Eine Auslegung des Markusevangeliums
Kapitel 14
Wir haben hier ein Abendessen in Bethanien und ein Abendessen in Jerusalem. Das eine war einfach eine Mahlzeit im Haus derer, die Jesus liebte. Das andere wurde am Passahfest eingesetzt und sollte als etwas Neues jenes ersetzen. Für die Versammlung (Kirche) war es das ständige Erinnerungszeichen des Herrn Jesus, das bald gefeiert werden sollte.
Diese beiden Abendessen nehmen einen wichtigen Platz im Evangelium ein. Das zweite beinhaltet als große Wahrheit den Tod des Herrn Jesus Christus. Auch in dem ersten Essen ist es sein Tod, den der Geist Gottes vor den geistlichen Instinkt der Maria stellte. Sie fühlte ihn, ohne irgendwie ausdrücklich davon erfahren zu haben. Es war ihre Liebe zum Heiland, die der Heilige Geist so empfindsam gemacht hatte, dass sie die Gefahr, die über Jesus schwebte, in einer Weise fühlte, die sie nicht ausdrücken konnte. Der Herr, der ihre Liebe kannte und alles, was bevorstand, deutete ihre Tat in Hinsicht auf sein Begräbnis. In beiden Ereignissen konnten die Jünger das Gute sowie das Böse nur wenig von Herzen verstehen. Gott jedoch machte seine Hand und seine Gedanken offenbar, indem Er alle Umstände leitete.
Das ist umso auffälliger, weil die Hohenpriester und Schriftgelehrten, obwohl sie überlegten, wie sie Jesus „mit List“ ergreifen und töten könnten, ungefähr zur Zeit des Abendessens in Bethanien ausdrücklich beschlossen hatten, dass es nicht an dem Fest geschehen solle, „damit nicht etwa ein Aufruhr des Volkes entsteht“ (V. 1–2). Gott jedoch hatte schon von alten Zeiten her festgesetzt, dass sein Tod sich an jenem Tag und keinem anderen zutragen sollte – an dem grundlegenden Fest für alle Feste, am Passah, das ja tatsächlich das Bild des Todes Christi darstellt.
So stehen hier der Wille Gottes und der des Menschen im Gegensatz. Doch ich brauche nicht zu sagen, dass Gott seinen Willen ausführt, wenn auch durch die verruchte Mitwirkung jener Menschen, die entschieden hatten, dass es nicht am Passah geschehen sollte. Tatsächlich ist es immer so. Gott leitet nicht nur seine Kinder. Selbst in den verderblichen Handlungen böser Menschen führen diese nicht ihren eigenen Willen aus, sondern den Willen Gottes. Darum steht geschrieben: „Die schon längst zu diesem Gericht zuvor aufgezeichnet waren“ (Jud 4). Sie wurden, weil sie ungehorsam waren, dazu gesetzt, über das Wort zu stolpern.
Es liegt nicht an Gott, wenn ein Mensch gottlos wird. Doch wenn der in Sünde gefallene Mensch seinen Weg des Eigenwillens weiter geht, indem er die Finsternis mehr liebt als das Licht und ein Sklave Satans wird, dann zeigt Gott nichtsdestoweniger, dass Er nie die Zügel aus der Hand lässt. Er behält die Oberhand und verfehlt nicht, selbst durch den Weg, den die Lüste oder Leidenschaften der Menschen einzuschlagen lieben, seinen Willen auszuführen. Das geschieht wie bei einem Menschen in Trunkenheit. Dieser meint, seinen Absichten zu folgen, indem er zum Beispiel auf einen Ort rechts von sich zusteuert und in Wirklichkeit in einen Tümpel auf der linken Seite stolpert.
So kann der Mensch trotz allem nur das tun, was Gott zuvor beschlossen hat. Der Wille des Menschen ist kraftlos, außer im Aufzeigen seiner Sünde. Gott leitet stets alles, auch wenn die Menschen sich als unentschuldbar böse erweisen in der Art und Weise, wie Gottes Wille ausgeführt wird. So war es auch hier. Die Menschen hatten beschlossen, Jesus zu töten, aber dabei überlegt, dass es nicht am Fest geschehen dürfe. Gott hatte lange vor ihrer Geburt angeordnet, dass ihre Tat am Passah ausgeführt werden sollte. Und so geschah es auch.
Wie wir aus dem Vergleich mit den anderen Evangelien ersehen können, war das Abendessen in Bethanien für Judas der Anlass, zum ersten Mal an einen Verrat zu denken. Satan gab ihn in sein Herz. In Bethanien war eine Szene der Liebe. Doch eine solche Szene ruft schnell den Hass jener hervor, die keine Liebe kennen. Die anbetende Zuneigung für die Person des Herrn und das Empfinden von der Gefahr, in der Er sich befand, veranlasste Maria zu ihrer Salbung, bis das ganze Haus von dem lieblichen Geruch der Salbe erfüllt war, die sie über Ihn ausgegossen hatte. Judas weckte jedoch die fleischliche Gesinnung in den anderen Jüngern. Seine Gefühle stimmten nicht mit denen der Maria überein. Jesus war in seinen Augen nicht kostbar. Deshalb hatte er etwas daran auszusetzen, dass Jesus der bewunderte Gegenstand von Maria war. Durch ihre Handlung wurde ihm so viel von seinem unrechtmäßig erworbenen Gewinn vorenthalten. Es war nur ein Vorwand, dass er sich für die Armen einsetzte. Doch er hetzte die anderen Jünger wegen dieser Sache auf. „Einige aber waren unwillig bei sich selbst [und sprachen]: Wozu ist diese Vergeudung des Salböls geschehen?“ (V. 4). Die Liebe verschenkt jedoch alles, ohne etwas zu verschwenden. Das Ich, die eitle Torheit, vergeudet; aber niemals die Liebe.
