Einführende Vorträge zur Apostelgeschichte
Kapitel 1
Demnach zeigt uns das erste Kapitel (und insbesondere die Verse 1–11, die ich vorgelesen habe) das Fundament. Es ist allerdings keineswegs vom Folgenden getrennt. Stattdessen bildet es zusammen mit den berichteten Ereignissen die passende Einleitung. Das ist umso auffallender, weil niemand auf den ersten Blick diesen Zusammenhang vermuten würde. Tatsächlich bezweifle ich, dass irgendein Gläubiger diese Beziehung wahrnehmen kann, ohne eine angemessene Einsicht in die offenbarte Wahrheit Gottes. Ich meine damit nicht jene Wahrheit, die einen Menschen, wenn er sie annimmt, zu einem Gläubigen macht. Es geht um die unendlich große Wahrheit, welche der Heilige Geist in diesem Buch sowie auch im ganzen Neuen Testament herausstellen möchte. Beim ersten Blick mögen manche Leser eine Schwierigkeit darin sehen, dass der Geist Gottes noch einmal am Anfang der Apostelgeschichte von der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu berichtet, nachdem Er sie doch schon im Lukasevangelium geschildert hat. Falls wir solche Fragen haben, dann sollten wir wenigstens eins lernen, nämlich dass es weise und gut – ja, die einzige gesunde Weisheit für uns – und zum Wohlgefallen unseres Gottes ist, wenn wir als festen Grundsatz aufstellen: Gott ist immer im Recht! Sein Wort sagt niemals etwas ohne Absicht. Wenn Er manches scheinbar wiederholt, so geschieht es keinesfalls in der unsicheren Art der Menschen, sondern mit einem göttlichen Zweck. Auferstehung und auch Himmelfahrt waren notwendig, um das Bild der Wahrheit im Lukasevangelium vollkommen zu machen. Doch genauso musste derselbe Schreiber unbedingt noch einmal von dem auferstandenen und aufgefahrenen Menschen berichten als den Anfangspunkt für jene neue Entfaltung der Gnade und Wege Gottes im Menschen, die er in seinem zweiten Buch schildern sollte.
Wir sehen also den Herrn Jesus als auferstanden von den Toten. Wir erfahren die bemerkenswerte Tatsache, dass Er als der Auferstandene genauso wenig unabhängig vom Heiligen Geist handelt wie in der Zeit vorher. Kurz gesagt: Er ist ein Mensch – wenn auch nicht länger mit einem Leben, das hingegeben werden konnte, denn Er ist auferstanden. Die Glückseligkeit eines Menschen besteht immer darin, durch den Heiligen Geist zu handeln und zu reden. So war es auch beim Herrn Jesus. Es wird gesagt, dass Er bis zum Tag seiner Himmelfahrt seinen Aposteln, die Er sich auserwählt hatte, durch den Heiligen Geist Befehl gab. Die Auferstehung ersetzt nicht den Heiligen Geist. Seine Wirksamkeit mochte in der Auferstehung ganz anders sein; dennoch wirkte die gesegnete Macht des Geistes Gottes weiterhin durch den Herrn, obwohl Er aus den Toten auferstanden war. Die Jünger benötigten den Geist Gottes. Aber es gefiel auch Jesus, mit uns durch den Heiligen Geist geführt zu verkehren. Das ist jedoch nicht alles. Als Er mit ihnen versammelt war, erklärte Er, dass auch ihnen der Heilige Geist gegeben werden sollte, und zwar nach nicht vielen Tagen. Die Herausstellung dieser großen Wahrheit war umso wichtiger, weil der Herr kurze Zeit vorher gesagt hatte: „Empfanget den Heiligen Geist!“ (Joh 20, 22). Die uns so natürlich innewohnende Unwissenheit hätte sonst vielleicht die Worte aus Johannes 20 benutzt, um diese zusätzliche Kraft und dieses besondere Vorrecht zu leugnen, welches in der Gabe des vom Himmel gesandten Heiligen Geistes besteht. Beide Ereignisse sind von tiefster Bedeutung. Beim Auslegen des Wortes Gottes dürfen wir nicht unserem Wunschdenken folgen. Ich bin daher überzeugt, dass der Besitz des Heiligen Geistes entsprechend den Worten des Herrn am Auferstehungstag genauso gesegnet ist wie die Gabe des Geistes, nachdem Er vom Himmel herabgesandt wurde. Das Erste spricht mehr von dem, was die geistliche Auffassungsfähigkeit des neuen Menschen heranbildet, das Zweite von jener Kraft, die als Zeugnis zum Segen anderer Menschen hinausgeht. Ich brauche wohl kaum zu sagen, wie vollkommen die Reihenfolge ist. Nicht die Kraft für andere steht an erster Stelle, sondern die geistliche Erkenntnisfähigkeit für unsere eigenen Seelen. Wir können keine passenden Gefäße zum Besten anderer sein, solange Gott uns nicht das göttliche Bewusstsein gegeben hat, dass wir selbst Christus entsprechend eine neue Schöpfung geworden sind.
