Der erste Brief an die Korinther
Kapitel 2
Es war nun in diesem Geist und in der Kraft der göttlichen und nicht in der menschlichen Weisheit, in denen der Apostel im Anfang zu den Korinthern gekommen war. Er kam nicht in dem Wortschwall griechischer Gelehrsamkeit, nein, er kam „nicht nach Vortrefflichkeit der Rede oder Weisheit“ (Vers 1), nicht nach vernunftgemäßen Beweisgründen, vergleichbar mit der heidnischen Philosophie, sondern wollte nichts anderes wissen „als nur Jesus Christus, und ihn als gekreuzigt“ (Vers 2), der Gegenstand des Hohnes und der Verachtung der Menschen. Es mag nicht unnötig sein zu bemerken, dass der Apostel durch diese Worte nicht, wie man oft meint, das Kreuz des Christus, als den alles umfassenden Gegenstand seines Zeugnisses, hervorzuheben gedenkt, sondern einfach sagen will, dass er Christus selbst, und zwar so vor ihre Seele hingestellt habe, dass dadurch alle Weisheit und Kraft der Menschen zuschanden gemacht werde: „Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Anstoß und den Nationen eine Torheit.“ Das Kreuz des Christus zeigt uns das Gericht Gottes unserer Sünden und Übertretungen wegen; es offenbart uns seine Gerechtigkeit und zugleich – gepriesen sei sein Name! – die vollkommene Gnade und Liebe Gottes gegen uns; aber dennoch wird die Seele unsicher und mit Furcht erfüllt bleiben, wenn sie nur bis zum Kreuz und nicht weitergeführt wird. Die Auferstehung des Christus zeigt uns den vollkommenen Triumph über Sünde, Tod und Teufel, garantiert dem Gläubigen seine völlige Rechtfertigung und seine Annahme bei Gott und offenbart ihm zugleich den festen Grund seiner Hoffnung. Es kann also nur Unkenntnis oder falsche Demut sein, Christus einzig und allein auf dem Kreuz, unter der Last unserer Sünde und im Gericht Gottes betrachten zu wollen und nicht zugleich als den, der unserer Rechtfertigung wegen auferweckt ist; und die Folge einer solch mangelhaften Erkenntnis und Annahme des ganzen Werkes des Christus wird nicht nur, wie schon gesagt, Unsicherheit und fortwährende Furcht sein, sondern es wird auch die wahre Danksagung eines glücklichen Herzens und ein würdiges Leben zur Verherrlichung Gottes fehlen.
Nicht nur der Gegenstand des Zeugnisses, sondern auch der Träger desselben, Paulus selbst, trug den Stempel der Niedrigkeit und Schwachheit an sich. Er fühlte, dass in dem großen, sittenlosen Korinth der alte böse Feind große Gewalt hatte, und dies blieb nicht ohne Wirkung auf sein Herz; denn er sagt: „Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern“ (Vers 3), in Schwachheit, weil er nichts aus sich selbst vermochte, in Furcht und vielem Zittern, weil er gerade dort mit so vielen Schwierigkeiten und Gefahren zu kämpfen hatte. Paulus war auch ein Mensch wie wir und fühlte wie wir.
Endlich war es auch nicht hinreißende Redegewandtheit und fleischliche, dem menschlichen Stolz schmeichelnde Überredungskunst, wodurch er seinem Zeugnis Eingang zu verschaffen suchte und die Herzen der genusssüchtigen und Weisheit suchenden Korinther mit fortreißen und gewinnen wollte. Im Gegenteil, nicht nur der Gegenstand und der Träger des Zeugnisses trugen die Merkmale der Schwachheit an sich, auch die Art und Weise der Verkündigung geschah in Niedrigkeit und Verachtung. Der Geist Gottes aber bestätigte die Worte durch seine Gegenwart, in Erweisung vieler Wunder und Kräfte und Gaben (Vers 4); und so beruhte der Glaube der Korinther nicht auf eitlen, wenn auch schönen Worten menschlicher Weisheit, sondern auf der Kraft Gottes (Vers 5). Es war eine sichere und feste Grundlage, eine Grundlage, die unerschütterlich ist.
In dem folgenden Teil dieses Kapitels erklärt nun der Apostel zunächst, dass er und die mit ihm verbundenen Zeugen in der Tat Weisheit verkündigten, die Weisheit Gottes; dann zeigt er das Mittel, wodurch dieselbe offenbart und mitgeteilt wird, und wer endlich allein fähig ist, diese Weisheit zu erkennen und anzunehmen. „Wir reden aber Weisheit unter den Vollkommenen“, d. h. unter solchen, die das Evangelium angenommen haben und in der Lehre des Heils in Christus unterwiesen und befestigt sind, Erwachsene in Christus (vgl. Phil 3,15; Heb 10,14); „nicht aber Weisheit dieses Zeitlaufs, noch der Fürsten dieses Zeitlaufs, die zunichtegemacht werden“ (Vers 6). Sowohl die Fürsten als auch ihre Weisheit und selbst der Zeitlauf, worin sie ihre Glückseligkeit suchen, kurz, alles dies vergeht, während der Ausgang der Weisheit Gottes unsere ewige Herrlichkeit ist. Diese Weisheit, eingehüllt in ein Geheimnis, war der verborgene und jetzt durch den Heiligen Geist offenbarte Ratschluss Gottes; sie umfasst das, was Gott vor den Zeitaltern in seinem unabänderlichen Ratschluss zu unserer Herrlichkeit zuvor bestimmt hat (Vers 7). Das Geheimnis betrifft nicht so sehr die Versammlung, sondern vielmehr die Auserwählung zum Anteil an der göttlichen Natur und zur Annahme als Kinder durch die neue Geburt und nicht durch Vererbung. Den Fürsten dieses Zeitlaufs aber blieb diese Herrlichkeit trotz all ihrer Weisheit völlig unbekannt; „denn wenn sie sie erkannt hätten, so würden sie wohl den Herrn der Herrlichkeit“, Jesus, der diese Herrlichkeit in seiner eigenen Person besaß, der sie offenbarte und mitteilte und in dem sie ganz erfüllt werden soll – „nicht gekreuzigt haben“ (Vers 8). Ach! die Weisheit der Menschen erkennt nichts von dieser Herrlichkeit; sie sieht in Ihm nur Torheit und Schwachheit.