Der Herr trat für sie ein. „Lasst sie; was macht ihr ihr Schwierigkeiten? Sie hat ein gutes Werk an mir getan“ (V. 6). Kein Werk ist so gut wie das, was man an Jesus tut. Werke, die um Jesus willen getan werden, sind gut; doch was an Ihm getan wird, ist weit besser. Was Maria getan hatte, war keineswegs das Geringste von dem, was die Gnade bis zu jenem Tag bewirkt hatte. „Sie hat getan, was sie vermochte; sie hat im Voraus meinen Leib zum Begräbnis gesalbt. Aber wahrlich, ich sage euch: Wo irgend das Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt, wird auch davon geredet werden, was diese getan hat, zu ihrem Gedächtnis“ (V. 8–9).
Wie angemessen ist die gute Tat dieser Frau durch die Gnade mit dem Namen Jesu verbunden, wo immer Er hienieden verkündet wird! Wir finden hier nicht ihren Namen. Wir erfahren woanders, dass es Maria, die Schwester des Lazarus, war. Das berichtet uns passenderweise Johannes, der ja davon schreibt, dass Jesus seine eigenen Schafe mit Namen ruft (Joh 10,3). Hier geht es nicht so sehr darum, wer die Salbung ausgeführt hat, sondern dass sie ausgeführt wurde. Markus zeigt den Dienst einer Frau, die den Herrn Jesus zu einer solchen Zeit liebte, in Hinsicht auf sein Begräbnis.
Desweiteren sehen wir, wie eine verderbte Person sogar jene beschmutzen kann, deren Herzen Christus treu sind. Die Jünger wurden schnell von Judas' vorgespielter Sorge für die Armen eingefangen und ließen es zu, dass seine Einflüsterungen sie zum Murren veranlasste. Letzteres richtete sich gegen Christus und missachtete die Hingabe der Maria. Im Gegensatz zur Liebe der Maria ging Judas „hin zu den Hohenpriestern, um ihn an sie zu überliefern“ (V. 10).
Später folgt das Abendessen des Passahfestes in Jerusalem, wo Jesus als Herr über jene Feier handelt und eine noch größere einsetzt. Bei seinem Einzug in Jerusalem hatten die Jünger im Namen des Herrn das Eselsfüllen beansprucht, indem sie sagten, dass der Herr es benötigte. Hier lesen wir: „Und er sendet zwei seiner Jünger und spricht zu ihnen: Geht hin in die Stadt, und es wird euch ein Mensch begegnen, der einen Krug Wasser trägt; folgt ihm, und wo irgend er hineingeht, sprecht zu dem Hausherrn: Der Lehrer sagt: Wo ist mein Gastzimmer, wo ich mit meinen Jüngern das Passah essen kann? Und dieser wird euch ein großes Obergemach zeigen, mit Polstern belegt und fertig; und dort bereitet es für uns“ (V. 13–15).
Der Herr stand zwar im Begriff, in den Tod zu gehen, war aber dennoch mit königlichen, göttlichen Rechten ausgestattet. Er hatte seinen Platz als Messias nicht verloren, auch wenn Er bald als Sohn des Menschen am Kreuz leiden musste. Er beanspruchte folglich als der Herr den Obersaal; und der Hausherr fügte sich sofort seinen Ansprüchen. Alles stand vor seinen Augen. Es mangelte Ihm nicht an Kraft, um auf die Gewissen und die Zuneigungen der Menschen einzuwirken. Er hätte alle anderen Herzen so verwandeln können, dass sie sich Ihm wie das Herz dieses Mannes fügten. Wie hätten aber dann die Schriften erfüllt, die Sünde ausgelöscht und Gott verherrlicht werden können? Es war deshalb notwendig, dass Er zum Kreuz ging. Er war nicht wie andere Menschen ein Opfer aus Zwang. Nein, es geschah freiwillig. Er wollte ausschließlich den Willen seines Vaters tun, indem Er seine ganze Erniedrigung von Ihm annahm.
„Und als es Abend geworden war, kommt er mit den Zwölfen. Und während sie zu Tisch lagen und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich überliefern, der, der mit mir isst. Sie fingen an, betrübt zu werden und einer nach dem anderen zu ihm zu sagen: Doch nicht ich?“ (V. 17–19). So schwach die Jünger auch waren und so fleischlich gerade bei diesem Ereignis, wie Lukas uns mitteilt – sie waren auf jeden Fall aufrichtig.
