Die Entrückung der Versammlung
Entrückung vor der großen Drangsalszeit
„Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen“ (Off 3,10).
Manche wollen die Entrückung der Kirche zeitlich in den Verlauf der großen Drangsal verlegen. Sie glauben, sich auf die Stelle in Offenbarung 10,7 stützen zu können, die sich aber, wie wir schon im 5. Abschnitt ausgeführt haben, gar nicht auf die christliche Gemeinde bezieht. Verschiedene Stellen der Bibel, die wir der Reihe nach beleuchten wollen, zeigen aber deutlich, dass die Ankunft des Herrn zur Wegnahme der Gläubigen durchaus vor der großen Drangsalszeit erfolgen muss. Sie wird geradezu das Vorspiel, den einleitenden Eröffnungsakt zu den Ereignissen der Endzeit bilden, die der Aufrichtung des 1000-jährigen Reiches vorausgehen. Schon der Charakter der Ankunft des Herrn zur Entrückung der Glaubenden als seine Privatsache macht es notwendig, dass sie den Gerichten der Endzeit vorausgehen muss. Denn der Herr will damit seine geliebte Gemeinde oder Braut in Sicherheit bringen vor der Entfaltung der Gerichte. Dies hat der Herr auch der Gemeinde in Philadelphia verheißen. Die gegnerische Behauptung, es heiße im Urtext nicht „vor“ der Versuchung, sondern „in“ oder „aus“, ist abwegig. Denn erstens wird das hier gebrauchte griechische Wort für „vor“ auch in Johannes 17,15 angewendet: „vor dem Bösen“, wo es absolut nicht heißen kann: „in dem Bösen“. Dann will der Herr die Seinen nicht nur vor der Versuchung selbst bewahren, sondern sogar „vor der Stunde“, also davor, dass sie gar nicht in jene gefährliche Zeit hineingeraten sollen. Eine Bewahrung in jener Stunde oder in der Versuchung wäre übrigens gar keine besondere Verheißung, sondern ist, da wir durch den Herrn Jesus Kinder Gottes sind, eine Selbstverständlichkeit.
Im gleichen Sinn schreibt Paulus im zweiten Brief an die Thessalonicher (Kap. 1, 7–10) – die aufgrund von Verfolgungen dachten, der Tag des Herrn (d. h. der Gerichtstag) sein schon gekommen – dass der Herr ihnen stattdessen an jenem Tag Ruhe geben werde. Im zweiten Kapitel lesen wir: „Und jetzt wissen wir, was zurückhält..., nur ist jetzt der da, der zurückhält, bis er aus dem Weg ist, und dann wird der Gesetzlose offenbart werden“ (V. 6–8). Hieraus ersehen wir deutlich, dass der Antichrist, der Haupturheber der Drangsale der Endzeit, gar nicht offenbart werden kann, also nicht erscheint, bevor die Gläubigen aus dieser Welt weggenommen, d. h. entrückt worden sind. Wir haben also in den genannten Versen ein „was“ und ein „der“, die zurückhalten. „Der“ kann niemand anderes als der Heilige Geist sein, der heute noch in seiner Kirche, den Gläubigen, wohnt, aber bei der Entrückung mit der Versammlung ins Haus des Vaters zurückkehrt. Er wird die Braut, wie einst Elieser Rebekka dem Isaak zuführte, dem Herrn bringen. Darum kann auch das „was“ zurückhält, nur die wartende Gemeinde sein. Sie ist mit dem in ihr wohnenden Heiligen Geist das Bollwerk, das die volle Entfaltung des Bösen bis heute zurückhielt und zurückhalten wird, bis der Herr kommt. Vorher kann und wird der Antichrist nicht offenbar werden. Ein großer Trost für die Geliebten des Herrn!
Nach der Entrückung wird der Herr die Beziehungen zu Israel wieder aufnehmen und es als Bundesvolk wieder zum Zeugnis an die Welt einsetzen. Dafür hat Gott einen Zeitraum von mindestens sieben Jahren gesetzt. Denn von den siebzig Wochen mit je sieben Jahren (Jahrwochen), die Israel bis zur Aufrichtung des messianischen Königreiches nach Daniel 9,24–27 warten muss, sind bis zum ersten Erscheinen des Messias nur neunundsechzig vergangen, während die letzte, die siebzigste, noch aussteht. Darum ist das, was sich nach der Prophezeiung in Vers 27 in dieser ereignen soll, bis heute noch nicht Tatsache geworden. Diese letzte Jahrwoche kann aber aus mehreren Gründen erst nach der Entrückung der Kirche beginnen.
