Betrachtung über den Propheten Hesekiel
Kapitel 1
Der Thron Gottes und der Wagen seiner Regierung
Es gibt manchen Leser, der, nachdem er das erste Kapitel unseres Buches gelesen hat, gleich dem Propheten Sacharja (4,4) ausruft:“ Mein Herr, was sind diese?“ Darauf fährt man allgemein mit lesen fort, ohne die Antwort vorher bekommen zu haben und irgendetwas zu verstehen. Sacharja hebt im Bewusstsein, dass die Antwort nur von oben kommen kann, seine Augen auf. Wir müssen stets im Gedächtnis halten, dass Gott zu unserem Nutzen zu uns spricht und dass nur er uns Einsicht in seine Gedanken geben kann. Viele Leser unternehmen es, mit eigenem Verstand und eigener Weisheit in die Tiefen Gottes einzudringen: diese Weisen werden nichts begreifen noch sehen. Gott straft die Weisen in ihrer Arglist und verbirgt vor ihnen seine Vorsätze, aber er offenbart sie seinen Kindern. Der Inhalt dieses Buches ist für einen Gläubigen nicht versiegelt, sondern dies Buch ist für uns geöffnet. Wir wollen es von Nahem beschauen und von Anfang an etwas zum Nutzen unserer Seelen darin zu suchen. In allem, was uns in der Schrift begegnet, vermögen wir den Herrn und sein Zeugnis zu erblicken. Hier sehen wir ihn nicht in seiner Erniedrigung und Demütigung wie in den Evangelien, sondern auf dem Thron über der Ausdehnung – droben in der Höhe! Wie ist er doch so erhaben! Es ist überaus köstlich, ihn mit Glanz umgeben zu betrachten. War es nicht der Mühe wert, dieses Kapitel zum ersten Mal zu lesen? Lasst es uns noch einmal lesen, und gleich zehn Mal: es soll für uns kein Zeitverlust bedeuten; jedes Mal entdecken wir andere Neuigkeiten und Wunder. Unser Abschnitt gibt uns eine Beschreibung von dem Thron Gottes und dem Wagen seiner Regierung in den Himmeln und auf der Erde: die Flügel sind für die Himmel, die Räder für die Erde bestimmt. Wir werden mit dem, der auf dem Throne sitzt, bekannt gemacht – mit ihm, der alle Dinge über wie unter der Ausdehnung verwaltet, leitet und richtet. Ich habe nicht nötig, daran zu erinnern, dass Gott nach 1. Mose 1,8 die Ausdehnung Himmel nannte. Wenn wir Gottes Wort lesen, so müssen wir zuallererst den großen Rahmen des Gegenstandes, den uns der Heilige Geist vorstellt, betrachten, ehe wir zu Einzelheiten übergehen. Handeln wir anders, gehen wir eines großen Teils des Segens verlustig. Diese Empfehlung ist für unser Kapitel von besonderer Bedeutung. Die großen Linien lassen sich wie folgt aufzeigen:
- Die drei Anfangsverse bilden die Einleitung.
- Die Verse 4 – 12 stellen uns die vier Eigenschaften Gottes im Gericht vor, die die Träger seines Thrones sind.
- In den Versen 13 und 14 wird der Thron charakterisiert: es ist ein Thron des Gerichts.
- Die Verse 15 – 21 zeigen uns den Wagen seiner Regierung, dessen Räder die Erde berühren.
- In den Versen 22 -25 wird nicht mehr von Rädern auf der Erde gesprochen, sondern von Flügeln, die über der Ausdehnung fliegen.
- Die Verse 26 – 28 zeigen uns den Thron, der über der Ausdehnung steht; auf diesem Thron sitzt er, der eines Menschen Aussehen hat. Er ist ringsum mit Glanz umgeben. Seine Person verdient für alle Zeiten höchste Bewunderung.
