Der Prophet Maleachi
Kapitel 1-2,9
„Ausspruch des Wortes Jehovas an Israel durch Maleachi.“ (V. 1)
Obwohl Maleachi inmitten der kümmerlichen Überreste von Juda und Benjamin prophezeit, die aus der Gefangenschaft zurückgekehrt waren, umfasst er in seinen Gedanken doch Israel, das heißt die Gesamtheit des Volkes. Er unterscheidet sich hierin von Sacharja, der nur Juda und Jerusalem im Auge hat. Der sittliche Zustand, den unser Prophet beschreiben will, umfasst also das Volk als ein Ganzes, und das Gericht, welches es treffen muss, wird allgemein sein; ebenso umfasst auch das erste Kommen des Messias in seiner Tragweite das ganze Volk. (Lk 1,54; 2,10.25.32)
„Ich habe euch geliebt, spricht Jehova; aber ihr sprecht: „Worin hast du uns geliebt?“ War nicht Esau der Bruder Jakobs? spricht Jehova, und ich habe Jakob geliebt; Esau aber habe ich gehasst.“ (V. 2 und 3) „Ich habe euch geliebt“, welch rührendes Wort! Damit beginnt Jehova. Es steht am Anfang all Seiner Beziehungen zu den Menschen, all Seiner Wege mit Seinem Volk. Von Ewigkeit her war die Wonne der Weisheit bei den Menschenkindern (Spr 8,31); und hatte, was Israel betrifft, Gott nicht von Anfang an Seine Liebe darin bewiesen, dass Er mit Seiner Gandenwahl anfing: „Ich habe Jakob geliebt?“ Weiterhin hatte Jehova Israel aus Ägypten befreit, hatte es auf Adlers Flügeln getragen, um es zu Sich zu bringen, hatte es in der Wüste durch die Wolke geleitet, um es endlich in das Land der Verheißung einzuführen. Und auch nachdem Seine Gerichte, der Beweis Seines unwandelbaren Charakters der Gerechtigkeit und Heiligkeit, sich über dieses untreue Volk hatten ergießen müssen, hatte die Liebe Gottes es nicht schließlich doch wiederhergestellt und es wieder hinaufziehen lassen in sein Land? Konnte Israel einen Augenblick an einer Liebe zweifeln, die sich auf so mannigfache Art zu seinen Gunsten verwendet hatte?
Dieses selbe Wort spricht Gott auch heute noch. Trotz ihres reißenden Hineilens dem schließlichen Abfall zu, kann die Christenheit täglich die Worte hören: „Ich habe euch geliebt, spricht Jehova“. Ist nicht das Kreuz Christi der unbestreitbare Beweis dieser Liebe?
Ohne Zweifel, sollte man sagen, wird dieses Wort ein Echo finden in dem bewegten Herzen des Volkes, welches von einer so unverdienten Gnade berührt wird. Doch hört, was es antwortet: „Worin hast du uns geliebt?“
Kann man eine solche Verhärtung begreifen? Nachdem das Volk 60 Jahre lang die bittere Erfahrung der Folgen seiner Untreue gemacht, hat es, und zwar gerade in dem Augenblick, wo die unverdienten Gnadenwege zu seinen Gunsten wieder aufgenommen werden, die Kühnheit zu sagen: „Worin hast du uns geliebt?“ Sie kennen den Gott nicht, mit dem sie es zu tun haben, und noch weniger kennen sie sich selbst. Sie wissen nicht, dass Gott sich nie verändert, und dass, wenn Seine Gerichte unwandelbar sind, Seine Liebe ebenso unwandelbar ist wie Seine Gerechtigkeit. Das ist der erste Charakterzug dieses Volkes.
Ist der Zustand der Christenheit davon verschieden? Vor nicht langer Zeit hat Gott die Welt geschlagen durch Erdbeben, Überschwemmungen etc. von einer Schwere, wie die Menschen sich keiner ähnlichen erinnern konnten. Aber was haben solche, die an Gott zu glauben bekennen, getan? Anstatt Buße zu tun haben sie gefragt: „Wo ist da Gottes Liebe?“ Trotzdem haben die vergangenen und gegenwärtigen Gerichte Gottes (und sicherlich auch der Veröffentlichung dieser Betrachtung tobende 1. Weltkrieg [Anm. d. Übersetzers]), obschon sie Seine Abscheu gegen das Böse beweisen, zum Zweck, die Seelen zu Sich zu ziehen und ihnen zu beweisen, dass Er sich trotz ihrer Sünden mit ihnen beschäftigt. Seine Liebe gegen sie hat sich nicht verändert; sie hat sich ein für allemal auf dem Kreuz Christi erwiesen, und durch Seine Gerichte will Er nur die Gewissen erreichen und die Augen, wie einst die der Israeliten auf die eherne Schlange, auf das einzige Heilmittel hinlenken. Dass es eine gerechte Regierung Gottes in der Welt gibt, ist zweifellos, und es ist nötig, dass der Mensch sie verstehe und die Erfahrung davon mache, damit er lerne, dass die einzige Hilfsquelle für ihn in der unwandelbaren Liebe Gottes liegt.
