Joseph, der Patriarch

Jakobs Schmerz und Trauer

Joseph, der Patriarch

1. Mose 37,31–36

„Und sie nahmen das Ärmelkleid Josephs und schlachteten einen Ziegenbock und tauchten das Ärmelkleid in das Blut; und sie schickten das lange Ärmelkleid hin und ließen es ihrem Vater bringen und sagen: Dies haben wir gefunden; erkenne doch, ob es das Ärmelkleid deines Sohnes ist oder nicht. Und er erkannte es und sprach: Das Ärmelkleid meines Sohnes! Ein böses Tier hat ihn gefressen. Joseph ist gewiss zerrissen worden! Und Jakob zerriss seine Kleider und legte Sacktuch um seine Lenden, und er trug Leid um seinen Sohn viele Tage. Und alle seine Söhne und alle seine Töchter machten sich auf, um ihn zu trösten; aber er weigerte sich, sich trösten zu lassen, und sprach: Denn trauernd werde ich zu meinem Sohn hinabfahren in den Scheol! Und sein Vater beweinte ihn.

Und die Midianiter verkauften ihn nach Ägypten, an Potiphar, einen Hofbeamten des Pharaos, den Obersten der Leibwache“ (37,31–36).

Der Heilige Geist hat uns in Joseph ein wunderbares wie auch ergreifendes Bild vom Herrn Jesus, unserem Heiland, gezeigt, bei dem alles lieblich und ohne Fehl ist, wie es uns das Brand- und Speisopfer „zum lieblichen Geruch für den Herrn“ zeigen (3. Mo 1–2). Jetzt werden uns andere Mitteilungen gemacht, die in Verbindung mit Joseph, dem Vorbild des Herrn Jesus, stehen.

Zunächst griffen die schuldbeladenen Brüder Josephs zur Lüge, um einerseits ihr belastetes Gewissen ihrem Vater Jakob gegenüber zu verbergen, und andererseits ihr Interesse an Joseph wie auch an ihrem Vater auszudrücken. Ein Ziegenbock wurde geschlachtet, das lange Ärmelkleid Josephs, das man zurückbehalten hatte, wurde in das Blut getaucht und durch einen Boten an Jakob gesandt. Sie ließen ihm sagen: „Dieses haben wir gefunden; erkenne doch, ob es das Ärmelkleid deines Sohnes ist oder nicht“. Welcher Hohn! Keine Rede von „unserem Bruder“ Joseph, wohl aber „deines Sohnes“, wobei der Gedanke sicher in ihren Herzen war: „...den du bevorzugt hast und ihn lieber hattest als alle deine Söhne“. „Mit ihren Zungen handeln sie trüglich“, „... die Bosheiten ersinnen im Herzen, täglich Kriege erregen! ..., Otterngift ist unter ihren Lippen... die Häupter derer, die mich umringen, – das Unheil ihrer Lippen bedecke sie! ... Der Mann von böser Zunge möge nicht feststehen im Land; der Mann der Gewalttat – das Böse möge ihn jagen bis zu seinem Sturz“ (Röm 3,13; Ps 140,3.4.10.12).

Da war weder Gefühl noch Erbarmen; ähnliches lesen wir von Kain, als er seinen Bruder ermordete: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“  (1. Mo 4,9). Er wirft Gott vor: Du hast Abels Opfer bevorzugt; du hättest ihn ja behüten können, wenn er dein Freund ist. Dieselben Gedanken liegen in den Lügenworten der Söhne Jakobs.

Jakob antwortete tief erschüttert und bewegt: „ Das Ärmelkleid meines Sohnes! Ein böses Tier hat ihn gefressen, Joseph ist gewiss zerrissen worden“ (1. Mo 37,33).

