Betrachtung über den Propheten Hesekiel
Kapitel 11
Das elfte Kapitel zeigt uns, wem die Herrlichkeit des HERRN, die sich zurückzieht und durch das Osttor des Hauses des HERRN zum Tempelberg gelangt (Vers 23), im Vorübergehen noch begegnet. Wir werden an den HERRN „Ich bin“ erinnert (Joh 8,58; 9), wie er sich von dem Tempel zurückzieht und auf seinem Wege noch einen Menschen sieht, der von Geburt an blind war. Der Blindgeborene steht in auffallendem Gegensatz zu diesen fünfundzwanzig angesehenen „Fürsten des Volkes“, die die Regierung des Volkes bildeten; ebenso verkörperten die fünfundzwanzig Männer in Kapitel 8,16 das Priestertum inmitten des Volkes. Ihre Namen bzw. die ihrer Väter sind sehr bedeutungsvoll. Jaasanja bedeutet „der HERR befreit“ und Benaja : „der HERR baut auf“. Ein krasser Gegensatz zu dem Namen Jeremias: „der HERR wirft nieder“. Der gottesfürchtige Hengstenberg schreibt dazu folgendes: Je bedrohlicher sich das politische Unwetter zusammenballt, desto lebendiger wird die Neigung der Eltern, den Kindern Namen zu geben, die Segen verkünden, um sich dadurch über die Angst hinwegzusetzen und dem Gewissen Ruhe zu verschaffen, das durch das Gegenteil dieser Namen verunsichert worden ist.
Das ist ein wahres Wort, denn wir begegnen mehreren Namen, die bei den Geschehnissen der letzten Tage vor dem furchtbaren Gericht bei der Einnahme der Stadt durch Nebukadnezar eine Rolle spielen, die uns dann von der Wahrheit der Worte Hengstenberg überzeugen werden. Das erinnert uns an die Worte des Apostels Paulus, der uns im Neuen Testament warnt: „Irret euch nicht; Gott lässt sich nicht spotten.“ Auch in unserer Zeit, so kurz vor dem Kommen des Herrn, ist das noch so. Ob man zu christlichem Zweck bestimmte Einrichtungen oder Zeitschriften mit geistlichen Titeln schmückt, es nützt nichts, wenn das Gewissen nicht getroffen ist und das Herz nicht in der Gegenwart des Sohnes Gottes lebt. Den blinden Mann, den der Herr Jesus im Vorübergehen trifft, nennt die Schrift nicht mit Namen. Er heißt seit nahezu zweitausend Jahren unter den Christen lediglich nur „der Blindgeborene“. Ja, anstelle eines wohlklingenden Namens, der den Glauben an Segen ausdrückt, wird dem Kind und seinen Eltern der Stempel aufgedrückt, dass Gott sie läutern will. Aber er sollte der erste Anbeter des Sohnes Gottes sein. Die angesehenen Männer in unserem Kapitel sinnen auf Unheil und erteilen bösen Rat in Jerusalem (Vers 2). Worin bestehen aber das Unheil und der böse Rat? In der Nachricht, die nämlich schnurstracks dem widersprach, was Gott durch den Mund Jeremias (durch einen Brief überbracht) den nach Babel Weggeführten sagen ließ; sie sollten sich in Babel Häuser bauen, in denen sie wohnen konnten, und Gärten anpflanzen, von deren Frucht sie sich ernähren konnten. Das aufziehende Gericht war unabwendbar und jeder, der mit dem König Jekonja und dessen Gefolgsleuten Jerusalem verließ und nach Babel geführt wurde, steht vorbildlich für alle diejenigen, die ihre Zuflucht zum Kreuz von Golgatha genommen haben: sie haben nicht auf das Gericht gewartet bis es zu spät war, sondern sie waren dem Gericht vorausgeeilt, indem sie sich freiwillig auf den Platz des Gerichtes gestellt haben. Gott verlangt aber jetzt von ihnen, dass sie alle Folgen ihres Entschlusses tragen sollen, also ihr Herz nicht mehr an die zurückgelassenen Güter hängen, noch mit den Einwohnern Jerusalems wehklagen und sich gegen den König von Babel verschwören. Im Gegenteil! Gott sagt in demselben Kapitel von Jeremia, in dem ihnen empfohlen wird, Häuser zu bauen und Gärten zu pflanzen: „Und suchet den Frieden der Stadt, wohin ich euch weggeführt habe, und betet für sie zu dem HERRN, denn in ihrem Frieden werdet ihr Frieden haben“ (Jer 29,7).