- In Römer 11,25 lesen wir, dass „Israel zum Teil Verhärtung widerfahren ist bis die Vollzahl der Nationen eingegangen ist“. Dies aber ist, wie wir schon im zweiten Abschnitt gesehen haben, das Signal zur Ankunft des Herrn zur Entrückung. Dann erst wird auch Israel als Volk (d. h. ein gläubiger Überrest) errettet werden; damit ist klar bewiesen, dass die Zeit Israels erst nach der Entrückung beginnen kann. Paulus nennt die Wiederannahme Israels – in der Tat ein wunderbarer Gnadenratschluss, eine Tatsache, die lange Zeit in der Kirche unerkannt und unverstanden geblieben ist und heute noch von manchen Gläubigen nicht recht erfasst wird, indem man merkwürdigerweise alle Segnungen auch des Alten Testamentes der christlichen Kirche zuschreibt.
- Aus Offenbarung 11 und Matthäus 24,14 erkennen wir, dass dann ein ganz anderes Evangelium als jetzt, nämlich das des Reiches Israels, verkündigt werden wird. Offenbarung 11 zeigt deutlich, dass jenes Evangelium vom heutigen der Gnade grundverschieden sein wird. Stellen wir uns nun vor, wenn dann die christliche Gemeinde noch da wäre und das Evangelium der Gnade noch verkündigt würde – denn solange die wahre Kirche noch hier ist, wird und muss sie dieses Evangelium verkündigen –, welche Unordnung würde dies ergeben? Wenn dann zwei Evangelien, beide von Gott geboten, beständen, welchem sollte dann geglaubt werden? Darum kann es nicht sein, dass die christliche Gemeinde in jener Zeit noch auf der Erde ist.
- Man beachte gut die in Kapitel 1,19
vom Heiligen Geist gegebene Einteilung des Buches der Offenbarung:
I. „Was er (Johannes) gesehen hat“, das ist der Herr selbst in seiner richterlichen Macht und Autorität. Diese seine Herrlichkeit als Richter ist im ersten Kapitel beschrieben.
II. „Das, was ist“: Die Geschichte der christlichen Kirche, so wie der Herr sie als unter Verantwortlichkeit und als das göttliche Zeugnis auf der Erde sieht vom Pfingsttag an bis zur Entrückung der wahren Kirche (Philadelphia) und dem Ausspeien der falschen Kirche (Laodicäa). Dieses prophetische Bild der Entwicklung der Christenheit finden wir im 2. und 3. Kapitel.
III. „Das, was nach diesem geschehen wird.“ Von Kapitel 4 an wird uns mitgeteilt, was nach dem Abschluss der Geschichte der Kirche, also „was nach diesem“ geschehen muss. In Kapitel 4 und 5 sehen wir also die Gläubigen der Gnadenzeit im Himmel und vom 6. Kapitel an beginnen dann die Gerichte der Endzeit. Die himmlische Familie wird von da an in dem Bild der vierundzwanzig Ältesten gesehen; sie stehen vor dem Thron Gottes und sind im Himmel in völliger Sicherheit, wenn die Züchtigungen Gottes die gottlose Erde treffen. Von da an tragen die Gläubigen auf der Erde, z. B. in Kapitel 6,11 einen Charakter, der der Kirche der Gnadenzeit keineswegs entspricht, wohl aber den Juden, denn die Sprache ist die des jüdischen gläubigen Überrestes, wie er uns besonders in den Psalmen vielfach vor Augen gestellt wird. - Endlich lesen wir öfters, z. B. in 1. Thessalonicher 3,13; Kolosser 3,4; Sacharja 14,5; Judas 14, dass der Herr bei seiner sichtbaren Erscheinung zum Gericht von allen seinen Heiligen begleitet sein wird, dass diese demzufolge mit Ihm vom Himmel herabkommen werden. So müssen sie doch vorher zu Ihm hin entrückt worden sein. Außerdem werden sie ja vor seiner Erscheinung mit Ihm in Herrlichkeit im Himmel die Hochzeit des Lammes feiern (Off 19,7–9). Auch dies macht eine frühere Entrückung derselben notwendig. Hiervon wird in einem besonderen Abschnitt noch die Rede sein.
Mit diesen Ausführungen wollen wir natürlich nicht bestreiten, dass wir nicht auch durch ernste Prüfungs- und Gerichtszeiten gehen können; denn auch uns ist gesagt, „dass wir durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen müssen“ (Apg 14,22). Man denke nur an die Schrecken und das Grauen des zweiten Weltkrieges, vor denen auch die Gläubigen nicht verschont blieben. Dennoch – durch die im Wort Gottes selbst so bezeichnete „große Drangsal“, „wie sie seit Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist, und auch nicht wieder sein wird“ (Mt 24,21), werden wir nicht zu gehen haben. Der Name des Herrn sei dafür gepriesen!
Herr, du
bist vorangegangen,
unsre Stätte ist bereit;
kommst zurück, uns zu empfangen
und zu enden alles Leid.
Eh' noch die Gerichte toben,
werden wir zu dir erhoben;
eh' der Tag des Zorns erscheint,
hast du uns mit dir vereint.