Der Prophet Daniel
Kapitel 11
Wir kommen nun zu den letzten prophetischen Offenbarungen, die Daniel empfing und niederschrieb. Die Anfangsverse, ja der größte Teil des 11. Kapitels, enthalten Voraussagen, die offensichtlich schon längst in Erfüllung gegangen sind. Am Ende des 35. Verses lesen wir die Worte: «Bis zur Zeit des Endes; denn es verzieht sich noch bis zur bestimmten Zeit». Auch in Kapitel 9,26 steht der Ausdruck: «bis ans Ende». An diesem Punkt, also nach der vergangenen 69. und vor der 70. Woche, dem Ende, fügt sich die damals noch nicht enthüllte Zwischenperiode in die Prophetie der 70 Jahrwochen ein - die, wie wir wissen, bis jetzt schon länger als 19 Jahrhunderte gedauert hat. Daher glauben wir, dass die Prophezeiungen sich vom 36. Vers unseres Kapitels an auf die Zeit des Endes, auf die letzten Tage beziehen.
Die drei Perserkönige, die gemäß dem 2. Vers «aufstehen werden», sind offensichtlich die drei, die in Esra 4,5-7 genannt werden. Sie sind in der Geschichte unter den Namen Kambyses, Smerdis der Magier und Darius Hystaspes bekannt. Der vierte, der «größeren Reichtum erlangt als alle», würde Xerxes sein. Er war von seiner eigenen Größe so eingenommen, dass er Griechenland angriff und den «tapferen König» von Vers 3- Alexander den Grossen - herausforderte. Dieser demütigte seinen Stolz und zerstörte sein Reich. Er selbst erlangte große Macht und handelte nach seinem Gutdünken.
Die Geschichte hält fest, wie kurz die Herrschaft Alexanders war. Er starb schon in jungen Jahren, und sein Reich wurde unter vier von seinen Generälen verteilt, was aus Vers 4 klar hervorgeht. Ihre Macht jedoch war viel begrenzter, «nicht nach der Macht, mit welcher er geherrscht hat». Vom 5. Vers an wird unsere Aufmerksamkeit auf das Wirken von zwei dieser vier hingelenkt: auf den König des Südens und den König des Nordens. Wenn wir uns fragen, warum die Prophetie sich nur mit diesen beiden beschäftigt, so lautet die Antwort, weil nur diese beiden sich in die Angelegenheiten der Juden mischten und sie in ihrem Land unterdrückten. Ihre Reiche lagen nördlich und südlich von Palästina; sie umfassten das, was wir heute Syrien und Ägypten nennen. Die ersten Könige dieser Reiche waren Seleukos bzw. Ptolemaios.
Beide dieser Obersten Alexanders würden stark werden, aber der vom Norden über den vom Süden hinaus (Vers 5). Und genauso traf es ein.
Vers 6 beginnt mit: «Und nach Verlauf von Jahren», womit eine größere Zeitspanne der Geschichte übersprungen wird. Die Prophetie beschäftigt sich hier nicht weiter mit einzelnen Königen. Die Herrscher dieser Reiche werden nur mit «König des Südens» und «König des Nordens» bezeichnet, ohne auf die einzelnen Persönlichkeiten einzugehen. Was klar vorausgesagt wird, ist der Kriegszustand, der während vielen Jahren zwischen diesen einander entgegen gesetzten Mächten herrschte, und das zum Leid und zur Not der Juden, die in Palästina direkt zwischen den feindlichen Parteien lagen. Wir können daher sagen, dass die Verse 6-20 ihre bösen Pläne und Kämpfe voraussagen, bis zum Zeitpunkt, da die Macht Roms in Erscheinung treten würde. Vor ihr wird der König des Nordens «straucheln und fallen und nicht mehr gefunden werden». Sein Nachfolger wird nur noch ein «Eintreiber der Abgaben» sein, um die Forderungen Roms zu erfüllen. Ungläubige haben behauptet, dieses Kapitel müsse nach den Ereignissen geschrieben worden sein, da es diese so genau vorausgesagt hat.
