Eine Auslegung des Markusevangeliums
Kapitel 9
Der Vers am Anfang unseres Kapitels gehört ganz offensichtlich zu den Ausführungen am Ende von Kapitel 8. Die Vorhersage unseres Herrn wurde auf dem „heiligen Berg“ (vgl. 2. Pet 1,18) erfüllt. Einigen von denen, die dort standen, als Er redete, wurde erlaubt, „das Reich Gottes, in Macht gekommen“ zu sehen (V. 1). Eine Bezugnahme auf die Belagerung und Zerstörung Jerusalems ist willkürlich und unsinnig. Die besondere Art der Ankündigung ist beachtenswert. Im Matthäusevangelium heißt es: „Den Sohn des Menschen haben kommen sehen in seinem Reich“ (Mt 16,28), und bei Lukas einfach: „Das Reich Gottes“ (Lk 9,27). Im ersten Evangelium wird der persönliche Titel des Herrn als der verworfene, aber dann verherrlichte Mensch, der so in seinem Reich kommt, in den Vordergrund gestellt. Im Lukasevangelium ist es, wie üblich, der sittliche Charakter jener Entfaltung, den die ausgewählten Zeugen sehen durften, nämlich das Reich Gottes und nicht des Menschen. Im Gegensatz dazu wurde Markus geführt, vom Reich Gottes, in Macht gekommen, zu sprechen. Die wesentliche Wahrheit des Ereignisses erscheint in allen drei Evangelien; doch stellt jedes Evangelium die Verklärung so vor, wie es zur Absicht Gottes in dem betreffenden Evangelium besonders passte. In unserem Evangelium ist der gesegnete Herr immer der mit Macht versehene Verwalter des Reiches Gottes. Und sogar hier, wenn Er uns sein verheißenes Muster vom Königreich gibt, verbirgt Er seine Herrlichkeit so weit wie möglich, obwohl sie in Wirklichkeit nicht verborgen bleiben konnte.
Wir dürfen auch bemerken, dass Ihn dieselben Zeugen, die Er hier mitnimmt und „allein auf einen hohen Berg“ führt (V. 2), später in Gethsemane begleiten (Kap. 14). Was für ein Wechsel von den Herrlichkeiten der einen Szene zu der außerordentlichen Betrübnis bis zum Tod in der anderen! Doch gibt es zwischen beiden eine enge Verbindung. Dabei war die Absicht des Herrn voll zarten Empfindens für seine Jünger. So öffnete die Erwähnung seiner Verwerfung und seines Todes in den ersten drei Evangelien den Weg für die Verklärung. Tatsächlich, was ist so unumstößlich wie seine Leiden und seine Herrlichkeiten? Wie gesegnet ist es, beide zu kennen und auf ihnen zu ruhen inmitten des hohlen Schaugepränges der Menschen!
Darüber hinaus können wir erkennen, dass Markus weniger von der persönlichen Veränderung – und dafür mehr von seiner Kleidung – erzählt als Matthäus und Lukas. „Und er wurde vor ihnen verwandelt; und seine Kleider wurden glänzend, sehr weiß, wie kein Walker auf der Erde weiß machen kann“ (V. 2–3). Er ist immer der Knecht-Sohn. Unergründlich in seiner Niedriggesinntheit nahm Er doch mit Würde an, was von oben kam. Es war eine Würde, die ihre Quelle durch einen Glanz offenbarte, der den Stolz irdischer Herrlichkeit verdunkelte. Bei Matthäus wird kein Vergleich mit einem Walker auf der Erde gemacht. Dafür wird viel kennzeichnender hinzugefügt, dass „sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider aber wurden weiß wie das Licht“ (Mt 17,2). Das war das passendste Bild von der höchsten Herrlichkeit des großen Königs. Und wie wunderbar angemessen ist die Beschreibung durch Lukas! „Und während er betete, wurde das Aussehen seines Angesichts anders und sein Gewand weiß, strahlend“ (Lk 9,29). Nur er erwähnt, dass der Herr in diesem Augenblick zu seinem Vater betete. Genauso weist allein Lukas uns auf die mehr persönliche Seite in der gewaltigen Veränderung hin, die darauf folgte.