Diese kurzen Richtlinien versetzen uns in die Lage, Einzelheiten näher zu beleuchten. Steht der Herr uns zu diesem Zweck in seiner mächtigen Hilfe bei, werden wir von Wunder zu Wunder geführt: sein Wort ist wunderbar und in Ewigkeit werden wir diese Wunder vollkommen erkennen. „Und es geschah im dreißigsten Jahre.“ Welches Jahr ist das? Welche Absicht verfolgt der Heilige Geist, wenn er uns das Datum nennt? Über diesen Punkt wurden schon viele Gedanken geäußert. Es steht fest und ist hinreichend bewiesen worden, dass es sich hier um das dreißigste Jahr nach dem Passahfest in Jerusalem handelt, welches unter der Regierung des gottesfürchtigen Königs Josia gefeiert wurde (2. Chr 35). Zu diesem Zeitpunkt wurde dem Volk Gottes große Gnade zuteil: es konnte das Fest seiner Befreiung aus Ägypten großzügiger feiern, als während all der Regierungen der Könige Israels. Man müsste schon ziemlich weit in der Geschichte des Volkes zurückgehen, wollte man ein derartiges Passah finden: bis hin in die Zeit des Propheten Daniels. Auch der gottesfürchtige David und der von Herrlichkeit umgebene Salomo feierten nie ein solches Fest, wie wir es hier finden, doch jetzt hält sich das Volk inmitten des Landes der Chaldäer auf; selbst der Prophet weilt unter den Gefangenen am Fluss Kebar. Welch ein Gegensatz! Der HERR muss in Psalm 81,8 klagen: „Höre mein Volk, und ich will wider dich zeugen. O Israel, wenn du mir gehorchtest!“ Leider war Israel nicht gehorsam; es hatte nicht einmal ein Empfinden für die Gnade, deren Gegenstand sie unter der Regierung Josias waren. Israel kehrte zu seinen Götzen zurück, sodass demzufolge das Gericht über das Volk kommen musste. Der Thron Gottes befindet sich nicht mehr in Jerusalem, sondern ist weit von dieser Stadt entfernt. Doch noch viel schrecklicher ist die Tatsache, dass er gegen das Volk gerichtet ist.
Der Prophet sah Gesichte Gottes und der Himmel wurde ihm geöffnet. Hesekiel sah den Thron des Gerichts und beschreibt ihn schon auf den ersten Blättern seines Buches. Wir müssen, wie bereits gesagt, zunächst die vier lebendigen Wesen, die als Wagen die feststehenden Träger des Thrones Gottes bilden, betrachten. Sie sehen wie Menschen aus und jeder von ihnen hat vier Angesichter: ein Angesicht des Menschen, welcher Verstand und Einsicht symbolisiert. Das Angesicht des Löwen bildet die Kraft vor, denn der Löwe ist „der Held unter den Tieren, und der vor nichts zurückweicht“ (Spr 30,30). Das Angesicht eines Adlers stellt die Schnelligkeit des Gerichtes dar. Der Adler überfällt seine Beute, bevor diese sich noch recht der Gefahr, die ihr droht, bewusst wird. Der Sturmwind, der von Norden her kommt, die Wolke und das Feuer werden leichte Arbeit haben, die Ungläubigen zu vertilgen, wie ein Strohball im Wirbelwinde. Der Anblick der lebendigen Wesen zeugt von Verständigkeit. Ihre Füße waren gerade und ihr ganzer Wandel ist gerade. Die Füße sind gleich der Fußsohle eines Kalbes; ein sicherer, gediegener Wandel. Sie funkelten wie der Anblick von leuchtendem Erz, das wir nicht mit der Farbe in Vers 4 verwechseln dürfen, worauf wir noch zu sprechen kommen. Wir werden hierbei an den Gang des Gerichts erinnert, das den Schuldigen trifft. Sie hatten Flügel, mit denen sie sich von der Erde erheben konnten, um ihren Wirkungsbereich zu erweitern. Sie besaßen Hände, mit denen sie arbeiteten. Sie wandten sich nicht um, wenn sie gingen, sie gingen ein jedes stracks vor sich hin, denn ihre Angesichter sahen geradeaus. Der Geist leitete sie; er ist stets aktiv wo Gott handelt, und alles wird durch ihn bewirkt.
Die Gestalt der lebendigen Wesen und ihr Aussehen war gleich brennenden Feuerkohlen (Verse 13.14). Wir finden glühende Kohlen in Psalm 120,4 als Bild des Gerichtes, das trügerische Zungen verzehrt. In Jesaja 6 verzehren die glühenden Kohlen das Schlachtopfer auf dem Altar, und die verunreinigten Lippen des Propheten werden durch sie gereinigt: das ist die Hitze des Gerichts. Danach werden Fackeln gesehen, die die ganze Szene erleuchten, sodass nichts vor dem Thron verborgen bleiben kann: Feuer und Blitze sind beredte Symbole des Gerichts.