Wie hätte Jakob auch anders denken und urteilen können. Er konnte doch seine Söhne nicht mit dem Brudermörder Kain oder mit dem blutbefleckten Lamech auf einen Boden stellen, die im vierten Kapitel des ersten Buches Mose erwähnt werden, einem Kapitel, das mit einem Brudermörder anfängt und mit einem Doppelmörder schließt (1. Mo 4).

Wie manche Eltern haben, wie die ersten Eltern, oder wie Jakob hier, Tieftrauriges erlebt durch ihre Kinder! Wie manche Hiobsbotschaft erschütternden Inhalts musste in Empfang genommen werden, oft verbunden mit Lug und Trug, wodurch die Seele tief verwundet wurde, man aber zunächst unmöglich so etwas Schreckliches, Teuflisches, auch nur ahnen konnte, wie es hier bei Jakob auch der Fall war.

Jakob beugte sich unter die mächtige Hand Gottes (1. Pet 5,6). Wir finden kein Murren gegen Gott; er zerriss seine Kleider, als Ausdruck tiefsten Schmerzes und legte Sacktuch an. Er trauerte und trug Leid um seinen Sohn viele Tage, denn es war ein großer Verlust für ihn. Alle seine Hoffnungen und Erwartungen im Blick auf Joseph, den Sohn seines Alters, waren scheinbar zerronnen, er musste sie zu Grabe tragen. Welche große Glaubensprüfung für den alten Pilger! Das Bild wird noch trauriger und abscheulicher, das uns hinsichtlich des weiteren Verhaltens der Söhne Jakobs geschildert wird. Es findet sich im Wort Gottes wohl keine so tieftraurige, ja teuflische Familienszene, wie diese hier aufgezeichnete. Ihre Sünden und ihre Bosheit sowie ihre Lügen häuften sich. Wir kurzsichtigen Menschen möchten fragen: Wie konnte Gott ihr Tun dem Vater gegenüber so ruhig mitansehen?

Anstatt dem anklagenden Gewissen Gehör zu schenken, verabredeten sich die Brüder Josephs, den Vater zu besuchen und ihn zu trösten. Auch die Töchter Jakobs kamen, und da sie, soweit uns dies Gottes Wort mitteilt, nicht als Mitwissende belastet waren, ist anzunehmen, dass sie in ihren mehr weiblichen Gefühlen wirklich aufrichtiges Verlangen hatten, ihren Vater zu trösten. Wir haben es hier also mit zehn Söhnen zu tun, die das Maß ihrer Sünde noch voller machten, als es schon war. Welcher Art ihre Worte des Trostes in Verbindung mit dem angeblich gefundenen blutigen Kleid waren, teilt uns Gottes Wort nicht mit. Gott sieht die unfassbaren Tiefen menschlichen Verderbens, aber Er will sie nicht, wie wir Menschen und vor allem die Tageszeitungen, öffentlich zur Schau stellen. Gott allein ergründet Herzen und Nieren; wir wissen, dass der Mensch und auch der gläubige Mensch, zu allem fähig ist, und dass nur die Gnade allein uns zu bewahren vermag.

Ruben, der vorher noch Gefühle für Joseph und ein tätiges Gewissen gezeigt hatte, war jetzt als der Älteste und Verantwortungsvollste auch unter ihnen, und wie ihr Gewissen, war auch sein Gewissen wie mit einem Brenneisen gehärtet (1. Tim 4,2). Aber Jakob „weigerte sich, sich trösten zu lassen“. Er fühlte, dass der Trost nicht von der rechten Art war. Es bestand keine Geistesgemeinschaft zwischen dem gläubigen Jakob und seinen ungläubigen Söhnen, deren Herzen und Gewissen so schwer belastet waren. Gott konnte sie unmöglich als Tröster benutzen, denn „welche Gemeinschaft hat Licht mit Finsternis?“ (2. Kor 6,14).