„Und es erschien ihnen Elia mit Mose, und sie unterredeten sich mit Jesus. Und Petrus hebt an und spricht zu Jesus: Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind; und wir wollen drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine. Denn er wusste nicht, was er sagen sollte, denn sie waren voll Furcht. Und es kam eine Wolke, die sie überschattete; und eine Stimme erging aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn, ihn hört. Und plötzlich, als sie sich umblickten, sahen sie niemand mehr, sondern Jesus allein bei sich“ (V. 4–8). Ich habe mich schon mit dieser Szene bei der Betrachtung des Matthäusevangeliums beschäftigt.1 Darum will ich mich nicht länger bei den erstaunlichen Umständen aufhalten als nötig. Ich möchte jedoch bemerken, dass der Herr in diesem Bild vom Reich Gottes das enthüllt, was volkstümliche Theologen gar nicht mögen, nämlich dass irdische Dinge so mit himmlischen Dingen vermischt – allerdings nicht durcheinandergeworfen – werden (Joh 3). Wir sehen die verherrlichten Gläubigen in den Personen von Mose und Elia. Wir sehen Menschen in ihren noch nicht verwandelten natürlichen Leibern: Petrus, Jakobus und Johannes. Und wir sehen als Zentralperson den Herrn, das Haupt aller Dinge in den Himmeln und auf der Erde. Genauso wird es sein, wenn die Macht und Ankunft unseres Herrn Jesus Christus nicht mehr nur ein Zeugnis des Wortes von solchen, die Augenzeugen seiner herrlichen Größe waren, sein werden, sondern erfüllt und enthüllt sind am Tag des Herrn (2. Pet 1,16–21).
Es ist nichts als Unehrerbietung, wenn man das, was bald geschehen wird und damals in einem Bild vorweg gezeigt wurde, als „einen Bastardzustand der Dinge“ oder „eine abscheuliche Vermischung von Dingen, die absolut nichts miteinander zu tun haben“, verspottet.2 Wenn uns Menschen vom Anfang der Schöpfung an bis zu den Tagen unseres Heilandes flüchtige Erscheinungen von Herrlichkeit und vorübergehende Besuche herrlicher Wesen gewährt wurden, sollte dann der Mensch darin nur Geschichten sehen, die erzählt wurden? Erhalten solche Zweifler vom heiligen Berg her nicht eine Bestätigung des prophetischen Wortes, welches sagt, dass die Füße Jahwes auf dem Ölberg stehen werden und dass Er dann noch nicht alle Dinge auflösen, sondern als König über die Erde herrschen wird an jenem Tag, wenn Er kommt und alle seine Heiligen mit Ihm (vgl. Sach 14)? „Und es wird geschehen an jenem Tag, da werde ich erhören, spricht der HERR [Jahwe]: Ich werde den Himmel erhören, und dieser wird die Erde erhören; und die Erde wird das Korn und den Most und das Öl erhören; und sie, sie werden Jisreel erhören. Und ich will sie mir säen im Land und will mich über Lo-Ruchama erbarmen. Und ich will zu Lo-Ammi sagen:,Du bist mein Volk‘ und es wird sagen:,Mein Gott‘“ (Hos 2,23–25).
„Indem er uns kundgetan hat das Geheimnis seines Willens, nach seinem Wohlgefallen, das er sich vorgesetzt hat in sich selbst für die Verwaltung der Fülle der Zeiten: alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus, das was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist, in ihm“ (Eph 1,9–10). Es ist zwecklos, diese Aussage auf den ewigen Zustand umzudeuten. Sie stimmt weder mit diesem endgültigen Zustand noch mit den gegenwärtigen Wegen Gottes überein. Denn die Sammlung der Kirche ist notwendigerweise auswählend und keineswegs ein Sammeln aller Dinge im Himmel und auf der Erde. Dagegen folgt die Ewigkeit jenseits jeder Haushaltung, wenn jede Regierung und Verwaltung vorbei ist. Ausschließlich die 1000-jährige Herrschaft, das Königreich Christi, erfüllt diese wie auch die anderen Schriftstellen. „Dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf der Erde“ (Mt 6,10).
