Ährenlese im Alten Testament (Richter)
Kapitel 13 bis 21
Richter 13,1–10
Einmal mehr gibt sich Israel der Bosheit hin, einmal mehr erfährt es die Züchtigung Jehovas durch die Hand der Philister. Einmal mehr... hat die Prüfung ihre Frucht gebracht? Leider nicht! Vierzig Jahre vergehen. Gott wartet umsonst ... leiht sein Ohr ... Kein Schrei steigt diesmal zu Ihm empor! Das Volk hat sich an seinen elenden Zustand der Knechtschaft gewöhnt. Dennoch gibt es da und dort einige Zeugen, die treu sind und Jehova fürchten. Unter ihnen stellt uns Gott Manoah und seine Frau vor, ein frommes Ehepaar aus dem Stamme Dan, das kinderlos ist. Und dieser Frau erscheint eines Tages ein himmlischer Besucher. Er hat eine freudige Botschaft für sie: sie wird die Mutter dessen werden, der anfangen wird, Israel aus der Hand der Philister zu retten. Diese Szene versetzt uns an den Anfang des Lukas-Evangeliums, wo der Engel Gabriel Maria das glorreiche Kommen des Retters auf diese Erde ankündigt.
Nur gibt es für das Kind (und seine Mutter) gewisse Bedingungen zu erfüllen. Als Nasir musste er nach 4. Mose 6 für Gott abgesondert sein und sich gewisser Vergnügen und Freuden enthalten, die das Teil anderer Menschen sind (die Frucht des Weinstocks). Diese Absonderung in der Familie zu verwirklichen ist weder leicht noch angenehm, aber es ist das, was Gott in den Häusern der Seinen zu sehen wünscht (vergleiche Jeremia 35,6ff.).
Richter 13,11–25
Es sind nicht die Mächtigen in Israel, denen Jehova seine Gedanken über die Befreiung seines Volkes kundtut; es sind zwei arme Israeliten aus Dan, dem schwächsten aller Stämme (Kapitel 1,34). Wem offenbart Gott heute seinen Heilsplan und den Erretter, den Er gegeben hat? Den Kindlein und denen, die ihnen in der Einfalt des Glaubens gleichen (Matthäus 11,25). Beim zweiten Besuch des Engels wird ein Brandopfer und ein Speisopfer auf dem Felsen dargebracht, alles Bilder von Christus, die uns wohlbekannt sind. Aber der Engel selbst, wer ist er, was ist sein Name? Manoah, der sich brennend gewünscht hatte, ihn persönlich kennen zu lernen, nicht nur durch seine Frau, bekommt nur zur Antwort: „Warum fragst du nach meinem Namen? er ist ja wunderbar!“ (Vers 18). Damit wir Ihn erkennen können, braucht Er nicht mehr zu sagen. Öffnen wir nur unsere Bibeln in Jesaja 9,6: „Man nennt seinen Namen: Wunderbarer“! Und weil Er wunderbar ist, kann Er auch nicht anders als „wunderbar handeln“, wodurch Er sich uns ebenfalls zu erkennen gibt. Der Engel, der hier in der Flamme des Brandopfers emporsteigt, und der Herr Jesus, der nach Vollendung seines Werkes, „nachdem er mit ihnen geredet hatte, in den Himmel aufgenommen wurde“ (Markus 16,19), sind ein und dieselbe Person.
Richter 14,1–13
Es war ein großes Vorrecht für Simson, in eine Familie geboren zu werden, wo Gott persönlich gekannt und gefürchtet wurde. Vielleicht haben wir das gleiche Vorrecht gehabt? So lasst uns die Geschichte dieses Mannes aufmerksam verfolgen! Sie beginnt gut (Kapitel 13,24.25). Aber ach! Als er ins heiratsfähige Alter kommt, nimmt er sich, entgegen dem Rat seiner Eltern, eine Frau aus den Philistern. Eine bittere Erfahrung! Wie viele junge Leute haben es ihm gleichgetan! Sie haben sich in der Ehe mit einem Lebenspartner verbunden, der „in ihren Augen recht war“ (Vers 3), ohne sich darum zu kümmern, ob er in erster Linie dem Herrn gefiel.