Stattdessen aber finden die Sünder in den gerechten Gerichten Gottes einen Anlass, den Charakter Dessen, der sie ruft, in Zweifel zu ziehen. Nichts bewegt das Herz des Menschen; er kommt nicht dahin zu urteilen, dass er nur das Gericht verdient, und anstatt zur Gnade seine Zuflucht zu nehmen, sagt er wie der faule Knecht: „Ich kannte dich, dass du ein harter Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast“. (Mt 25,24) - „Worin hast du uns geliebt?“
Wie es bei Israel der Fall war, ist also der erste Charakterzug der bekennenden Christenheit: Gleichgültigkeit gegenüber der Liebe Gottes, ja, mehr noch: Unkenntnis des Charakters Gottes und Seines besonderen Charakters ihr gegenüber.
Auf die trotzige Frage: Worin hast du uns geliebt? antwortet Jehova, indem Er ihnen den Ursprung des Volkes wieder vor Augen stellt: „War nicht Esau der Bruder Jakobs? und ich habe Jakob geliebt; Esau aber habe ich gehasst.“ Worauf war denn die Auswahl Jakobs gegründet? Wenn Jehova sagte: „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen“ (1. Mo 25,23), was bestimmte dann Gottes Wahl? Weder der eine noch der andere der beiden Brüder hatte in jenem Augenblick Gutes oder Böses getan; was den Unterschied zwischen ihnen ausmachte, war also der feste Vorsatz, die freie Wahl Gottes, nach Wahl der Gnade. (Röm 9) Und warum sagte Er jetzt: „Ich habe Jakob geliebt“? Hatte es etwas in dem Verhalten Jakobs gegeben, das ihn hätte beliebt machen können? Wahrlich, der Charakter Jakobs hat nichts Anziehendes für uns, wie viel weniger für Gott; denn niemals hat ein Mensch einen Glauben besessen, der mehr mit Betrug vermischt gewesen wäre. Aber vielleicht hatten die Werke Jakobs trotz seines Charakters die Liebe Gottes angezogen? Auch nicht. Es gibt wenige unter den Patriarchen, die ein Leben geführt haben, das ärmer an guten Werken gewesen wäre als das seinige; und wie die Werke seiner Nachkommen beschaffen waren, darüber gibt uns Maleachi selbst Auskunft. Woher kam denn diese Liebe Jehovas zu einem Menschen, und dann zu einem Volk, das so elend war? Sie entsprang dem Bedürfnis des Herzens Gottes, sich zu erkennen zu geben und den Sündern zu zeigen, was Er ist. Israel hatte Nutzen daraus gezogen, dass Gott Sich, d.h. Seine Natur und Sein Herz, solch elenden Wesen, wie wir sind, offenbaren wollte.