Kommen wir zu unserem Text zurück! – Indem er uns von der Stimme aus der Wolke berichtet (V. 7), wurde Markus, genauso wie Lukas, vom Geist Gottes geführt, die mittleren Worte, welche Matthäus uns berichtet, nämlich den Ausdruck des Wohlgefallens des Vaters am Sohn, wegzulassen. Doch diese Weglassung gibt dem Titel Christi als Sohn einen besonderen Nachdruck; und der Vater will, dass sie Ihn hören sollen und nicht mehr Mose und Elias, den die unverständige Hast des Petrus auf einen Boden mit dem Herrn gestellt hatte. Dieser göttliche Ausspruch wird besiegelt durch das plötzliche Verschwinden jener, die das Gesetz und die Propheten vertraten. Jesus allein wurde bei den Jüngern zurückgelassen.
„Und als sie von dem Berg herabstiegen, gebot er ihnen, dass sie niemand erzählen sollten, was sie gesehen hatten, außer wenn der Sohn des Menschen aus den Toten auferstanden wäre. Und sie hielten das Wort fest, indem sie sich miteinander besprachen: Was ist das, aus den Toten auferstehen?“ (V. 9–10). Auch wenn sie die Schriften kannten und die Auferstehungsmacht Gottes (was auf die Sadducäer nicht zutraf), war die Auferstehung aus den Toten, welche auch heute noch von vielen Jüngern nicht verstanden wird, trotzdem etwas Neues für sie.
Die Schwierigkeiten gelehrter Männer verwirrten sie. „Und sie fragten ihn und sprachen: Warum sagen denn die Schriftgelehrten, dass Elia zuerst kommen müsse? Er aber sprach zu ihnen: Elia zwar kommt zuerst und stellt alle Dinge wieder her; doch wie steht über den Sohn des Menschen geschrieben, dass er vieles leiden und für nichts geachtet werden soll? Aber ich sage euch, dass Elia auch gekommen ist, und sie haben ihm getan, was irgend sie wollten, so wie über ihn geschrieben steht“ (V. 11–13). Unser Herr bestritt die von den Schriftgelehrten betonte Wahrheit nicht. Aber so wie Er seine herannahende Schande und seine Leiden vor seinem Kommen in der Herrlichkeit des Vaters mit den heiligen Engeln herausstellte, so weist Er auf eine ähnliche Anwendung der Prophetie über Elias in der Person Johannes des Täufers hin. Das eigentliche Kommen des Elias wird später erfüllt werden. Für den Glauben ist wie der Herr auch der Vorläufer schon gekommen. Der Unglaube wird beide bald erkennen müssen.
Am Fuß des Berges wird eine ganz andere Szene gezeigt. Hier ist es keine flüchtige Erscheinung des Königreichs. Die Jünger waren von einer großen Volksmenge umgeben, Schriftgelehrte stritten mit ihnen; und die Macht Satans im Menschen war unverändert. Christus kam hernieder, und das ganze Volk begrüßte Ihn erstaunt. Christus sprach die Schriftgelehrten an.3 Doch was würde Er dem Mann antworten, der sich vergeblich wegen seines Sohnes mit dem stummen Geist, seinem Peiniger, an die Jünger gewandt hatte? „Er aber antwortet ihnen und spricht: O ungläubiges Geschlecht! Bis wann soll ich bei euch sein? Bis wann soll ich euch ertragen? Bringt ihn zu mir!“ (V. 19). „Gesegneter Herr Jesus, deine Wege sind vollkommen! Keine Liebe, keine Zartheit, keine Langmut ist größer als die deine! Und dennoch fühltest Du die Ungläubigkeit, welche nicht wusste, wie man in Abhängigkeit von Gott und Selbstverleugnung jene Kraft herbeiziehen konnte, die Satan aus seinen Hochburgen austreibt! Doch wie prüfst Du noch in deiner Gegenwart, wenn die Befreiung schon nahe ist, den Glauben und die Geduld jener, die in Dir alles lernen sollen!“
„Und sie brachten ihn zu ihm. Und als der Geist ihn sah, zerrte er ihn sogleich hin und her; und er fiel auf die Erde und wälzte sich schäumend“ (V. 20). Auch jetzt folgte noch nicht die Zurechtweisung der Macht des Bösen. „Und er fragte seinen Vater: Wie lange Zeit ist es schon, dass ihm dies geschehen ist? Er aber sprach: Von Kindheit an; und oft hat er ihn sogar ins Feuer geworfen und ins Wasser, um ihn umzubringen; aber wenn du etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! Jesus aber sprach zu ihm: Was das „wenn du kannst“ betrifft – dem Glaubenden ist alles möglich. Und sogleich rief der Vater des Kindes und sagte: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (V. 21–24). Das war sicherlich nur ein schwaches Bekenntnis, doch es war wahrhaftig, und das Herz war nur auf den Herrn gerichtet.
