Das Reich Gottes
Die Herrschaft Gottes im A.T.
Die Herrschaft Gottes vor dem Einzug in das Land
Zum ersten Mal taucht die Herrschaft des HERRN im Triumphgesang auf, der durch die siegreichen Heerscharen Israels gesungen wurde, nachdem sie sicher durch das rote Meer gezogen und den Pharao und seine Wagen und Reiter wie Blei in die gewaltigen Wasser gesunken waren (2. Mo 15,10). Sie feierten damals nicht nur den Triumph, der gerade hinter ihnen lag und der durch ihren mächtigen Anführer und Befreier gewirkt worden war, sondern sie standen schon im Genuss der noch vor ihnen liegenden Siege, die ihnen durch den Bund mit Abraham, Isaak und Jakob verheißen worden waren. Und dann fügten sie hinzu: „Du wirst sie bringen und pflanzen auf den Berg deines Erbteils, die Stätte, die du, HERR, zu deiner Wohnung gemacht hast, das Heiligtum, HERR, das deine Hände bereitet haben. Der HERR wird König sein immer und ewig!“ (2. Mo 15,17–18). Wenn man diese Stelle mit der in 5. Mose 32 verbindet, dann kann man kaum übersehen, wie die Regierung oder das Reich Gottes mit dem Platz verbunden ist, den er sich selbst zur Wohnung auserwählt hatte, und wie er auch mit der Nation verbunden ist, von der er sagte: „Denn des HERRN Teil ist sein Volk, Jakob die Schnur seines Erbteils“ (5. Mo 32,9).
In 2. Mose 19 und den folgenden Kapiteln finden wir Gott in der Ausübung seiner königlichen Regierung über die Nation, die er für sich selbst abgesondert hatte. Er gibt ihnen Gesetze, Gebote und Urteile, die sie beachten sollen, gepaart mit den angemessenen Strafen, die die Folge der Gesetzesübertretung sein würden. Wir bleiben jetzt nicht bei der Betrachtung des Charakters dieses Bundes der Werke stehen, unter den sie mit ihrer Zustimmung und durch ihre eigene Wahl gekommen waren. Ihr unmittelbares Versagen unter dem Bund in 2. Mose 32 und die Erneuerung desselben (mit bestimmten Änderungen) durch Mose als Mittler (der ohne Zweifel an dieser Stelle die Mittlerschaft Christi vorschattet), sind Punkte von äußerster Wichtigkeit für jeden, der die mitgeteilten Handlungen Gottes mit seinem Volk verstehen will.
Ich möchte noch kurz bemerken, dass in 2. Mose 33 nichts weniger als die tatsächliche Anwesenheit des HERRN ihren Führer Mose zufrieden stellt, der für sie bittet. Das wird ihm in Vers 17 verheißen. Die Folge ist, dass Bileam Segnungen über Israel ausspricht (als Prophet inspiriert, obwohl er ein wertloser und böser Mensch war). Er sagt: „Nicht ein Mensch ist Gott, dass er lüge, noch ein Menschensohn, dass er bereue… Er erblickt keine Ungerechtigkeit in Jakob und sieht kein Unrecht in Israel; der HERR, sein Gott, ist mit ihm, und Jubelrufe wie um einen König sind in seiner Mitte“.
Genau das war es, was Israel von all den anderen Nationen auf der Erde unterschied. Die Nationen standen unter der kontrollierenden Macht der unsichtbaren Regierung Gottes, aber in Israel war Gott als König gegenwärtig. Die Zeichen der göttlichen Gegenwart, die Wolkensäule am Tag und die Feuersäule bei Nacht, gingen vor ihnen her. Dies geschah, seit dem der Pharao sie bis ins Bett des roten Meeres verfolgt hatte, bis sie den Jordan am Ende der 40 Jahre Wüstenwanderung, überquerten. Die Gesetze erhielten sie direkt aus seinem Mund. All ihre Vorsteher und Richter wurden durch seine Ernennung eingesetzt. In jeder schwierigen Zeit und Lage war er gegenwärtig und bereit, sich von ihnen befragen zu lassen. Er bot ihnen auch Leitung und Schutz, wenn sie seiner Stimme gehorchten.