Ab Vers 15 beobachten wir ein Wirken auf der Erde: „Siehe, da war ein Rad auf der Erde neben den vier lebendigen Wesen.“ Die vier Räder hatten alle den gleichen Aufbau und es war, wie wenn ein Rad inmitten eines Rades wäre; und wenn sie gingen, so gingen sie nach ihren vier Seiten hin. Die Wagen der Völker in Sacharja 6,1 waren nicht imstande, hinzufahren wohin sie wollten, denn sie befanden sich zwischen zwei Bergen von Erz. Mit dieser Art Wagen kann man nicht an beliebige Orte fahren. Diejenigen, welche sie steuern, haben begrenzte Möglichkeiten und beschränkte Wirkungsbereiche. Doch sobald „der Held, der glücklich in seine Herrlichkeit führt“ seinen Wagen lenkt, führt er ihn dorthin, wo es ihm beliebt, ohne jemals nötig zu haben, dass er umwendet; auch stößt er auf kein einziges Hindernis, das seinen stolzen Lauf beeinträchtigen könnte. Die Felgen seines Wagens waren hoch und furchtbar. Wie erscheint doch der Mensch in seiner Gegenwart so winzig: wenn er vorbeifährt, so zerschmettert er alles, was sich irgend vorfindet. Die Felgen waren voller Augen. Der Wagen fährt nicht blindlings vorwärts, denn alles ist ihm bekannt: das Verborgene und alle übrigen Gegenstände. Gott ist sich bewusst, wen er treffen will und wie er es ausrichten muss. Die Räder glichen einem Chrysolith; dieser Chrysolith ist ein goldfarbener Edelstein, der allezeit die göttliche Gerechtigkeit und Herrlichkeit im Worte Gottes vorbildet. Die Menschen sollen sich der göttlichen Gerechtigkeit in den Rädern erinnern, wenn Gott auf dieser Erde Gericht hält. Sie wollten sie nicht lernen als die Gnade durch Gerechtigkeit herrschte, so müssen sie sie nun im Gericht erfahren. Die lebendigen Wesen leiteten den Wagen und wurden selber durch den Geist geleitet. Der Wagen ist imstande zu fahren, stille zustehen und sich von der Erde abzuheben. Wehe den Menschen, wenn er nur in Bewegung kommt! Wunderbare Gnade, wenn er stille steht! Wenn all das Gericht, das diejenigen, welche sich gegen Gott aufgelehnt haben, ausgeführt ist, kann er sich von dieser Erde lösen. Welch glückselige Zeit wird dann anbrechen!
Wir erheben uns nun über alles Irdische und betrachten eine Ausdehnung, die den Anblick eines wunderbaren Kristalls besitzt und sich über den Häuptern der lebendigen Wesen ausbreitet (Verse 22–25). Kristall versinnbildlicht Vollkommenheit und hohe Reinheit, die nicht befleckt werden kann. Wir sehen ihn einmal im gläsernen Meer, gleich Kristall, das vor dem Thron ist (Off 4,6), zum anderen in dem Strom des Lebens, glänzend wie Kristall, der hervorging aus dem Throne Gottes und des Lammes (Off 22,1). Wasser kann verunreinigt und beschmutzt werden, doch den Glanz und die Reinheit eines Kristalls kann man nicht trüben. Es ist furchtbar für Menschen die sündhaft und schuldig sind und im Schmutz der Sünde leben, die unveränderliche und bleibende Reinheit des Himmels zu betrachten. Über der Ausdehnung sprach die Stimme dessen, der Befehle erteilt und die Leitung der Regierung innehat, welcher kein Geschöpf im Himmel und auf der Erde entkommen noch sich entziehen kann. Hier nun wird die Regierung in Verbindung mit den himmlischen Geschöpfen ausgeübt: die Räder sind nicht mehr auf der Erde; Flügel sind nun der Gegenstand. Diese Flügel sind – wie die Füße der lebendigen Wesen – gerade, denn an ihm ist alles gerade; ob gegen die Menschen oder die Engel vorgegangen wird, es gibt nichts Verdrehtes. Mit zwei Flügeln bedecken sie ihre Leiber, gleich wie die Seraphim in Jesaja 6 ihre eigene Schönheit bedecken. Da das Gebiet ihrer Wirksamkeit sich auch auf himmlische Dinge bezieht, fliegen auch sie. Das Rauschen ihrer Flügel war gleich dem großen Wasser, wie die Stimme des Allmächtigen, das Rauschen eines Getümmels wie das Rauschen eines Heerlagers. Was bedeuten doch die Menschen in der Nähe der Stimme des Allmächtigen, und was sind ihre Heere gegenüber den himmlischen Heerlagern?
