Betrachtung über Prediger

Kapitel 3

Betrachtung über Prediger

Nach dem in den beiden ersten Kapiteln dieses Buches behandelten Gegenstand scheint der Prediger sich nunmehr einem neuen zuzuwenden.

Verse 1 - 8

Er beginnt darzulegen, daß die menschliche Tätigkeit aus einer Folge von Kontrasten, von entgegengesetzten Dingen, besteht, die, von einem verborgenen Willen geleitet, stets zu ihrer Zeit kommen. Überall zeigen sich die Folgen der Sünde: Tod, Zerstörung, Mord, Trümmer, Tränen, Klagen, Steinigungen, Haß, Krieg, aber anderseits auch dem entgegengesetzte Dinge, wie ausgebesserte Schäden, gestillte Schmerzen, geheilte Wunden. Alle diese Dinge folgen einander in zeitlich geregelten Abständen, um das Gleichgewicht in dieser armen Welt aufrechtzuerhalten. Die Welt ist nicht, wie man oft lehrt, ein Gemisch von Bösem und Gutem, denn sie liegt „in dem Bösen“ und ist der Schauplatz des Bösen. Das hindert Gott jedoch nicht an dem Gebrauch Seines Rechts, die Ordnung der Dinge zu ändern und Sich des Menschen zu bedienen, um das von ihm selbst Zerstörte wieder aufzubauen oder auch zu zerstören, was wieder aufgebaut war. So kommt jedes Ding zu seiner Zeit.

Es ist auch wichtig festzustellen, daß Gott sich, auch wenn menschlicherseits alles Eitelkeit ist (Kap. 2, 26), doch zu Seiner Zeit des Menschen selbst bedienen kann, um Balsam auf die Wunden zu legen oder Gutes mittels des Bösen hervorzubringen.

Kurz, wir gewinnen hier einen anderen Anblick von der Welt als in den ersten Versen des ersten Kapitels. Dort wird von der regelmäßigen Wiederkehr der Naturerscheinungen gesprochen, die einander in gleichmäßigem Kreislauf folgen, der niemals einer neuen Erscheinung Platz macht. Hier läßt uns Gott einem regelmäßigen Werk der Zerstörung und des Wiederaufbaus beiwohnen in einer Welt, in der von Anfang an die Sünde alles verdorben hat, die göttliche Vorsehung aber den Menschen als Werkzeug benutzt, um das gegenwärtige Gleichgewicht zu erhalten, solange die Stunde der endgültigen Zerstörung noch nicht geschlagen hat.

Verse 9 - 11

Jetzt wird die Frage aufgeworfen: Warum hat die redlichste Tätigkeit des Menschen keinen Erfolg? Die Antwort ist folgende: Gott hat am Anfang alles sehr schön gemacht und dann den Menschen in den Mittelpunkt Seiner Schöpfung gestellt mit der Fähigkeit, sie zu verstehen und über sie zu herrschen. „Auch hat er die Welt in ihr Herz gelegt.“ Das Herz des Menschen wurde so ein Mikrokosmos inmitten dieser Unendlichkeiten, eine kleine Welt, in der sich die ganze Schöpfung widerspiegelt. Was ist aus dieser anfänglichen Schönheit, aus der von Gott gegebenen Ordnung geworden? Die Sünde ist eingezogen und hat die Schöpfung verdorben. Die Welt bleibt noch in dem Herzen des Menschen, aber er kann die göttliche Ordnung in der durch die Sünde verursachten Unordnung nicht mehr erfassen: „ohne daß der Mensch das Werk, welches Gott gewirkt hat, von Anfang bis zu Ende zu erfassen vermag.“ 1

Verse 12 - 17

Angesichts dieser Unfähigkeit, einer Folge der Sünde, kommt der Prediger auf das im Anfang Gesagte zurück:

1. „Es gibt nichts Besseres unter ihnen, als sich zu freuen und sich in seinem Leben gütlich zu tun; und auch, daß er esse und trinke und Gutes sehe bei all seiner Mühe, ist für jeden Menschen eine Gabe Gottes.“ Zum gleichen Schluß ist er auch in Kapitel 2,24 gekommen. Dieser Genuß war dem Menschen bei der Schöpfung verordnet worden; Gott gab ihm alle Dinge, um sie zu genießen.

2. Alles was Gott tut, ist unwandelbar und bleibend; das hatte der Prediger bereits anfangs erkannt (Kap. 1,4-7). „Es ist ihm nichts hinzuzufügen, und nichts davon wegzunehmen.“ Diese vollkommene und prächtige Ordnung bezweckte, die Furcht Gottes, des Schöpfers, in das Herz des Menschen zu legen. „Gott hat es also gemacht, damit man sich vor ihm fürchte.“

Aber hier (V. 16-17) ist alles von der Sünde verdorben. Statt des Guten wird die Bosheit unter der Sonne gefunden. Die Furcht Gottes ist nicht mehr im Herzen des Menschen, und die Gerechtigkeit regiert nicht mehr. Was wird daher geschehen? Gott wird den Gerechten und den Ungerechten richten. Anders kann der Weise ohne bestimmte Offenbarung, vor das Welträtsel gestellt, nicht urteilen. Er kennt Gott, und daher fürchtet er Ihn, und weil er Ihn fürchtet, weiß er, daß Gott das Böse nicht ertragen kann und es eines Tages richten muß, wo Er es findet, sei es bei dem Gerechten oder dem Ungerechten. Um dies zu wissen, bedarf er keiner Offenbarung. Sagt ihm das nicht das natürliche Gewissen des gefallenen Menschen? Adam verbirgt sich vor seinem Richter, und ein armer götzendienerischer Heide sucht sein Gewissen zu beruhigen.

Verse 18 - 22

Jetzt kommt eine verwirrende Feststellung: Woher kommt es, daß der Mensch denselben Weg geht wie das Tier? Diese Tatsache schließt jedoch nicht das Gericht Gottes aus. War der Mensch ursprünglich dem Tode unterworfen, und hat er einen Vorzug vor dem Tier? Nein, er kehrt wie jenes zum Staube zurück. Das ist die Folge der Sünde, wie überhaupt alles, was in diesem Kapitel aufgeführt wird (siehe 1.Mose 3,19). Die Weisheit ohne eine Offenbarung geht über diesen Gedanken nicht hinaus. Sie würde nicht zu sagen wissen, ob der Geist des Menschen nach oben und der des Tieres nach unten geht. Sie ist unfähig, diese einfache Frage, die ihr aber Schwierigkeiten macht, zu beantworten. Der Mensch kann selbst die nächste Zukunft nicht ergründen. Gott hat es so angeordnet, um ihn zu prüfen und seinen Finger die Ursache von soviel Elend und Unwissenheit berühren zu lassen. Es bleibt also dem Menschen nichts anderes übrig, als daß er „sich freue an seinen Werken; denn das ist sein Teil“ angesichts einer Zukunft, die ihm, abgesehen von der Gewißheit des Gerichts, vollständig verborgen ist.

Fußnoten

  • 1 „Die Welt in ihr Herz gelegt“ mit „die Ewigkeit in ihr Herz gelegt“ zu übersetzen, scheint uns, obgleich diese Übersetzung Anhänger hat, im Widerspruch zu dem Charakter des Predigers zu stehen, der sich ganz abseits vom Geistlichen hält und nur das Bestehen der gegenwärtigen Dinge mit seinen traurigen Schlußfolgerungen vor Augen hat. Niemals wird die Ewigkeit im Herzen des Menschen ihn zu der Erkenntnis bringen, daß alles Eitelkeit ist.
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