Petrus: Fischer, Jünger und Apostel
9. Erfahrungen als Diener des Herrn
Petrus als Diener des Herrn unter anderen Dienern
Im Bericht der Apostelgeschichte über die Entwicklung des Christentums steht bis zum 5. Kapitel der Apostel Petrus deutlich im Vordergrund. Vom 6. Kapitel an ändert sich das Bild.
Bis dahin wurden die Gaben für die Bedürftigen in der Versammlung zu den Füßen der Apostel niedergelegt (Apg 4,35.37; 5,2). Da sich das Werk des Herrn so schnell ausgebreitet hatte und die Versammlung in Jerusalem nun mehrere tausend Gläubige umfasste, war die Verteilung dieser Gaben eine große Aufgabe geworden, die viel Zeit und Kraft erforderte. Sie verlangte geistliche Einsicht in die äußeren Verhältnisse und inneren Zustände der Geschwister.
Die Verkündigung des Wortes nahm die Apostel voll in Anspruch (Apg 6,1-7); sie konnten daher den Anforderungen der Verteilung der Gaben nicht mehr genügen. Schon war es vorgekommen, dass sie bei der täglichen Bedienung die Witwen der Hebräer aus Griechenland übersahen, was zu Unzufriedenheit und Murren Anlass gegeben hatte.
Die Zwölf - Petrus eingeschlossen - reagierten im Blick auf diesen Missstand in Demut und Weisheit. Sie riefen die Menge der Jünger zu sich und sprachen: „Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen, um die Tische zu bedienen. Seht euch nun um, Brüder, nach sieben Männern von euch, von gutem Zeugnis, voll Heiligen Geistes und Weisheit, die wir über diese Aufgabe bestellen wollen; wir aber werden im Gebet und im Dienst des Wortes verharren“ (Apg 6,2-3).
Sie wollten also nicht in fleischlicher Gesinnung dieses Amt „der Bedienung der Tische“ krampfhaft festhalten und es als wirksames Mittel gebrauchen, um die Gläubigen an ihre Person zu binden und ihr eigenes Ansehen hochzuhalten. Im Gegenteil, sie waren froh, wenn sich andere geistlich gesinnte und befähigte Brüder fanden, die diese wichtige Aufgabe übernehmen konnten.
So blieb den Aposteln - wir denken jetzt besonders an Petrus - von da an umso mehr Zeit, erstens zum Gebet und zweitens zum Dienst des Wortes - beachten wir diese Reihenfolge! Die Auswirkung dieser Teilung des Dienstes und der Mithilfe anderer treuer Brüder am Werk zeigte sich unmittelbar: „Das Wort Gottes wuchs, und die Zahl der Jünger in Jerusalem mehrte sich sehr“ (Apg 6,7).
Unter den eben erwählten sieben Diakonen trat besonders Stephanus hervor. Er war „voll Gnade und Kraft, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk“ (Apg 6,8). Wer die von Gott gegebene Aufgabe, so bescheiden sie sein mag, in Treue erfüllt, dem kann Er mehr anvertrauen. Stephanus begann mit der Verteilung der Gaben unter den Geschwistern, durfte dann unter dem Volk Wunder und große Zeichen tun, und schließlich hat ihn der Herr dazu ausersehen, einen letzten, machtvollen Appell an Israel als Volk zu richten (Apg 7). Er hielt den jetzigen Führern in der Geschichte Israels einen Spiegel vor die Augen. Sie mussten daraus erkennen, dass sie den Widerstreit ihrer Väter gegen den Heiligen Geist zum tragischen Höhepunkt gesteigert hatten, indem sie den durch die Propheten angekündigten Christus verworfen und ermordet hatten. Sie verwarfen auch dieses mächtige Zeugnis und steinigten den vom Heiligen Geist erfüllten Zeugen. Das hatte zur Folge, dass Gott für eine lange Zeitepoche die Beziehungen zu seinem irdischen Volk abbrach. An die Stelle des Zeugnisses Israels sollte nun das Zeugnis der Versammlung Gottes treten, die eine himmlische Stellung besitzt.
