Im Paradies
Mit Paulus im Paradies
„... ich will aber auf Gesichte und Offenbarungen des Herrn kommen. Ich kenne einen Menschen in Christus, vor vierzehn Jahren (ob im Leib, weiß ich nicht, oder außerhalb des Leibes, weiß ich nicht, Gott weiß es), einen Menschen, der entrückt wurde bis in den dritten Himmel. Und ich kenne einen solchen Menschen (ob im Leib oder außerhalb des Leibes, weiß ich nicht, Gott weiß es), dass er in das Paradies entrückt wurde und unaussprechliche Worte hörte, die ein Mensch nicht sagen darf. Über einen solchen werde ich mich rühmen; über mich selbst aber werde ich mich nicht rühmen“.
2. Korinther 12,1-5
Ein Mensch in Christus
Da verkehrte Lehrer und falsche Apostel in Korinth Eingang fanden, sah Paulus sich genötigt, Stellung gegen sie zu beziehen. Diese betrügerischen Arbeiter rühmten sich „nach dem Fleisch“, d. h. es ging ihnen um ihre eigene Herkunft, ihre Ehre und ihr Ansehen als natürliche Menschen. Paulus wollte sich jedoch nicht über sich selbst rühmen, sondern nur über einen „Menschen in Christus“.
Was ist damit gemeint? Wenn jemand durch den Glauben mit Christus verbunden ist, so sieht Gott ihn nicht mehr in seinem natürlichen Zustand als Kind Adams. So jemand ist „in Christus“, d.h. er ist eng mit Ihm verbunden, mit Ihm vereinigt. Er steht vor dem Angesicht Gottes auf einer neuen Grundlage, dem Gebiet der Auferstehung und des Geistes des Lebens in Christus Jesus (Rö 8,1.2). So ist daher der, der in Christus ist, „eine neue Schöpfung“ - und das ist das Einzige, was für den Apostel zählte (2. Kor 5,16.17; Gal 6,12-16).
Beim Rühmen über die Person - einen Menschen in Christus - geht es also nicht um uns selbst, unsere eigene Ehre oder unseren eigenen Stand. Das verschwindet alles im Licht der Erkenntnis Christi, die all das übersteigt (Phil 3,8). Es geht daher nicht um spektakuläre Erfahrungen, die wir machen (eine „Himmelfahrt“ oder sogar - wie manche das beanspruchen - eine „Höllenfahrt“), wobei man sich auf außerbiblische Offenbarungen berufen kann. Das ist völlig unbedeutend und sogar irreführend. „Ein Mensch in Christus“ verdankt alles Christus, seinem Tod und seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt. Darauf muss daher auch aller Nachdruck gelegt werden; das charakterisiert unsere neue Stellung als Gläubige. Wir sind mit Christus gekreuzigt, gestorben und begraben, aber auch mit Ihm auferweckt und in Ihm sogar in die himmlischen Örter versetzt. „Ein Mensch in Christus“ ist in Ihm vollkommen vor Gott gestellt (Eph 1,4-6; 2,6). Es ist nicht der Platz des natürlichen Menschen, der gefallenen Menschenkinder. Es ist der Platz aller, die in Christus sind und die mit Ihm einsgemacht sind.
Im Prinzip ist dies also bereits jetzt die Stellung jedes wahren Gläubigen als „eines Menschen in Christus“. Bald wird jedoch die Herrlichkeit der Stellung offenbart werden. Deshalb wartet die Schöpfung mit sehnlichem Harren auf die Offenbarung der Söhne Gottes (Rö 8,19). Wir leiten unsere Stellung vor Gott von dem himmlischen Menschen ab, mit dem wir verbunden sind, denn „wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen“ (1. Kor 15,48). Bei der Wiederkunft Christi wird das in Herrlichkeit gesehen werden, auch was unseren Leib betrifft. Wie wir das Bild des ersten Menschen, des stofflichen und sterblichen Adams, getragen haben, so werden wir auch das Bild des letzten Adams, des verherrlichten Menschen im Himmel, tragen (1. Kor 15,49).
Bei Paulus ging es wirklich um „Gesichte und Offenbarungen des Herrn“ (2. Kor 12,1), die er als „ein Mensch in Christus“ erlebt hatte. Es waren keine Einbildungen oder menschlichen Erfindungen. Und ich denke, dass es auch einen Zusammenhang mit der Berufungsvision des Apostels gibt, wie wir das im Buch Apostelgeschichte finden (Apg 9; 22; 26). Als ihn das Licht aus dem Himmel umstrahlte, begriff Paulus zum ersten Mal, dass der Jesus, den er verfolgte, als Haupt im Himmel mit allen vereinigt war, die Ihm hier auf der Erde angehörten. Christus lebt in den Gliedern seines Leibes auf der Erde, und umgekehrt sind sie mit Ihm als ihrem Haupt im Himmel vereinigt. Christus in uns, und wir in Christus: Das ist das Geheimnis der Versammlung, dessen Verwaltung Paulus empfangen hatte.