Doch Jehova fügt hinzu: „Esau aber habe ich gehasst“. Gab es vielleicht Ungerechtigkeit und Parteilichkeit bei Gott, dass Er diesen Mann gehasst hatte? Keineswegs. Die freie Wahl des unumschränkten Gottes ist nicht Hass. Im 1. Buch Mose wird uns diese Wahl mitgeteilt. „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen“, aber wir sehen da keinen Hass gegen Esau. Gott spricht dort nicht Gericht über Esau aus; um dies zu erfahren, müssen wir bis zu Maleachi kommen, dem letzten prophetischen Buch des Alten Testaments. Die Sache ist aber die, dass der Hass Gottes gegen Esau die Folge des Verhaltens Esaus ist. Jehova hatte ihm, wie seiner Nachkommenschaft, Tausende von Jahren bewilligt, um durch seine Werke zu beweisen, ob er würdig sei, von Ihm geliebt zu werden; aber Edom hatte bei jeder Gelegenheit gezeigt, dass er der geschworene Feind Gottes und Seines Volkes war, und hatte endlich das Maß seiner Ungerechtigkeiten voll gemacht durch sein Verhalten gegen Jerusalem und seine Brüder in ihrer Not. (Obad 10-14) Daher macht Gott ihn auf Grund seiner Werke zum Beispiel eines Gerichts ohne Gnade, indem nach Maleachi Edom das Volk ist, „welchem Jehova ewiglich zürnt“, während nach dem Propheten Obadja es „ausgerottet werden wird auf ewig“, und „das Haus Esau keinen Übriggebliebenen haben wird“. (Obad 10.18)
Nach Feststellung dieser beiden Grundsätze: auf der einen Seite Seine Liebe und Seine Gnadenwahl, auf der anderen Seine Gerechtigkeit und Heiligkeit, die das Böse nicht ungestraft lassen können, geht Gott auf den gegenwärtigen Zustand des Volkes, das Er geliebt hatte, ein. Hatte Israel sich so vieler Liebe würdig gezeigt, oder hatte es vielmehr verdient, dem Gericht anheim zu fallen? Das ist es, was uns Kapitel 1,6-2 zeigen wird.
Der einzige Unterschied zu Gunsten Israels, wenn es mit Edom verglichen wird, ist der, dass es unter Israel einen Überrest Entronnener nach Wahl der Gnade gibt. Dieser Überrest wird ein Beispiel davon sein, wie Gott Seinen Hass gegen die Sünde und Seine Liebe zu dem Sünder zu vereinen weiß. Nun, wir wissen, dass das Kreuz Christi der einzige Platz ist, wo die Gerechtigkeit Gottes sich darin offenbart, dass sie den Sünder rechtfertigt, anstatt ihn zu verdammen.
Wenden wir uns jetzt wieder der Prophezeiung zu und untersuchen wir zunächst den sittlichen Zustand Israels, des Besitzers so vieler Vorrechte. Diese ganze Stelle (Kap. 1,6-2,9) beschreibt den Zustand des Priestertums, sodann (Kap. 2,10-17) den des Volkes.
Der Priester war zugleich der Mittler zwischen Gott und dem Volk und der Vertreter des Volkes vor Gott; aber hier trägt er vielmehr den Charakter dessen, der Gott im Gottesdienst naht. Wenn das Volk aufmerksam auf die Stimme Jehovas gehört hätte, so wäre es insgesamt ein „Königreich von Priestern und eine heilige Nation“ gewesen. (2. Mo 19,6) Statt dessen aber hat Israel am Fuß des Sinai, wo es seiner Verantwortlichkeit überlassen war, mit seiner ersten Handlung, indem es das goldenen Kalb machte, jedes Recht verloren, diesen Dienst zu erfüllen.
Nach langen geduldigen Versuchen mit Seinem irdischen Volk, um zu sehen, ob es nicht durch sein Verhalten die verlorenen Vorrechte wiedergewinnen könnte, hat Gott dann ein neues allgemeines Priestertum erweckt, indem Er Seine Kirche absonderte. Hat diese letztere sich nun des ihr anvertrauten Priestertums würdig gezeigt? Die Geschichte der bekennenden Christenheit beantwortet diese Frage in verneinendem Sinn, obwohl sie behauptet, in Betreff des Gottesdienstes in Verbindung mit Gott zu stehen. Sie führt den Namen Gottesdienst im Mund, aber sie hat die Bedeutung desselben ganz vergessen. Selbst die Gläubigen in ihrer Mitte beweisen ihre Unkenntnis in Bezug hierauf. Ohne Zweifel sind sie in Gottes Augen tatsächlich Priester, aber sie erfüllen nicht mehr die priesterlichen Verrichtungen. Israel ist also nicht das einzige Beispiel von Unwissenheit bezüglich der Verehrung, welche Gott rechtmäßigerweise von Seinem Volk zu erwarten hat.
„Ein Sohn soll den Vater ehren, und ein Knecht seinen Herrn. Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? Und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht? Spricht Jehova der Heerscharen zu euch, ihr Priester, die ihr meinen Namen verachtet.“ (Kap. 1,6)
Wiewohl die Familienbeziehungen, von denen diese Stelle redet, damals lockerer wurden, geradeso wie es in unseren Tagen des fortschreitenden Abfalls geschieht, so blieb doch noch bestehen, dass der Sohn seinen Vater ehren und der Knecht seinen Herrn fürchten sollte. Nun, Gott war Vater und Herr zugleich, und die Priester verachteten Seinen Namen. Aber sie sagten: „Womit haben wir deinen Namen verachtet?“ Gott antwortet ihnen: „Ihr bringet auf meinem Altar unreines Brot dar und doch sprechet ihr: Womit haben wir dich verunreinigt? Damit, dass ihr saget: Der Tisch Jehovas ist verächtlich.“ Ihre Frage war bezeichnend für jene Unkenntnis, die wir soeben erwähnt haben: eine Unkenntnis des Charakters Gottes, dessen was sie Ihm schuldig waren, und der Schuldbarkeit ihrer eigenen Handlungen.