In Vers 21 lesen wir, dass als Nachfolger des «Eintreibers der Abgaben» ein «Verachteter» aufstehen würde, der durch schlaue Schmeicheleien und kriegerische Gewalt gekennzeichnet ist. Seine Taten und deren Folgen beschäftigen uns bis zum Schluss von Vers 36. Wir glauben, dass wir hier wieder den Mann vor uns haben, der in Kapitel 8,9 als das «kleine Horn» bezeichnet wird, das aus einem der vier Königreiche kommt, in die das griechische Weltreich zerfiel. Er ist der in der Geschichte als Antiochus Epiphanes bekannte Mann. Das Wort Gottes verweilt so lange bei seinen bösen Taten, weil er mit besonderer Gewalt gegen die Juden vorging und so ein Vorbild des Königs des Nordens wurde, der in den letzten Tagen ihr größter Widersacher sein wird.
Das geht besonders aus den Versen 28-32 hervor. Da heißt es zuerst, dass «sein Herz wider den heiligen Bund gerichtet sein wird». Dann werden seine Pläne für eine Zeit durch «die Schiffe von Kittim», d.h. durch einen römischen Feldzug, vereitelt. Das ist die Begebenheit, an die sich vielleicht viele aus der Schulzeit erinnern, bei welcher der römische Führer, seiner Falschheit überdrüssig, einen Kreis um ihn zog und eine Antwort verlangte, bevor er daraus heraustreten durfte. Das ärgerte ihn sehr. Aber da er sich nicht getraute, die Römer anzugreifen, machte er seinem Ärger den Juden gegenüber Luft, er «ergrimmte gegen den heiligen Bund».
Unter den Juden seiner Tage wurden solche gefunden, «die den heiligen Bund verlassen» (V. 30). Mit diesen verband er sich und fuhr fort, das Heiligtum in gewalttätiger Weise zu entweihen (V. 31). Er stieß die ganze gottesdienstliche Ordnung im Tempel zu Jerusalem um, schaffte das beständige Opfer für Jehova in dem Bestreben ab, alle zu zwingen, das falsche Bild zu verehren, das hier «der verwüstende Gräuel» genannt wird. Dann verführte er mit Schmeicheleien und gewann «diejenigen, welche gottlos handeln gegen den Bund», für seine Sache.
In diesen Versen wird «der Bund» nicht weniger als viermal genannt und dreimal davon in Verbindung mit dem Wort «heilig». Das, was Gott vereinbart und verordnet hat, ist immer ein Gegenstand für den Angriff des Feindes. Und dieser Mann war ohne Zweifel ein Agent Satans in seinen Bemühungen, das zu untergraben, was vom Gottesdienst des einen wahren Gottes in Jerusalem noch übrig geblieben war.
Aber in jenen Tagen gab es nicht nur solche, die gottlos waren und die Satan verführen konnte, sondern auch ein «Volk, welches seinen Gott kennt» und «Verständige des Volkes». So handelt Gott immer. Er lässt sich nicht ohne Zeugen irgendeiner Art. Hier haben wir Voraussagen von dem, was sich in jenen dunklen Tagen abspielte. Die Makkabäer, eifrige und gottesfürchtige Männer, standen auf, und unter ihrer Führung gab es endlich eine Befreiung, doch nicht ohne große Verluste und Leiden (V. 33).
In den letzten Versen von Hebräer 11, besonders die Verse 36-38, finden wir einen Hinweis auf die Leiden der Heiligen vergangener Zeitalter, die wir im Alten Testament nicht erwähnt finden. Es kann sein, dass er sich auf die Heiligen bezieht, die in den Prüfungszeiten, die den Tagen Maleachis folgten, zu leiden hatten. Ihre Erprobung wurde noch erschwert durch das Versagen und den Abfall von solchen, die zu den Verständigen zählten (V. 35). Doch dies hatte eine reinigende Wirkung auf die, die wirklich standhaft waren für Gott.
Dieser Zustand sollte «bis zur Zeit des Endes» bestehen bleiben. So steht es hier geschrieben und so hat es sich erfüllt, - besonders in Bezug auf die Juden, um die es in dem prophetischen Abschnitt hier geht. In dieser Sache ist von einer bestimmten Zeit die Rede. Aber es wird keine Andeutung über die Dauer dieser Zeit gemacht. Wenn wir uns zu Stellen wie Epheser 3,4.5 und Kolosser 1,25.26 im Neuen Testament wenden, finden wir, dass in unserer Zeitperiode des Evangeliums die Gnade zu allen Völkern ausgeht. Gott bringt Pläne in Erfüllung, die Er von Ewigkeit her hatte, die aber in den Zeiten des Alten Testamentes nicht geoffenbart waren. Durch die Weisheit Gottes wurden aber die Weissagungen so formuliert, dass sie Raum ließen für Dinge, die später mitgeteilt würden, ohne dass sich Widersprüche in den Tatsachen ergeben. Zur Illustration sei die oft zitierte Stelle in Jesaja 61,2 erwähnt, wo beide Kommen in einem Vers angedeutet werden. Das Gleiche kann von Daniel 9,26 und unserem vorliegenden 35.Vers gesagt werden.
