Der Abgesonderte unter seinen Brüdern
Joseph in Potiphars Haus
1. Mose 39,1–3
Wir sind der Geschichte Josephs bis zu dem Augenblick gefolgt, wo sein Weg ihn aus dem Land der Väter weg in die Fremde führte, – bis dahin also, wo er auch nach außen hin „der Abgesonderte unter seinen Brüdern“ wurde. Der Weg seiner Brüder und der seinige trennen sich, und das auch – noch mehr als es bisher der Fall war – in sittlicher Beziehung. Ehe der Geist Gottes auf die weiteren Schicksale Josephs eingeht, unterbricht Er Seinen Bericht und zeigt uns im 38. Kapitel das Treiben Judas, des Führenden unter seinen Brüdern, – „zur selbigen Zeit“, als Joseph „nach Ägypten hinabgeführt wurde“. Beide Wege führen „hinab“ (vergl. Kap. 38,1 mit 39,1); aber während Juda immer tiefer in das Böse verstrickt wird, sehen wir Joseph sich in den erniedrigenden Umständen, durch die er geht, in immer neuen Proben bewähren.
„Und Joseph wurde nach Ägypten hinabgeführt. Und Potiphar, ein Hofbeamter des Pharao, der Oberste der Leibwache, ein ägyptischer Mann, kaufte ihn aus der Hand der Ismaeliter, die ihn dorthin hinabgeführt hatten“ (Vers 1). Nicht alle, die „als Knechte und Mägde nach Ägypten verkauft“ wurden, fanden einen Herrn, wie wir aus einer ernsten Drohung Moses an sein Volk ersehen (lies 5. Mo 28,68). Aber Gott hatte auch den Potiphar für Joseph bereit, wie vorher die Ismaeliter.
Dieser Potiphar war zweifellos ein einflussreicher Mann, der – als Hofbeamter – das Vertrauen seines Herrn besaß und – als Oberster der Leibwache – weittragende Befugnisse hatte. (Die ägyptischen Herrscher jener Tage gehörten dem landfremden Geschlecht der Hyksos an; es spricht also für die vertrauenswürdige Persönlichkeit von Josephs Herrn, wenn er als „ägyptischer Mann“ eine so hohe Stellung am Hof bekleiden durfte.) Es war ein reiches und vornehmes Haus, in das Joseph kam, das Haus eines Ägypters, eines Heiden und Götzendieners; der Name Potiphar bedeutet: Dem Sonnengott (Phra) gehörig. Ach, wie vieler Bewahrung bedurfte Joseph in einer solchen Umgebung – jetzt musste sich zeigen, was dieser Jüngling dem Herzen nach besaß; es musste offenbar werden, ob er das „schöne, anvertraute Gut“ nun auch zu „bewahren“ wusste, und ob er die Wahrheit, die er „gekauft“, nun nicht etwa „verkaufen“ würde (1. Tim 6,20; 2. Tim 1,14; Spr 23,23).
Und es wurde offenbar; wir lesen: „Und der Herr war mit Joseph, und er war ein Mann, dem alles gelang; und er war im Haus seines Herrn, des Ägypters“ (Vers 2). Dreimal lesen wir von Joseph das schöne Wort, das zu Anfang dieses Verses steht (Vers 2.21; Apg 7,10), und jedes Mal in Verbindung mit einem anderen Abschnitt seiner Geschichte. Auch von dem jungen Samuel heißt es so, und – wiederum dreimal – von dem jungen David (1. Sam 3,19; 16,18; 18,12.14). Und von Christus, dem wahren Joseph und David, lesen wir es, von Ihm, „der hindurchzog, wohltuend und heilend alle, die von dem Teufel überwältigt waren; denn Gott war mit ihm“ (Apg 10,38). Und wenn schon Joseph ein Vorbild für uns ist darin, wie viel mehr Er, unser Herr, bei dem dies in der vollkommensten und lückenlosesten Weise der Fall sein konnte! Er konnte sagen: „Der mich gesandt hat, ist mit mir; Er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das ihm Wohlgefällige tue“ (Joh 8,29). Gott kann nur mit denen sein, die auch mit Ihm sind.
Was muss es doch für Joseph gewesen sein, ein Sklave – ein „Knecht unter dem Joch“ (1. Tim 6,1) – zu sein, „im Haus seines Herrn, des Ägypters“! Aber er murrte nicht, er lehnte sich nicht auf; er zweifelte nicht an der Vollkommenheit der Regierungswege Gottes. Er „demütigte sich unter die mächtige Hand Gottes, damit er ihn erhöhe zur rechten Zeit“ (1. Pet 5,6). So wurde er „ein Mann, dem alles gelang“. Lieber Leser, ist das nicht ein begehrenswertes Zeugnis? Aber es ist an Bedingungen geknüpft, die wir nicht übersehen wollen. Es wird niemand unter uns sein, dem nicht die Beschreibung eines solchen Mannes am Beginn des Buches der Psalmen bekannt wäre (Ps 1,1–3).
Dieses Psalmwort ist eine Kennzeichnung des gesegneten Weges unseres Herrn. Von Ihm lesen wir einmal: „Er konnte nicht verborgen sein“ (Mk 7,24). Auch bei Joseph – obwohl wir ihn nicht auf die gleiche Stufe mit seinem erhabenen Ebenbild stellen wollen – war es so; sein treues Zeugnis blieb nicht verborgen. Wir lesen: „Und sein Herr sah, dass der HERR mit ihm war, und das der HERR alles, was er tat, in seiner Hand gelingen ließ“ (Vers 3). Auch Saul „sah und erkannte, dass der HERR mit David war“ (1. Sam 18,28). Einst hatten die Philister zu Isaak gesagt: „Wir haben deutlich gesehen, dass der HERR mit dir ist. . . Du bist nun einmal ein Gesegneter des HERRN.“ Und Laban musste von Jakob bekennen: „Ich habe gespürt, dass der HERR mich um deinetwillen gesegnet hat“ (1. Mo 26,28.29; 30,27.30). Ähnlich wird der jüdische Überrest dereinst „aus allerlei Sprachen der Nationen“ das Zeugnis empfangen: „Wir haben gehört, dass Gott mit euch ist“ (Sach 8,23).
Auch wir, die Gläubigen, sollen „unser Licht leuchten lassen vor den Menschen, damit sie unsere guten Werke sehen und unseren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen“ (Mt 5,16). Wir haben keinen Grund zur Entschuldigung, wenn es nicht so ist, „denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, zu Seinem Wohlgefallen.“ Und wenn heute viele junge Christen tiefe Wege geführt werden, Wege der Enttäuschung und der Erprobung, so sollen sie doch „alles ohne Murren und zweifelnde Überlegungen tun“ – „damit ihr untadelig und lauter seid, unbescholtene Kinder Gottes, inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts.“ In eine solche Umgebung gestellt, ist und bleibt es unsere ehrenvolle Berufung, „wie Lichter zu scheinen“ in einer dunklen Welt, „darstellend das Wort des Lebens“ (Phil 2,12 ff.).
Ach, dass es mehr bei uns der Fall sein möchte! – Wir haben es immer noch leichter als Joseph.