten täglich einmütig im Tempel. Damit stand etwas Neues in Verbindung: Sie brachen zu Hause das Brot. Wir lesen nichts von „hin und her in den Häusern“ 2, als seien sie herumgezogen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sie den Ort des Brotbrechens von Mal zu Mal gewechselt hätten. Das meint die Bibel nicht. Sie brachen das Brot zu Hause und nicht im Tempel. Sie werden wahrscheinlich das Mahl des Herrn stets in denselben Häusern gefeiert haben. Dazu suchten sie Räumlichkeiten auf, die von der Entfernung her bequem zu erreichen waren und die außerdem genug Platz für möglichst viele Brüder und Schwestern boten.

So sehen wir diese beiden Kennzeichen in der Kirche direkt nach Pfingsten vereinigt: Erstens hielten die Gläubigen an jüdischen religiösen Gewohnheiten fest, indem sie zum Gebet in den Tempel gingen. Zweitens beobachteten sie jene typisch christliche Feier und brachen das Brot zu Hause. Kein Wunder, dass die neugefundene Freude überfloss und dass von ihnen gesagt wird: Sie „nahmen Speise mit Frohlocken und Einfalt des Herzens“! Es gibt keinen Grund, das Brotbrechen und diese Aufnahme von Speise zu vermengen. Sie sind völlig verschieden. Ihr religiöses Leben drückte sich sozusagen in ihrem Gang zum Tempel und dem Brotbrechen zu Hause aus. Die Folge für ihr natürliches Leben zeigt sich in den Worten: Sie „nahmen Speise mit Frohlocken und Einfalt des Herzens, lobten Gott und hatten Gunst bei dem ganzen Volke.“ Auch hierin erkennen wir wieder jenen doppelten Charakter.

„Der Herr aber tat täglich [zu der Versammlung] 3 hinzu, die gerettet werden sollten“ (V. 47). Das waren solche, die Gott von dem Verderben, welches über der jüdischen Nation hing, absonderte und zudem durch eine gesegnete Befreiung in die christliche Stellung einführte. Das Wort sûzo nouv(„gerettet werden sollten“) spricht nicht vom vollen Charakter der christlichen Errettung, wie er später bekannt gemacht wurde. Natürlich wissen wir, dass sie errettet waren. Doch das Wort hat in sich selbst nicht diese Bedeutung. Es besagt einfach: Gott sonderte jene ab, die gerettet werden sollten. Unser englischer (und auch deutscher; Übs.) Text gibt den Sinn recht genau wieder. Darum müssen wir gut beachten, dass nicht von einer damals schon geschehenen Errettung gesprochen wird. Lukas' Aussage hat mit dieser Frage nichts zu tun. Sie weist einfach auf Personen hin, die zur Errettung bestimmt sind, mehr nicht.

Fußnoten

  • 1 Siehe Fußnote (Übs.). Ein englischer (oder deutscher) Leser sollte nicht meinen, dass es sich hier um zwei verschiedene Gruppen von Menschen handelt. Der griechische Ausdruck besagt einfach: „Männer-Brüder“, d. h. Männer, die außerdem Brüder waren. (W. K.)
  • 2 wie in der alten „Lutherbibel“ bzw. der englischen „King-James-Bibel“. (Übs.)
  • 3 Es ist eine offene Frage, ob die Worte „zu der Versammlung“ eingefügt werden müssen oder nicht. (W. K.)
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