Der Herr antwortete jedoch: „Er aber sprach zu ihnen: Einer der Zwölf, der mit mir die Hand in die Schüssel eintaucht. Denn der Sohn des Menschen geht zwar dahin, wie über ihn geschrieben steht; wehe aber jenem Menschen, durch den der Sohn des Menschen überliefert wird! Es wäre besser für jenen Menschen, wenn er nicht geboren wäre“ (V. 20–21). Hier sehen wir die Sünde des Menschen, die Arglist Satans, die Ratschlüsse Gottes und die Liebe Christi. Doch nichts konnte Judas' Bosheit ändern. „Es wäre jenem Menschen gut, wenn er nicht geboren wäre.“ Er war, wie wir sagen mögen, für dieses Gericht zuvorbestimmt. Es lag nicht an Gott, dass Judas ein böser Mensch wurde. Seine Bosheit durfte jedoch diese Form annehmen, um die Ratschlüsse Gottes zu erfüllen. Einer aus der Gesellschaft, die von Jesus auserwählt war, um hienieden bei Ihm zu sein, sollte die schreckliche Wahrheit beweisen: Je näher ein Mensch äußerlich zum Segen steht, desto weiter ist er sittlich von ihm entfernt, wenn er den Segen nicht in sein Herz aufnimmt. Es gab in Israel nur einen Judas; und er befand sich so nahe wie möglich bei Jesus. Es gab nur einen Menschen, der alle Vorrechte des Umgangs mit Jesus zusammen mit der Schuld, Ihn zu verraten, in sich vereinigte.
Danach setzt der Herr in den Versen 22–25 das Abendmahl, sein Abendmahl, ein. Das war nicht das Passahfest. Aus dem Lukasevangelium erfahren wir, dass Er am Passahkelch nicht teilnehmen wollte. Er wollte von den Früchten des Weinstocks nicht mehr trinken, bis Er es neu mit ihnen im Reich Gottes trinken würde (Lk 22,18). Er wies zurück, was ein Sinnbild der Gemeinschaft in irdischen Dingen bedeutete. Sein Vater, Gott, stand vor Ihm. Und es ging hier mehr darum, den Willen des Vaters zu erleiden, als ihn zu tun. In der Zwischenzeit, vor dem Kommen jenes Reiches, das auf sein Leiden bis zum Tod gegründet ist, gilt es, sich an ganz andere Dinge zu erinnern. Nicht Reich, Macht und Herrlichkeit stehen vor den Blicken, sondern die Kreuzigung in Schwachheit. Wir sehen seinen Leib – denn Er sagte: „Dies ist mein Leib“ (V. 22) – und „mein Blut, das des neuen Bundes, das für viele vergossen wird“ (V. 24). Es wurde nicht allein für die Juden, sondern für viele vergossen.
Die Einsetzung des Abendmahls könnte nicht einfacher dargestellt werden, als Markus es tut. Ich bezweifle nicht, dass dieses Fest sowohl darauf hinweisen soll, dass das Passah jetzt erfüllt worden ist, als auch auf die Kraft des neuen Bundes für die einzelne Seele, bevor letzterer für das Volk Israel eingeführt wird.
Der Herr warnte dann seine Jünger nicht nur vor dem, was Ihm begegnen würde, sondern auch vor der Wirkung seines Weges auf sie selbst. „Ihr werdet alle Anstoß nehmen, denn es steht geschrieben:,Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden zerstreut werden‘“ (V. 27). Das Kreuz beinhaltet für uns sowohl das Heil durch Ihn, der unsere Sünde trug, als auch die Seite der Schande, des Leidens und der Gefahr. Hier spricht der Heiland jedoch von der Art, in welcher es die Jünger erprobt, und nicht von der Erlösung. Bewirkt jenes gewaltige Werk der Leiden für unsere Sünden, bewirkt die Sühnung für die Schafe eine Zerstreuung? Ist es nicht im Gegenteil die einzig richtige Grundlage, auf der sie gesammelt werden? Kraft des Todes Christi für unsere Sünden werden die Schafe nicht zerstreut, sondern in eins gesammelt. Sogar andere Schafe, die nicht zu denen im jüdischen Schafhof gehören, sammelt Christus, damit sie eine Herde und ein Hirte seien (Joh 10,16).
Doch das Schlagen des Hirten weist auf seine gänzliche Erniedrigung als der Messias hin, der weggetan wurde und nichts hatte (Dan 9,26): „Ich werde ... schlagen“, usw. bezieht sich darauf, dass Gott den Herrn hingegeben hat, um die Wirklichkeit seiner Verwerfung und seines Todes zu fühlen. Zweifellos wurde darin die Sühnung ausgeführt. „Schlagen“ ist ein allgemeinerer Ausdruck. Und obwohl Er die Leiden von Gott annahm, waren es buchstäblich seine Feinde, welche die Tat ausführten und die Gegenstände der göttlichen Rache wurden, wie in Psalm 69 ausgeführt wird. Im Schlagen verlor, in der Sühnung gewann Er sozusagen alles. Der reine, wenn auch kostbare Akt des Todes Christi beinhaltet jedoch genau genommen nicht die Sühne oder Wiedergutmachung.1 Ohne Zweifel war hierzu sowie auch zu anderen Zwecken in den Ratschlüssen Gottes der Tod notwendig. Die Sühnung beruht auf dem, was Jesus von Seiten Gottes und mit Gott durchlebte, als Er zur Sünde gemacht wurde – als Er nicht nur im Leib, sondern auch in der Seele unter dem göttlichen Zorn für unsere Sünde litt.
