Petrus: Fischer, Jünger und Apostel
10. Petrus als Hirte
Seine beiden Briefe
Im Rahmen dieses kurzen Überblicks über das Leben von Petrus seien hier nur einige Punkte aus seinen Briefen hervorgehoben, die seinen Dienst unter den Gläubigen kennzeichnen.
Beide Briefe richten sich an dieselben Empfänger, also an die nach Kleinasien vertriebenen Gläubigen aus Judäa (1. Pet 1,1; 2. Pet 3,1). Es sind Briefe eines Hirten, dessen Aufgabe es war, für das Wohlergehen der Herde zu sorgen und sie vor dem Feind zu schützen. Zu diesem Zweck erinnerte er sie, die schon in der Wahrheit befestigt waren, an die ihnen bekannten Dinge und wandte diese fortwährend auf ihr Herz und ihre Umstände an (2. Pet 1,12-15).
Wir wissen, dass der Apostel Paulus auf seinen ersten drei Missionsreisen in verschiedenen Gegenden Kleinasiens und auch in der römischen Provinz „Asien“ diente. Später zirkulierten auch seine Briefe unter den dortigen Versammlungen (2. Pet 3,15.16). So waren sie also durch diesen von Gott unterwiesenen Lehrer in die Geheimnisse Gottes, in die Ergebnisse des Werkes Christi und in die Lehre des Christentums eingeführt. Wie wichtig war nun aber auch der Dienst des Hirten, der die Herde überwachte und prüfte, ob ihre Füße bis zum Ziel auf dem vorgezeichneten Weg voranschritten. - Auch wir haben beide Dienste nötig.
Aus dem Inhalt der Briefe ist leicht ersichtlich, dass sich die Petrusbriefe an Gläubige richteten, die aus dem Judentum kamen. Die Verordnungen des Gesetzes, dem sie unterworfen waren, die irdischen Verheißungen und die Hoffnung Israels werden darin zwar nicht ausdrücklich genannt. Doch werden ihnen der Reihe nach die viel herrlicheren Segnungen, die ihnen Christus gebracht hatte, ins Gedächtnis gerufen, um sie auf dem Christenpfad zu stärken. Sie konnten in ihren eigenen Herzen den Vergleich ziehen mit dem, was sie als Israeliten gekannt hatten: Sie waren nun „zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“ geheiligt und auserwählt, im Gegensatz zum Gesetzesgehorsam und der Besprengung mit dem Blut von Opfertieren (1. Pet 1,2).
Auch waren sie jetzt „wiedergezeugt zu einer lebendigen Hoffnung ... zu einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil ... in den Himmeln“ (1. Pet 1,3.4). Das wird zu solchen gesagt, die zum Volk Israel gehörten, das auf Grund der verderbten menschlichen Natur jede Hoffnung auf ein irdisches Erbteil verscherzt hatte.
Sie gehörten nun als lebendige Steine zum geistlichen Haus, in dem Gott auf immerdar wohnt (1. Pet 2,1-10; eine Anspielung auf Matthäus 16,18, d. h. auf die Worte Jesu an Petrus.) Selbst der herrliche, längst zerstörte Tempel Salomos war nur ein schwaches Bild davon.
Jetzt waren sie eine heilige und königliche Priesterschaft, gegründet auf das vollkommene Opfer Jesu Christi. Dagegen stand das Priestertum im alten Bund in Verbindung mit unvollkommenen Opfern und war nur auf die Familie Aarons beschränkt.
Gott betrachtete sie, diese Gläubigen aus Israel, wie ja auch die aus den Nationen jetzt als „eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum“ (1. Pet 2,9; Röm 9,24.25). Israel als Ganzes hätte dies sein sollen, aber es war durch seinen Ungehorsam zum „Lo-Ammi“, d. h. zum „Nicht-mein-Volk“ geworden (2. Mo 19,6; Hos 1,9).