Wir sehen jedoch noch mehr. Es war auch nötig, dass die Jünger den großen Wechsel kannten. Ihre Herzen hatten trotz aller Segnung die bevorstehenden Wege Gottes mit ihnen wenig verstanden. So hören wir nicht nur, wie der Herr auf die Verheißung des Vaters hinweist, die über sie ausgegossen werden sollte, sondern auch ihre Frage unmittelbar danach. Sie wollten wissen, ob Er in dieser Zeit Israel das Königreich wiederherstellen würde. Dies gab Anlass, wie es auch unsere törichten Fragen häufig tun, für weitere göttliche Belehrung und Unterweisung. Wir sollten solche Fragen an den Herrn nicht immer verdrängen. Es ist gut, unsere inneren Gedanken zu offenbaren, insbesondere Ihm gegenüber. Auch sollten die Knechte des Herrn nicht ungeduldig werden wegen der seltsamen Fragen solcher, die weniger als sie verstehen; denn die Bedeutung liegt nicht so sehr in der Frage, als vielmehr in der Antwort. Das war sicherlich im Umgang des Herrn mit seinen Jüngern stets der Fall. „Es ist nicht eure Sache“, sprach Er, „Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seine eigene Gewalt gesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen“ (V. 7–8). Zeitspannen und passende Augenblicke für Veränderungen auf der Erde stehen unter ausschließlicher Kontrolle dessen, dem alles gehört. „Aber ihr werdet Kraft [nicht „Gewalt“, wie in Vers 7] empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein.“ Sie erwarteten ein Königreich in sichtbarer Macht; doch die Zeit dafür war noch nicht gekommen. Zweifellos existiert das Reich heute schon, allerdings in einer geheimnisvollen Gestalt; und wir sind in dasselbe versetzt, und zwar in der Kraft des Heiligen Geistes. Heute befinden wir uns eindeutig in einer Zeit des Zeugnisses, bevor der Herr in Herrlichkeit zurückkehrt. Dort ist unser Platz. Wir sind vollkommen gesegnet entsprechend der Annahme, die Christus in der Herrlichkeit Gottes gefunden hat. Unsere Aufgabe ist, von Ihm zu zeugen. Darum sagt der Herr zu den Aposteln: „Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.“
Danach lesen wir von dem abschließenden Charakterzug, wenn ich so sagen darf, dieser Einführung: Der Herr fährt zum Himmel auf, aber weder im Wirbelwind, noch im feurigen Wagen. Wichtig ist nicht nur, dass diese Begleitumstände fehlen, sondern auch das, was ausdrücklich geschildert wird. Gott nahm Ihn wie Henoch einfach hinweg und dennoch in einer Weise, die seiner Herrlichkeit angemessen war. So steht hier geschrieben: „Eine Wolke [das besondere Zeichen der göttlichen Gegenwart] nahm ihn auf von ihren Augen hinweg“ (V. 9).
Während die Jünger unverwandt zum Himmel schauten, hörten sie von den Engeln, die in weißen Kleidern bei ihnen standen, dass dieser Jesus, welcher von ihnen weggenommen worden war, in derselben Weise wiederkommen würde, wie sie Ihn hatten in den Himmel gehen sehen.
So wurde die einzig wahre Grundlage gelegt. Der Himmel ist der Ausgangspunkt – nicht die Erde, nicht der erste Mensch, sondern der zweite Mensch, der letzte Adam. Alle Segnung geht von dem einzigen Ort aus, der nach den Ratschlüssen Gottes Christus angemessen ist. Das ist das Fundament des Christentums. Jeder andere Weg ist sinnlos und unmöglich. Nur die vollendete Erlösung, und zwar eine Erlösung durch Blut und in der Kraft der Auferstehung, konnte dies bewirken. Die Erlösung an sich brachte uns nicht die volle Höhe und den Charakter des Christentums. Erst der auferstandene und zum Himmel aufgestiegene Mensch, nachdem Er am Kreuz die Sünden völlig ausgelöscht hatte, ist die unbedingte Voraussetzung für die wahre und vollständige Ausprägung dieses Charakters.