Außer Jesus sind viele gekreuzigt worden. Dabei wurde aber keine Sühne gebracht. Viele haben im Leben und bis zum Tod um der Wahrheit willen grauenhafte Qualen durchlitten. Sie wären jedoch die ersten, welche die falsche Meinung verabscheuen würden, dass ihre Leiden für sie selbst, geschweige denn für jemand anderen, Sühne brachte. Viele Erlöste haben erfahren, was es heißt, von Gott geschlagen und verwundet zu werden, wie derselbe Psalm außerdem bezeugt. Tatsächlich war das immer mehr oder weniger der Platz der Diener Gottes, der Propheten, und der Gerechten in Israel. Sie nahmen ihre Heimsuchung und Verfolgung, worin sie auch bestehen mochte, von Gott an und nicht von Menschen. Diesen Platz erprobte der Herr bis zum äußersten; denn Er muss in allem den Vorrang haben. Er allein vollbrachte die Sühnung. Aber Er kannte auch jedes Leid, das ausschließlich dem vollkommenen Menschen, dem Sohn Gottes, zu tragen möglich war. Das Schlagen des Hirten, der nicht nur das Oberhaupt der Schafe, sondern auch der Propheten, die der Herr für Israel erweckt hatte, war, bezieht sich auf jenes vollständige Abschneiden, das Ihm am Kreuz zustieß. Es war nicht nur so, dass Er in seinem Bewusstsein alles Leid vorausfühlte, sondern es offenbarte sich auch schon in der Wirklichkeit seines Erlebens vor dem Kreuz. In seinem Werk gibt es weit mehr als nur die Sühnung. Er verwirklichte in seiner Seele den ganzen Zustand, in dem sich das Volk Gottes befand, und seine eigene vollständige Verwerfung durch die Sünde und Torheit des Menschen und Satans Bosheit.
Die Folge dieser Erniedrigung des Heilandes, schon bevor sie am Kreuz vollendet wurde, war die Zerstreuung der Jünger. „Die Schafe werden zerstreut werden.“ Sie strauchelten und flohen in der Nacht, bevor der Schlag ihren Meister wirklich traf. Sie verstanden das Geschehen genauso wenig wie manche Menschen heutzutage die Schriften, die davon sprechen, obwohl der Grund für dieses Unverständnis heute ein ganz anderer ist. Sie konnten nicht begreifen, warum der Messias so behandelt wurde und wie Gott es zulassen konnte. Denn es ist klar, dass Christus alles von Gott und nicht vom Menschen annahm und Ihm alles zuschrieb. Der Glaube zieht niemals in Betracht, dass die Heimsuchung aus dem Nichts hervorkommt, sondern erkennt unseres Vaters Hand in allem. Dabei mag das Leid in sich selbst schändlich und grausam sein, wenn man auf die unmittelbar Wirkenden sieht.
„Aber nach meiner Auferweckung werde ich euch vorausgehen nach Galiläa“ (V. 28). Der Herr wollte sich auch nach seiner Auferstehung auf dem Schauplatz seines demütigen Dienstes mit seinen Jüngern treffen. Petrus war jedoch voll Vertrauen auf seine eigene Kraft und seine Liebe zu Christus und versicherte dem Herrn, dass, wenn alle anderen straucheln sollten – er nicht.
Ach, in göttlichen Dingen ist kein Vorzeichen eines drohenden Falles so sicher wie das Selbstvertrauen. Und unser Herr sagte Petrus: „Wahrlich, ich sage dir, dass du heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, mich dreimal verleugnen wirst“ (V. 30). So genau und eingehend ist der Bericht von der Warnung des Herrn, wie Markus sie berichtet, – viel genauer als anderswo. „Er aber beteuerte über die Maßen: Wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen“ (V. 31).
Es war jedoch nicht nur Petrus, der seine Treue so selbstgefällig vorbrachte; denn es wird hinzugefügt: „Ebenso aber sprachen auch alle“. Sie kannten ihre Schwachheit nicht. Sie wussten nicht, was es bedeutet, wenn die Macht des Todes über ihnen hing. Sie hatten einer vollständigen Verwerfung seitens der Welt noch nicht ins Angesicht gesehen. Was immer von der alten Natur in unserem Herzen noch lebt, wird durch solche Umstände an das Licht gestellt. Der Mensch als solcher zuckt vor der Prüfung zurück und meidet sie. Es ist immer so, bis wir durch die Kraft des Heiligen Geistes unsere völlige Trennung von der Welt durch und in dem Tod Christi verwirklichen. Aber die Jünger kannten noch nicht, was es heißt, mit Ihm gestorben zu sein. Folglich konnte nicht einer von ihnen in der Prüfung bestehen. Später war auch dieses ihr Vorrecht. Sie waren jedoch bisher noch keinen solchen Weg gegangen. Jesus musste ihn zuerst gehen. Nach seinem Kreuz sollten Ihm die Schafe durch den Heiligen Geist folgen. Jesus musste notwendigerweise der Erste sein. Zur rechten Zeit sollten auch sie Gott in ihrem Tod verherrlichen, indem sie durch seine Gnade als Folge seines Todes gekräftigt wurden. Ihr Tod geschah dann wirklich um Christi willen.