Es war ihnen nun alles „zum Leben und zur Gottseligkeit geschenkt“ (2. Pet 1,3). Die Sprache des Gesetzes aber lautete: Wenn ihr diese Dinge tut, so werdet ihr leben. Niemand hatte seine Forderungen erfüllen können.
Jetzt waren ihnen „die kostbaren und größten Verheißungen“ (2. Pet 1,4) geschenkt, viel herrlichere als jene, die Israel besaß.
Der Eingang in das himmlische und ewige Reich Jesu Christi stand ihnen bevor, nicht mehr nur der Eingang in das irdische Reich Israels, das auf tausend Jahre begrenzt ist (2. Pet 1,11).
Selbst wenn die Empfänger dieser Briefe jetzt noch Fremdlinge waren, so besaßen sie mit allen diesen Segnungen unendlich mehr, als Israel in seinen besten Zeiten je gekannt hatte. Welche Ermunterung für diese Gläubigen auf ihrem schwierigen Weg!
Die äußere Veranlassung zum ersten Brief mochte die schwere Verfolgung gewesen sein, von der in Kapitel 4,12 die Rede ist. Da der erste Brief keine Zeitangabe enthält, steht nicht fest, ob damit die Verfolgung gemeint ist, die der grausame Kaiser Nero im Jahr 64 gegen die Christen in Szene setzte und die vier Jahre lang im Römischen Reich und seinen Provinzen tobte.
Der Apostel, der an sich selbst erfahren hatte, was es heißt, jahrelang unter Menschen zu leben, die den Christen feindlich gegenüber stehen, der mehrmals in den Kerker geworfen und geschlagen worden war, der sogar dem Märtyrertod ins Angesicht geschaut hatte, war nun um die Herde des Herrn besorgt. Er bangte nicht so sehr um ihr Leben, als vielmehr um ihr Verhalten in dieser Versuchung. Er sah, wie der Teufel jetzt als „brüllender Löwe“ umherging und die schwachen Schafe dadurch zu verschlingen suchte, dass er ihnen Angst einjagte und sie so zwingen wollte, den Glauben zu verleugnen (1. Pet 5,8.9).
Petrus erinnerte sie daran, dass ihre „Brüderschaft“ in der ganzen Welt solchen Leiden ausgesetzt sei und ihnen daher durchaus nichts „Fremdes“ widerfahre (1. Pet 5,9; 4,12). Sie sollten nüchtern sein und wachen, damit der Feind sein Ziel bei ihnen nicht erreichen konnte. Als „Zeuge der Leiden des Christus“ ermahnte er sie, im Ertragen all ihrer Leiden Christus als Beispiel vor sich hinzustellen (1. Pet 5,1; 2,21). Wie Er seine Feinde liebte und sogar für sie in den Tod ging, so sollten auch sie ihnen nur Gutes erweisen. Petrus ermahnte sie, sich als Fremdlinge aller menschlichen Einrichtung, also den Königen und Statthaltern der bezüglichen Länder um des Herrn willen zu unterwerfen (1. Pet 2,13-17). Er ermunterte sie, denen, die sie und ihren Glauben lästerten, nicht mit Scheltworten zu begegnen, sondern sie durch praktische Gerechtigkeit, durch gute Werke und gottseligen Wandel zum Schweigen zu bringen und zu überführen.
Der Apostel sah aber auch voraus, dass Satan später als listige Schlange unter die Gläubigen kommen würde. Wie im alten Bund falsche Propheten auftraten, so würden auch jetzt falsche Lehrer aufstehen. Er gab eine genaue Beschreibung von ihrer Person, ihrem ausschweifenden Wandel und dem Schaden, den sie dem christlichen Zeugnis zufügen würden. Diese Warnungen finden wir besonders im 2. und 3. Kapitel des zweiten Briefes.