Auch Philippus, ein anderer der sieben Diakone, wurde zu größeren Werken geleitet (Apg 8). Die im Zusammenhang mit der Steinigung des Stephanus in Szene gesetzte Verfolgung zwang Tausende von Gläubigen der Versammlung in Jerusalem, die Stadt zu verlassen und sich in den Landschaften von Judäa und Samaria aufzuhalten. Die Apostel blieben eine Zeit lang allein in Jerusalem zurück. Statt um ihren verlorenen Besitz zu klagen, gingen die Zerstreuten umher und verkündigten das Wort. Auch Philippus ging in eine Stadt Samarias hinab „und predigte ihnen den Christus“, indem er dabei Dämonen austrieb und Kranke heilte (Apg 8,5). Der Herr bekannte sich zu seinem Dienst. „Die Volksmengen aber achteten einmütig auf das, was von Philippus geredet wurde, indem sie zuhörten ... Es entstand aber große Freude in jener Stadt“ (Apg 8,6-8).
Weder Stephanus noch Philippus handelten im Auftrag des Apostels Petrus. Er war nicht der „erste Stellvertreter Christi“ oder „Papst“ auf der Erde, der die Kirche Jesu Christi zu regieren hatte. Der Herr selbst ist es, der dies tut und alle Fäden der Leitung in seiner Hand hält. Er erwählt und bereitet sich die Werkzeuge zu, die Er zur Bildung und Auferbauung seiner Versammlung brauchen will. Wohl hat er den Aposteln (vor allem Paulus) eine besondere Autorität verliehen, weil dies bis zur Vervollständigung des Wortes Gottes nötig war, aber Er hat diese Autorität beim Ableben von Petrus und Paulus nicht auf Nachfolger übertragen. Petrus selbst, der bisher im Vordergrund gestanden hat, zeigt eine schöne Gesinnung. Noch am See Tiberias, wo ihm der Herr seine Schafe und Lämmer zum Weiden und Hüten anvertraut hatte, wandte er sich zu Johannes um und fragte: „Herr, was wird aber mit diesem?“ (Joh 21,21). Nun aber hatte er längst gelernt, dass jeder Diener Jesus nachzufolgen hat als seinem eigenen Herrn und den ihm anvertrauten Dienst in Treue ausführen soll, ob dieser nach menschlichem Maß klein oder groß sei. Der geistlich gesinnte Bruder freut sich über jede Verherrlichung des Herrn, über jede Ausbreitung und Vertiefung seines Werkes, gleichgültig, durch wen Er dies zustande bringt.
„Als aber die Apostel in Jerusalem gehört hatten, dass Samaria das Wort Gottes angenommen habe, sandten sie Petrus und Johannes zu ihnen“ (Apg 8,14). Petrus handelte auch hier im Einverständnis mit den übrigen Aposteln, obwohl ihm der Herr Jesus doch gerade auch für diesen Fall die „Schlüssel des Reiches der Himmel“ gegeben hatte.
Vor seiner endgültigen Verwerfung sandte der Herr die Zwölf aus, um den verlorenen Schafen des Hauses Israel das Evangelium des Reiches zu predigen. Er gebot ihnen dabei ausdrücklich: „Geht nicht … in eine Stadt der Samariter“ (Mt 10,5). Jetzt aber war das Volk Israel beiseite gesetzt und das Evangelium der Gnade konnte fortan den Samaritern, diesem Mischvolk (2. Kön 17,24), mit dem die Juden nicht verkehren wollten (Joh 4,9), wie auch allen Nationen gepredigt werden. Dieser große Wechsel in den Wegen Gottes musste den Gläubigen aus der Beschneidung wie auch den Samaritern von Gottes Seite her deutlich bezeugt werden: Die Gläubigen in Samaria empfingen den Heiligen Geist erst, als ihnen Petrus und Johannes die Hände auflegten und für sie beteten. Sie sollten anerkennen, dass das Heil aus den Juden ist (Apg 8.14-17).
Die Apostel Petrus und Paulus
Im Zusammenhang mit den Tatsachen, die im vorigen Abschnitt erwähnt worden sind, ist es von Interesse, den Dienst und die Persönlichkeit dieser beiden Apostel einander gegenüberzustellen.