Die Herrschaft Gottes zur Zeit der Richter
Auch nachdem sie den Jordan überquert hatten blieb er bei ihnen und ging vor ihnen her. Die Wolke der göttlichen Herrlichkeit, die mit ihnen durch die Wüste gegangen war, ruhte jetzt zwischen den Cherubim, die den Gnadenstuhl überschatteten. Und nach ihrer Eroberung des Landes unter Josua wurde die Stiftshütte, das Zelt der Zusammenkunft, die die Lade des Bundes, den Gnadenstuhl, die Schechina und die Cherubim über ihnen enthielt, in Silo errichtet. Dieser Ort bildete von jener Zeit an den Sitz der Regierung Gottes. An dieser Stelle fand die Aufteilung des Landes unter den Stämmen zum Erbteil vor dem HERRN durch Josua statt. In der Richterzeit (Ri 18,31 u. a.) und bis zur Zeit Elis und Samuels befand sich dort das Haus Gottes. Zu dieser Zeit geschah es dann, dass das Volk unter der direkten Regierung Gottes müde wurde. Gott bestimmte ihnen von Zeit zu Zeit einen Richter.
Die Herrschaft Gottes zur Zeit der Könige
Zur Zeit Samuels fragten sie nach einem König über sich, weil sie so sein wollten, wie die Nationen um sie herum. Das missfiel Samuel und er betete zu dem HERRN. Was war die Antwort des HERRN an ihn? „Und der HERR sprach zu Samuel: Höre auf die Stimme des Volkes in allem, was sie dir sagen; denn nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen, dass ich nicht König über sie sein soll.“ (1. Sam 8,7). Das ist eine sehr klare Sprache. Bis zu diesem Moment war die Regierung Israels eine reine Theokratie gewesen. Gott war ihr König. Er mochte durch Mose gehandelt haben, der einmal, in diesem Sinn, „König über Jeschurun“ genannt wird (vgl. 5. Mo 33,5). Auch mochte Gott an anderer Stelle durch Josua oder durch Richter gehandelt haben. Alles das ändert aber nichts daran, dass Gott ihr König war.
Es ist klar, dass es die Grenzen dieser Abhandlung sprengen würde, wenn man alle Stellen in den prophetischen Schriften betrachten wollte, die von der Regierung oder dem Königtum von Davids Sohn und seinem HERRN sprechen. Es gibt zwei große Teile dieser Periode, in die man die Prophezeiungen unterteilen kann. Die eine Periode bezieht sich auf die Zeit vor der Fleischwerdung des Christus, die andere auf die Zeit danach. Weiter teilt sich die erste der beiden nochmals durch ein Ereignis auf, dem meistens zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Hiermit meine ich die Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar und die Gefangenschaft der jüdischen Nation. Bis zu diesem Ereignis hatte Gott eine Nation oder ein Reich auf der Erde. In diesem Reich trugen die Nachkommen aus der Königslinie Davids das Szepter und besetzten den Thron als Gesalbte Gottes. Sie betrachteten ihre Herrschaft als Gottes Gabe an David und seine Nachkommenschaft. Gott selbst hatte bis dahin in Jerusalem gewohnt. Die königliche Autorität musste bis dahin unter der Wahrung seiner Gesetze ausgeübt werden. Es war Gottes Königreich. Es ist gleichwohl wahr, dass viele Könige gegen Gott aufbegehrten und seine Gesetze missachteten.
Die Herrschaft Gottes zur Zeit der Propheten
An dieser Stelle war es dann notwendig, dass der Dienst der Propheten eingeführt wurde. Sie weissagten gegen die Sünden des Volkes Israel und der Könige aus. Sie kündigten Gerichte an, die die Strafe für diese Sünden bildeten und riefen sowohl die Könige als auch das Volk zur Umkehr auf. Für diejenigen, die auf ihre Stimme hörten, hatten sie einen besonderen Trost bereit. Sie verkündeten die Herrlichkeiten des kommenden Königreichs des wahren Sohnes Davids, den Erben all der Verheißungen, die David und seiner Nachkommenschaft gemacht worden waren. Dieser prophetische Dienst begann in seiner eindeutigsten Form mit Jesaja (in den Tagen Ussijas, Jothams, Ahas, Jehiskias) und beinhaltete außerdem die Prophezeiungen von solchen wie Jeremia, Hosea, Joel, Amos und Micha.