In dem Brief an die Epheser verweilt der Apostel länger bei diesem Gegenstand, weil die Epheser geistlicher und am Verständnis nicht mehr Kinder waren, die Milch nötig hatten wie die Korinther. Er sieht dort die Versammlung schon versetzt „in die himmlischen Örter“ (Eph 2,6) und zeigt auf eine erhabene Weise die Fülle und Tragweite der Ratschlüsse Gottes in ihrer Vollendung, während er bei den Korinthern den Gegenstand dieses Geheimnisses nur vorübergehend und nur in seinem völligen Gegensatz zu der nichtigen Weisheit dieses Zeitlaufs erwähnt. Er will hier nur die Torheit des Menschen ins Licht stellen; denn was auch ihre falsche Weisheit ersonnen haben mag und was auch die Fürsten dieses Zeitlaufs gesehen, gehört und genossen haben mögen, hier ist etwas, wovon bezeugt wird „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz aufgekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben“ (Vers 9). Der Zusatz „denen, die ihn lieben“ zeigt uns, dass Gott, wenn es sich um den Besitz der Herrlichkeit handelt, nie das innere Leben von derselben trennt.
Es ist wichtig, zu bemerken, wie Gott uns dieses Geheimnis mitgeteilt hat. Er hat das, was in keines Menschen Herz gekommen ist, durch seinen Geist offenbart, wie geschrieben steht: „Uns aber hat Gott es offenbart durch seinen Geist, denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes. Denn wer von den Menschen weiß, was im Menschen ist (was er nicht mitteilt), als nur der Geist des Menschen, der in ihm ist? So weiß auch niemand, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes“ (Verse 10.11). Welche genaue Verbindung, ja, welche innige Zusammenschmelzung dieser beiden Personen! Gott und der Geist sind eins. Wenn irgendein Geheimnis offenbart werden soll, so muss der Geist als Kanal dienen; und wiederum kann der Geist nichts kundtun, ohne den bestimmten Willen Gottes. Ohne diesen Willen und ohne diesen Geist gibt es keine Offenbarung.
Paulus und den anderen Aposteln waren die Geheimnisse Gottes durch den Geist mitgeteilt; er konnte sagen: „Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist, um die Dinge kennen, die uns von Gott geschenkt sind“ (Vers 12). Der Apostel spricht hier nicht von der Innewohnung des Geistes in allen Christen, sondern von Ihm als dem, der gegeben war, Geheimnisse zu offenbaren. Der Geist der Welt kann nur die Dinge wissen, die in der Welt sind, nicht aber die Dinge Gottes. Um die Dinge zu wissen und zu verstehen, die uns Gott aus Gnade gegeben hat, müssen wir den Geist aus Gott haben. Er allein ist das Werkzeug, uns die Dinge Gottes zu verkündigen.
Zunächst waren es die Apostel, die Gott als Gefäße seiner Offenbarung auserwählte („uns“ in Vers 10); diese teilten es den übrigen Gefäßen, die Gott erwählt hatte, mit. Diese Mitteilung geschah ebenfalls durch die Kraft desselben Geistes. „Welche Dinge wir auch verkündigen, nicht in Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist, mitteilend geistliche Dinge durch geistliche Mittel“ (Vers 13). Also nicht nur die Erkenntnis der „Tiefen Gottes“ (Vers 10), sondern auch die Mitteilung dazu (Vers 13) ist durch den Heiligen Geist. Endlich steht auch die Annahme dieser Dinge mit der Wirksamkeit des Heiligen Geistes in Verbindung. „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird, der geistliche aber beurteilt alles, er selbst aber wird von niemand beurteilt“ (Verse 14.15).
Ohne den Geist ist also der Mensch unfähig, die Dinge Gottes anzunehmen, weil ihm das Licht und die Kraft fehlen, wodurch sie allein nach der Wahrheit beurteilt und angenommen werden können. Er verwirft sie entweder als eine Torheit, oder seine Erkenntnis, die er darüber zu haben meint, ist eine eingebildete und scheinbare, eine Erkenntnis, die für Herz und Gewissen ohne Wirkung bleibt. Der geistliche Mensch aber ist durch das Licht des Heiligen Geistes fähig, alle Dinge nach der Weisheit zu beurteilen, und derselbe Geist wirkt in ihm die göttlichen Grundsätze und Beweggründe, befähigt ihn zu einem Leben, das niemand zu beurteilen vermag, der nicht den Geist Christi hat; „denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, der ihn unterweise?“ (Vers 16). Niemand ist fähig, den Sinn des Herrn, sein innerstes Wesen, seine Gedanken und Ratschlüsse zu erforschen und zu beurteilen, um Ihn zu unterweisen. „wir aber“, – dieses „wir“ bezieht sich auf die Apostel und besonders auf die in Kap. 1,22 erwähnten Diener des Christus – „wir aber haben Christi Sinn“; und deshalb war es unmöglich, dass sie durch menschliche Weisheit, wie die Korinther es taten, beurteilt werden konnten.