Wir vernehmen nichts mehr von dem frommen Ruben (1. Mo 37,22.29.30), noch von Juda (V. 26). Beider Lampen waren erloschen, ohne Öl. Jakob war taub für alle ihre Tröstungen. Wenn Gott jemand als Tröster benutzt, dann sollte der Trost echt sein und von Herzen kommen, ohne viele Worte und ohne Zwang. Der Herr Jesus sprach vor den Toren Nains zu jener trauernden, trostbedürftigen Witwe nur zwei Worte: „Weine nicht!“. Doch vorher lesen wir, dass der Herr Jesus innerlich bewegt war. Ebenso tröstete Er alle seine trauernden Jünger und Jüngerinnen am Auferstehungstag. Er tröstet auch uns, heute und morgen, wie wir es bedürfen. In der Seele Jakobs war es Nacht geworden im Blick auf alle Hoffnungen und Erwartungen hinsichtlich Josephs. Er sprach: „Denn trauernd werde ich zu meinem Sohn hinabfahren in den Scheol! Und sein Vater beweinte ihn“ (1. Mo 37,35). Es heißt nicht ihr Vater!

So wird auch das Volk Israel ungetröstet bleiben und in Dunkel und Finsternis seinen Weg gehen, bis der Herr Jesus, von dem Joseph ein schönes Vorbild ist, erscheinen wird. Dann wird die Decke von ihren Augen und Herzen weggenommen werden. Dann wird es wieder Licht werden, und die Tage des Trauerns werden ein Ende haben. Gott wird sein Volk trösten (2. Kor 3,16; Jes 60,1–14.20; 66,13). Vor allen Dingen wird der König und Messias sich freuen. „Er freut sich über dich mit Wonne ... frohlockt über dich mit Jubel“ (Zeph 3,17; Jes 53,11–12). So tröstete Er auch in den Tagen seiner Verwerfung die Trauernden.

„Ein böses Tier hat ihn gefressen, Joseph ist gewiss zerrissen worden“ (1. Mo 37,33). Dies sind Bilder von der Macht Satans, des reißenden und brüllenden Löwen (Ps 22,14). Der Heilige Geist sagt im Blick auf Christus: „Hunde haben mich umgeben“ ... „gewaltige Stiere von Basan mich umringt“ ... „ eine Rotte von Übeltätern hat mich umzingelt“ ...  „Errette meine Seele von der Gewalt des Hundes ... rette mich aus dem Rachen des Löwen“ (Ps 22,17.21.22). Jakob stand unter dem tiefen Eindruck, dass Satan die Macht des Todes hat. Welche eindringlichen Hinweise auf die Leiden und den Tod des Christus! Und was Jakob ausspricht, das sollte auch unsere Seelen erfüllen!

Im Blick auf das blutgetränkte Ärmelkleid Josephs ist zu bemerken, dass Gott nicht ruhen wird, aller Welt zu zeigen, wer es war, der am Kreuz hing. Der Mann, der dort hing und dessen Untergewand verlost wurde, ist derselbe, der in der Offenbarung in einem in Blut getauchten Gewand, erscheint, und dessen Name heißt: das Wort Gottes (Off 19,13).

Aber so wie Joseph nicht in der Grube blieb, so blieb auch der Herr Jesus nicht im Grab. Gott rettete ihn für immer aus der Gewalt der Büffel. Er verherrlichte seinen geliebten Sohn und setzte Ihn zu seiner Rechten, wie wir es im Vorbild auch bei Joseph sehen. Gott hatte für Joseph einen Thron vorgesehen.