Die Herrschaft Gottes nach der Zerstörung Jerusalems
Nach dem Sturz Jerusalems und der Gefangenschaft Judas durch Nebukadnezar änderten sich die Dinge grundlegend. Ich meine nicht, dass es eine Übergabe königlicher Autorität von dem Haus David zu einer anderen Familie in Israel kam, wie es einst bei Saul und seinem Haus gewesen war, der die königliche Autorität an David und seine Nachkommenschaft verlor. Nein, der Bund mit David und seiner Nachkommenschaft ist ungebrochen. Die Gefangenschaft bildete sogar einen Teil der in dem Bund enthaltenen und verheißenen Züchtigungen, die Gott aufgrund von Untreue in den Wegen der Kinder Davids ausüben würde. Aber trotzdem es gab eine Machtübertragung von Israel an die Nationen. Das heißt aber nicht, dass die Nationen durch diese Machtübertragung das Reich Gottes bildeten. Aber Israel bildete das Reich Gottes auch nicht mehr.
Die Stadt, die Gott sich als Wohnung erwählt hatte, war vollständig zerstört. Seine Gegenwart offenbarte sich nicht mehr länger in diesem herrlichen Tempel, den Salomo zur Herrlichkeit Gottes errichtet hatte. Hesekiel hatte den Unterschied dieser Herrlichkeit zu dem ersten Tempel gesehen (vgl. Hes 10,18–19). Aber diese Herrlichkeit verließ dann sogar die Stadt (Hes 11,23). Der Tempel, in dem diese Herrlichkeit einst gewohnt hatte, wurde mit Feuer niedergebrannt. Israel kam in die Hände des babylonischen Weltreichs. Zu dem König von Babylon wurde gesagt: „Du, o König, du König der Könige, dem der Gott des Himmels das Königtum, die Macht und die Gewalt und die Ehre gegeben hat; und überall, wo Menschenkinder, Tiere des Feldes und Vögel des Himmels wohnen, hat er sie in deine Hand gegeben und dich zum Herrscher über sie alle gesetzt“ (Dan 2,37–38).
Aber so groß diese Übergabe der Macht auch war, machte sie Nebukadnezar damit noch lange nicht zu Gottes Gesalbten, noch sein Reich zu dem Reich Gottes. Alles, was Israel dazu gemacht hatte, war von der schuldigen Nation genommen worden, aber das heißt nicht, dass es ihren heidnischen Bedrückern verliehen worden wäre. Es gab keine Schechina in Babylon, keine Opfer, die zu dem Gott des Himmels aufstiegen. Es gab auch keine göttlichen Vorschriften, die die Ausübung der imperialen Macht, mit der der Monarch ausgestattet war, hätte regeln können. Eine der ersten Handlungen durch diese Macht war es, den Götzendienst einzuführen und alle mit dem Tod zu bestrafen, die die Götzen nicht anbeten würden. Über die Zeit der heidnischen Herrschaft wurde lediglich prophezeit, dass eine Rebellion gegen Gott nach der anderen folgen würde, bis sie bei dem Kommen unseres Herrn Jesus Christus zerstört werden würde. Dann hören wir, dass „der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten wird, das in Ewigkeit nicht zerstört und dessen Herrschaft keinem anderen Volk überlassen werden wird; es wird alle jene Königreiche zermalmen und vernichten, selbst aber in Ewigkeit bestehen“ (Dan 2,44). Dieses Zitat stammt aus dem letzten Teil der Epoche, auf die die Geburt Jesu folgt.
Hesekiel gehört in gewissem Sinn zu beiden Teilen. Er war selbst ein Gefangener in Chaldäa. Seine Prophetie richtete sich aber zum Teil auch an die, die sich noch in Jerusalem aufhielten. Daniel, Haggai, Sacharja und Maleachi gehören zu der Epoche, die auf die Wegführung nach Babylon folgt. Die Prophezeiungen dieser Propheten richteten sich an den armen, schwachen Überrest, dem die Rückkehr nach Jerusalem erlaubt worden war. Das heißt nicht, dass sie noch einmal die Herrschaft zurückerlangt hätten, oder dass das Reich Gottes wieder aufgerichtet worden wäre. Nein, sie waren tributpflichtig und dem König von Persien unterworfen.