Unser Herr hatte die ganzen folgenden Ereignisse vor Augen und begann sein Gebet zum Vater. Nun ist die Wirkung eines Gebets angesichts einer harten Prüfung derart, dass sie diese noch empfindlicher fühlbar macht. Die Gegenwart Gottes lässt uns die Bosheit des Menschen keineswegs weniger empfinden. Wir werden dann auch nicht gleichgültiger gegen das Versagen, die Gefahren und das Verderben seines Volkes. Im Fall des Herrn Jesus konnte es sich natürlich nicht um irgendeine Art von Zukurzkommen, kein Leid wegen irgendeiner persönlichen Schuld handeln. Dafür vergegenwärtigte Er sich umso mehr den Zustand, in welchen sich jene befanden, die Gott angehörten.
Fühlte Er nicht den Verrat des Judas, die Verleugnung des Petrus und die Flucht aller anderen? Sogar die Abtrünnigen in Israel waren Ihm nicht gleichgültig, wie viel weniger die Heiligen, die Jünger, die zu einer solchen Zeit vor der Gefahr zurückschreckten! Er vergegenwärtigte sich die schreckliche Krise, die das Volk Gottes erwartete. Er fühlte auch, was es für Ihn, den Messias, bedeutete, gänzlich vom Volk zu dessen Schaden und Untergang verworfen zu werden. Was war es für Ihn, der das Leben war, durch den Tod zu gehen, und zwar einen solchen Tod, wie er nur von Ihm im vollen Ausmaß gekannt werden konnte! Was war es, als der Eine, der Ihn am meisten liebte, sein Angesicht vor Ihm verbarg – als Er der Gegenstand des göttlichen Gerichts wurde und die ganze Empörung und aller Abscheu Gottes gegen das Böse sich gegen Christus zusammenballte! Und außerdem, welche Gefühle des Mitleids erstanden in seinem Herzen über das Volk, welches seine Barmherzigkeit und das Licht Gottes im Tausch gegen dichte Finsternis und Leiden aufgab, durch welche es zu gehen hat als Vergeltung für das Verbrechen, dass sie an Ihm begehen wollten!
All dieses, und noch unendlich viel mehr, stand vor dem Herrn. Er fühlte und erwog es in seinem Herzen als Der, dessen Gnade sich mit dem Zustand des Volkes Gottes nicht allein stellvertretend, sondern auch in seinen Herzensverbindungen und in all ihrer Not eins machte. Bei der Sühne war Er völlig allein. Er bat dort niemand um ein Gebet und schaute auch nicht nach Mitleid von Seiten der Jünger aus. Es kam auch kein Engel, der Ihn stärkte. In jenen Umständen sagte Er: „Mein Gott“; denn Er erlitt dort das, was Gott gegen die Sünde empfand. Er konnte vorher und auch nachher „Vater“ sagen, und tat es auch; denn Er hörte niemals auf, der Sohn zu sein. Außerdem blieb Er der gesegnete und vollkommene und gehorsame Mensch. So sagte Er vor und nach dem Verlassensein am Kreuz „Vater“. Doch nur in jenen Stunden lautete, soweit die Schriften des Neuen Testamentes davon sprechen, seine Anrede an Ihn: „Mein Gott, mein Gott!“ (Mk 15,34). Jetzt brach zum ersten Mal das ganze Wesen Gottes in Hass gegen das Böse ohne die geringste Erleichterung oder Rücksicht auf Schwäche über Ihn herein. Nichts stumpfte die Gewalt dieses Gerichts ab. Er war fähig, es zu ertragen; und Er allein ertrug das ganze ungebrochene und schonungslose Gericht Gottes, ohne auf Mitempfinden von einem Geschöpf, sei es Mensch oder Engel, zu rechnen.