Das Paradies und der dritte Himmel
Paulus rühmte sich selbst nicht über die Offenbarungen, die er empfangen hatte, im Gegensatz zur Publizität, die derartige Paradieserfahrungen jetzt manchmal bekommen. Er sprach nur sehr selten darüber. Es war bereits vor vierzehn Jahren, dass er in den dritten Himmel entrückt worden war (eine Zeitspanne, die bemerkenswerterweise auch in Galater 2,1 vorkommt).
Der Apostel gab Christus die Ehre, die Ihm zustand, indem er sich selbst nur als „einen Menschen in Christus“ bezeichnete. Als Folge des Werkes Christi sind alle wahren Gläubigen mit Ihm im Himmel vereinigt. Das himmlische Haupt vergegenwärtigt seine Glieder. Wo Er ist, sind auch wir vor dem Angesicht Gottes. Als „Menschen in Christus“ sind wir in Ihm begnadigt und sogar in dem Geliebten angenehm gemacht. Der Platz aller wahren Gläubigen ist daher im dritten Himmel, und das wird bald bei der Aufnahme der Versammlung völlige Wirklichkeit werden.
Der dritte Himmel ist der „Himmel der Himmel“ (Ps 148,4), das ist der unmittelbare Wohnort Gottes. Wir können hierbei an die Einteilung des Tempels und der Stiftshütte denken: Nach dem Vorhof und dem Heiligen folgte das Allerheiligste oder das „Heilige des Heiligen“. Das war der Ort, wo Gott thronte und wo am großen Versöhnungstag durch das Blut des Sündopfers, das vom Hohenpriester ins Heiligtum gebracht wurde, Versöhnung geschah (3. Mo 16; Heb 13,11).
Anschließend sagt der Apostel, dass er auch in das Paradies aufgenommen wurde (2. Kor 12,3.4). Ich denke nicht, dass mit dem Paradies ein völlig anderer Ort als der dritte Himmel gemeint ist, worüber er zuerst gesprochen hat; vermutlich ist es ein Teil des dritten Himmels. Es geht um dieselbe Person (ein Mensch in Christus), und Paulus wiederholt lediglich, dass er nicht weiß, ob es im Leib geschah oder außerhalb des Leibes. Beim Paradies (das ist ein ummauerter Raum, ein Lustgarten) geht es besonders um den Genuss und die Segnungen dieses Ortes. Dieser Himmelsgarten ist voll von der Herrlichkeit Gottes. Daher die Erwähnung der „unaussprechlichen Worte“, die dort zu hören sind. Auf ihre Bedeutung werden wir sogleich noch eingehen.
Entrückt im Leib oder außerhalb des Leibes
Paulus wurde in den dritten Himmel weggeführt oder weggerückt. Das muss eine plötzliche Erfahrung gewesen sein, wie das gebrauchte Verb „[weg]rücken“ oder „rauben“ auch angibt (vgl. Mt 11,12; Joh 10,12.28.29; Apg 8,39; 23,10; 1. Thes 4,17; Jud 23; Off 12,5). Diese „Wegführung“ kann eine Entrückung der Sinne, eine Verzückung des Geistes gewesen sein (vgl. Apg 22,17 und 2. Kor 5,13), aber es kann auch wirklich „im Leib“ geschehen sein. Die Geschichte des Evangelisten Philippus bestätigt, dass Letzteres nicht unmöglich gewesen ist, denn der Geist des Herrn nahm ihn weg - rückte ihn weg - so dass der Kämmerer ihn nicht mehr sah (Apg 8,39).
Dies ist wichtig für unser Thema, weil wir als Gläubige bald gemeinsam plötzlich von der Erde weggenommen werden und dem Herrn in die Luft entgegengehen werden. Das ist dann keine Ekstase, keine Verzückung des Geistes. Das wird durchaus „im Leib“ stattfinden: nämlich in dem verwandelten Leib der Lebenden, die bis zur Ankunft des Herrn übrig bleiben, bzw. im auferweckten Leib der durch Jesus Entschlafenen. Das geschieht nach den Worten des Apostels bei der „Aufnahme“ der Versammlung (1. Thes 4,15-17). Die Versammlung wird unerwartet von der Erde weggenommen werden. Manche Übersetzungen sprechen daher auch nicht von der „Aufnahme“, sondern von der „Entrückung“ der Versammlung (engl. „rapture“, ndl. „wegvoering“, span. „arrebatamiento“).
Paulus sagt zweimal, dass er wirklich nicht weiß, ob es im Leib oder außerhalb des Leibes geschehen ist, „Gott weiß es“ (2. Kor 12,2.3). Das war nur Gott bekannt. Von Johannes wird allerdings im letzten Bibelbuch einige Male gesagt, dass er „im Geist“ war oder im Geist verzückt wurde (Off 1,10; 4,2; 17,3; 21,10). Das geschah also offensichtlich außerhalb des Leibes, obwohl alles, was er sah und hörte, nachdem er in den Himmel „heraufgestiegen“ war (Off 4,1), sehr genau wahrgenommen werden konnte. Doch Paulus wurde so plötzlich von der Erde „weggerückt“, dass er nicht feststellen konnte, ob es Verzückung des Geistes oder Wirklichkeit war (vgl. auch noch Apg 12,9). Es kann also alles beides wahr gewesen sein, und es ist biblisch gesehen auch alles beides wahr. Denn die entschlafenen Gläubigen sind bereits jetzt „außerhalb des Leibes“ mit Christus im Paradies, doch bald werden sie und auch wir alle, die Lebenden, die bis zur Ankunft des Herrn übrig bleiben, tatsächlich „im Leib“ in den dritten Himmel und in das Vaterhaus aufgenommen werden; und so werden wir allezeit beim Herrn sein!