Der Heilige Geist führt uns in den Versen 26 bis 28 noch höher und lässt uns Blicke tun, die über die Ausdehnung hinausschweifen. Hier befinden sich der Thron und der, der auf ihm sitzt. Über die lebendigen Wesen spannt sich also die Ausdehnung und über den Himmel erhebt sich ein Thron, dessen Aussehen einem Saphirsteine gleicht. Der blaufarbene Saphir führt uns zu himmlischen Dingen.
Wir wollen einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit auf die häufig vorkommenden Worte „eine Gestalt von (wie)“ lenken. Der heilige Geist bedient sich irdischer Gegebenheiten, um uns himmlische vor Augen zu stellen, doch sind dies nur hinkende Vergleiche: wir haben hier die Gestalt lebendiger Wesen, aber nie werden wir solche Wesen auf der Erde finden. Vor uns steht die Gestalt eines Thrones, doch welchen Wert haben die Throne dieser Welt angesichts dieses Thrones? Die Gestalt wird mit einem Menschen verglichen, der Mensch aber ist auf der Erde „in der Gestalt des Fleisches der Sünde“. „Auf der Gestalt des Thrones eine Gestalt wie das Aussehen eines Menschen oben darauf.“ Ja, in all seiner Größe und Unendlichkeit seines Wesens ist er auch ein Mensch, ein richtender Mensch; Gott wird „den Erdkreis richten in Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat allen den Beweis davon gegeben, indem er ihn auferweckt hat aus den Toten.“ (Apg 17,31). Wie groß ist seine Person!
Wenn wir in den Himmel aufgenommen werden, ist er dort; er war auch für mich im Tod, auch dort kann ich ihn sehen. In unserem Abschnitt ist er auf dem höchsten Platz. „Von seinen Lenden abwärts sah ich wie das Aussehen von Feuer „. Er wandelt im Gericht. Seinerzeit ging er in dieser Welt in Gnade umher. Er, der der Retter ist, ist gleichfalls der Richter. „Von seinen Lenden aufwärts“ (d.h. sein Leib, seine Person) gleicht er dem glänzenden Metall Hasmal, ein uns unbekannter Stoff; wahrscheinlich eine Legierung von Gold und Silber. Sollte das so sein, so sehen wir hier symbolisch die göttliche Gerechtigkeit, die Versöhnung und das Gericht. Welch eine herrliche Person ist er, der von Glanz umgeben ist! „Das Aussehen des Glanzes war wie das Aussehen des Bogens, der am Regentage in der Wolke ist“ (V.27). Der Regenbogen ist das fortwährende Zeichen des Bundes Gottes mit der Schöpfung in Gnade, um die Erde nicht mehr durch die Wasser der Sintflut zu verderben. Selbst auf dem Thron seiner Regierung vergisst er seinen Bund mit der Schöpfung nicht.
„Das war das Aussehen des Bildes der Herrlichkeit des HERRN.“ Der Prophet fällt nieder auf sein Angesicht, denn der, der auf dem Thron sitzt ist würdig für immer angebetet zu werden. Möchten wir ihn nur besser kennen lernen und uns mehr für die Dinge, die mit seiner Verherrlichung in Verbindung stehen, interessieren, indem wir die Schriften, die von ihm Zeugnis ablegen, tiefgründiger untersuchen. Diese wenigen Aufzeichnungen des wunderbaren Kapitels mögen Anlass geben, weiter darüber zu sinnen und andere Schätze aufzusuchen, denn die Reichtümer sind unergründlich, sowie Gott unermesslich.
(Diese Betrachtung des ersten Kapitels ist die Übersetzung eines Artikels von Bruder A. Guignard in „Mess. Evang.“ (1929).)