Die Entrückung der Versammlung
Die Verheißung seiner Rückkehr
„Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh 14,2.3).
Die beiden oben erwähnten Bilder von der engen Verbindung zwischen dem Herrn und seiner Versammlung, das des Hauptes und des Leibes und das des Bräutigams und der Braut setzen voraus, dass wir auch da sein müssen, wo Er ist, d. h. im Himmel, wo Er jetzt zur Rechten des Vaters sitzt. Er kam zu uns herab, wurde Mensch, und nahm an unserer statt den Platz im Gericht über die Sünde ein (Jes 53,4.5). Er hat uns durch sein Blut teuer erkauft (1. Kor 6,20), und darum wünscht Er nun, dass wir bei Ihm sein sollen, Ihm gleich, da wo Er ist. Dazu hat Er auch, bevor Er zurück in den Himmel ging, eine Verheißung gegeben, die Er in seinem Gebet in Johannes 17, 20–24 auf alle die ausdehnt, die aus Glauben der Versammlung hinzugetan werden: In Vers 24 drückt Er seinen großen sehnlichen Wunsch in der Bitte aus: „Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast, denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt“. Könnte es Größeres als dieses geben? Es ist sein ausdrücklicher Wille, der erfüllt werden muss und auch von Ihm selbst erfüllt werden wird. Im Glauben und in der engen Gemeinschaft mit Ihm dürfen wir den Genuss dieser herrlichen Aussicht heute schon haben. Darum schreibt Paulus an die Epheser: „Gott hat uns mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern“ (Kap. 2,6), nicht, Er wird uns mitsitzen lassen.
Damit aber diese Verheißung erfüllt werden kann, musste Er, wie Er selbst sagte, zuerst „hingehen, um die Stätte zu bereiten“. Natürlich meinte Er nicht, dass die Stätte selbst als solche bereit gemacht werden müsse, sondern dass der Weg dorthin geöffnet werden musste, denn der Himmel war als Aufenthaltsort für Menschen verschlossen und außerdem waren sie in keinem für den Himmel passenden Zustand. Alles dies ist erst durch sein Versöhnungswerk am Kreuz ermöglicht und durch die Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn für uns ehemals Verlorene herrliche Tatsache geworden. Als Mensch in körperlicher Gestalt und nicht bloß als Geist – wie Er dies vor seiner Menschwerdung gewesen war – ist Er auferstanden und in den Himmel zurückgekehrt. Als wirklicher, wahrer Mensch sitzt Er jetzt zur Rechten des Vaters, und eben dadurch ist der Himmel auch für die glaubenden Menschen zum Aufenthaltsort im Haus des Vaters geworden.
Als Menschen haben Ihn die Jünger auf dem Ölberg auffahren sehen zum Himmel, und als Mensch thront Er jetzt zur Rechten des Vaters. Johannes sieht Ihn in Gestalt eines Menschen als Richter (Off 1,13; 19,11) und als geschlachtetes Lamm inmitten des Thrones (Kap. 5,6). Wie wäre das möglich, es sei denn in Menschengestalt? Hätte Er etwa als bloßer Geist sagen können: „Ich war tot und siehe, ich bin lebendig?“ Könnte Er anders als in Menschengestalt die Zeichen seiner Tötung an seinem Körper tragen, wie Johannes es in Offenbarung 5 sieht und woran Ihn einst auch die Menschen auf der Erde erkennen müssen? (Off 1,7; Sach 12,10). Nein, unmöglich!
Wie die Jünger Ihn als Mensch in den Himmel auffahren sahen, genauso wird Er wiederkommen, wie die zwei Engel damals die Verheißung des Herrn bestätigten (Apg 1,11). Allerdings wird Er bei seinem Wiederkommen mit himmlischer Herrlichkeit angetan sein. Welche große, herrliche, selige Verheißung! Er wird wiederkommen, um uns zu sich in das Haus des Vaters zu nehmen. Welche kostbare Zuversicht! Gibt es etwas, das sicherer ist, als was Er verspricht? Seine Zusage in Bezug auf seine Rückkehr ist in der Bibel so vielfältig verankert! (vgl. 2. Kor 1,18–21; Röm 8,31–39; Joh 10, 27–30; Heb 6,13–20).