Beide waren aus dem Volk Israel. Doch während Petrus das Apostelamt der Beschneidung gegeben war (Gal 2,7.8) - er war ein Hirte für die Gläubigen aus den Juden - war Paulus der Apostel der Nationen (Röm 11,13). Petrus war ihnen ein „Zeuge der Leiden des Christus“ (1. Pet 5,1); Paulus hingegen wurde allen Menschen ein Zeuge von dem, was er auf dem Weg nach Damaskus „gesehen und gehört“ (Apg 22,15) hatte, das heißt, vom verherrlichten Christus, der sich mit den verfolgten Seinen eins machte.
Wir finden nirgends einen Anhaltspunkt dafür, dass Petrus, der unter den Gläubigen von Anfang an einen so wichtigen Platz eingenommen hatte, neidisch auf Paulus geblickt hätte, als er sah, wie dieser ehemalige Verfolger der Versammlung nach seiner Bekehrung im christlichen Zeugnis und Dienst eine so große Rolle zu spielen begann. Paulus brachte ja eine ganz andere Ausrüstung mit als er, der ehemalige Fischer, der zu den „ungelehrten und ungebildeten Leuten“ zählte.
Paulus wurde in Jerusalem, zu den Füßen des hoch angesehenen Lehrers Gamaliel, in der Strenge des väterlichen Gesetzes erzogen (Apg 22,3). Das kam ihm später wohl zugute. Er war ja vom Herrn dazu bestimmt, die Ratschlüsse Gottes über seine Versammlung zu offenbaren. Er sollte ihr die himmlische Stellung kundtun, in die sie durch ihre Vereinigung mit dem verherrlichten Christus gebracht war. Er war durch die Gnade Gottes dazu imstande, den eingetretenen folgenschweren Wechsel vom Judentum zur christlichen Haushaltung in aller Klarheit zu erfassen und diese großen göttlichen Tatsachen durch den Heiligen Geist der Versammlung zu lehren. Seine Briefe sind ein Beweis davon. Er hat bis zum Ende seiner Laufbahn trotz der andauernden Gegenströmungen an diesen Wahrheiten treu festgehalten.
Petrus hingegen sollte die große Wahrheit, dass die Versammlung, die der Herr zu bauen begonnen hatte, sowohl aus Juden als auch aus Heiden bestand, vorerst sozusagen auf praktischem Weg erfahren, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden.
Er hatte aber große Mühe, wie übrigens auch die ganze Versammlung in Jerusalem mit allen ihren Führern, die Befreiung vom Gesetz und dem bisherigen jüdischen Denken zu verwirklichen. In Antiochien kam es deshalb zu einem Zusammenstoß zwischen Paulus und ihm (Gal 2,11-17). Er hatte sich dort mit den Gläubigen aus den Nationen an denselben Tisch gesetzt und mit ihnen gegessen. Gott selbst hatte ihm doch gemäß Apostelgeschichte 10,28 dazu Freimütigkeit gegeben. Als dann aber Brüder „von Jakobus“, also von Jerusalem kamen, die noch an den jüdischen Formen festhielten, fürchtete er sich vor ihnen und sonderte sich von den Gläubigen aus den Nationen ab. - So ergeht es uns, wenn wir in einem Augenblick mangelnder Wachsamkeit auf die Menschen statt auf Gott blicken.
Auch Paulus war anwesend und sah, wie durch Petrus' Verhalten andere von dessen „Heuchelei“ mit fortgerissen wurden. Das war nicht mehr „der gerade Weg nach der Wahrheit des Evangeliums“ (Gal 2,14). Um ernste Auswirkungen zu verhindern, musste Paulus seinen Mitapostel vor allen anderen öffentlich zurechtweisen. Er handelte hierin in Übereinstimmung mit Gott.