Um die Geschichte Simsons gut zu verstehen, muss man folgendes beachten: Man sieht bei ihm das, was der Mensch tut – und wie traurig ist das! Aber wir sehen auch, was Gott durch ihn tut (wobei Er sich sogar seiner Fehler bedient, was der Sinn des 4. Verses ist); und wie herrlich ist das! Und was Gott durch Simson vollbringt, diesen starken Mann, der zur Befreiung Israels auserwählt wurde, erinnert uns mehr als einmal an den Herrn Jesus, den wahren Nasiräer, den großen Sieger des Kreuzes von Golgatha. Satan, der brüllende Löwe, hat sich Christus auf dem Weg entgegengestellt, aber Er hat ihn überwunden, so dass der schreckliche Widersacher keine Macht mehr hat gegen den Gläubigen, der ihm seinerseits begegnet, wenn er sich auf den Herrn stützt!
Richter 14,14–15,8
Die Siege des Gläubigen ermüden und schwächen ihn nicht, sie verschaffen ihm im Gegenteil Nahrung und Süßigkeit. Das ist die Bedeutung des Honigs, der im toten Körper des Löwen gefunden wurde. Aber das ist ein Geheimnis, das die Welt nicht verstehen kann, denn sie findet ihre eigenen Freuden viel eher in ihren Festanlässen (Vers 10). Für den unbekehrten Menschen ist dies ein Rätsel: Wie kann ein Christ sein Glück und die Nahrung seiner Seele da finden, wo er selbst nur Schrecken und Tod wahrnimmt (die Macht Satans, die durch den Tod Christi zunichte gemacht wurde – Hebräer 2,14)? Simson gibt sein Rätsel den Philistern auf, und ohne den Verrat seiner Frau hätten diese es nicht lösen können. Etwas später ist es sein Schwiegervater, der sein Wort bricht (Kapitel 15,2). Die Welt ist immer trügerisch und täuscht uns. Wenn es geschieht, dass wir ihr wie Simson vertrauen oder an ihren Freuden teilnehmen, werden wir bittere Enttäuschungen erleben.
Gott bewahrt seinen Diener, indem Er diese Heirat mit einer Philisterin verhindert. Aber alle Sorgen und Plagen, die er sich zuzieht, wären ihm erspart geblieben, hätte er nur auf seine Eltern gehört. Und Gott hätte es nicht daran fehlen lassen, ihm eine andere „Gelegenheit an den Philistern“ zu geben.
Richter 15,9–20
Israel ist aufs tiefste gefallen. Nicht nur leidet es nicht mehr unter der Herrschaft der Philister, sondern der Befreier, den Gott ihm gegeben hat, ist ihm sogar lästig. Die Männer von Juda ziehen herauf, um Simson zu binden und sich seiner zu entledigen. „Weißt du nicht, dass die Philister über uns herrschen?“ Das hieß soviel wie: Wir sind zufrieden, so wie es ist. Warum hast du uns in Schwierigkeiten gebracht?
Aber jetzt kommt die Gelegenheit für Simson. Er zerreißt die neuen Stricke und trägt ganz allein einen glänzenden Sieg davon. Wie der Rinderstachel Schamgars (Kapitel 3,31), so ist auch der Esels-Kinnbacken eine verächtliche Waffe. Er unterstreicht die Tatsache, dass der Sieg von Gott allein kommt.
Simson macht die Erfahrung, dass er nach dem Kampf das Wasser nötig hat, das Gott gibt. Als Antwort auf sein Gebet quillt es für ihn aus dem Felsen, diesem Felsen, der immer von Christus redet (1. Korinther 10,4). Wenn wir Gott darum bitten, wird Er auch uns die frischen und lebensspendenden Quellen seines Wortes geben, und der Heilige Geist wird sie uns entsprechend unseren Bedürfnissen darreichen.
Sein Sieg über den Löwen hatte Simson Nahrung beschafft; nach diesem Sieg gibt Gott ihm zu trinken. Wenn wir auf den Herrn warten, werden die Siege, die Er uns gewährt, immer Gelegenheiten sein, unsere Seelen zu stärken und zu erfrischen, indem wir seine Liebe genießen (Johannes 4,34).
Richter 16,1–12
Simson ist ein Mann voller Gegensätze: Physisch sehr stark, aber moralisch ein Schwacher, der gewohnt ist, jeder seiner Launen nachzugeben. Äußerlich war er für Jehova abgesondert; sein langes Haar zeigte es. Aber innerlich war sein Herz geteilt. Der Beweis dafür war der, dass er jetzt eine Feindin seines Volkes liebte. Fragen wir uns, ob die Kraft, die wir äußerlich zeigen, auch wirklich unserem Herzenszustand entspricht. Körperliches Training ist nicht unnütz. Was aber für den Herrn Wert hat, sind nicht die sportliche Leistungen, die den Hochmut fördern, sondern die verborgenen Siege über unsere Leidenschaften. Durch ihr ungeschnittenes Haar zeigt ein gläubiges Mädchen äußerlich ihren Gehorsam. Doch ist es nötig, dass dieser Gehorsam auch in ihrem Herzen ist!