Danach folgt eine weitere Szene, deren Fehlen eine Lücke in unserem geistlichen Verständnis zurückgelassen hätte. Es musste eindeutig bewiesen werden, dass Gott jetzt den Jüngern einen neuen Platz des Segens und auch eine neue Kraft oder geistliche Kompetenz mitgeteilt hatte. Gleichzeitig sollten sie auf die Kraft des Heiligen Geistes als Gabe warten, bevor sie sich mit anderen Menschen beschäftigen konnten. Folglich sehen wir die Jünger zusammen, wie sie „einmütig im Gebet“ verharrten. In jenen Tagen stand Petrus auf und stellte ihnen die Lücke vor, welche der Verrat und der Tod des Judas unter den Aposteln hinterlassen hatte. Achten wir darauf, mit welch ganz und gar ungewohnter Kraft er jene Schriftstellen anführt, die sich auf diese Angelegenheit beziehen! Das geschah nicht infolge der Verheißung des Vaters, auf die sie damals ja noch warteten, sondern aufgrund dessen, was sie schon vom aus den Toten auferstandenen Jesus empfangen hatten. Daraufhin handelten die Jünger ohne Zögern. Petrus sagte: „Es muss nun von den Männern, die mit uns gegangen sind in all der Zeit, in welcher der Herr Jesus bei uns ein- und ausging, anfangend von der Taufe Johannes' bis zu dem Tage, an welchem er von uns aufgenommen wurde, – von diesen muss einer ein Zeuge seiner Auferstehung mit uns werden“ (V. 21–22).
„Und sie stellten zwei dar: Joseph, genannt Barsabas, der Justus zubenamt war, und Matthias“ (V. 23); denn diese beiden Männer hatten nach menschlichem Wissen jene Eignung für das Amt eines Apostels. Sie waren Begleiter des Herrn auf seinem irdischen Weg gewesen. Sie hatten Ihn auferstanden gesehen. Da sie nicht eindeutig zwischen den beiden entscheiden konnten, breiteten die Übrigen diese Angelegenheit vor dem Herrn aus, damit Er selbst seinen Apostel auswählen sollte. Es ist wahr, die Handlungsweise der Jünger erscheint uns eigenartig. Ich bezweifle jedoch nicht, dass sie vom Herrn angeleitet wurden. Die Bibel liefert uns keinen Grund für die Vermutung, dass Petrus und die anderen voreilig oder falsch gehandelt hätten. Der Geist Gottes bestätigt in dem vor uns liegenden Buch die Wahl jenes Tages und deutet nirgendwo auf Paulus als den benötigten zwölften Apostel hin. Wir schwächen, um nicht zu sagen, verderben nach meiner Ansicht die Wahrheit Gottes, wenn wir Paulus als den fehlenden Apostel betrachten. Paulus gehörte nicht zu den Zwölfen. Es war von außerordentlicher Bedeutung, dass demjenigen ein besonderer Platz gewährt wurde, der auch ein besonderes Werk ausführen sollte. Alles ist weise geordnet.
Die Jünger beteten also und sprachen: „Du, Herr, Herzenskündiger aller, zeige von diesen beiden den einen an, den du auserwählt hast“ (V. 24). Kein Mensch wählte jemals einen Apostel. Sogar die Apostel handelten nicht so, denn sie konnten es nicht. Ausschließlich der Herr besaß das Recht dazu; und folglich warfen sie nach jüdischem Brauch Lose. Die zwölf Apostel stehen nach meiner Meinung eindeutig in Beziehung zu den zwölf Stämmen Israels. „Und sie gaben Lose über sie“ (V. 26). Diese Handlungsweise war von Gott im Alten Testament gebilligt worden, als Israel noch vor Ihm stand. Sie wird auch wieder von Ihm erlaubt werden, wenn Israel in den letzten Tagen erneut auf dem Schauplatz erscheint. Zweifellos verschwindet in der Zeit der Versammlung Gottes das Los. Damals gab es jedoch die Versammlung Gottes noch nicht. Alles ist zu seiner Zeit richtig. „Und sie gaben Lose über sie; und das Los fiel auf Matthias, und er wurde den elf Aposteln zugezählt.“ Ein wenig später finden wir, wie „die Zwölfe“ als solche anerkannt werden, und zwar bevor der Apostel Paulus auftrat (vgl. Apg 6, 2). So spricht der Geist Gottes.