Petrus hat diesen Tadel, dessen Berechtigung er einsah, ohne Widerrede entgegengenommen und dem treuen Kämpfer für die Wahrheit nichts nachgetragen. In seinem zweiten Brief, kurz vor seinem Abscheiden, nennt er ihn „unseren geliebten Bruder Paulus“ und weist die Empfänger auf dessen Briefe hin, die Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit geschrieben habe; wenn man sie verdrehe, so geschehe es zum eigenen Verderben (2. Pet 3,15.16). Übrigens hat es Paulus durch seine demütige, geistliche Haltung Petrus leicht gemacht, sich unter diesen Tadel zu beugen, nannte er sich doch „der geringste der Apostel“ (1. Kor 15,9)!
„Was Gott gereinigt hat, halte du nicht für gemein!“
Wir können uns kaum einen rechten Begriff davon machen, wie schwierig es für die hebräischen Christen war, zu begreifen, dass nun das Volk Israel mit allen seinen irdischen Hoffnungen und Vorrechten beiseitegesetzt und die Zeit der Versammlung angebrochen war (Apg 10 und 11). Sie brauchten manche Jahre, um sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass die Gläubigen aus den Nationen dieselben geistlichen Segnungen besaßen wie sie und dass sie, die einst unter Gesetz waren, in Christus dem Gesetz und allen seinen Verordnungen gestorben und nun alle zusammen Christus unterworfen waren. Später kam ihnen Gott durch die grundsätzlichen Belehrungen der Briefe des Apostels Paulus und vor allem durch den Hebräerbrief, dessen Verfasser nicht ausdrücklich genannt wird, in ihrer Schwachheit zu Hilfe. Jetzt aber sollten sie durch Petrus' Erlebnisse schon eine direkte diesbezügliche Unterweisung von Gott empfangen, über deren Herkunft keine Zweifel bestehen konnten (Apg 10). Kornelius, ein römischer Hauptmann in Cäsarea, war ein aufrichtig nach dem lebendigen und wahren Gott Suchender. Solchen will Er sich offenbaren. Er leitet ihn zu diesem Zweck aber nicht nach Jerusalem; Er will ihn nicht zu einem Proselyten des Judentums machen. Vielmehr sendet Er ihm einen Engel, der ihn auffordert, Petrus aus Joppe zu holen. Während sich Kornelius' Knechte der Stadt nähern, ist Petrus um die Mittagszeit auf dem Dach, um zu beten. - Er hat gelernt, von Gott abhängig zu sein. - Er ist hungrig, und während sie ihm das Essen zubereiten, kommt eine Verzückung über ihn: Er sieht ein Gesicht von einem großen Leinentuch voll unreiner, vierfüßiger und kriechender Tiere und Vögel, deren Fleisch der Israelit nach dem Gesetz nicht essen durfte (3. Mo 11). Eine Stimme fordert ihn auf: „Steh auf, Petrus, schlachte und iss!“ (Apg 10,13).
Der Apostel antwortete so, wie jeder gottesfürchtige und treue Israelit in der Vergangenheit es getan hätte. In der Meinung, Gott wolle ihn auf die Probe stellen, sagte er entschieden: „Keineswegs, Herr! Denn niemals habe ich irgendetwas Gemeines oder Unreines gegessen“ (Apg 10,14).
Aber mit diesem Gefäß voller Tiere wollte Gott ja zeigen, dass „die Zwischenwand der Umzäunung“ zwischen den Gläubigen aus Israel und denen aus den Nationen nun abgebrochen war (Eph 2,14). Sie brauchten sich nicht mehr von jenen abzusondern, als ob diese noch „unrein“ wären. Gott selbst hatte sie gereinigt. Dieses Gesicht geschah dreimal nacheinander. Petrus konnte sich also nicht getäuscht haben. Und während er noch über die Bedeutung des Erlebten nachsann, waren die Abgesandten durch Gottes Fügung schon da, um nach ihm zu fragen. Der Geist war es auch, der das Gesicht mit diesen Männern in Zusammenhang brachte und zu Petrus sagte: „Siehe, drei Männer suchen dich. Steh aber auf, geh hinab und zieh mit ihnen, ohne irgend zu zweifeln, denn ich habe sie gesandt“ (Apg 10,19.20).
Die Abgesandten und schließlich auch Kornelius selbst erzählen Petrus ausführlich, wie Gott sie geleitet habe, und so lesen wir diese Geschichte dreimal (Apg 10,3-8.22.30-32).