Freuen wir uns, dass wir in unserem Abschnitt auch ein Bild Dessen finden, der „die ehernen Türen zerbrochen und die eisernen Riegel zerschlagen hat“ (Psalm 107,16). Simson riss die Stadttore von Gasa heraus und trug sie auf seinen starken Schultern fort. Das lässt uns an Christus denken: Er hat die Banden des Todes zerbrochen und so „alle die befreit, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren“ (Hebräer 2,15). Dann ist Er in Macht auferstanden und besitzt nun die Schlüssel des Todes und des Hades (Offenbarung 1,18).
Richter 16,13–22
Es gab Geheimnisse im Leben Simsons: sein Rätsel im 14. Kapitel und hier sein Nasiräertum. Er verstand es nicht, sie zu bewahren, weder das eine noch das andere. Der Erlöste hat seine eigenen Geheimnisse mit seinem Erlöser: Erfahrungen, die er persönlich mit Ihm gemacht hat und von denen er vielleicht niemandem etwas sagen kann. Natürlich ist die Bekehrung eine Sache, die bekannt werden muss. Dagegen können wir andern nicht immer erklären, warum wir gewisse Dinge tun oder nicht tun (Daniel 3,16). Dieser Beweggrund ist unsere Absonderung für Gott, unser „Nasiräertum“, von dem unsere geistliche Kraft abhängt.
Delila, die Verführerin, quält den armen Simson Tag für Tag. So gedrängt und geplagt, wird er „ungeduldig bis zum Sterben“ und gibt schließlich nach. „Sie ließ ihn... einschlafen“, wird hinzugefügt. Verhängnisvoller Schlaf! „Lasst uns nun nicht schlafen wie die übrigen, sondern wachen und nüchtern sein“, ermahnt der Apostel Paulus (1. Thessalonicher 5,6).
Der Besieger eines Löwen, der starke Mann, vermochte zweimal seine Zunge nicht zu bewahren (Kapitel 14,17 und 16,17). Alle möglichen Tiere sind durch die menschliche Natur gebändigt worden, erklärt Jakobus, „die Zunge aber kann keiner der Menschen bändigen“ (Jakobus 3,7.8). Um das zu erreichen, braucht es Gottes Hilfe, und Er gewährt sie nur denen, die Ihm gehorchen (1. Johannes 3,22).
Richter 16,23–31
Armer Simson! Hier haben wir das Ende seiner ernsten Geschichte: Blind, gefangen, wird er ein Gegenstand des Spottes für die Feinde Gottes und sein Volk. Und, was noch schwerwiegender ist: seine Schmach fällt auf Gott selbst zurück, weil der Götze stärker zu sein scheint als der Held Jehovas. Aber Gott setzt einer solchen Anmaßung des Feindes ein Ende. Ein letzter Sieg wird dem Simson gewährt, der aber mit den 3000 Philistern umkommt.
So hat Simson nacheinander seine Kraft, seine Freiheit, sein Augenlicht und schließlich sein Leben verloren. Lasst uns alle, die wir von Jugend an den Herrn Jesus gekannt haben, über diesen Bericht nachdenken. Wir haben viel erhalten; wir haben eine Vorzugsstellung. Wohl ist es wahr, dass wir zu einem manchmal mühsamen „Nasiräertum“, angehalten werden, zu einer Absonderung von der Welt und ihren Vergnügungen (die wir mehr oder weniger verstehen). Doch welch einen Ersatz haben wir! Eine übernatürliche Kraft, die aus der göttlichen Quelle kommt, die Kraft des Heiligen Geistes steht zu unserer Verfügung. Und auf dem Weg des Willens Gottes kann nichts dieser Kraft widerstehen! Möchten wir zu denen gehören, an die sich der Apostel Johannes richtet: „Ich habe euch, Jünglinge, geschrieben, weil ihr stark seid und das Wort Gottes in euch bleibt und ihr den Bösen überwunden habt“ (1. Johannes 2,14).