Wenden wir diese Worte auf das an, was in der bekennenden Christenheit geschieht, die vorgibt, Gottesdienst auszuüben, sich Seinem Tisch zu nähern, teilzunehmen an dem Gedächtnismahl des Opfers Christi … Was bringt sie an diesen Platz? Die Reinheit oder die Befleckung? Sind es mit ihren Sünden beladene Wesen, oder von ihren Sünden gereinigte Heilige, die sich dort einfinden? Auch sagt man: Womit haben wir deinen Namen verunreinigt, oder womit haben wir dich entweiht? Haben wir hiermit Böses getan? Haben wir nicht unsere religiösen Pflichten pünktlich erfüllt? „Damit, dass ihr sagt“, antwortet Jehova, „der Tisch Jehovas ist verächtlich!“ Das will nicht sagen, dass diese Worte tatsächlich ausgesprochen würden, aber ihre Taten beweisen, wie sie Jehova und Seinen Tisch achten. „Und wenn ihr Blindes darbringt, um es zu opfern, so ist es nichts Böses; und wenn ihr Lahmes und Krankes darbringt, so ist es nichts Böses. Bringe es doch deinem Landpfleger dar; wird er dich wohlgefällig annehmen, oder Rücksicht mit dir haben? Spricht Jehova der Heerscharen.“ (V. 8) Was ist es, was der religiöse Mensch aller Zeiten Gott gibt, und was er für Ihn tut? Er verrichtet öffentlich Handlungen, die ihn in den Augen anderer Menschen ehrenwert erscheinen lassen. Der Pharisäismus, sei er jüdisch oder christlich, hat keinen anderen Bewegrund. Seine mildtätigen Werke bewirken, dass unter den Menschen von ihm geredet wird, aber im Geheimen, was kann er, der Gott nicht kennt, Gott anderes darbieten als „ein krankes Tier“?
Was sollen wir denn tun, um Gott angenehm zu sein?: rufen dieselben Menschen. Dies: „Und nun, flehet doch Gott an, dass Er uns gnädig sei! - von eurer Hand ist das geschehen, - wird Er um euretwillen Rücksicht haben? Spricht Jehova der Heerscharen.“ (V. 9)
Tut Buße; verlasset eure Wege; fleht Gott an; rufet Seine Gnade an! Das ist eure einzige Hilfsquelle, das einzige Mittel für euch, die Gunst Gottes zu erlangen. Ihr könnt nicht gute Werke tun, euer Verhalten beweist es; die in euren Augen besten Werke sind für Gott nur tote Werke, von denen euer Gewissen gereinigt werden muss. (Heb 9,14)
„Wäre doch nur einer unter euch, der die Türen verschlösse, damit ihr nicht vergeblich auf meinem Altar Feuer angezündet! Ich habe keine Lust an euch, spricht Jehova der Heerscharen, und eine Opfergabe nehme ich nicht wohlgefällig aus eurer Hand an.“ (V. 10)
Wir finden hier einen anderen Zug des entarteten Priestertums: Den Eigennutz, welcher den Menschen beim Gottesdienst leitet. Er kann nicht anders handeln, weil er Gott nicht kennt. Darum spricht Gott das völligste Gericht über dieses Bekenntnis ohne Leben aus und erklärt, dass es keinerlei innere Verbindung gibt zwischen diesem Bekenntnis und Ihm: „Ich habe keine Lust an euch, und eure Opfergabe nehme ich nicht wohlgefällig aus eurer Hand an!“
„Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang wird mein Name groß sein unter den Nationen; und an jedem Orte wird geräuchert, dargebracht werden meinem Namen, und zwar reine Opfergaben. Denn mein Name wird groß sein unter den Nationen, spricht Jehova der Heerscharen.“ (V. 11)
Der Prophet erklärt hier, dass Gott sich zu den Nationen wenden will. Dies hat in der Tat stattgefunden. Jehova verließ Sein Volk in Gericht, und das Evangelium wurde den Heiden verkündigt. Eine große Menge unter ihnen wurde bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und ihre Hoffnung auf Christum zu setzen. Dieses Wort des Propheten kann daher unmittelbar auf die Segnung der Heiden durch den christlichen Glauben angewandt werden, aber es geht weiter: Der Geist lenkt unsere Gedanken auf eine noch zukünftige Zeit, in welcher dem Gott Israels eine reine Opfergabe durch die Nationen dargebracht werden wird. Diese Tatsache, welche die Prophezeiung des ganzen Alten Testaments ausfüllt, wird erst stattfinden nach dem endgültigen Gericht, welches an dem aufrührerischen Volk und an seinen Unterdrückern vollzogen werden wird. Dann wird eine unzählige Menge aus den Heiden vor dem Thron und vor dem Lamm stehen (Off 8), und an jedem Ort, nicht nur in dem Tempel zu Jerusalem, wird dem großen Namen Jehovas geräuchert werden.