Anderseits erzählt aber auch Petrus dem Kornelius, wie Gott ihn gelehrt habe, das jüdische Gebot zu durchbrechen und keinen Menschen gemein oder unrein zu heißen. Er sei daher ohne Widerrede gekommen. Der Apostel ist jetzt bezüglich der Bedeutung des Gesichtes völlig im Klaren und überzeugt, dass „Gott die Person nicht ansieht, sondern dass in jeder Nation, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, ihm angenehm ist“ (Apg 10,34.35). Der Jude und der Römer erkennen, dass Gott sie auf wunderbare Weise zusammengeführt und -gefügt hat.
Darauf verkündet Petrus dem Kornelius, dessen Verwandten, nächsten Freunden und Knechten das Evangelium, wozu ihn Gott so offensichtlich zubereitet und geleitet hat (Apg 10,24.34). Und während er noch redete, „fiel der Heilige Geist auf alle, die das Wort hörten“, denn sie hatten es im Glauben aufgenommen (Apg 10,44). Wer konnte da noch daran zweifeln, dass Gott nun auch den Nationen die Tür des Reiches der Himmel aufgeschlossen hatte?
Die Gläubigen aus der Beschneidung, die den Apostel von Joppe aus begleitet hatten, gerieten außer sich, „dass auch auf die Nationen die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen worden war“ (Apg 10,23.45). Denn diese Tatsache wurde allen offenbar: Sie hörten sie in Sprachen reden und Gott erheben.
Da fragte Petrus: „Könnte wohl jemand das Wasser verwehren, dass diese nicht getauft würden, die den Heiligen Geist empfangen haben wie auch wir?“ (Apg 10,47). Nachdem Gott so deutlich und unmissverständlich gesprochen hatte, konnten die Christen aus der Beschneidung nichts Besseres tun, als seine wunderbaren Ratschlüsse anzuerkennen und entsprechend zu handeln.
Die vollendete Tatsache, dass diese Gläubigen aus den Nationen nun auf den gleichen Boden gestellt waren wie sie, war für die aus der Beschneidung vorerst ein unverdaulicher Brocken (Apg 11). Sie stritten mit Petrus, als dieser nach Jerusalem hinaufkam. Aber wie leicht konnte er sein Tun verantworten! Er brauchte, um die Gemüter zu beruhigen, nur auf das Tun Gottes in dieser Sache hinzuweisen. Schließlich verherrlichten sie Gott und sagten: „Also hat Gott auch den Nationen die Buße gegeben zum Leben“ (Apg 11,18).
Auch später, als gewisse Brüder aus Judäa nach Antiochien kamen und jene Gläubigen lehren wollten, dass sie ohne Beschneidung nicht errettet werden könnten, war es wieder Petrus, der am so genannten „Apostelkonzil“ in Jerusalem durch sein Votum mithalf, die richtige Entscheidung zu fällen (Apg 15). Er brauchte nur darauf hinzuweisen, dass ja Gott selbst diese schwerwiegende Frage in Cäsarea in praktischer Weise gelöst habe.
Ja, Gott hatte, entsprechend den Worten des Herrn Jesus in Matthäus 16,19, Petrus auserwählt, dass die Nationen zum ersten Mal durch seinen Mund - sozusagen offiziell - das Wort des Evangeliums hören und glauben sollten (Apg 15,7). Diese Aufgabe hatte er jetzt erfüllt. Das „Evangelium Gottes über seinen Sohn“ (Röm 1,1.3) konnte nun durch den großen Apostel der Nationen und seither durch unzählige Boten auf breiter Basis Juden und Heiden verkündigt werden.
Petrus unter dem Schutz Gottes
Kapitel 12 der Apostelgeschichte ist für alle Zeiten ein Dokument dafür, wie Gott die Seinen in der Welt, wo sie um des Namens Christi willen verfolgt werden, erretten kann, auch wenn sie mit keinerlei menschlicher Hilfe rechnen können. Ob Er Petrus hier befreit oder später durch den Märtyrertod gehen lässt - immer ist er in seiner mächtigen Hand. Der Feind darf gegenüber den Erlösten, die Jesus mit seinem kostbaren Blut erkauft hat, keinen Schritt weiter gehen, als Er es ihm erlaubt.