Richter 17,1–13
Hier haben wir eine traurige Familie, ganz anders als die Familie Manoahs. Der Sohn stiehlt, die Mutter schwört mit einem Fluch, und dann segnet sie ihren Sohn mit dem gleichen Mund (siehe Jakobus 3,10), anstatt dass sie ihn den Ernst seiner Verfehlung fühlen lässt. Schließlich lässt sie für ihn ein geschnitztes und ein gegossenes Bild anfertigen. Das Gesetz, das solche Handlungsweisen verurteilte, wird somit ganz auf die Seite getan, obwohl der Name Jehovas mit den Worten dieser Frau vermischt wird. „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen“ – sagte der Herr später „aber ihr Herz ist weit entfernt von mir“ (Matthäus 15,8; Jesaja 29,13). Das ist eine ernste Warnung für uns alle! Den Namen des Herrn auszusprechen, bedingt, dass wir von der Ungerechtigkeit abstehen (2. Timotheus 2,19). Jesus unseren Herrn nennen, bedeutet, dass wir seine Autorität anerkennen. Hier dagegen tut jeder, was in seinen Augen recht ist. Das ist der Fall bei Micha, bei seiner Mutter und auch bei dem jungen Leviten aus Bethlehem-Juda, den Micha sich als Priester anstellt und den er weiht, ohne ein Recht dazu zu haben. Wie traurig! Dieser Jüngling war ein Nachkomme Moses (Kapitel 18,30). Was hätte dieser, der das Gesetz gebracht, das goldene Kalb zerstört und das Volk das feierlich-ernste Lied von 5. Mose 32 gelehrt hatte, denken müssen, wenn er seinen eigenen Enkel Priester eines geschnitzten Bildes hätte werden sehen!
Richter 18,1–16
Wie uns in diesem Kapitel berichtet wird, haben der Eigenwille und der götzendienerische Geist, die sich im Hause Michas offenbarten, einen ganzen Stamm angesteckt. So ist es immer. Das Böse beginnt in den Familien zu keimen, bevor es sich ausbreitet und das Volk Gottes beeinflusst.
Im ersten Vers erfahren wir, dass den Danitern in jenen Tagen ihr Los noch nicht zugefallen war. In ihrer Ungeduld beschließen sie, sich ihr Erbteil selbst auszusuchen, statt Jehova zu befragen und es von Ihm zu erwarten. Das zeigt ihren Geist der Unabhängigkeit und ebenso, dass sie eine bequeme Lösung suchten. Erinnern wir uns daran, dass sich die Kinder Dan ins Gebirge zurückdrängen ließen (Kapitel 1,34). Nun unternehmen sie einen Feldzug ans andere Ende des Landes, anstatt von dem Besitz zu ergreifen, was für sie bestimmt war und in ihrer Reichweite lag, wozu aber Glaubensenergie nötig war. Vielleicht gleichen wir ihnen viel öfter als wir denken. Der Herr hat uns in unserer Umgebung einen Auftrag gegeben. Wir schrecken jedoch vor den Glaubensübungen und Kämpfen zurück, die dieser Dienst von uns fordert, und ziehen eine auffälligere Tätigkeit in einer anderen Richtung, die wir uns selbst gewählt haben, vor.
Richter 18,17–31 und Richter 21,25
Die Einnahme von Lais hat nichts gemeinsam mit den Glaubenssiegen zur Zeit Josuas. Was sehen wir bei Dan? Begierde nach „allem was auf Erden ist“ (Vers 10), Vertrauen auf seine eigene Stärke und gleichzeitig Gemeinheit, Undank, Diebstahl, Treulosigkeit und als Krönung von allem die Aufrichtung eines Götzendienstes. Welch ein Bild!
Und wir übergehen die nächsten Kapitel, die dieses Bild noch düsterer malen, um beim letzten Vers dieses Buches anzulangen, der eine Wiederholung von Kapitel 17,6 ist: „Ein jeder tat was recht war in seinen Augen“. Dieser Satz fasst den Zustand Israels zur Zeit der Richter zusammen.
Und er ist eine ebenso traurige Zusammenfassung des Zustands der Christenheit in unseren Tagen. Wenn man zwischen dem Buch Josua und dem Epheserbrief Vergleiche ziehen kann, so ist es der zweite Timotheusbrief (besonders das 3. Kapitel), der am meisten dem Buch der Richter gleicht.
Aber ist diese Folge von Höhen und Tiefen, von Fall und Wiederherstellung nicht allzu oft auch unsere Geschichte? Hüten wir uns davor, zu tun, was in unseren Augen, denen wir nicht trauen können, gut ist, und befleißigen wir uns vielmehr das zu tun, was dem Herrn wohlgefällig ist (Epheser 5,10; Hebräer 13,21).