Mit den Lügen der Brüder Josephs endet 1. Mose 37, so schließt auch die Darstellung von der Verwerfung des Christus im Evangelium Matthäus 28,12–15 damit, dass seine Auferstehung als eine Lüge dargestellt wird. An dieser Lüge halten die Juden heute noch fest. Kein Mensch kann sie überzeugen, dass Christus tatsächlich ihr König und Messias ist, und dass Er lebt, so wie die Schriften es vorhergesagt haben und die Geschichte Josephs es im Vorbild klar und deutlich darstellt. Ihr Hass und ihre Bosheit sind immer noch dieselben; ihre unergründliche Abneigung gegen Christus besteht weiter. Wie wahr sind die Worte des Herrn: „Dies ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis“ (Lk 22,53). Dennoch haben auch viele aus den Juden an Jesus Christus geglaubt, wenn sie auch vieles um seines Namens willen leiden mussten. Auch Saulus von Tarsus war einer von ihnen und mit glühendem Hass gegen den Namen Jesus beseelt, aber später war der Apostel Paulus, wie kein anderer, mit brennender Liebe für den Herrn Jesus erfüllt.

Joseph wurde nach Ägypten an Potiphar verkauft, das war Gottes Weg. Gott blickte auf Joseph, denn „Er zieht seine Augen nicht ab von den Gerechten“ (Hiob 36,7). Wie unfassbar auch oft alles erscheinen mag; Er ist es, der Könige auf Throne setzt, der alles lenkt und wirkt. So darf auch der Gläubige rückhaltlos seinem Gott und Vater vertrauen; Er macht alles gut und bewahrt ihn mitsamt seinem Erbteil. Er belohnt Treue, Hingabe und Gottesfurcht. Die Geschichte Josephs zeigt dies klar und deutlich. Ehe wir die Betrachtung über dieses lehrreiche Kapitel schließen, wollen wir noch kurz eine allgemeine Übersicht geben, besonders über dessen prophetische Bedeutung:

Vers 1: Das erste Kommen des Christus sowie seine Verwerfung.

Vers 2: Die Geschichte Israels liegt in den Händen seines Messias', Jesus Christus. Joseph, der Zeuge der Wahrheit, ist Hirte in der Mitte Israels.

Vers 3: Der Vater gibt Zeugnis, dass Christus sein geliebter Sohn ist.

Vers 4: Je länger Christus in Israel wirkt, umso größer wird die Feindschaft.

Vers 5–10: Gottes Gedanken über Christus in den Schriften.

Vers 11: Selbst Gläubige werden irre und erfassen die göttliche Wahrheit nicht.

Vers 12–24: Der persönliche Weg des Herrn Jesus und seine endgültige Verwerfung.

Vers 25: Während Christus im Grab liegt, feiern die Juden das Passah.

Vers 26–28: Christus wird den Nationen überliefert, aber Er entsteigt dem Grab, Er ist der Auferstandene.

Vers 30: Der Messias ist tot – was nun?

Vers 31–33: Verhärtung Israels – der Geist der Lüge.

Vers 34: Wie Jakob um seinen Sohn Joseph trauert, so auch die Gläubigen in den Tagen der Verwerfung des Christus. Christus tröstet die Jünger, indem Er ihnen verschiedentlich erscheint.

Vers 35: Jakob, getrennt von seinem Sohn Joseph, verweigert die Tröstungen seiner Söhne, Nacht und Dunkel in Israel.

Vers 36: Joseph und später auch das Volk Israel kommen nach Ägypten, wie auch später der Herr Jesus ebenfalls nach Ägypten kommt.

In 1. Mose 37 haben wir zusammengefasst im Vorbild das Alpha und das Omega, den Herrn Jesus. Himmel und Erde drehen sich nur um Ihn, um seinen erhabenen, herrlichen Namen.

Der Herr offenbarte nach seiner Auferstehung den Jüngern die Bedeutung der Schriften, aber die volle Offenbarung wurde ihnen erst nach Pfingsten zuteil. Ähnlich ist es in der Geschichte Josephs. Die Herzen der Jünger waren, nachdem der Herr von ihnen genommen worden war, in großer Trauer, aber ihnen wurde die große Freude durch den zuteil, um den sie trauerten. Er allein konnte alle Herzen füllen, darum brannten sie in Seligkeit und Glück. Welche Freude für den Herrn selbst! (Jes 43,11; Lk 24,32).

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