Nun, geliebte Mitgläubige, das verlangt Gott auch von dir und von mir. Auch wir durften aus Gnaden das tun, was König Jekonja und seine Getreuen getan haben. Die Tatsache, dass das Gericht in Christus auf dem Kreuz über uns hingegangen ist, befreit uns auf ewig von diesem Gericht. Gott verlangt aber schon hier auf der Erde, dass wir diesen Platz des Gerichtes konsequent einnehmen, wir und unsere Familien. Die erste Konsequenz ist, dass wir uns taufen lassen. Das ist für uns der gegebene Fluchtweg, der uns aus der Stadt führt, die fürs Gericht aufgeschrieben ist. Das zweite ist unser Verhalten in dieser Welt, das davon zeugen soll, dass wir überzeugt sind, dass das Gericht, dem wir entkommen sind, unwiderruflich eintrifft.
Die Fürsten des Volkes widersprachen dem Wort Gottes und weisen mit Nachdruck darauf hin, dass es nicht an der Zeit ist, Häuser zu bauen. Sie sind von den geschichtlichen und religiösen Überlieferungen über Jerusalem dermaßen eingenommen, dass sie noch in dieser miesen Lage prahlen: „Sie ist der Topf, und wir sind das Fleisch;“ d.h., dass so sicher, wie das Fleisch im Topf gegen die Flammen des Feuers geschützt ist, sie ihrerseits in Jerusalem gegen die Angriffe der Chaldäer gefeiht sind.
Sie nehmen sinnbildlich die entgegengesetze Haltung ein, die Jekonja offenbarte, der hinausging und dem Kreuz unseres Heilandes folgte. Von ihm wird in 2. Mose 12,9 in Bezug auf das Passahlamm gesagt: „Ihr sollt nichts roh davon essen und keineswegs im Wasser gesotten, sondern am Feuer gebraten.“ Für ihn gab es keinen Topf, der das Fleisch vor der Glut des Feuers schützte. Nein, es gab keinen Schutz, keine Abschirmung gegen die versengende Kraft des Feuers des Zornes Gottes. Das ist unser Gericht, und in dieser Wiese haben wir das Passah zu essen - so uns mit dem gestorbenen Christus eins zu machen, der für uns das Gericht Gottes über die Sünde getragen hat. Ziehen wir jedoch in unserem praktischen Leben nicht die Konsequenzen dieser göttlichen Wahrheit, so nennt uns die Schrift „Feinde des Kreuzes Christi“ (Phil 3,18); wir richten dann wie die Männer in Hesekiel 11 die Wand des Topfes als Schutzschild gegen das Feuer des göttlichen Gerichtes auf, müssen aber von dem Apostel durch den Geist Gottes geleitet erfahren, dass das Ende dieser Einstellung das Verderben ist. Deshalb geziemt sich für uns eine heilige Furcht und nicht Worte wie: „Ich bin aber doch bekehrt und kann nicht mehr verloren gehen.“ Merkwürdigerweise führt uns Gott in Hesekiel 11 wie in Philipper 3 zu der Quelle der Gedanken zurück, die zu diesem furchtbaren Ende hinführt: „Das sind die Männer, welche Unheil sinnen ...was in eurem Geiste aufsteigt, das weiß ich“ (Hes 11,2.5); „Die auf das Irdische sinnen“ (Phil 3,19).
Es war töricht anzunehmen, dass die Mauern der Stadt das Gericht seitens der Chaldäer, diesen von Gott bestimmten Werkzeugen, aufhalten könnten, wenngleich sich auch die Stadt einer religiösen Tradition zu rühmen glaubte. Unsere gemeinsamen Vorfahren bekleideten sich - ihrer Blöße wohlbewusst - nur mit gottesdienstlichen Formen, ohne dabei die wahre Frucht für Gott zu erbringen, nämlich ein von dem Heiligen Geist zerschlagenes Herz. Der Apostel Paulus schreibt im 2. Brief an Timotheus Kapitel 3,5 von der Christenheit in den letzten Tage: „Die eine Form der Gottseligkeit haben, ihre Kraft aber verleugnen.“ Diese Form der Gottseligkeit kommt in unseren Tagen in erschreckender Weise ans Licht.