Die erbitterten Gegner des Christentums in Jerusalem hatten durch den Übertritt des Saulus von Tarsus in die Reihen der früheren Opfer seiner Verfolgungswut ihren eifrigsten Vertreter verloren. Aber Satan ist nicht verlegen; er erweckt sich andere Werkzeuge, zum Beispiel Herodes. Dieser suchte sein Königtum dadurch zu befestigen, dass er sich den Juden nützlich erwies. Das ließ sich ja, so meinte er, durch Verfolgung der scheinbar schutzlosen Versammlung der Christen in Jerusalem ohne Risiko erreichen.
Schon hatte er einige misshandelt und Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert getötet. Der Beifall der Juden machte ihn immer kühner, und schließlich ließ er auch Petrus festnehmen, dieses besondere Werkzeug des Herrn, durch den in dieser Stadt mehrere Tausende des Volkes an Christus gläubig geworden waren.
Aber Herodes hatte seine Rechnung ohne Gott gemacht. Wohl ließ er den wehrlosen Gefangenen im Kerker mit ehernen Ketten an zwei Kriegsknechte schmieden, so dass dieser keine Bewegung machen konnte, ohne dass sie es merkten. Wohl standen Wächter an der ersten und zweiten Tür. Wohl war das eiserne Tor draußen geschlossen. Aber was nützten alle diese ausgeklügelten Sicherheitsmaßnahmen, wenn Gott seinen Diener noch viele Jahre zum Wohl seiner Versammlung erhalten wollte?
Einen ersten Beweis seiner Macht gab Gott darin, dass Er durch seinen Geist das Herz seines Knechtes dermaßen stärkte und mit Frieden erfüllte, dass dieser in seligem Vertrauen auf Ihn ruhig und tief schlafen konnte, obwohl die grausame Hinrichtung am nächsten Tag bevorstand. Die eigene Kraft hätte hier, wie einst im Hof des Hohenpriesters, kläglich versagt. - Ist dies nicht eine Ermunterung für alle, die heute durch ähnliche Umstände zu gehen haben?
Wie rührend war in jener Nacht auch Gottes Fürsorge für seinen gefangenen Knecht! Er dachte an alles: Sein Engel schlug den Schlaftrunkenen an die Seite, sonst wäre er nicht erwacht. Er hieß ihn aufstehen, sich umgürten, die Sandalen unterbinden, das Obergewand umwerfen und ihm folgen. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, gehorchte Petrus. Erst als der Engel von ihm schied, kam er zu sich und wurde sich seiner wunderbaren Befreiung bewusst.
Petrus ging durch die nächtlichen Straßen zum Haus der Mutter des Markus, in dem viele der Geschwister zum anhaltenden Gebet für den Apostel versammelt waren. Flehten sie darum, dass Petrus ihnen erhalten bliebe? Oder um die Gnade, dass er durch seinen Zeugentod Gott verherrlichen möge? Das erstere war sehr wohl möglich, auch wenn sie es jetzt für unmöglich hielten, dass er leibhaftig an ihrer Tür erschien. - Ach, auch unser Verstand will uns oft hindern, die Erhörung unserer eigenen Gebete zu erwarten! Aber der einfältige Glaube darf erleben, dass Gott über Verstehen erhört, wenn das Gebet nach seinem Willen ist.
Der Apostel begab sich an einen anderen Ort, kehrte aber später nach Jerusalem zurück. Er blieb dem Werk des Herrn erhalten und das Wort Gottes wuchs und mehrte sich. Herodes jedoch, der sich so mächtig gefühlt hatte, wurde beseitigt. Gott schlug ihn mit einer Krankheit, und er starb kurz darauf eines elenden Todes. Niemand ist imstande, Gott zu widerstehen.
Eine Lücke in der Lebensbeschreibung von Petrus
Vom 13. Kapitel der Apostelgeschichte an wird die Ausbreitung des Werkes des Herrn unter den Nationen beschrieben, zu welchem Dienst vor allem der Apostel Paulus berufen worden war (Kap. 9,15).
