Gethsemane
Die Erhörung
„Der in den Tagen Seines Fleisches, da Er sowohl Bitten als Flehen Dem, der Ihn aus dem Tode zu erretten vermochte, mit starkem Geschrei und Tränen dargebracht hat und um seiner Frömmigkeit willen erhört worden ist“ (Heb 5,7).
Es bleibt uns noch die Erwägung der Frage übrig, in welcher Weise Christus Erhörung Seines Flehens gefunden hat. Dass die oben angeführte Stelle mit Recht auf den Kampf in Gethsemane angewandt wird, unterliegt keinem Zweifel. Eine Meinungsverschiedenheit besteht wohl nur über die Art der Erhörung, dass Bitte und Erhörung nicht Bezug haben können auf eine „Rettung vom Sterben in Gethsemane“, nicht darauf, „dass der Vater Ihn nicht hier sterben und der Schwachheit des Fleisches erliegen lassen möge“, das bedarf nach dem bisher Gesagten keiner Erörterung mehr.
Der Tod, aus dem Gott Seinen Geliebten zu erretten vermochte, ist der Tod am Kreuze, der Tod als Folge des Gerichts Gottes über die Sünde. Hier tritt uns wieder das Geheimnis der Person des Sohnes Gottes in seiner ganzen Unfassbarkeit für den Verstand des Menschen entgegen. Christus ließ Sein Leben freiwillig und nahm es wieder in der Macht und Würde Seiner göttlichen Person. Aber zu gleicher Zeit musste Er als unser Stellvertreter sterben, musste Er den Tod erleiden als das gerechte Gericht Gottes über die Sünde. Alle Forderungen der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes mussten durch Ihn, den Menschen Christus Jesus, (aber dieser Mensch war Gottes Sohn), befriedigt werden. Das Schwert musste erwachen wider den Genossen Jehovas (Sach 13,7). Er musste Sein Haupt neigen unter den furchtbaren Schlägen des göttlichen Zornes. Indem Er die Sache des Sünders, unsere Sache, auf sich nahm, konnte Er sich selbst nicht retten. Nur einer war fähig, das zu tun, und dieser Eine war Gott. Aber Er wollte sich selbst auch nicht retten. Er war gekommen, um zu leiden und zu sterben. Er wusste genau, (denn Er, der Heilige, konnte es voll und ganz ermessen), in welcher Stellung der sündige Mensch sich Gott gegenüber befand, und Er war bereit, sich den Folgen dieser Stellung zu unterziehen. Er unterwarf sich allem, Er gehorchte in allem. Er war vollkommen in seinem Gehorsam und in Seiner Abhängigkeit von Gott. Das war „Seine Frömmigkeit“, um derentwillen er erhört wurde. Gott, der Heilige Gott, musste die Rechte Seiner Herrlichkeit denen gegenüber, die gegen ihn gesündigt und seine Herrlichkeit mit Füßen getreten hatten, aufrecht erhalten. Es geziemte ihm, den, der die Sache der Sünder (der Söhne, die Er zur Herrlichkeit führen wollte) in Seine Hand nahm, so zu behandeln, als wäre er selbst in der Stellung und in dem Zustande, in welchem jene sich befanden. Nur so konnte Christus als „der Anführer ihrer Errettung“ zur Vollkommenheit gelangen, d. h. nur so konnte Er ein vollkommener Erretter für sie werden. Die Tatsache Seiner unveränderlichen persönlichen Vollkommenheit wird hierdurch selbstverständlich in keiner Weise berührt.
Welche Tiefen tun sich da vor unseren Blicken auf! In diesen Tod, als Sold der Sünde, musste Jesus hinein! Wir können es verstehen, wenn Er bei dem Gedanken daran Bitten und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen zu Dem empor sandte, der Ihn aus dem Tode zu erretten vermochte. Er musste das ganze Gewicht dieses Todes auf Seiner heiligen Seele fühlen, aber um Seiner Frömmigkeit willen ist Er erhört worden. Unmöglich hätte Gott Sein Flehen unbeantwortet lassen können. Ein Engel kam und stärkte Ihn, und als der Kampf ausgestritten war, stand Er auf in vollem Frieden, als Einer, der Erhörung gefunden hatte, der da wusste, dass Er nicht würde beschämt werden, dass der Tod Ihn nicht behalten könne. „Denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass Dein Frommer die Verwesung sehe. Du wirst mir kundtun den Weg des Lebens; Fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar“ (Ps 16,10+11). So hatte der Geist Christi, der in den Propheten war, schon viele Jahrhunderte früher geredet, und so ist es in Erfüllung gegangen. „Wenn Seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird Er Samen sehen, Er wird Seine Tage verlängern; und das Wohlgefallen Jehovas wird in Seiner Hand gedeihen. Von der Mühsal Seiner Seele wird Er Frucht sehen und sich sättigen ... Darum werde ich Ihm die Großen zuteil geben, und mit Gewaltigen wird Er die Beute teilen: dafür dass Er Seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und den Übertretern beigezählt worden ist“ (Jes 53,10–12).
„Nicht wie ich will, sondern wie Du willst“ – auch in dieser Beziehung hat Er Erhörung gefunden. Wenngleich Seine reine, fleckenlose Seele erbebte bei der Voraussicht, als „Sünde“ (als dieser Gräuel in Gottes und Christi Augen) behandelt zu werden, wenngleich Er aus tiefstem Herzensgrunde flehte: „Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!“ war und blieb doch allezeit Sein Wille in völliger Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters, und dieser Wille ging in herrlichster Weise in Erfüllung. Es war bei Jesu nicht nötig, wie so oft bei uns, dass ein eigener, dem Willen Gottes entgegen gesetzter Wille gebrochen werde, dass Er lerne, sich in den guten Willen Gottes zu ergeben. Ein solcher Wille war bei Ihm nie vorhanden. Wie der scheinbare Widerspruch, der in den Worten des Herrn liegt, sich löst, haben wir in dem zweiten Teil unserer Betrachtung ausführlich behandelt.