Von Vers 7 ab spricht Hesekiel im Namen Gottes das Gericht aus, das auf die bösen Worte dieser Männer Bezug nimmt. Wir finden diesen ernsten Grundsatz durch die ganze Schrift hindurch; Wenn der Mensch sich anmaßt, etwas gegen Gottes Wort einzubringen, so liegt in seinen Worten schon der Keim zu seiner eigenen Verurteilung. Wir sehen dies bei der Rückkehr der zwölf Kundschafter, als sich Israel weigerte, in das gelobte Land einzuziehen. Gott warnt sie durch den Mund Moses in 4. Mose 14,28: „So wahr ich lebe, spricht der HERR, wenn ich euch nicht also tun werde, wir ihr vor meinen Ohren geredet habt!“ Der Herr Jesus sagt zu dem Knecht, der das Pfund im Schweißtuch verwahrt hielt: „Aus deinem Mund werde ich dich richten, du böser Knecht“ (Lk 19,22)! So ist es auch hier. Tatsächlich sollte die Stadt der Topf sein, in dem das Fleisch geschützt lag. Doch wie geschah das? Alle, die durch die Worte dieser törichten Fürsten des Landes verleitet wurden und bereits bei Gefechten auf der Mauer umgekommen waren, nennt Gottes Wort“ Eure Erschlagenen“; die Chaldäer waren also nicht die Ursache ihres Todes, sondern die betrügerischen Leiter des Volkes. Welch eine Verantwortlichkeit lastet auf der Führerschicht des Volkes, dir von Gott eingesetzt worden ist. Welch eine Verantwortlichkeit lastet auch auf der geistlichen Führung, die wegen ihres Widerspruchs gegenüber dem Wort Gottes nun diese Erschlagenen sieht. Doch es gab der Erschlagenen nicht wenige. Vers 6 sagt uns: „Ihr habt die Straßen Jerusalems mit Erschlagenen gefüllt.“ Das belagerte Jerusalem bot einen furchtbaren Anblick in diesen Tagen, ein Anblick, der sich bei der Belagerung unter Titus im Jahre 70 nach Christus wiederholte, und sich bald bei der assyrischen Besetzung kurz vor dem Kommen Christi zur Erlösung des gläubigen Überrestes abermals zeigen wird. Die Tatsache aber, dass die Menschen vor der Einnahme der Stadt erschlagen wurden, lässt wiederum die Barmherzigkeit Gottes zu ihnen erkennen. Dies erinnert uns an den Fall des Königs Josia im Streit gegen den Pharao Necho; so traurig er auch sein mochte, er war dennoch die Erfüllung der Ratschlüsse Gottes mit ihm. „Darum, siehe, werde ich dich zu deinen Vätern versammeln; und du wirst und du wirst zu deinen Gräbern versammelt werden in Frieden, und deine Augen sollen all das Unglück nicht ansehen das ich über diesen Ort bringen werde“ (2. Kön 22,20 vgl. auch Klgl 4,9). Ein furchtbares Los harrte den Führern dieses Volkes (Verse 8-11). Mir scheint es angebracht, die Verse 18-21 aus 2. Könige 25 aufzuzeigen, um die buchstäbliche Erfüllung dessen vorzustellen, was an den äußeren Grenzen Israels vorgeht:
„Und der Oberste der Trabanten nahm Scheraja den Oberpriester, und Zephanja, den zweiten Priester, und die drei Hüter der Schwelle; und aus der Stadt nahm er einen Kämmerer, der über die Kriegsleute bestellt war, und fünf Männer von denen, welche da Angesicht des Königs sahen, die in der Stadt vorgefunden wurden, und den Schreiber des Heerobersten, der das Volk des Landes zum Heere aushob, und sechzig Mann von dem Volke des Landes, die in der Stadt vorgefunden wurden. Und Nebusaradan, der Oberste der Trabanten, nahm sie und brachte sie zu dem König von Babel nach Ribla. Und der König von Babel erschlug sie und tötete sie zu Ribla im Lande Hamath.“
Willst du Ribla und Hamath auf der Karte ausmachen, so findest du sie nördlich von Damaskus. Alle Aussprüche Gottes werden sich bewahrheiten, seien sie zum Segen oder zum Fluch gegeben.
