Die Entrückung der Versammlung
Wie findet die Entrückung statt?
„Die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden“ (1. Thes 4,16.17).
„Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden“ (1. Kor 15,51.52).
Mit diesen knappen, schlichten Worten beschreibt der Apostel den großen, überaus herrlichen Vorgang. Die einfachen und nüchternen Worte enthalten bei tieferem Nachdenken in jedem einzelnen Ausdruck eine Fülle göttlicher Herrlichkeiten.
Wie viel sagt doch schon das erste Wort: „Der Herr selbst wird wiederkommen!“ Ja, wie kostbar ist das, Er selbst, Er persönlich, wird wiederkommen. Er selbst will uns abholen. Er wird nicht Abgesandte senden, wie Hochgestellte zu tun pflegen; nein, Er will selbst kommen, wie Er verheißen hat. Wir können mit Recht sagen, diese Ankunft ist seine intimste Privatangelegenheit. Der kommende Bräutigam kann und will seine Liebe nicht mit anderen teilen oder auf andere übertragen; darum kommt Er bei seiner Rückkehr nur in die Lufthülle der Erde, nicht auf dieselbe herab. Keine Unberufenen werden Zeugen dieses wunderbaren Zusammentreffens von Bräutigam und Braut sein. Dieses „Er selbst“ enthüllt uns die ganze Tiefe seiner Liebe denen gegenüber, die Er so teuer erkauft hat. Es spricht von Sorgfalt, Zuneigung und Treue, die Er für die Seinen hat.
Gewiss, seine Engel sind fortwährend gesandt, um den Seinen zu dienen und sie vor den finsteren Mächten der Bosheit zu schützen und in Gefahren zu bewahren, aber den herrlichen Akt unserer Entrückung behält Er sich selbst vor. Es wird die Krönung seiner großen Liebe sein, die restlose Erfüllung der Ratschlüsse Gottes in Gnade und seines Sehnens. Sicherlich ist es schwer zu sagen, wessen Freude größer sein wird, die seine oder die unsrige.
Ja, Er selbst wird kommen, nicht mehr in Niedrigkeit, sondern in himmlischer, unverhüllter Herrlichkeit und in göttlicher Kraft, „mit gebietendem Zuruf“. Mit den drei folgenden Bildern beschreibt der Heilige Geist die Stimme des Herrn in jenem großen Augenblick, die allein die Auferweckung der Entschlafenen und die Entrückung aller zu Ihm hin bewerkstelligen wird. Alle Ausdrücke sollen die Kraft seiner Stimme veranschaulichen. Der „gebietende Zuruf“ deutet den Autoritätscharakter und die Allmacht seiner göttlichen Stimme als die des Herrn und Schöpfers alles Seins und Lebens an. Es ist dieselbe gebietende Stimme, die Leben hervorkommen lässt, die einst das Weltall aus dem Nichts ins Dasein rief: „Er sprach, und es war; er gebot, und es stand da“ (Ps 33,9). Dieselbe Stimme rief Lazarus aus dem Grab: „Lazarus, komm heraus!“ (Joh 11,43). Durch den Ruf der gleichen Stimme wird in der Zukunft die alte Schöpfung vergehen und einer neuen Platz machen. Genauso wird seine Stimme bei seiner Ankunft in großer Macht gehört und von allen wahrgenommen werden, die des Herrn sind. Alle werden ihr unverzüglich folgen. Seine lebendig machende Stimme wird auch die Toten in Christus erreichen; sie werden aufwachen und aus den Gräbern auferstehen. Wie von einem mächtigen Magnet werden die entschlafenen und lebenden Gläubigen unwiderstehlich angezogen und zu Ihm gebracht werden. Wie könnte es denn auch anders sein?
