Die Entrückung der Versammlung
Matthäus 24 und 25
Über diese beiden Kapitel herrscht, obwohl in der Christenheit schon viel darüber geredet und geschrieben wurde, große Unklarheit.
Wir müssen, um diesen wichtigen Abschnitt im Rahmen der göttlichen Prophetie richtig erfassen zu können, verstehen, dass der Herr hier nicht in erster Linie über kommende Ereignisse spricht, sondern vielmehr über das Verhalten seiner Knechte genaue Anweisung gibt – die Ereignisse bilden nur den äußeren Rahmen. Hierzu gehören auch die Parallelen in Markus 13 und Lukas 21. Der Herr spricht sowohl von der inneren persönlichen Einstellung als auch vom äußeren Verhalten während dieser zukünftigen Ereignisse. Was die innere Einstellung eines Gläubigen betrifft, so sollte diese naturgemäß zu allen Zeiten und unter allen Umständen die gleiche sein: wachsam und nüchtern, den Herrn erwartend. Das gilt sowohl für die Gläubigen der Gegenwart als auch für den gläubigen jüdischen Überrest am Ende der Tage. Was aber das äußere Verhalten der Gläubigen in den verschiedenen Zeitperioden (Haushaltungen) betrifft, wird es für beide sehr verschieden sein.
Die Mitteilungen in Matthäus 24 müssen als Beantwortung der dreifachen Frage der Jünger aufgefasst werden. Dieselbe lautet:
- Wann wird der Tempel zerstört werden?
- Welches ist das Zeichen der Ankunft des Herrn und welches
- das der Vollendung des Zeitalters?
Auf die erste Frage geht der Herr nicht weiter ein; wir wissen, dass das Wort des Herrn bezüglich der Zerstörung des Tempels sich im Jahr 70 nach Christus erfüllte. Der Herr hielt es für nützlich, den Zeitpunkt nicht anzugeben.
Was die zweite Frage betrifft, so müssen wir vor allem daran denken, dass die Jünger noch völlig von jüdischen Interessen erfüllt waren – die Kirche, die Gemeinde des Herrn, war ihnen ja unbekannt, weil sie noch nicht in Erscheinung getreten war – ihre Frage bezog sich also auf die Erfüllung der Israel gegebenen Verheißungen – das 1000-jährige Reich. In allen drei Evangelien, die uns das vertrauliche Gespräch des Herrn mit den Jüngern bezüglich der Zeichen der Ankunft des Herrn mitteilen, stehen wir sozusagen auf jüdischem Boden. Darum berichtet auch Matthäus, der das Evangelium der Juden geschrieben hat, am ausführlichsten hierüber. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass Israel als Volk noch eine glanzvolle Zukunft haben wird. Das messianische Königreich wird entstehen und alle ihm im Alten Testament gegebenen Verheißungen werden sich erfüllen. Alles hier Gesagte bezieht sich also auf die zweite Ankunft des Herrn, eben zur Aufrichtung seiner Königsherrschaft (Off 19,6).
Wenn das christliche Zeugnis durch die Entrückung der Versammlung seinen Abschluss gefunden hat, wird Gott sein irdisches Bundesvolk wieder sammeln und in sein Land zurückbringen. Wir brauchen hierfür nicht die zahlreichen Zeugnisse der Propheten anzuführen, es genügt der Hinweis auf das Zeugnis des Apostels Paulus in Römer 11, besonders in Vers 26: „Ganz Israel wird errettet werden“. „Ganz Israel“ bedeutet hier einfach Israel als Nation im Gegensatz zu heute, wo aus allen Nationen Einzelne herausgerufen und zur Gemeinde des Herrn gesammelt werden, obwohl nur ein Überrest errettet werden wird, wie viele Stellen in den Propheten deutlich aussagen.
Nach Sacharja 12,10–14 wird dieser Überrest in der großen antichristlichen Drangsalszeit durch Buße und Umkehr durch Gottes Gnade innerlich erneuert werden, nachdem er den Herrn an seinen Wundmalen erkannt haben wird. Israels Zeit war damals infolge der Verwerfung und Tötung des Sohnes Gottes, seines Königs und Messias, beendet, weil es letzten Endes auch das Zeugnis des Heiligen Geistes verwarf, als Gott ihm noch einmal Gnade angeboten hatte. Durch die Zerstörung des Tempels und die Zerstreuung Israels unter die Völker hat Gott in äußerst radikaler Weise mit seinem ehemaligen Bundesvolk abgebrochen. Erst wenn das Zeugnis der Kirche, die gegenwärtige Gnadenzeit, erfüllt sein wird, wird Israel wieder als Haupt aller Völker eingesetzt werden.