Es war eine Frage zwischen Gott und Ihm allein, als Er am Kreuz zur Sünde gemacht wurde und die Herrlichkeit Gottes wiederherstellte, welche von der ganzen Welt missachtet worden war. Er allein ertrug alles in seiner Person. Das ist der Unterschied zwischen dem Kreuz und Gethsemane. In Gethsemane war unser Herr, wie geschrieben steht, „sehr bestürzt und beängstigt“ (V. 33). Er hatte drei ausgewählte Zeugen mitgenommen; „Und er spricht zu ihnen: Meine Seele ist sehr betrübt, bis zum Tod; bleibt hier und wacht“ (V. 34). Dann ließ Er sogar diese Auserwählten zurück. „Und er ging ein wenig weiter, fiel auf die Erde und betete, dass, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm vorübergehe“ (V. 35). Es hätte nicht seiner Vollkommenheit entsprochen, wenn Er nicht so empfunden hätte. Es war unmöglich, dass Er, der das Leben war, einen solchen Tod von seinem Vater – von Gott im Zorn gegen sich – verlangen konnte. Das wäre Härte, aber nicht Liebe gewesen. Aber obwohl Er alles vollkommen Gott, Seinem Vater, entsprechend fühlte, war Er völlig bereit, seinen menschlichen Willen dem seines Vaters zu unterwerfen. „Abba, Vater“, sagte Er, „alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir weg! Doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“ (V. 36). Er besaß eine wirkliche Seele – das, was lehrmäßig eine „vernünftige Seele“ genannt wird – und nicht einfach ein Prinzip des Lebens. Er hätte diese Worte nicht aussprechen können, wenn es stimmen würde, was einige Menschen behaupten, dass bei unserem Herrn die göttliche Natur den Platz der Seele eingenommen habe. Er wäre kein vollkommener Mensch gewesen, wenn Er nicht neben einem Leib auch eine Seele angenommen hätte. Darum konnte Er sagen: „Doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“
Die Unterwerfung unter den Vater war vollkommen, sogar in der bittersten Prüfung, die man sich denken konnte. Dieser Kelch war der Kelch des Zornes wegen der Sünde. Wenn Er nicht gesagt hätte: „Nimm diesen Kelch von mir weg!“, so wäre das Gefühllosigkeit bezüglich der Natur des Kelches gewesen. Unser Herr war jedoch in allem vollkommen. Darum sagte Er: „Nimm diesen Kelch von mir weg; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“
Er kam zurück und fand die Jünger schlafend und nicht wachend. Es betrübte Ihn; und das war verständlich. Er warnte sie jedoch um ihretwillen. „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt“ (V. 38). Sie kamen in die Versuchung und fielen, und zwar vor allem Petrus, an den Er insbesondere diese Worte gerichtet hatte. Er rief sie alle auf, zu wachen und zu beten. Aber Petrus war es, zu dem Er sagte: „Schläfst du? Vermochtest du nicht eine Stunde zu wachen?“ (V. 37). Er hatte schon vorher Petrus ausdrücklich gewarnt. Nun fügte Er hinzu: „Der Geist zwar ist willig, das Fleisch aber schwach. Und er ging wieder hin, betete und sprach dasselbe Wort. Und als er wiederkam, fand er sie schlafend, denn ihre Augen waren beschwert; und sie wussten nicht, was sie ihm antworten sollten. Und er kommt zum dritten Mal und spricht zu ihnen: So schlaft denn weiter und ruht euch aus. Es ist genug; die Stunde ist gekommen: Siehe, der Sohn des Menschen wird in die Hände der Sünder überliefert. Steht auf, lasst uns gehen; siehe, der mich überliefert, ist nahe gekommen“ (V. 38–41). Er sollte am letzten Passah zum Tod überliefert werden. Diese Stunde war jetzt da. „Steht auf, lasst uns gehen; siehe, der mich überliefert, ist nahe gekommen“ (V. 42). Es ging nicht nur um die Sühne. Außerdem sollte der Hirte geschlagen werden; und die Schafe fühlten es und schreckten zurück, bevor der Schlag wirklich herabfuhr.
„Und sogleich, noch während er redet, kommt Judas, einer der Zwölf, herzu, und mit ihm eine Volksmenge mit Schwertern und Stöcken, ausgesandt von den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und den Ältesten“ (V. 43). Der Verräter hatte als Zeichen einen Kuss angegeben und gesagt, dass sie den ergreifen sollten, den er küssen würde. Und so ging er direkt auf Jesus zu und sagte: „Rabbi!, und küsste ihn sehr. Sie aber legten die Hände an ihn und griffen ihn“ (V. 45–46). Petrus war bereit zu kämpfen, aber nicht zu beten, und er nahm sein Schwert, schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das Ohr ab. Die Heilung wird in unserem Evangelium nicht erwähnt; denn hier ist der Herr einfach nur der leidende Sohn des Menschen, der verworfene Prophet Israels und der geschlagene Hirte. Es ging hier nicht darum, seine unverminderte Macht zu zeigen, sondern sich aller Schande zu beugen. Der Schlüssel heißt: „Damit die Schriften erfüllt würden“ (V. 49). Er hatte es nicht verdient, von ihren Händen so behandelt zu werden, indem sie wie gegen einen Räuber gegen Ihn auszogen. Doch die Schriften mussten erfüllt werden.
„Und es verließen ihn alle und flohen“ (V. 50). Die göttliche Macht hätte sie bewahrt. Doch drohende Leiden entfalteten ihre Wirkung. „Die Schafe werden zerstreut.“ „Und ein gewisser Jüngling folgte ihm, der feines Leinentuch um den bloßen Leib geworfen hatte; und sie greifen ihn. Er aber ließ das feine Leinentuch fahren und floh nackt [von ihnen]“ (V. 51–52). Die männliche Kraft versagt – und auch das Schamgefühl. Der erste Angriff genügte, um den jungen Mann wegzujagen. Der Mensch ist angesichts des Todes kraftlos. Der einzige Grund, warum Gläubige ihm ins Auge sehen, ja, ihn willkommen heißen und sich seiner freuen können, besteht in Christus und seinem Tod. Er hat ihm den Stachel genommen. Aber damals war das noch nicht geschehen. Folglich verließen Ihn die Jünger, der junge Mann und alle übrigen und flohen. Wir können nur in Christus, der für uns litt, bestehen.