Um die Gläubigen zu ermuntern, stellte Petrus immer wieder die Offenbarung der Herrlichkeit Christi vor ihre Blicke, an der sie teilhaben und worin sie „mit Frohlocken“ sich freuen würden (1. Pet 1,7; 1,13; 4,13; 2. Pet 1,11). Er selbst hatte diese kommende Herrlichkeit auf dem Berg der Verklärung betrachten können (Mt 17) und war völlig überzeugt, dass es sich lohnte, auf der Erde allen Fleiß anzuwenden, um bis zum Ende auf dem Pfad des Gehorsams voranzugehen. Denn wer so lebt, wird einen reichen Eingang in das ewige Reich Jesu Christi haben (2. Pet 1,8-11).
Anderseits wies Petrus sie auch auf den Tag Gottes hin, an dem die Erde und die Werke auf ihr verbrannt werden und neue Himmel und eine neue Erde in Erscheinung treten, in denen Gerechtigkeit wohnt (2. Pet 3,7-13). So hatten sie - und auch wir - also mächtige Beweggründe zu einem treuen und heiligen Wandel:
- Es war ihnen alles geschenkt zum Leben und zur Gottseligkeit.
- Den Treuen stand ein reicher Eingang ins ewige Reich Jesu Christi bevor.
- Statt nach vergänglichen Werken zu streben, die von den Menschen anerkannt werden, war es weit besser, im Licht der Ewigkeit zu leben, Gott zu dienen und so die Ankunft des Tages Gottes zu erwarten und zu beschleunigen.
Beide Briefe enden mit dem Hinweis auf die Gnade Gottes, in der wir stehen (1. Pet 5,12). Wer wie Petrus diese Gnade in ihrer unermesslichen Fülle erfahren hat, weiß, wie groß sie auch für alle Erlösten ist und für ihr gesamtes Zeugnis auf der Erde. Petrus hatte nur den Wunsch, dass alle in der Erkenntnis dieser Gnade und der Person unseres Heilandes Jesu Christi wachsen möchten, zu seinem Preis (2. Pet 3,17.18).
Das Ende von Petrus
Der Auferstandene hatte am See Tiberias zu Petrus gesagt: „Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und hinbringen, wohin du nicht willst“ (Joh 21,18.19). Das war eine Andeutung auf die Art seines Todes. Tatsächlich berichtet Tertullian, ein christlicher Schreiber des 3. Jahrhunderts, dass Petrus im Jahr 68 unter Nero gekreuzigt worden sei, im Gegensatz zu Paulus, der im selben Jahr durch Enthauptung den Märtyrertod erlitten habe. Andere Schreiber aus derselben Zeit erwähnen zwar, dass der Apostel auf seinen Wunsch mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden sei, doch gehört dies wohl ins Reich der Legenden. Dass Gott durch seinen Tod „verherrlicht“ wurde, bestand nicht darin, dass Petrus durch eigenen Mut seine Leiden verschärfte, sondern dass er durch Gottes Gnade in ungebrochener Treue und Zeugenkraft den Glauben bewahrte.
Für ihn war dieser qualvolle Tod nichts anderes als „das Ablegen meiner Hütte“ (2. Pet 1,14). Das Kommende war für ihn eine strahlende Wirklichkeit, sein Leib aber nur ein provisorischer Wohnort seiner Seele. Sie hatte ihre Wurzeln schon längst in ihren Herrn und Meister im Himmel gesenkt.
So haben wir nun Simon Petrus vom Ufer des Sees Genezareth, in dem er seine Fischnetze auswarf, bis zu dem Augenblick begleitet, wo er nach vielen Jahren hingebenden Dienstes, in denen er mit den ihm anvertrauten Talenten mit allem Fleiß gehandelt hat, von seinem Herrn den Zuruf hören durfte: „Wohl, du guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; geh ein in die Freude deines Herrn“ (Mt 25,21). Er war in sich selbst nicht anders und nicht besser als wir. Aber was hat Gott aus ihm machen können, weil er mit seinem ganzen Herzen Jesus, seinem geliebten Herrn, nachgefolgt ist!