„Ihr aber entweihet ihn, indem ihr sprechet: Der Tisch des Herrn {Nach anderer Lesart: Der Tisch Jehovas} ist verunreinigt, und sein Einkommen, seine Speise ist verächtlich. Und ihr sprechet: Siehe, welch eine Mühsal!“ (V. 12 u. 13) Gott sah, was im Grunde des Herzens der Priester in Israel verborgen war. Die bekennende Christenheit bietet dasselbe Schauspiel. Die Freude der Gegenwart Gottes, die Gemeinschaft mit Ihm, die Wertschätzung des Opfers Christi, sind ihr unbekannt und bringen nur ein Wort auf ihre Lippen: Welch eine Mühsal! Kann sie das Glück fassen, welches die Gläubigen in der Gemeinschaft mit dem Vater und mit dem Sohn haben? Kann sie ihre Freude in dem Wort finden, zu welchem der Heilige Geist allein das Verständnis gibt?
„Und ihr blaset ihn an, {d.h. verachtet ihn} spricht Jehova der Heerscharen.“ (V. 13) Die Offenbarung Gottes und Christi ist für den Menschen gleichsam ein lästiger Staub, dessen er sich zu entledigen sucht; sie bringt seinem Herzen und Gewissen nichts, weil er weder Herz noch Gewissen für Gott hat. Die Welt ist der Meinung, dass die Zerstreuungen und Vergnügungen dem wahren Gottesdienst vorzuziehen sind. Kann der Herr die Opfer annehmen, welche Ihm unter solchen Bedingungen dargeboten werden? Selbst in dem, was man „ein Gelübde“ nannte, d.h. einen freiwilligen Dienst, opferten sie „ein Verdorbenes“, indem der Schein des Eifers ihnen genügte. (V. 14)
Wenn wir jetzt die Charakterzüge des entarteten Priestertums, so wie sie in diesem ersten Kapitel vorgestellt werden, zusammenfassen, so entdecken wir eine völlige Unkenntnis von der Liebe Gottes, die Unkenntnis von Seiner Heiligkeit und Nichtvorhandensein der Gottesfurcht. Verunreinigung wird auf Seinen Tisch gebracht; wertlose Gaben werden zum Schein dargebracht; der Eigennutz regelt die Handlungen, ohne denselben wird nichts für den Dienst Jehovas getan. Dieser Mangel an Wirklichkeit in dem religiösen Leben erzeugt schließlich Überdruss und Widerwillen gegen göttliche Dinge.
Möchte Gott uns vor diesem Geist und diesen Neigungen behüten, von denen unsere natürlichen Herzen nur zu geneigt sind, sich mit fortreißen zu lassen! Gott fordert von uns keinen eitlen Schein, sondern Wahrheit im Herzen, Handlungen, die unseren Worten, und Worte, die dem Zustand unserer Seele entsprechen. Glücklich derjenige, von dem Jesus sagen kann: „Siehe, wahrhaftig ein Israelit, in welchem kein Trug ist!“
Die ersten 9 Verse des 2. Kapitels gehören eigentlich zum vorhergehenden; sie geben uns ebenso wenig wie das 1. Kapitel eine völlige Beschreibung des schließlichen Abfalls, schildern aber den Charakter der ihrer Verantwortlichkeit überlassenen Priesterschaft. Wir werden dadurch in den Stand gesetzt, einen Blick in das Herz des religiösen Menschen zu werfen, um so zu lernen, die Züge, die ihn kennzeichnen, für uns selbst zu vermeiden. Zu diesem Zweck braucht der Gläubige nur das erste Wort des Propheten zu behalten: „Ich habe euch geliebt“. Unser Schutzmittel ist die Kenntnis der Liebe Christi. Lasst uns immer wieder zu dieser Quelle zurückkehren, denn wir haben kein anderes Mittel, um ein treues Zeugnis abzulegen. Der Herr sagt zu Philadelphia nicht: „Sie werden erkennen, dass du mich geliebt hast“, sondern: „Sie werden erkennen, dass ich dich geliebt habe“. (Off 3,9) Wenn wir uns an die Brust Jesu lehnen, fühlen wir da nur den Herzschlag der Liebe. Da lernen wir sie kennen und suchen sie nicht mehr in der immer unvollkommenen Art, mit der wir unseren Dienst tun.