„Und sie führten Jesus weg zu dem Hohenpriester; und alle Hohenpriester und Ältesten und Schriftgelehrten versammeln sich [um ihn]“ (V. 53). Hier finden wir eine neue Prüfung. Petrus folgte Ihm – und zwar von fern – bis in den Palast des Hohenpriesters und setzte sich zu seinen Dienern. „Die Hohenpriester aber und das ganze Synedrium suchten Zeugnis gegen Jesus, um ihn zu Tode zu bringen; und sie fanden keins“ (V. 55). Sie waren gewillt, hatten aber nicht die Kraft. Es bestand die Bereitschaft zum Zeugnis; doch sogar darin hatten sie keinen Erfolg. Der Mensch versagte in allem, ausgenommen in der Bosheit gegen Jesus. Trotz allem vorgeschobenen Zeugnis auf Seiten der Zeugen und der ganzen Bereitschaft zu verurteilen auf Seiten der Richter, versagte alles. Diese Zeugnisse stimmten nicht überein. Nach der Forderung des Gesetzes mussten zwei oder drei Zeugen übereinstimmen. Bei diesen Zeugen war es nicht so.
Infolgedessen wurde Jesus nicht aufgrund des falschen Zeugnisses der Menschen, sondern des wahren Zeugnisses Gottes verworfen. Sie verurteilten Ihn aufgrund seines eigenen Zeugnisses. Er kam, um der Wahrheit Zeugnis zu geben, und so bezeugte Er sie bis zum Tod. Der Hohepriester war erstaunt und verwirrt, dass er Ihn auf das Zeugnis anderer hin nicht verurteilen konnte. Deshalb fragte er: „Bist du der Christus, der Sohn des Gesegneten?“ (V. 61). Woanders wird gesagt, dass er Ihn beschwor, das heißt, den Eid auf Ihn legte (Mt 26,63). Hier wird von Markus einfach die Frage ohne den Eid angeführt. Der Herr antwortete: „Ich bin es!“ Er legte nicht nur vor Pontius Pilatus (1. Tim 6,13), sondern auch vor dem Hohenpriester ein gutes Bekenntnis ab. „Und ihr werdet den Sohn des Menschen zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen“ (V. 62). Er konnte und wollte die Wahrheit über seine Person nicht leugnen. Er konnte sich zurückhalten, um die falschen Anklagen anderer nicht zur Kenntnis zu nehmen. Er wollte jedoch nach einer Aufforderung nicht die Wahrheit über seine persönliche Herrlichkeit in seiner Brust verschließen. Er war der Messias, der Sohn des Gesegneten. Doch Er war auch der Sohn des Menschen und stand im Begriff, seinen Platz im Himmel einzunehmen, um später in den Wolken des Himmels wiederzukommen, so wie es die unfehlbaren Prophezeiungen Gottes vorhersagten.
„Der Hohepriester aber zerriss seine Kleider und spricht: Was brauchen wir noch Zeugen? Ihr habt die Lästerung gehört“ (V. 63–64a). Für ihn war die Wahrheit eine Lästerung. So vollständig war das Haupt der Religion unter den Juden von Finsternis umhüllt. „Was meint ihr? Sie alle aber verurteilten ihn, dass er des Todes schuldig sei. Und einige fingen an, ihn anzuspeien und sein Angesicht zu verhüllen und ihn mit Fäusten zu schlagen und zu ihm zu sagen: Weissage! Und die Diener schlugen ihm ins Angesicht“ (V. 64b–65).
So musste der Hirte auf jede Weise geschlagen werden. „Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden zerstreut werden.“ Und so finden wir, dass Petrus, der sich in den Palast des Hohenpriesters gewagt hatte, die Wirkung davon noch unmittelbarer erfährt. „Und als Petrus unten im Hof war, kommt eine der Mägde des Hohenpriesters, und als sie Petrus sich wärmen sieht, blickt sie ihn an und spricht: Auch du warst mit dem Nazarener Jesus. Er aber leugnete und sprach: Ich weiß nicht, verstehe auch nicht, was du sagst“ (V. 66–68). Er konnte es nicht länger an dem Ort seiner Lüge aushalten und ging hinaus in den Vorhof. „Und der Hahn krähte.“ Das war die Warnung des Herrn an ihn. Dort sieht ihn wieder die Magd. Es konnte nicht anders sein. Außerdem war dort nichts, was solchen Schrecken rechtfertigte. Aber sogar der hingebungsvollste Jünger war völlig kraftlos. Er war auf jeden Fall der Feurigste in seiner Liebe und Tatkräftigste in ihrem Ausdruck. Doch er war so kraftlos – sogar schon beim bloßen Blick auf die Nähe des Todes –, dass das Wort einer Dienstmagd genügte, um den Herrn zu verleugnen. „Und kurz darauf sagten wiederum die Dabeistehenden zu Petrus: Wahrhaftig, du bist einer von ihnen, denn du bist auch ein Galiläer“ (V. 70). Je mehr sie jedoch Petrus vor die Wahrheit stellten, desto mehr wich er zurück; und in seiner elenden Angst begann er zu fluchen und zu schwören.