In Vers 36 wird uns plötzlich «der König» vorgestellt. Ein Blick auf den 40. Vers lässt uns erkennen, dass seine Herrschaft «zur Zeit des Endes» sein wird und sein Reich zwischen dem König des Südens und dem König des Nordens liegt. Wir schließen daraus, dass dieser König der ist, der in den letzten Tagen über Palästina herrschen wird und von dem wir im Neuen Testament weiteres lesen. Er entspricht dem zweiten Tier aus Offenbarung 13 und ist der falsche Messias, der in seinem eigenen Namen kommt, den der Herr Jesus in Johannes 5,43 ankündigte.
Das Handeln dieses Königs wird in den Versen 36-39 vorausgesagt und das Hauptmerkmal dabei ist: Er «wird nach seinem Gutdünken handeln». Nun, Sünde ist Gesetzlosigkeit - das Geschöpf entzieht sich der Herrschaft des Schöpfers, um seinen eigenen Willen geltend zu machen und auszuführen. In 2. Thessalonicher 2,3 lesen wir vom «Menschen der Sünde», der geoffenbart werden wird, sobald Der, welcher zurückhält, aus dem Wege ist. Wenn wir die beiden Stellen miteinander vergleichen, sehen wir einige auffallende Ähnlichkeiten. In beiden wird der Kommende durch Eigenwille und Selbsterhöhung gekennzeichnet sein.
Wir wollen uns zum Nutzen unserer eigenen Seele daran erinnern, dass es für das wahre christliche Leben nichts Schädlicheres gibt, als Eigenwille. Wir sind berufen, Gottes Willen, nicht unseren eigenen, zu tun. Wir werden zu einem Leben des Gehorsams aufgerufen, denn wir sollten diese Gesinnung in uns haben, die auch in Christo Jesu war und die Ihn bis in den Tod führte. Sein Leben war Selbsterniedrigung, genau das Gegenteil der Gesinnung der Selbsterhöhung, die in Adam war und die auch das Fleisch in jedem von uns charakterisiert.
Zwei Ausdrücke in Vers 37 weisen darauf hin, dass dieser König ein Jude sein wird. Er wird weder auf «den Gott seiner Väter», noch auf die Sehnsucht der Weiber» achten. Jede echte Jüdin wünschte die Mutter des Messias zu werden. Er wird Erstaunliches wider den wahren Gott reden, indem er sich selbst eine göttliche Stellung aneignet. Er wird «den Gott der Festungen» ehren; eine Anspielung auf das, was wir in Offenbarung 13 klar sehen: Das zweite Tier, der Führer des religiösen Abfalls, ist vom ersten abhängig, wenn es um weltliche und militärische Macht geht.
Er wird Unterstützung nötig haben, denn beide, der König des Südens und des Nordens, werden seine Gegner sein; besonders aber der König des Nordens, wie es die letzten Verse des Kapitels klar machen. In Jesaja wird er «der Assyrer» oder «die überflutende Geißel» genannt und Sacharja 14,1-3 scheint auf das Ende dieses nördlichen Widersachers Bezug zu nehmen, wie die beiden letzten Verse unseres Kapitels. Am Anfang wird dieser großen Erfolg haben und viele Länder überfluten, ausgenommen Edom, Moab und Ammon. Sie werden aufbewahrt, um von einem wiederhergestellten Israel direkt bekämpft zu werden. Er wird Ägypten überwältigen, dann werden ihn Nachrichten von Nordosten erreichen, die ihn nach Palästina führen. Dort wird er «seine Palastzelte aufschlagen zwischen dem Meere und dem Berge der heiligen Zierde». Und dann, wenn seine Eroberungen den Höhepunkt erreicht zu haben scheinen, «wird er zu seinem Ende kommen und niemand wird ihm helfen». In dieser kurzen und doch plastischen Weise wurde Daniel das geoffenbart, was uns Sacharja 14,3 mitteilt. Jehova wird zum Streit ausziehen in der Person des Herrn Jesus. Der feindliche König des Nordens wird überwältigt werden und sein Ende finden.