Und nun, ihr Priester, an euch ergeht dieses Gebot! Wenn ihr nicht hört, und wenn ihr es nicht zu Herzen nehmt, meinem Namen Ehre zu geben, spricht Jehova der Heerscharen, so werde ich den Fluch unter {O. wider} euch senden, und eure Segnungen verfluchen; ja, ich habe sie auch verflucht, weil ihr es nicht zu Herzen nehmt. Siehe, ich schelte euch die Saat und streue euch Mist in das Angesicht, den Mist eurer Feste, und man wird euch zu ihm hintragen. (V. 1-3) Die Menschen, die durch ihre Vorrechte Gott am nächsten stehen, werden am strengsten gerichtet. Diese hier brüsteten sich mit ihren Vorrechten, aber sie hatten Gott vergessen, der für sie eine Sache geworden war, um die man sich nicht zu kümmern braucht. Zu welch anderem Zweck waren die Priester da, als nur, „um Seinem Namen Ehre zu geben“? Entsprachen sie diesem Zweck nicht, so wollte Gott ihre Segnungen verfluchen, und ihre Vorrechte sollten sich für sie in Fluch verwandeln. Ja, diese Drohung war zur Zeit des Propheten Maleachi schon zur Tatsache geworden.
„Und ihr werdet wissen {O. erkennen, erfahren}, dass ich dieses Gebot an euch gesandt habe, damit mein Bund mit Levi sei, spricht Jehova der Heerscharen.“ (V. 4) Wir begegnen hier einer absichtlichen und im Alten Testament sehr häufigen Vermengung der Priester mit den Leviten. Das Priestertum, im wahren Sinn des Wortes, hatte schon am Fuß des Sinai gefehlt, als Aaron, der Hohepriester, „das Volk zügellos gemacht hatte“, indem er ihm das goldene Kalb machte. (2. Mo 32,25) Es hatte von neuem gefehlt, als Nadab und Abihu, die Söhne Aarons, fremdes Feuer vor Jehova darbrachten (3. Mo 10,1) und verzehrt wurden. Es hatte wiederum gefehlt, als Eli, der Nachkomme Ithamars, seine Söhne mehr ehrte als Jehova, und Gott ihm ankündigen ließ, dass Er an seiner Statt einen treuen Priester erwecken würde, der vor Seinem Gesalbten wandeln solle alle Tage. (1. Sam 2,29.35) Zadok, von der Familie Eleasars, wurde damals erweckt, und diese Familie bekleidete fernerhin den ersten Rang im Priestertum (1. Chr 6,50-52; 24,1-6); aber wir sehen am Ende des Buches Nehemia, was aus dieser Familie geworden war: „Verunreiniger des Priestertums und des Bundes des Priestertums und der Leviten“. (Neh 13,29) Gerade so heißt es hier bei unserem Propheten: „Ihr habt den Bund Levis zerstört“. (Kap 2,8) Das änderte allerdings nichts an dem festen Beschluss Jehovas, für die Zukunft in dieser Familie ein treues Priestertum zu bewahren, welches sogar besser als Zadok unter der Regierung Davids, „vor Seinem Gesalbten wandeln wird alle Tage“. Aber infolge der gegenwärtigen Treulosigkeit der Priesterschaft besteht Jehova auf Seinem Bund mit Levi.