Während Hesekiel dies prophezeit, trifft ein offenbar gottgewolltes Gericht ein; es deutet an, dass die von Hesekiel ausgesprochene Prophetie gewisslich ihre Erfüllung finden wird. Pelatja, der Sohn des Benaja, stirbt, und mit ihm alle Hoffnung auf Befreiung und Wiederaufbau, von denen sein und aller seiner Eltern Name sprach. Hesekiel fällt zum vierten Male in diesem Buch auf sein Angesicht. Scheinbar kann sich Hesekiel noch nicht mit der Einstellung dieser Ersten des Volkes abfinden. Wir erkennen in ihm die Charakterzüge eines wahren Dienstknechtes Christi in den Zeiten des Verfalls: „Ein Knecht des Herrn aber soll nicht streiten, sondern gegen alle milde sein, lehrfähig, duldsam, der in Sanftmut die Widersacher zurechtweist, ob ihnen Gott nicht etwa Buße gebe zur Erkenntnis der Wahrheit, und sie wieder nüchtern werden aus dem Fallstrick des Teufels, die von ihm gefangen sind für seinen Willen“ (2. Tim 2,24-26).
Wenngleich auch die Gesinnung Jeremias zweifellos zur Freude für das Herz Gottes gereichte, so bedurfte doch seine Einsicht in die Gedanken Gottes über den Überrest einer grundlegenden Änderung. Diesen Zustand trifft man auch heute sehr häufig an. Ungereimte Freundlichkeit und Duldsamkeit kann man in vielen Herzen verspüren, die auch von Gott erkannt und gewürdigt werden, doch es fehlt an dem klaren Blick in Bezug auf den wahren Überrest, und man verbindet oft nur einzelne Personen oder Personengruppen mit der Ehre Seines Namens, während die Gesamtheit aller Gläubigen in unseren tagen übersehen wird. Ein wichtiger Grundsatz liegt darin, dass sich ein Überrest immer und in jeder Lage durch gewisse sittliche Prinzipien und bestimmte Charakterzüge auszeichnet, er erkennt auch keine herkömmlichen Gewohnheiten inbezug auf ein früher bestandenes Zeugnis an. Die Versammlung zu Philadelphia in Offenbarung 3 liefert uns ein anschauliches Beispiel. Ihre Wesenszüge, die der Herr Jesus zu denen des Überrestes in den letzten Tagen vor Seinem Kommen macht, haben nichts mit denen von Sardes gemeinsam; Sardes stellt den Protestantismus von der Reformzeit an bis zum Ende dar. Ein ernster Gedanke liegt auch in der Tatsache, dass die traditionsbedingten Gewohnheiten in der Versammlung Philadelphias die ja nichts mehr mit dessen eigentlichem Charakter zu tun haben, unter das Urteil Laodicäas fallen.
Wenn Gott in einem Herzen Aufrichtigkeit feststellt, kommt Er in Gnade zu Hilfe und öffnet die Augen auch in Bezug auf die Wahrheit des Überrestes. Hesekiel 11,14ff. beweist das. Nicht die in Jerusalem verbliebenen Männer und Frauen bildeten den für Gott wahren Überrest, sondern die nach Babel Weggeführten waren es, die zusammen mit den unter Jojakim Verbannten verschleppt wurden (606 v. Chr.), unter denen sich auch Daniel samt seinen drei Freunden befand. Es waren die Brüder Hesekiels, die Männer seiner Verwandtschaft. Um mit den Worten aus Hebräer 2 zu sprechen, waren es die Brüder, in deren Mitte der Herr Jesus lobsingt, und die Er vor Gott stellt „als die Kinder, die Gott Ihm gegeben hat“, für die Er „Blutes und Fleisches teilhaftig geworden ist“. Das ist Seine wahre Verwandtschaft, die sowohl in en tagen Hesekiels, wie in den Tagen der Hebräer von der vermeintlichen Verwandtschaft verachtet und verfolgt wurde.