Allerdings haben weder der Herr selbst noch die beiden Engel das Geringste über den Zeitpunkt seiner Rückkehr mitgeteilt. In seinem Schreiben an Philadelphia und in seinen Schlussworten in Offenbarung 22,7.12.20 sagt der Herr lediglich: „Ich komme bald“, aber auch nicht mehr. Bald? Seitdem sind mehr als 2000 Jahre vergangen! Ja, für Ihn, für den es keine Zeitrechnung gibt, ist es ein wirkliches „Bald“, denn Er sehnt sich danach. Nur für uns Menschen scheint es lange, sehr lange zu dauern, weil wir im Warten so schnell müde werden. Von seiner Seite aus ist es nur Gnade und Langmut, wenn Er so lange wartet. „Dies eine aber sei euch nicht verborgen, Geliebte, dass ein Tag bei dem Herrn ist wie tausend Jahre, und tausend Jahre wie ein Tag. Der Herr zögert die Verheißung nicht hinaus, wie es einige für ein Hinauszögern halten, sondern er ist langmütig euch gegenüber, da er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen“ (2. Pet 3,8.9).
Gerade darum, weil Er weiß, wie schwer uns das Warten wird, verschweigt Er uns den Zeitpunkt seiner Rückkehr. Denn wie hätte diese Erwartung lebendig bleiben und ihre gesegnete Wirkung auf die Gläubigen ausüben können, wenn Generation um Generation gewusst hätte, dass Er zu ihren Lebzeiten nicht kommen werde? Er wünscht ja, dass wir allezeit bereit seien. Würden wir dies aber sein, wenn wir wüssten, Er kommt noch nicht? Es ist doch schon in irdischen Verhältnissen so, dass wir unsere erwartende, stets bereite Haltung nur durch das Bewusstsein der Nähe der Ankunft des Erwarteten aufrechterhalten können. Ach, leider ist trotz der Aufforderung zu ständiger Erwartung diese herrliche Hoffnung bald eingeschlafen und sogar verlorengegangen, und das schon bald nach dem Heimgang der Apostel. Schon in den Schriften ihrer unmittelbaren Nachfolger finden sich Anzeichen davon, dass die Augen der Christen sich vom Herrn weg und zu Menschen hingewandt haben und damit auch von seiner Erwartung! Damit war der Weg geöffnet für das Eindringen von allerlei Bösem und Irrtümern in die christliche Kirche.
Liebe Leser, wir wollen den Herrn im lebendigen Glauben erwarten; denn es gibt keinen besseren Schutz gegen die Vermischung mit Bösem und geistliche Schläfrigkeit als die ständige lebendige, bewusste Erwartung seiner Ankunft und die Gewissheit, in die Gegenwart seiner himmlischen, heiligen Herrlichkeit zu treten. (vgl. 1. Joh 3,3: „Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist“. Die Hoffnung hat eine reinigende Wirkung. Es ist nicht etwa umgekehrt; nicht wer sich reinigt, darf diese Hoffnung haben, sondern wer diese Hoffnung hat, reinigt sich.)
Alle angestellten Berechnungen des Zeitpunktes waren vergeblich und werden immer vergeblich sein. Ja, wir dürfen ruhig sagen, sie sind alle falsch, denn es sind uns ja keinerlei Anhaltspunkte dazu im Wort Gottes gegeben. Alle zahlenmäßigen Zeitangaben in der Bibel haben allein Bezug auf Israel, niemals aber auf die Versammlung. Nur bis auf die Zeit der Geburt des Christus lässt sich mit einiger Schwierigkeit eine Zeitrechnung aufbauen, von da an hören alle Angaben auf, und erst für die Endzeit, in der Israel wieder als Zeugnis für Gott eingesetzt sein wird, sind wieder Zahlen genannt. Die Gnadenzeit der christlichen Versammlung dagegen ist eine Einschaltung, für die keine solchen Angaben gemacht werden konnten, eben der ständigen Erwartung wegen. Wir sollen allezeit bereit sein und nicht Berechnungen anstellen.