Die dritte Frage der Jünger betraf die „Vollendung des Zeitalters“ oder die Beendigung der „Zeiten der Nationen“ (Lk 21,24). Die Antwort des Herrn versetzt uns ganz und gar in die Endzeit, in die Zeit vor Aufrichtung des Königreiches Israels. Die Jünger bezweckten mit dieser Frage nichts anderes als zu wissen, wann nun die Fremdherrschaft über Israel – die Römer okkupierten ja das Land – endlich zu Ende gehen und Israel wieder eine unabhängige, freie Nation sein werde. Es ist erstaunlich, wie viele Christen in diesem Kapitel die Kirche des Christus, seine Gemeinde, sehen wollen, obwohl wir doch hier auf absolut jüdischem Boden stehen. Die „Zeit der Nationen“ begann mit Nebukadnezar (Dan 2), dem Gott die Weltherrschaft an Stelle Israels übertrug. Diese Zeitperiode dauert noch an – die Zeit der Kirche (Ekklesia) ist darin eingeschlossen – und dauert bis zum Beginn des messianischen Königreiches. Die Einschaltung der Kirche in die „Zeiten der Nationen“ wird aber in Matthäus 24 nicht berührt; es handelt sich wie schon gesagt um den spezifisch jüdischen Charakter der Unterweisungen, die der Herr den Jüngern gibt.
Wenn wir nun auf den Inhalt des 24. Kapitels eingehen, stellen wir fest, dass die Verse 1–14 der ersten Hälfte der Jahrwoche Daniels entsprechen (Dan 9,20–27), zum Teil allerdings Verhältnisse, wie sie auch heute bestehen, denn der Herr sagt: „Es ist noch nicht das Ende“; es ist erst „der Anfang der Wehen“ (Mt 24,6.8).
Von Vers 15 an beginnt dann die eigentliche Drangsalszeit, angestiftet durch den Antichristen – die an der Errichtung des Gräuels der Verwüstung, der an heiligem Ort steht, erkennbar ist. Das ist die zweite Hälfte der Jahrwoche Daniels, wie sie uns ausführlicher in der Offenbarung beschrieben wird. So berührt alles Weitere einschließlich Vers 44 rein jüdische Belange, die für die christliche Erwartung gar nicht in Frage kommen und nur für Israel Sinn und Bedeutung haben können. Was haben wir in der christlichen Zeit mit dem Heiligtum, dem Tempel in Jerusalem zu tun, der ja heute überhaupt nicht vorhanden ist, und an dessen Stelle eine arabische Moschee steht. Welchen Sinn hätte für uns die Ortsangabe Judäas oder eine Flucht, da doch die Glaubenden, die zur Versammlung gehören, auf der ganzen Erde verteilt sind, die alle die Ankunft des Herrn vom Himmel erwarten, um dorthin eingeführt zu werden, von der Erde weg?
Was hätte die Warnung vor einem falschen Christus für uns zu bedeuten, da wir doch wissen, dass unser Herr zur Rechten Gottes im Himmel sitzt, bis Er in die Luft kommt, um uns zu sich zu rufen? Trotzdem gibt es auch jetzt viele unaufmerksame Seelen, die auf solche Verführung hereinfallen. Mögen diese Zeilen manchen eine Hilfe sein, den Irrtum zu erkennen.
Dann lesen wir von Vers 27–30 immer wieder von dem Kommen und dem Zeichen des „Sohnes des Menschen“, ein Titel, den der Herr als der von seinem Volk Verworfene angenommen hat (vgl. Mt 26,64). Seine Kirche erwartet Ihn aber nicht in dieser ernsten Eigenschaft, sondern als den Bräutigam, das erhöhte und verherrlichte Haupt. Ferner wird sein Kommen für uns nicht diese schrecklichen Begleiterscheinungen haben, sondern es wird für uns eine Begegnung der Gnade, der Freude und Herrlichkeit sein.
Oder kann das Bild des Feigenbaums, der wieder ausschlagen wird, der christlichen Gemeinde gelten? Unmöglich! Die wahre Kirche wird für immer in den Himmel aufgenommen, die übrigbleibende, abtrünnige Kirche aber im Gericht zerstört werden; für sie wird es kein Wiederaufstehen mehr geben. Anders aber Israel! Dieses wird als Nation wieder entstehen – den Anfang davon haben wir ja schon vor Augen – und im 1000-jährigen Reich noch eine herrliche Zukunft des Friedens und Segens haben.