Wir gelangen nun zu den erhabensten Ausführungen im Buche Hesekiel Gott gibt dem Überrest ein doppeltes Versprechen, das für die Gegenwart, wie auch für zukünftige Tage gilt. Vers 16 löst den ersten Teil des Versprechens ein, dass, obschon weit von Jerusalem verstreut und all dessen verlustig, was Jerusalem für einen wahren Gläubigen ausmacht, Gott dennoch selbst dort für sie ein wenig zum Heiligtum geworden ist. Gott wird ihnen dort nicht ein Heiligtum geben, sondern Er ist es ihnen geworden. Sie waren gleich den Hebräern im Neuen Testament allem beraubt, was immer das Heiligtum für sie enthielt. Es gab keinen Platz, um die von Gott verordneten Opfer darbringen zu können, keine Feste, die dem gläubigen Israeliten in jährlichem Rhythmus Freude brachten; der Zugang zu den im Tempel verwahrten Schriftrollen war versperrt, die ja Aufschluss über die Stammverwandtschaft gaben, und somit die Rechte inmitten des Volkes verbrieften; kein Gerichtsstuhl war vorhanden , wo Streitigkeiten behoben und Zänkereien besänftigt werden konnten. Sie konnten auch die Natur, die durch ihr stetes Wachstum die inneren Empfindungen, die die Stufenlieder wiedergeben, wachruft, in Babel nicht erleben. Alles Sichtbare war dahin und andere haben sich die heiligen Stätten gewalttätig zu eigen gemacht.
Der Ersatz für die früheren Stätten übertrifft aber bei weitem den vormaligen Besitz. Gott Selbst ist ihnen ein wenig zum Heiligtum geworden; und an die Stelle des früheren Heiligtums tritt Gott Selbst. Das zwischengeschaltete Heiligtum wird beiseite gesetzt und Gott Selbst nimmt in vollendeter Form den Platz dessen ein, was früher allein zu Gott hinführte. In Gemeinschaft mit dem „Sohn des Menschen“ lernen sie die Erfahrungen und Gefühle kennen, die Er in denselben Umständen empfand, und von denen Psalm 63 Ausdruck gibt.
Trifft derselbe Gedanke nicht auch im Hebräerbrief auf uns zu? Alle Habe der gläubigen Israeliten in Jerusalem wurde ihnen durch das Feuer der Verfolgung, das sich in dem Hass und der Feindschaft ihrer Brüder ausdrückte, entrissen, und wurde sie ihnen nicht abgenommen, so ermahnte sie im letzten Kapitel der 13. Vers: „Deshalb lasst uns zu ihm ausgehen, außerhalb des Lagers, Seine Schmach tragend.“ Dann erst nehmen sie den Platz Jekonjas ein, der freiwillig Jerusalem verließ, um sich dem König von Babel auszuliefern; dann erst sind sie auch gleich dem Blindgeborenen, den wir oben erwähnten und von dem wir in Johannes 9,34 lesen: „Und sie warfen ihn hinaus.“ Dort fand er dann „ein wenig zum Heiligtum“ in der Person des Sohnes Gottes Selbst: „Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet der ist es. Er aber sprach: Ich glaube, Herr; und er huldigte ihm.“ Das ist „Jesus Christus, derselbe, gestern und heute und in Ewigkeit“ (Heb 13,8).
Sind auch wir bereit, eine solche Erfahrung zu machen? Sollte der Herr vor Seinem Kommen auch uns einmal das Sichtbare in unserem Leben entziehen - unsere Versammlungshäuser oder unsere Betrachtungen - ,so dass wir uns vielleicht nur noch mit wenigen Treuen unter größter Gefahr und empfindlicher Schmach zusammenfinden können, ist dann auch Seine herrliche Person für uns „ein wenig zum Heiligtum“? Oder klemmen wir uns, falls die Möglichkeit gegeben ist, die äußeren Besitztümer zu erhalten unter Preisgabe der Wesenszüge des Überrestes doch noch an die vergänglichen Gegenstände? Möge der Herr in Seiner Gnade geben, dass wir zu denen zählen, die Er in Jesaja 66,5 anspricht: „Höret da Wort Jehovas die ihr zittert vor seinem Worte! Es sagen eure Brüder, die euch hassen, die euch verstoßen um meines Namens willen: Jehova erzeige sich herrlich, das wir eure Freude sehen mögen! Aber sie werden beschämt werden.“
Nun folgt der zweite Teil des Versprechens in Vers ff.: „Ja, ich werde euch aus den Völkern sammeln und euch zusammenbringen aus den Ländern, in welche ihr zerstreut worden seid, und werde euch das Land Israel geben; etc“. Die Treuen haben eine herrliche Zuversicht in Bezug auf das, was durch die Untreue der Menschen so erbarmungslos misshandelt wurde. Das gilt für Israel genauso, wie für die Versammlung. Das Gesicht, das Mose auf dem Berge Nebo bezüglich der zukünftigen Herrlichkeit Israels schaute, offenbarte sich dem greisen Seher auf Patmos in Bezug auf die Versammlung, als er von dem Engel auf einen großen und hohen Berg geführt und ihm die heilige Stadt Jerusalem gezeigt wurde „hernieder kommend aus dem Himmel von Gott; und sie hatte die Herrlichkeit Gottes“ (Offg.21,10.11a.).
