Der Abgesonderte unter seinen Brüdern
Potiphar
1. Mose 39,4-6
Wir hatten gehört, dass Joseph durch seine Treue die Augen Potiphars, seines Herrn, auf sich zog, und sehen nun im weiteren Verlauf, wie er Schritt für Schritt aus der Verborgenheit seines geringen Dienstes heraustritt.
„Und Joseph fand Gnade in seinen (d. i. Potiphars) Augen und diente ihm; und er bestellte ihn über sein Haus, und alles was er hatte, gab er in seine Hand“ (Vers 4). Das war nichts Geringeres als der Aufstieg vom landfremden, niederen Sklaven zum vertrauten, ersten Diener seines Herrn. Joseph hatte den geringen Platz in Treue auszufüllen begehrt, und fand einen hohen. Und - wie bemerkenswert! - dies war nicht nur hier, im reichen Hause des vornehmen Ägypters, der Fall, sondern auch, trotz aller tiefschmerzlichen Enttäuschungen, die über ihn kamen, nachher zwischen den Kerkermauern. Wir lesen, dass Joseph auch in den Augen des Obersten der Feste Gnade fand; und dieser „übergab alle Gefangenen, die in der Feste waren, der Hand Josephs; und alles, was dort zu tun war, das tat er“ (vergl. Vers 21.22). - Es ist etwas Großes um die peinliche Treue und das selbstverleugnende Ausharren an dem von Gott gegebenen Platz, und es will mir scheinen, als ob man dies heute nicht genug betonen könnte.
Potiphar vergaß diese Eigenschaft Josephs auch dann nicht, als er, im ersten Zorn, der Lüge seiner Frau gefolgt war; denn er, der Oberste der Leibwache, gab Joseph später den zwei Hofbeamten bei, die in der Feste gefangen lagen (Kap. 40,4). Und der Tag kam, wo der Ruf Josephs aus dem Gefängnis heraus selbst vor den König drang und wo es hieß: „Du sollst über mein Haus sein, und deinem Befehl soll mein ganzes Volk sich fügen. . . Siehe, ich habe dich über das ganze Land Ägypten gesetzt“ (Kap. 41, 40. 41). „Wer den Feigenbaums pflegt, wird seine Frucht essen; und wer über seinen Herrn wacht, wird geehrt werden“ (Spr 27,18). Es führt eine gerade Linie von der Treue Josephs im Haus Potiphars bis hin zu seiner wunderbaren, wir möchten sagen, beispiellosen Erhöhung. -
Hier freilich, in unserem Abschnitt, ist Joseph noch „der hebräische Knecht“ (vergl. Vers 17); von seinen Brüdern hinausgestoßen und verkauft, ist er, allgemein gesprochen, nichts anderes als ein Gegenstand der Geringschätzung und der Verachtung. Nur Potiphar, wie nachher auch der Oberste der Feste, erkennt seinen Wert und bestellt ihn über seine Habe und sein Haus, wie wir gesehen haben. - Auch Christus, der wahre Joseph, ist heute noch von Seinem Volk und von der Welt verworfen. Sein Name hat auf dieser Erde einen fremden Klang. Wohl denen, die trotzdem den wahren Wert Seiner wunderbaren Person erkennen! - Geliebter Leser, wurdest du schon aufmerksam auf Ihn, während Er dir in unvergleichlicher Treue zu dienen bemüht war? Tue dann dies, was Potiphar tat: Bestelle Ihn über dein Leben und dein Haus, und gib alles, was du hast, in Seine Hand - du wirst es gewiss nicht bereuen. Du wirst dann dasselbe erfahren, was jener achtbare Ägypter erfuhr: „Und es geschah, seitdem er ihn über sein Haus bestellt hatte und über alles, was er hatte, da segnete der HERR das Haus des Ägypters um Josephs willen; und der Segen des HERRN war auf allem, was er hatte, im Haus und auf dem Feld“ (Vers 5).
Diese kostbare Erfahrung, die Potiphar machte, ließ ihn immer noch einen Schritt weiter gehen. „Und er überließ alles, was er hatte, der Hand Josephs und kümmerte sich um gar nichts bei ihm, außer um das Brot, das er aß“ (Vers 6). Joseph bestätigt dies nachher, indem er zu der Frau sagt: „Siehe, mein Herr kümmert sich um nichts bei mir im Haus; und alles was er hat, hat er in meine Hand gegeben. Niemand ist größer in diesem Haus als ich, und er hat mir gar nichts vorenthalten“ (Vers 8.9). Auch der Oberste des Gefängnisses gab, wie wir schon sahen, nachher im Gefängnis dem Joseph einen solchen bevorzugten Platz und „sah nicht nach dem Geringsten, das unter seiner Hand war“ (Vers 23). Ja, möchten wir uns doch auch in solch völligem Vertrauen in die Hände des wahren Joseph fallen lassen, Ihm „gar nichts vorenthalten“ - auch „nicht das Geringste“!
Welch eine glückliche und gesegnete Zeit war das für Potiphar! Nur eins freilich konnte er Joseph nicht überlassen: Das Essen. „Er kümmerte sich um gar nichts bei ihm, außer um das Brot, das er aß.“ Er setzte sich an seinen Tisch, den Joseph auf das beste, mit den auserlesensten Genüssen, gedeckt hatte; aber zugreifen, nehmen, essen - das musste er selbst. Und sicherlich hat es nie eine Zeit gegeben, wo er dies mit solcher Freude und mit solchem Dank im Herzen getan hat.
„Und Joseph war schön von Gestalt und schön von Ansehen“ (Vers 6). Man erzählt uns, dass Josephs Schönheit noch heute bei den östlichen Völkern sprichwörtlich ist und dass die persischen Dichter miteinander wetteifern in Beschreibungen seiner Vollkommenheiten. Warum aber setzt der Geist Gottes diese Bemerkung so unvermittelt hierher? Nun, wenn Potiphar, an seinem Tisch sitzend, aufschaute zu dem, der in so treuer und vollkommener Weise für ihn gesorgt hatte, dann wurde sein Blick von der Schönheit Josephs gefesselt.
Und ist es nicht auch so bei uns? Rufen nicht auch wir, beim Anschauen der Person unseres Herrn, mit dem Psalmisten aus: „Du bist schöner als die Menschensöhne“? (Ps 45,2). Lieber Leser! Es kann nicht anders sein, wenn Christus, der wahre Joseph, den ersten Platz in unserem Haus, in unserem Leben, in unserem Herzen hat - Er, an dem „alles lieblich ist“, und der „ausgezeichnet ist vor Zehntausenden“ (Hld 5,10).