Vier unaussprechliche Dinge
Dann dürfen wir - wer weiß wie bald - auch Zeugen der unaussprechlichen Worte sein, die es dort zu hören gibt. Paulus erwähnt nicht, von wem diese Worte ausgesprochen werden: von himmlischen Heiligen, von Engeln oder von Gott selbst. Das bleibt uns verborgen. Im letzten Bibelbuch hören wir allerdings von zahlreichen Mitteilungen und prophetischen Offenbarungen durch Personen im Himmel. Es geht dort offensichtlich nicht um dieselbe Kategorie von „unaussprechlichen Worten“. Nur das, was die sieben Donner redeten, musste Johannes versiegeln (Off 10,4).
Ebenso wenig können wir annehmen, dass Paulus diese „unaussprechlichen Worte“ nicht verstanden haben sollte. Im Gegenteil, es waren „außergewöhnliche“ oder „vortreffliche“ Offenbarungen, die er offensichtlich verstanden hat (2. Kor 12,7). Sonst hätte er auch keinen Dorn im Fleisch nötig gehabt, weil die Gefahr der Selbsterhebung und Selbstverherrlichung dann nicht vorhanden gewesen wäre. Vielleicht müssen wir dabei an die zahlreichen Offenbarungen denken, die Paulus hinsichtlich der Wahrheit über Christus und über die Versammlung bekommen hat, Geheimnisse hinsichtlich der Zukunft wie die Wiederherstellung Israels, die Aufnahme der Versammlung usw. Sehr viel davon hat er in den Briefen festgehalten. Ihr unaussprechlicher Charakter hat daher Bezug auf die göttliche, himmlische Art dieser Geheimnisse, wie sie im Paradies erfahren wird. Es ist einem Menschen auf der Erde nicht erlaubt, diese himmlische Erfahrung auszusprechen. Der Heilige Geist hat Paulus und die anderen Apostel jedoch hier auf der Erde bereits in die ganze göttliche Wahrheit eingeführt (Joh 16,13).
Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass der Apostel diese himmlischen Offenbarungen wirklich zur Kenntnis genommen hat, die wir alle bald völlig kennen lernen werden (1. Kor 13,12). Während er im dritten Himmel war, bedeutete der Genuss dieser Dinge auch keinerlei Problem. Doch sobald er wieder auf der Erde war, brauchte er einen Dorn in seinem Leib (möglicherweise ein Augenleiden; Gal 4,13-15), damit er sich nicht durch das Übermaß der Offenbarungen überhebe. Paulus war auf der Erde noch nicht vollkommen.
Die entschlafenen Gläubigen haben jedoch bereits jetzt im Paradies den vollständigen Genuss an diesen herrlichen himmlischen Dingen. Das Glück in dem Zwischenzustand unterscheidet sich seiner Art nach nicht von dem im ewigen Zustand. Unmittelbar nach dem Entschlafen ist der Christ ja bei Christus (Phil 1,23), und das macht seine Glückseligkeit aus. Die Schrift macht, was das betrifft, zwischen dem Zwischenzustand und dem ewigen Zustand keinen Unterschied. Das tut sie auch nicht im Blick auf die Ungläubigen: Der Ernst und der Charakter der Qualen im Hades und im Feuersee werden einander gleichgestellt.
Hier auf der Erde kommen wir übrigens nicht zu kurz, denn wir erfreuen uns schon jetzt an Christus mit „unaussprechlicher und verherrlichter Freude“ (1. Pet 1,8). Diese himmlische Freude ist nicht gut in Worte zu fassen, doch wir sehen ihren Glanz u.a. auf dem Angesicht des Stephanus (Apg 6,15; 7,55). Weiterhin können wir unserem Gott und Vater beständig für seine „unaussprechliche Gabe“ danken (2. Kor 9,15), nämlich für die Gabe seines geliebten Sohnes und für die Gabe des Heiligen Geistes (Joh 4,10). Wer könnte den Reichtum dieser göttlichen Gaben ermessen?
Darüber hinaus ist es der Geist selbst, der in der heutigen Zeit für uns bittet und mit „unaussprechlichen Seufzern“ fleht (Rö 8,26). Der innewohnende Geist verrichtet in unseren Herzen Fürbitte „Gott gemäß“, göttliche Fürbitte für „Heilige“ (Rö 8,27). Die unaussprechlichen Reichtümer des drei-einen Gottes stehen uns also bereits hier auf der Erde zur Verfügung!