Für die gegenwärtige Zeit der Gnade ist dies von allergrößter Wichtigkeit. Davon schreibt Petrus: „Er ist langmütig euch gegenüber, da er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen“ (2. Pet 3,9). Seine Gnade wartet immer noch, um zu erretten, den, der sich retten lässt. Wollen wir Ihm denn Schranken setzen, wo Er selbst keine gesetzt hat? Ja, so kommen uns solche Berechnungen vor, als würde man der Gnade Schranken setzen und ihr die Möglichkeiten abschneiden, oder Gott Vorschriften machen, wann Er nach Menschenmeinung kommen solle. Darum stellen wir keine Berechnungen an! Nur eines können und sollen, ja müssen wir heute sagen: Die Gnadenzeit kann nicht mehr lange währen, denn alle Entwicklungen und Ereignisse zeigen, dass wir in der letzten Zeit leben.
Es gibt auch keine Merkmale, d. h. Ereignisse, die noch vor der Entrückung erfolgen müssten. Allerdings sehen wir die Entwicklung von Umständen vor uns, die uns für die Endzeit nach der Entrückung als fertige Tatsachen beschrieben sind, z. B. die Rückkehr der Juden in ihr Land, das Wachstum des antichristlichen und des römischen Welt- und Machtgeistes, die Bewegung zur Bildung späterer Staatengruppen, aber alles, ohne dass bestimmte Schlüsse auf Zeitpunkte möglich wären. Wie oft nimmt der Verlauf eine ganz andere, ja sogar scheinbar rückläufige Wendung, was beweist, dass die Stunde des Gerichts, die Stunde, die Er sich selbst vorbehält, noch nicht gekommen ist.
Einen einzigen Umstand nennt Gottes Wort, der erfüllt sein muss, bevor der Herr kommt: die Vollzahl der Nationen muss eingegangen sein (Röm 11,25). Bevor dies erreicht ist, wird der Herr allerdings nicht kommen, aber sobald die letzte Seele errettet sein wird, wird Er auch nicht einen Augenblick zögern zu kommen. Aber diese Vollzahl ist uns völlig unbekannt, sie ist in Gott verborgen (vgl. Mk 13,32). Selbst wenn wir sie wüssten, könnten wir sie doch unmöglich errechnen. Wir kennen ja längst nicht alle unsere miterlösten Zeitgenossen – von denen z. B. viele den Schritt zum öffentlichen Bekenntnis nicht wagen –, noch weniger diejenigen der vergangenen Jahrhunderte. Außerdem kennen wir die Herzen nicht, um mit Sicherheit beurteilen zu können, wer dem Herrn angehört und wer nicht. Wir würden manche mitzählen, die der Herr trotz alles frommen Anscheines nicht anerkennen wird, weil sie nur „törichte Jungfrauen“, bloße Mitläufer sind. Andererseits würden wir viele übersehen, die der Herr als sein Eigentum anerkennt, weil wir nicht in die Herzen sehen können wie Er. Denken wir z. B. nur an den treuen Überrest in Thyatira, d. h. in der römisch-katholischen Kirche, von denen Er sagt: „Ich werfe keine andere Last auf euch; doch was ihr habt, haltet fest, bis ich komme“ (Off 2,24). So bleibt es unsere ausdrückliche Aufgabe, zu verkündigen, dass in keinem anderen außer in dem gekreuzigten Jesus Christus das Heil ist und dass sein Kommen jederzeit bevorsteht. Wir wollen den Herrn täglich erwarten und durch treue Erfüllung unserer himmlischen Aufgabe auf der Erde dazu beitragen, dass der Augenblick der Ankunft unseres Herrn beschleunigt wird (2. Pet 3,11.12); beides gehört zusammen.
Wir blicken mit Verlangen, Vollendeter, ans Ziel dir nach;
du bist vorangegangen, erfüllt wird, was dein Mund versprach:
Die Stätte zu bereiten in unserm Vaterland,
uns an das Ziel zu leiten mit treuer Hirtenhand.
So ist uns nicht verborgen, noch dunkel Gottes Plan,
bald strahlt ein schön'rer Morgen mit vollem Licht uns an.