Von Vers 36–44 gibt der Herr die ernste Ermahnung, seine Ankunft täglich zu erwarten, doch handelt es sich ausdrücklich um seine Ankunft als „Sohn des Menschen“. Die Verse 40 und 41 zeigen uns, dass die Ankunft des Herrn eine klare Trennung der Menschen bringen wird, zwischen solchen, die dem Herrn angehören und solchen, die Ihn verwerfen. Die letzteren werden im Gericht jener Zeit weggerafft werden und die anderen in das Reich eingehen. So ist die Bedeutung im Zusammenhang. Luther übersetzt hier: „angenommen und verlassen“, sodass das Wort auf die Entrückung angewandt werden könnte. Aber es passt nicht in den Zusammenhang und entspricht nicht dem beabsichtigten Sinn. Es ist hier genau umgekehrt als bei der Entrückung. Der Zurückbleibende verfällt nach der Entrückung dem Gericht; hier wird der Zurückbleibende in die Segnungen des 1000-jährigen Reiches eingeführt. Es ist sehr wichtig, dies zu beachten.
In den Versen 45–51 redet der Herr von dem innerlichen Verhalten der Seinen in der Zeit zwischen seinem Weggang und seiner Rückkehr, also während der Gnadenzeit. Dies beweisen die Einzelheiten aufs deutlichste, Einzelheiten, die praktisch auch für Christen Raum und Bedeutung haben. Es handelt sich um die persönliche Verantwortlichkeit, das Verhalten im praktischen Leben. Sie zeigen die charakteristischen Züge wahrer, von neuem geborener Christen und bloßer Bekenner, die den Heiligen Geist nicht haben und darum Gottes Willen nicht tun können.
Des Weiteren werden uns im Blick auf den aufgetragenen Dienst die falschen, nicht vom Herrn berufenen und nicht vom Heiligen Geist ausgerüsteten Diener gezeigt, die nicht das Interesse des Herrn und der Seinen suchen und ausüben, sondern ihr eigenes, materielles, weshalb sie verurteilt werden.
Im Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Kap. 25,1–13) zeigt der Herr die Folgen einer lebendigen Erwartung der Ankunft des Herrn (als Bräutigam, um die Braut zu holen, somit der Entrückung) und das Ende derer, die seine Rückkehr verschlafen und verträumen.
Die törichten Jungfrauen, die kein Öl haben, sind die Bekenner, die nicht durch den Heiligen Geist zum Leben aus Gott geboren sind. Sie versäumen es, dem Bräutigam mit brennenden Lampen entgegenzugehen. Sie sind nicht bereit und können nicht zur Hochzeit eingehen, d. h. nicht an der Entrückung teilnehmen und müssen daher zurückbleiben. Es handelt sich in diesem Gleichnis um die Verantwortlichkeit, und zwar in allen Gleichnissen dieses Kapitels um die persönliche; es sind keine Bilder der Gesamtheit.
Das zweite Gleichnis in Kapitel 25 (Verse 14–30) zeigt uns, wie der Herr die Verwendung seiner Gaben durch seine Knechte beurteilt und belohnt, nämlich nach dem Maß, wie sie damit Frucht für Ihn hervorgebracht haben. Der Lohn dafür steht in direkter Beziehung zu ihrer Arbeit. Urteil und Belohnung erfolgen ausdrücklich, nachdem der Herr nach langer Abwesenheit zu den Knechten zurückkehrt. Auch hier ist die Anwendung auf die christliche Zeit, also auf uns selbst, leicht ersichtlich.
Ganz anders verhält es sich wieder mit dem letzten, dritten Gleichnis in Kapitel 25 (Verse 31–46). Hier ist von einem Gerichtstag die Rede, an dem der König auf dem Gerichtsthron auf der Erde sitzt, um die Völker zu richten, und zwar je nach ihrem Verhalten gegenüber seinen Boten, die Er hier als seine Brüder anerkennt und mit denen Er sich also eins gemacht hat. Es ist auch der Zeitpunkt angedeutet: „Wenn der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit Ihm“. Es betrifft hier also das zweite Kommen, das auf die Erde, um das Böse zu richten und seine Königsherrschaft anzutreten. Die „Brüder“ sind also Juden, der treue Überrest, der das Evangelium des Königreiches verkündigt hat. Es wird unterschieden werden zwischen denen, die ins 1000-jährige Reich eingehen werden und denen, die gerichtet werden. Es ist also klar, dass dieses Gleichnis nicht für die Christenheit bestimmt ist, sondern für die Menschen, die zur Zeit der Aufrichtung des Reiches leben werden. Wir haben ja nichts mit einem Gerichtstag auf der Erde zu tun noch werden wir nach unserem Verhalten in der Drangsalszeit den „Brüdern“ gegenüber beurteilt, da wir ja gar nicht in diese Gerichtsperiode hineinkommen. Nach dieser Erklärung können nun auch die Parallelstellen in Markus und Lukas leicht verstanden werden.