Der hier über das jüdische Priestertum ausgesprochene Fluch wird in gleicher Weise das christliche Bekenntnis treffen. Auf 2. Mose 19,6 anspielend, sagt der Apostel Petrus den Christen: „Ihr seid ein heiliges Priestertum“. „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation.“ (1. Pet 2,5.9) Wenn wir es seinem äußeren Bekenntnis nach betrachten, ist dieses Priestertum untreu geworden und kann keinen Bestand haben; aber die Ratschlüsse Gottes sind unbereubar und werden trotz allem bestehen bleiben. Wenn einmal das Ganze unter das Gericht fällt, und wenn Gott, indem Er die bösen Knechte straft, sich gezwungen sieht zu sagen: „Der Herr jenes Knechtes wird kommen an einem Tag, an welchem er es nicht erwartet, und in einer Stunde, die er nicht weiß, und wird ihn entzweischneiden und sein Teil setzen mit den Heuchlern; da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen“ (Mt 24,50.51), - dann wird es nicht weniger wahr sein, dass „Sein Bund mit Levi besteht“.
Die Söhne Levis hatten bei zwei bemerkenswerten Gelegenheiten Eifer für Jehova bewiesen. Nach der Errichtung des goldenen Kalbes und der Sünde Aarons stellte sich Moses auf im Tore des Lagers und sprach: „Her zu mir, wer für Jehova ist! Und es versammelten sich zu ihm alle Söhne Levis. Und er sprach zu ihnen: Also spricht Jehova, der Gott Israels: Legt ein jeder sein Schwert an seine Hüfte, geht hin und wieder, von Tor zu Tor im Lager, und erschlagt ein jeder seinen Bruder und ein jeder seinen Freund und ein jeder seinen Nachbar. Und die Söhne Levis taten nach dem Wort Moses; und es fielen von dem Volk an selbigem Tage bei dreitausend Mann. Und Moses sprach: Weiht euch heute dem Jehova, ja, ein jeder in seinem Sohn und in seinem Bruder, um heute Segen auf euch zu bringen.“ (2. Mo 32,26-29)
Dieser Eifer zeigte sich zum zweiten Mal gelegentlich der Verbindung Israels mit den Töchtern Moabs, um Baal-Peor anzubeten. Pinehas, der Sohn Eleasars, durchbohrte damals in seinem Eifer für Jehova die Schuldigen mit einer Lanze. Dieses Ereignis liegt unserer Stelle hier zu Grunde: „Mein Bund mit ihm war das Leben und der Friede“. (V. 5) Denn Jehova hatte tatsächlich zu Mose gesagt: „Pinehas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, des Priesters, hat meinen Grimm von den Kindern Israel abgewendet, indem er in meinem Eifer in ihrer Mitte geeifert hat, so dass ich die Kinder Israel nicht in meinem Eifer vertilgt habe. Darum sprich: Siehe, ich gebe ihm meinen Bund des Friedens; und er wird ihm und seinem Samen nach ihm ein Bund ewigen Priestertums sein, darum dass er für seinen Gott geeifert und für die Kinder Israel Sühnung getan hat.“ (4. Mo 25,10-13) Auf Grund der Treue des Pinehas sollte das ewige Priestertum in der Familie Eleasars, dessen Sohn dieser Levit war, verbleiben.
So wird es am Ende der Zeiten wirklich sein. Aus Hes 48,11.12 geht hervor, dass die priesterliche Familie, von welcher die Söhne Zadoks unter der Regierung Davids in den Besitz des Amtes kamen, während der tausendjährigen Regierung Christi wieder da sein wird. Es heißt dort: „Den Priestern, - wer geheiligt ist von den Söhnen Zadoks - die meiner Hut gewartet haben, welche, als die Kinder Israel abirrten, nicht abgeirrt sind, wie die Leviten abgeirrt sind, ihnen soll ein Gehobenes von dem Hebopfer des Landes gehören, ein Hochheiliges an der Grenze der Leviten.“ (Vergl. Kap. 40,46; 43,19; 44,15) Wir haben hier eines der Beispiele der weiter oben erwähnten absichtlichen Vermengung der Priester mit den Leviten, denn es waren die Priester, die „den Bund Levis zerstört“ hatten (V. 8)
„Mein Bund mit ihm war das Leben und der Friede; und ich gab sie ihm zur Furcht, und er fürchtete mich, und er, er zitterte vor meinem Namen. Das Gesetz der Wahrheit war in seinem Munde, und Unrecht fand sich nicht auf seinen Lippen; er wandelte mit mir in Frieden und Geradheit, und viele brachte er von ihrer Ungerechtigkeit zurück. Denn die Lippen des Priesters sollen Erkenntnis bewahren, und das Gesetz sucht man aus seinem Munde, denn er ist ein Bote Jehovas der Heerscharen. (V. 5-7)
Levi hatte fünf Charakterzüge: 1. Was sein Herz betraf: er fürchtete Jehova; er wandte sich ab von jenen unheiligen Opfern, von denen Gott sagte: Wo ist meine Furcht? 2. Was seine Worte betraf: das Gesetz der Wahrheit war in seinem Munde, und Unrecht fand sich nicht auf seinen Lippen. 3. Was seinen Wandel betraf: er wandelte mit Jehova in Frieden und Geradheit. 4. Was seinen Dienst betraf: er hatte viele von der Ungerechtigkeit zurückgebracht. 5. Was seine Botschaft betraf: er war ein Bote Jehovas der Heerscharen.