„Die Stimme eines Erzengels“ will lediglich die übermenschliche Kraft und den über irdische Begriffe hinausgehenden Charakter der Stimme des Herrn kennzeichnen. Sie will keineswegs, wie manche annehmen, die Begleitung eines Erzengels andeuten, als ob der Herr ihn benötigte! Wozu auch, übertrifft doch seine lebendig machende Stimme alle Stimmen des Himmels und der Erde. Könnte überhaupt die Stimme eines Erzengels eine solche Wirkung haben? Sicherlich nicht! Übrigens kennt Gottes Wort nur einen einzigen Erzengel, Michael, den Fürsten Israels. Wie kann man diesen mit der Entrückung der christlichen Gemeinde verbinden? Seine Aufgabe ist allein die Aufsicht über das alte Bundesvolk Israel. Und wie schon gesagt, die Entrückung ist restlos eine Privatangelegenheit des Herrn.
Die „Posaune Gottes“ illustriert den Charakter eines überall hörbaren Signals, das von keinem, den es angeht, überhört werden kann und das selbst in die Gräber hineindringt. Manche glauben nun, weil in 1. Korinther 15,52 von der „letzten Posaune“ die Rede ist, dass es sich um die letzte der sieben Posaunen in Offenbarung 8–11 handle. Diese Ansicht stützt sich auf das Wort in Offenbarung 10,7, wo von der Vollendung des Geheimnisses Gottes in der Zeit der siebten Posaune die Rede ist. Es kann sich jedoch dort gar nicht um die christliche Gemeinde des Herrn handeln, die zu jenem Zeitpunkt durch die Entrückung schon vollendet ist, sondern um die Vollendung des Geheimnisses, das Israel betrifft, das gleiche Geheimnis, von dem Paulus in Römer 11 redet.
Paulus wusste ja gar nichts von diesen sieben Posaunen, da die Offenbarung dem Johannes erst lange nach dem Tod des Apostels Paulus gegeben wurde. Zudem sind die Posaunen in der Offenbarung Gerichtsposaunen, die von Engeln geblasen werden. Die Posaune bei der Entrückung wird dagegen „Posaune Gottes“ genannt – dies ist eine besondere Gnadenposaune. Sie ist eine Posaune der Freude und des Glücks und hat auch wirklich gar nichts mit einem Gericht zu tun. Das Bild der „letzten Posaune“ ist eines der gerade im ersten Korintherbrief häufigen Bilder aus dem römischen Lagerleben. Korinth war bekanntlich eine römische Garnisonsstadt. Dort wurden zum Marsch mehrere Trompetensignale gegeben, das erste zum Abbruch des Lagers, das zweite zur Sammlung in Marschordnung und endlich das letzte: marschieren! Ähnliche Signale wurden auch beim Volk Israel zum Weiterwandern durch die Wüste durch Signale mit silbernen Posaunen gegeben (4. Mo 10). Nun, wir können auch von solchen Posaunenzeichen, von mächtigen Appellen an die Christenheit reden. Das erste Signal kann schon die Verkündigung des Evangeliums genannt werden, die Aufforderung an den Menschen, aus dem Lager der Sünde auszugehen, sich zu bekehren und die alten sündigen Beziehungen abzubrechen. Die zweite Posaune ist die Verkündigung der Rückkehr des Herrn Jesus Christus, die immer wieder und immer deutlicher und dringender ertönt, und die Herz und Gewissen erreichen und verändern kann, wenn man ihr zuhört. Es fehlt nur noch das letzte Signal, die Stimme des Herrn selbst, das Marschkommando.
In Offenbarung 4 lesen wir: „Und die erste Stimme, die ich wie die einer Posaune mit mir hatte reden hören, sprach: „Komm hier herauf“ (V. 1). Die „erste Stimme“ ist ebenfalls die Stimme des Herrn, sie ertönt „wie die einer Posaune“. Sie wird auch nicht auf der Erde gehört, sondern ertönt vom Himmel.
Sollte dieser ernste, heilige Ruf uns nicht alle, Brüder und Schwestern, von allem Irdischen lösen, dass wir als eine geheiligte Schar, den Blick nach oben gerichtet, Ihn, den Kommenden, erwarten und Ihm entgegengehen?!