„Als aber Jesus sah, dass eine Volksmenge zusammenlief, gebot er dem unreinen Geist ernstlich, indem er zu ihm sprach: Du stummer und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn. Und schreiend und ihn sehr hin und her zerrend, fuhr er aus; und er wurde wie tot, so dass die meisten sagten: Er ist gestorben. Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf; und er stand auf. Und als er in ein Haus getreten war, fragten ihn seine Jünger für sich allein: Warum haben wir ihn nicht austreiben können? Und er sprach zu ihnen: Diese Art kann durch nichts ausfahren als nur durch Gebet [und Fasten]“ (V. 25–29). Das ist ein bewundernswertes Bild von den Wegen der gnädigen Macht in der Befreiung des Menschen, insbesondere Israels, von der fast unrettbaren Besessenheit seitens des Feindes. Außerdem enthalten seine Worte eine ernste Erklärung an die Jünger, worin das Geheimnis ihrer Schwachheit lag.
Ach, wir müssen es anerkennen: Es mangelt nicht an Macht, sondern daran, dass wir nur wenig in des Herrn Gedanken eintreten. Die fleischliche Gesinnung kann von Herrlichkeit auf der Erde träumen und davon reden. Doch das Kreuz kommt dazwischen, welches weder verstanden noch begrüßt wird. „Und sie gingen von dort weg und zogen durch Galiläa; und er wollte nicht, dass es jemand erfahre. Denn er lehrte seine Jünger und sprach zu ihnen: Der Sohn des Menschen wird in die Hände der Menschen überliefert, und sie werden ihn töten; und nachdem er getötet worden ist, wird er nach drei Tagen auferstehen. Sie aber verstanden das Wort nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen (V. 30–32).
In Wirklichkeit waren sie mit anderen Gedanken beschäftigt, damit die Gnade Gottes, wie sie im Kreuz entfaltet wurde, nicht in ihre Herzen leuchten konnte. Außerdem blieb durch ihre Unaufmerksamkeit der schreckliche Beweis, den das Kreuz von der Entfremdung des Menschen von Gott lieferte, vor ihnen verborgen. Die fleischliche Gesinnung, deren Ende hinsichtlich des Menschen das Kreuz sein würde, wirkte in ihnen; und Er wusste es und legte sie vor ihren Augen offen: „Und er kam nach Kapernaum. Und als er in dem Haus war, fragte er sie: Was habt ihr auf dem Weg besprochen? Sie aber schwiegen; denn sie hatten auf dem Weg miteinander beredet, wer der Größte sei (V. 33–34). Wie gnädig und wahr ist diese Lektion! „Und nachdem er sich gesetzt hatte, rief er die Zwölf; und er spricht zu ihnen: Wenn jemand der Erste sein will, so soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte; und als er es in die Arme genommen hatte, sprach er zu ihnen: Wer irgend eins von solchen Kindern aufnimmt in meinem Namen, nimmt mich auf; und wer irgend mich aufnimmt, nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat“ (V. 35–37).
