Betrachtung über Prediger
Kapitel 5
Der jetzt beginnende sprichwörtliche Teil des Predigers fängt, genau genommen, im 5. Vers des 4. Kapitels an und findet seine volle Entfaltung im 10. und 11. Kapitel. Er scheint auf den ersten Blick einen Mangel an Zusammenhang in dem Aufbau dieses Buches zu verraten, aber, um sich von dem Gegenteil zu überzeugen, genügt es zu bemerken, daß auch dieser Teil, wie anfangs die zusammenhängende Rede, von dem Wort „Eitelkeit“ beherrscht wird. Alle Sprüche des Predigers laufen in der Tat auf dieses eine Wort hinaus.
Verse 1 - 7
Diese Verse setzen den Gedankengang der Verse 5 bis 16 des vorigen Kapitels fort, das heißt sie reden von dem, was unter der Sonne in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes sein kann, und zeigen uns, was inmitten der Eitelkeit der Erde zur Furcht Gottes nötig ist (Vers 7). Die Furcht Gottes gehört, wie bereits gesagt, zu den Absichten des Predigers. Sie ist sogar die einzige Grundlage für das Verhalten des Weisen in einer Welt, in der alles Eitelkeit und ein Haschen nach Wind ist. Die Notwendigkeit dieser Furcht wurde bereits früher betont (Kap. 3,14), und die letzten Worte des Buches werden uns zeigen, daß sie „der ganze Mensch“ ist. In der Tat sollte dies auch das einzige Kennzeichen des durch den Glauben mit Gott in Verbindung stehenden Menschen sein, der aber ohne eine bestimmte Offenbarung von Ihm ist.
So finden wir in den ersten Versen, welcher Art das Verhältnis des Menschen zu Gott sein sollte, wenn er sich Ihm in Seinem Hause naht. Was er zuallererst zu tun hat, ist zu hören, was Gott ihm zu sagen hat, während die Toren in ihrer Unwissenheit über den Charakter Gottes nahen, um Ihm dort Opfer zu bringen, die in Seinen Augen wertlos sind.
Dann sehen wir (Verse 2-3), dass die Furcht Gottes uns nur wenig Worte machen lassen sollte vor Dem, der in den Himmeln ist, während der Tor gerade das Gegenteil tut. Endlich (Verse 4-7) ist es nötig, ein Gelübde zu erfüllen, das heißt einen freiwillig gefaßten Entschluß, sich Gott zu ergeben und Ihm zu dienen, zur Ausführung zu bringen. Man sündigt, wenn man ein Gelübde tut und es vor dem Boten Gottes, der Zeuge davon war, widerruft, indem man vorgibt, es sei ein unbeabsichtigtes Versehen gewesen. Der Tor handelt so, aber der Gottesfürchtige widerruft sein Wort nicht, das er Gott gegeben hat. Alle Beziehungen zu Gott vereinigen sich also in dem einen Wort „Furcht“. Vergessen wir aber auch nicht, daß Eitelkeit selbst in der Behauptung liegen kann, man habe in Träumen direkte Mitteilungen von Gott erhalten. Denn der Traum ist oft, anstatt eine göttliche Offenbarung zu sein, nur eine Folge der Beschäftigungen des Tages (Verse 3 und 7).
Verse 8 - 9
Diese beziehen sich auf die drei ersten Verse des 4. Kapitels. Der Weise braucht sich nicht zu wundern, wenn er den Armen bedrückt und das Recht mit Füßen getreten sieht, denn Gott achtet auf alle Ungerechtigkeiten, die in der Welt geschehen. Er ist der höchste Richter (Ps 11,5).
Verse 9 - 17
betonen von neuem die Eitelkeit des Reichtums und der Geldliebe im Gegensatz zum Ackerbau. Die Vermehrung der Güter vergrößert auch die Zahl der sich davon Nährenden, und der Mensch, der sie besitzt, genießt niemals die Ruhe, die dagegen dem süß ist, der in irgendeiner Art körperlich arbeitet.
Dieser ganze Abschnitt, bereits vom 4. Vers des 4. Kapitels ab, zeigt uns also neben dem Bösen und der Bedrückung in dieser Welt gewisse gute Folgen eines Verhaltens nach den Grundsätzen der Regierungswege Gottes.
Vom 13. Vers ab bis zum Ende des 6. Kapitels nimmt der Prediger wieder den Gegenstand der „schlimmen übel“ auf, die er unter der Sonne gesehen hatte (Kap. 4,1-3).
Der Reichtum ist denen zum Schaden, die ihn besitzen - wobei nicht zu vergessen ist, daß für den Juden der Reichtum ein Zeichen der Gunst Gottes war -, oder er geht auch verloren, und der Sohn, der ihn erben sollte, hat „gar nichts in seiner Hand“. Schließlich verläßt der Reiche selbst durch den Tod seine Güter und geht nackt wieder von der Erde, so, wie er aus dem Leibe seiner Mutter hervorgekommen ist. Er wird geboren, um zu sterben, und zwischen Geburt und Tod liegen nur Finsternis, Kummer, Krankheit und Zernagen des Geistes.
Verse 18 - 20
Endlich begegnen wir zum dritten Male (siehe Kap. 2,24+25; 3,12+13) dem Ergebnis all dieser bitteren und schmerzlichen Erfahrungen: „Siehe, was ich als gut, was ich als schön ersehen habe: daß einer esse und trinke und Gutes sehe bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne, die Zahl seiner Lebenstage, die Gott ihm gegeben hat; denn das ist sein Teil.“ Für den Menschen gibt es nur diesen kurzen, gegenwärtigen Genuß, denn in seiner Erinnerung bleiben nur Mühe und Arbeit haften, und die Zukunft ist ihm unbekannt. Erst am Ende dieses Buches sehen wir, worauf dieser Genuß hinausläuft.