Petrus wird nur noch im 15. Kapitel erwähnt, weil er - wie wir sahen - am Apostelkonzil gegenüber den Gläubigen aus den Juden ein entscheidendes Wort mitzureden hatte.
Das will nun aber durchaus nicht heißen, dass der Dienst dieses Apostels bedeutungslos geworden wäre oder dass sein Eifer in der ihm vom Herrn gestellten Aufgabe nachgelassen hätte (Joh 21,15-17). Wie viele Brüder haben damals in ihrem Wirkungskreis in vollem Einsatz, in Treue und großem Segen dem Herrn gedient, ohne dass ihre Tätigkeit in der Heiligen Schrift aufgezeichnet worden wäre! Es genügt uns, zu wissen, dass, wie in alten Tagen, vor Gott ein „Gedenkbuch“ geschrieben wird für die, die Ihn fürchten und seinen Namen achten (Mal 3,16). Er nimmt Kenntnis von ihrer Gesinnung, von ihren Worten und all ihrem Dienst.
So lesen wir in der Apostelgeschichte z. B. auch von den übrigen elf Aposteln nichts mehr, auch nichts von der Wirksamkeit des Johannes, der doch ein überaus gesegnetes Werkzeug in der Hand des Herrn gewesen sein muss, wie seine Schriften es bezeugen.
Petrus' Pionierarbeit, wenn wir sie so nennen dürfen, war getan; nun verblieb ihm hauptsächlich noch der ebenso wichtige Hirtendienst. Es galt nun, die Schafe und Lämmer, die aus dem jüdischen Schafhof herausgerufen worden waren (Joh 10,3.4), zu weiden und zu hüten. Allerdings war ja in der Versammlung Gottes die Zwischenwand der Umzäunung abgebrochen, die zwischen Israel und den Nationen bestanden hatte, und es ist nicht anzunehmen, dass dieser Apostel ausschließlich seinen gläubigen Volksgenossen diente. Doch hat ihn der Herr dazu benutzt, ganz besonders diesen beizustehen, weil Er ihre Fragen und großen Schwierigkeiten kannte, die in Verbindung standen mit dem Übergang vom alten Bund zur Haushaltung der Gnade.
Wie konnte er diese Aufgabe erfüllen, nachdem die Herde des Herrn nicht mehr nur in Jerusalem versammelt, sondern in viele Gegenden und Städte Kleinasiens und sogar darüber hinaus zerstreut worden war?
Er konnte sie besuchen. Wir wissen aber nicht, in welchem Maß und in welcher Weise er dies getan hat. In den Bibliotheken des Vatikans wären wohl frühchristliche Schriften zu finden, die von seinen Reisen und seinem Wirken in diesen Jahren zu berichten wüssten. Aber diese Überlieferungen sind durchaus nicht zuverlässig, um so mehr als sie, entgegen der Lehre des Wortes, die Neigung zeigen, Petrus zum ersten Oberhaupt der Kirche und Stellvertreter Christi auf Erden zu machen. In der Heiligen Schrift finden sich fast keine Hinweise auf seine Reisen: Gemäß Galater 2,11 kam er nach Antiochien. Aus der Tatsache ferner, dass sich in Korinth etliche Christen „des Kephas“ genannt haben, lässt sich schließen, dass diese Petrus gesehen und gekannt hatten und in den Genuss seines Dienstes gekommen waren (1. Kor 1,12; vgl. auch 3,22); vielleicht waren dies aber Christen aus Judäa, die ihm dort begegnet waren. Die Annahme, Petrus habe in Babylon, also im Osten, eine Versammlung der Zerstreuten aufgesucht, lässt sich auf Grund von 1. Petrus 5,13 nicht beweisen.
Der Apostel konnte den Zerstreuten aber auch schreiben und ihnen auf diese Weise zu dienen suchen, wenn er verhindert war, sie persönlich aufzusuchen. Ob er dies oftmals getan hat, erwähnt das Wort nicht. Im Neuen Testament finden sich nur seine beiden inspirierten Briefe, die er nicht lange vor seinem Abscheiden geschrieben hat (2. Pet 1,12-15; 3,1).