Das war Petrus, und das war die Entwicklung, aus der er bald als der Erste der Apostel hervorging. Er musste zerbrochen werden, um die Nichtsnutzigkeit des Fleisches zu lernen. Wie völlig musste er erkennen, dass es hinfort auf Christus und die Macht des Heiligen Geistes ankam! „Ich kenne diesen Menschen nicht, von dem ihr redet“ (V. 71). Und doch war dieser Mensch sein Heiland. Und er erkannte es nur zu gut – nur zu schlecht! „Du bist der Christus“ (Mk 8,29), hatte er vorher gesagt. Was für ein Gegensatz zu jetzt! „Wer sagt ihr, dass ich sei?“ Diese Worte hatte Jesus einige Zeit vorher zu ihm gesagt; und seine Antwort war: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). „Wir haben geglaubt und erkannt“ (Joh 6,69). Jetzt sagte er: „Ich kenne diesen Menschen nicht.“ Jesus war jetzt für ihn einfach ein Mensch, den Petrus nicht kannte. Doch Fleisch und Blut hatten ihm nicht die Wahrheit über Christus offenbart, sondern der Vater, der im Himmel ist. So war Petrus, als die Übrigen zerstreut waren, nahe genug, um einen noch härteren Hieb zu den vielen, die auf Jesus herabfielen, hinzuzufügen. Einer von der kleinen Zahl der Jünger war ein Verräter und ein anderer, und zwar der Erste der Apostel, ein Verleugner des Herrn.
„Und sogleich krähte der Hahn zum zweiten Mal. Und Petrus erinnerte sich an das Wort, wie Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und als er daran dachte, weinte er“ (V. 72). Ich sage nicht, dass seine Reue schon vollständig war. Man wird finden, dass der Herr ihn einige Zeit später bis ins Mark anrührte (Joh 21,15-19). Nichtsdestoweniger empfand er wirklich seine Sünde, die Schande und die Qual des Geistes; obwohl er noch nicht bis zum Grund seiner Seele sondiert worden war. Als er an seine Sünde dachte, weinte er. Es ist immer das Wort des Herrn, welches sowohl in einem Heiligen als auch in einem Sünder wirkliche Buße hervorruft. Dabei handelt es sich nicht um menschliche Gefühle, noch um die Schande oder um die Angst, dass alles herauskommt. Das Wort, welches Jesus ausgesprochen hatte, wirkte innerlich. Es handelt sich um die Waschung mit Wasser durch das Wort (Eph 5,26). Das Wort des Herrn bewirkt zweierlei: Es überführt, und es heilt. Es reinigt, und macht das Böse in einer gottgemäßen Weise offenbar. Hätte Petrus an Christi Wort geglaubt, als Er von seiner völligen Kraftlosigkeit sprach, wäre er bewahrt worden. Er glaubte aber nicht. „Wenn auch alle Anstoß nehmen werden“, waren seine Worte, „ich aber nicht“ (V. 29). Er war bereit, mit Christus zu sterben. In Wahrheit erschreckte ihn jedoch die bloße Berührung mit der Oberfläche der Umstände des Todes Christi so sehr, dass er, je eindringlicher die Wirklichkeit seiner Beziehung zu Jesus vor ihn gestellt wurde, desto mehr schwor, dass er ihn nicht kannte. So ist das Fleisch sogar in einem Heiligen Gottes. Es ist überall zu nichts nütze.
Fußnoten
- 1 Als Antwort auf eine Kritik über diese Bemerkung, dass die Wiedergutmachung nicht „der reine, wenn auch kostbare Akt des Todes Christi“ sei, schrieb Kelly später: „Dieser (Bemerkung) wurde Gewalt angetan, als beinhalte sie eine Leugnung des Leidens Christi für unsere Sünden oder dass solche Leiden bis zum Tod Sühnung seien. Kann die Verkehrtheit weiter gehen? Ein Hauptgesichtspunkt dieses Abschnittes, der sich über einen längeren Absatz erstreckt, besteht darin, dass, obwohl Christi Tod zwar für die Wiedergutmachung notwendig war, trotzdem die absolute Notwendigkeit bestand, dass Er den göttlichen Zorn ertrug und von Gott um unserer Sünden willen verlassen wurde. Ohne letzteres hätte die Dahingabe seines Lebens keine Wirkung gehabt. Möglicherweise sind sich diejenigen, die hier Anstoß nehmen, nicht bewusst, wie weit die Feinde der Wahrheit die Sühnung zerstören, indem sie diese allein in dem Tod und Blut Christi ohne das Ertragen des Gerichtes Gottes für die Sünde bestehen lassen. Ein verhängnisvoller Irrtum! Niemand anderes als die göttliche Person des Sohnes, die Mensch wurde, konnte das Erforderliche ausführen. Ohne das Vergießen seines Blutes gibt es keine Vergebung. Sein Tod war die absolute Voraussetzung, um uns von der Sünde zu befreien. Doch das alles konnte nur von Nutzen sein, weil Er das Verlassensein von Gott für die Sünde erduldete“. (Bible Treasury, Dez. 1866, S. 192) (W. J. H.).