Ja, die Stimme des Herrn und Schöpfers wird erschallen und alle, die sein sind, zu sich rufen, sie wird zu allen hingelangen und von allen gehört werden. Er wird die schon entschlafenen Gläubigen zuerst aus den Gräbern rufen, mögen deren Körper als solche auch längst verwest sein und dann die in Christus Lebenden. Beide werden zugleich miteinander in Auferstehungskörpern – unsterblich und unverweslich – zu Ihm hin in die Luft emporgehoben. Das wir ein wunderbarer Vorgang sein! Alle Seelen der heimgegangenen Gläubigen werden dann wiederum einen Körper empfangen, einen neuen, ewigen, herrlichen Körper, der für den Himmel bereitet sein wird. Der Körper wird auch dann wieder von menschlicher Gestalt sein; auch der Herr Jesus nachseiner Auferstehung, sowie Mose und Elia auf dem Berg hatten eine menschliche Gestalt. Es wird aber ein verwandelter Körper sein, ein Körper, der Sünde, Krankheit, Leiden und Entstellungen nicht mehr kennt. Der Herr selbst trägt sogar seine Wundmale an seinem neuen Körper, verherrlichte Zeichen eines Siegers und Überwinders; darum sieht Ihn Johannes als das Lamm „wie geschlachtet“ (Off 5,6).
Stofflich aber wird der ewige herrliche Körper ein ganz neuer, anders gearteter sein. Er wird nicht mehr wie der sterbliche Körper aus Fleisch und Blut sein und darum keine Nahrung mehr brauchen, sondern wie der des Herrn nach seiner Auferstehung nur aus Fleisch und Gebein bestehen (Lk 24,39), d. h. stofflicher Gestalt sein, aber ohne Blut. Denn das Blut ist, wie das Verbot des Blutessens zeigt (3. Mo 17,11), der Träger des irdischen, vergänglichen, materiellen Lebens, das durch Nahrungsaufnahme ständig erhalten werden muss und schlussendlich Tod und Verwesung unterliegt. Mit dem Verlust oder der Zersetzung des Blutes endet bekanntlich auch das irdische Leben.
Im neuen Körper wird es nicht mehr so sein, das neue Leben wird kein materielles mehr sein, d. h. nicht mehr an stoffliche Veränderungen gebunden, sondern ein geistiges sein. Wie der Herr selbst wohl essen und trinken konnte, aber es nicht brauchte, so auch wir; wir werden im neuen Körper nicht mehr an Stofflichkeit, Raum oder Zeit gebunden sein.
Aber noch mehr, wir werden „in einem Nu“ von der Erde in den Himmel, in die Gegenwart des Herrn selbst entrückt sein, um Ihn von Angesicht zu sehen. Er wird uns in das Haus des Vaters einführen: „Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat“ (1. Thes 4,17; Heb 2,13; 1. Joh 3,2). Dazu werden wir nicht nur einen verwandelten, unsterblichen Körper haben, sondern auch mit der himmlischen Herrlichkeit selbst überkleidet werden (2. Kor 5,1–4). Hat Er uns nicht in seinem letzten Gebet gesagt, dass wir seine Herrlichkeit sehen sollen? (Joh 17,24). Dazu müssen wir seinem Bild gleichförmig sein, sonst könnten wir Ihn nicht anschauen. Selbst die Engel, die fortwährend in Gottes Gegenwart sind, können dies nicht und müssen vor Ihm ihre Angesichter verhüllen (Jes 6). Wie genau es sein wird, wissen wir nicht, aber die Tatsache, dass wir Ihn sehen werden verspricht uns eine Zukunft von höchster himmlischer Herrlichkeit. Darum muss der staunende Seher ausrufen, und wir dürfen es mit ihm: „Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat!“ (1. Joh 3,1.2). Ja, so werden wir allezeit bei Ihm und vor dem Vater sein!
Weit vorgerückt ist schon die Nacht der Tränen;
der Morgen naht, er stillt mein heißes Sehnen,
wann, Herr, mein Auge dich erblickt.
O sel'ge Stund' voll Wonne und Entzücken,
wenn deine Braut dir wird entgegenrücken!
«Er ist's» frohlockt dann jeder Mund.
Ja, dann ist fern, was hier mich je beschweret;
ich hab' genug, hab' was mein Herz begehret,
hab' dich, o Jesu, meinen Herrn.
In deiner Näh' genieß ich Wonn' und Frieden;
nie wird mein Mund in deinem Lob ermüden.
O Jesu, dass ich heut' dich säh'!