Das Wort betrachtet hier den schwachen Dienst der Leviten im Lichte des Dienstes des Sohnes Eleasars. Es schätzt diesen Dienst nach seinem Ursprung, ebenso wie es den unsrigen im Lichte des Dienstes Christi betrachtet. Diese ganze Stelle redet tatsächlich von Ihm und zeigt uns ein bewunderungswürdiges Bild von Seiner Tätigkeit als Mensch. Auf Erden war Jesus nicht Priester. Er ist es erst geworden kraft Seiner Auferstehung aus den Toten. (Ps 110) Aber Seine ganze Laufbahn hienieden entsprach derjenigen des treuen Leviten. Er war der vollkommene Diener Jehovas sowohl, als auch des gefallenen Menschen. Auch hat Gott Ihm ein unverändertes Priestertum anvertraut: weil Er auf Erden vor den Menschen für Gott gewesen war, konnte Er fortan im Himmel für die Menschen vor Gott sein.
Eine Stelle im 5. Buch Mose stellt uns ebenfalls Levi vor unter dem vorbildlichen Charakter Christi: „Und von Levi sprach er: Deine Thummim und deine Urim sind für deinen Frommen. ... Segne, Jehova, sein Vermögen, und das Werk seiner Hände lass dir wohlgefallen“ (5. Mo 33,8-11)
In diesem herrlichen Kapitel haben zwei Persönlichkeiten vor allen anderen den Vorrang: Joseph und Levi. Alle beide werden gekennzeichnet durch die Absonderung für Gott. Einerseits kommen die Segnungen auf Joseph, weil er von seinen Brüdern abgesondert worden war. Sein Charakter war der eines Nasiräers, einer von Gott geordneten Absonderung. In dieser Stellung war er treu; auch kommt die Gunst Gottes „auf das Haupt Josephs und auf den Scheitel des Abgesonderten unter seinen Brüdern“. (V. 16) Was Levi betrifft, so war seine Absonderung freiwillig: die Frucht seiner Treue. Auch segnet Jehova sein Vermögen, und das Werk seiner Hände ist Ihm wohlgefällig. Und zwar ist ihm nach dem Gebot Moses das ewige Priestertum zugewiesen: die Urim und die Thummim, begleitende Kennzeichen des Priestertums, durch welche man Jehova befragte (1. Sam 28,6; 23,9; vgl. 4. Mo 27,21; Esra 2,63; Neh 7,65), sind „für Seinen Frommen“. (5. Mo 33,8) Geschichtlich ist diese Verheißung verwirklicht worden in der Familie Eleasars, des Vaters Pinehas'; aber hier ist Levi eine Persönlichkeit, ein einzelner Mensch. Das Verhalten Levis (Pinehas), wie dasjenige Christi, wovon es ein Vorbild war, bildet die Grundlage jedes Priestertums.
„Ihr aber seid abgewichen von dem Wege, habt viele straucheln gemacht im Gesetz, ihr habt den Bund Levis zerstört, spricht Jehova der Heerscharen. So habe auch ich euch bei dem ganzen Volke verächtlich und niedrig gemacht, in demselben Maße, wie ihr meine Wege nicht bewahrt und die Person anseht beim Gesetz“ (V. 8.9). Der Prophet kommt hier auf die Priester zurück, die nur den Schein und das Bekenntnis von Priestern haben. Anstatt auf den Wegen des wahren Knechtes zu wandeln, der von Anfang an ihr Muster hätte sein sollen, waren sie, obwohl sie seinen Namen trugen, verderbte Wege gegangen, indem sie so vielen ein Beispiel gaben, das Gesetz zu verlassen, oder auch indem sie es verschieden anwandten, je nachdem es sich um Arme oder Angesehene handelte. So wollte auch Gott sie vor aller Augen verächtlich machen.