„Deren Herz aber nach dem Herzen ihrer Scheusale und ihrer Greuel wandelt: denen will ich ihren Weg auf ihren Kopf bringen, spricht der Herr, Jehova“ (Vers 21). Ebenso stellt Offenbarung 21,8 der Belohnung des Dürstenden und des Überwinders (zwei Kennzeichen der Getreuen des Überrestes) das Teil der Ungläubigen gegenüber: „Den Feigen aber und Ungläubigen und mit Greueln Befleckten und Mördern und Hurern und Zauberern und Götzendienern und allen Lügnern - ihr Teil ist in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt, welches ist der zweite Tod.“
Hier endet unser Kapitel und zugleich der Abschnitt in Hesekiel, der die Kapitel 8 bis 11 umfasst. Die Herrlichkeit Gottes verlässt nicht nur den Tempel, sondern auch die Stadt. Sie erhebt sich aus ihrer Mitte und stellt sich auf den Berg, der gegen Osten der Stadt liegt - dem merkwürdigen Ölberg, der schon eine solch bedeutende Rolle in der Kirchengeschichte gespielt hat und in Zukunft noch spielen wird. In Kapitel 43,2 kommt die Herrlichkeit Gottes von Osten her wieder zurück. O, möchten unsere Herzen mehr mit dieser herrlichen Zeit auf Erden erfüllt sein. Psalm 24 schreibt hierüber: „Erhebet, ihr Tore, eure Häupter, und erhebet euch ewige Pforten, dass einziehe der König der Herrlichkeit!“ Jubeln nicht unsere Herzen vor Freude, wenn wir daran denken, dass die ewigen Pforten des Tempels und der Stadt, ehemals von König und Gott verlassen, sich einmal wieder erheben sollen, um gleichsam die lange und drückende Knechtschaft von sich abzuschütteln? Wenn für immer die Götzen aus den Toren weggefegt sind, dann wird Jehova der Heerscharen Seinen Einzug in Jerusalem halten, um es nie mehr zu verlassen.
Doch was bleibt für Israel und für uns in Erwartung dieser Zeit noch zu tun? Die Verse 24 und 25 geben uns die Antwort: „Und der Geist hob mich empor und brachte mich im Gesicht durch den Geist Gottes zu den Weggeführten nach Chaldäa; und das Gesicht, welches ich gesehen hatte, hob sich von mir weg. Und ich redete zu den Weggeführten alle Worte Jehovas, die er mich hatte sehen lassen.-“ An dieser Stelle fügen wir ein Zitat von Kellys Betrachtung ein:
„Wir werden hier an Matthäus 28 erinnert, wo der auferstandene Christus auf dem Berge von Galiläa gesehen wird, während Er den großen Auftrag in Bezug auf die Völker an die Jünger überträgt, ohne dass Er ein Wort über Seine Himmelfahrt verlauten lässt. Hier wird in der Tat Jerusalem beiseite gesetzt, und der Herr, der wieder Seinen Platz in Galiläa einnimmt, - nun als Auferstandener - ist das verlässliche Unterpfand Seiner Rückkehr, obschon Er gegenwärtig noch verworfen ist; Er aber sondert sich hier einen Überrest aus.“
Möchte auch der Herr uns geistlich gesehen in Galiläa finden, „dem Kreis (hebräische Übersetzung) aller Verachtung. Dort war der Aufenthalt des verachteten Sohnes des Menschen, der Seinen jüdischen Jüngern bis zur Vollendung der Zeitalter nahe sein wird. Dies ist zwar keine Hoffnung für uns, da wir dann bereits lange dieser Erde enthoben sind, doch bleibt dennoch der Grundsatz wahr, dass auch wir auf dem Platz der Verachtung Seine Nähe bis zu dem Augenblick Seines Kommens genießen dürfen.