Nicht nur die Gesamtheit der Jünger benötigte Tadel und Zurechtweisung von Seiten des Lehrers. So wie am Anfang des Kapitels Petrus auf dem Berg der Herrlichkeit, verriet noch vor dessen Ende Johannes denselben Geist der Ichsucht, indem auch er die besondere Herrlichkeit Christi verdeckte durch die fleischliche Bemühung, den Herrn zu erhöhen. „Johannes sprach zu ihm: Lehrer, wir sahen jemand, [der uns nicht nachfolgt,] Dämonen austreiben in deinem Namen; und wir wehrten ihm, weil er uns nicht nachfolgte. Jesus aber sprach: Wehrt ihm nicht, denn niemand wird ein Wunderwerk in meinem Namen tun und bald darauf übel von mir reden können; denn wer nicht gegen uns ist, ist für uns“ (V. 38–40).
In Matthäus 12 wird Christus durch die Gewalt des Unglaubens, der für das Zeugnis des Geistes Gottes blind ist, weil er es hasst und lästert, unter der Anstiftung Satans verworfen. Unter diesen Umständen ist ein Kompromiss unmöglich und Halbherzigkeit gefährlich und verhängnisvoll. „Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut“ (Mt 12,30). Wenn es sich um die Spannung zwischen Christus und der verfinsternden, lästernden Macht des Teufels handelt, besteht die einzige Sicherheit darin, mit Christus zu sein, und der einzige Dienst, mit Ihm zu sammeln. Wenn es aber nicht um dieses Problem geht, sondern im Gegenteil um einen Menschen, der vielleicht wenig bekannt ist und wenig weiß, jedoch dem Namen Jesus, soweit er ihn kennt, treu ist, dann sollen wir ihn und die offensichtliche Ehre, die der Herr auf ihn legt, mit Freuden anerkennen, obwohl er „uns nicht nachfolgt“. Er ist kein Feind, sondern ein Freund jenes Namens, den er seiner Erkenntnis entsprechend anerkennt. In diesem Fall sagt der Herr: „Wer nicht wider uns ist, ist für uns“. Es soll nicht vergessen werden, wenn jener Name im Geringsten geehrt wird. Andererseits ist seine Missachtung, indem man dem geringsten Gläubigen einen Fallstrick legt, verderblich für den Schuldigen (V. 41–42).
Das führt den Herrn zu Warnungen von eindringlichem Ernst. „Und wenn deine Hand dir Anstoß gibt, so hau sie ab. Es ist besser, dass du verkrüppelt in das Leben eingehst, als dass du mit zwei Händen in die Hölle kommst, in das unauslöschliche Feuer, [wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt]. Und wenn dein Fuß dir Anstoß gibt, so hau ihn ab. Es ist besser, dass du lahm in das Leben eingehst, als dass du mit zwei Füßen in die Hölle geworfen wirst, [in das unauslöschliche Feuer, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt]. Und wenn dein Auge dir Anstoß gibt, so wirf es weg. Es ist besser, dass du einäugig in das Reich Gottes eingehst, als dass du mit zwei Augen in die Hölle [des Feuers] geworfen wirst, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt“ (V. 43–48). Der drei Mal wiederholte Kehrreim, „wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt“ klingt dem schuldbewussten Gewissen wie die Armesünderglocke, welche dem Verbrecher zur Hinrichtung läutet. Möchte es bei uns Gläubigen die Herzen zu einem außerordentlichen Eifer zugunsten umkommender Seelen anfachen (vgl. 2. Kor 5,10–11)!
Doch es gibt auch unmittelbaren Gewinn für die Jünger. Wenn jeder „mit Feuer gesalzen“ wird, so wird auch „jedes Schlachtopfer mit Salz gesalzen“. Die erste Aussage bezieht sich nach meiner Meinung auf den Menschen als solchen, die zweite ausdrücklich und ausschließlich auf die Heiligen, die für Gott abgesondert sind. „Das Salz ist gut“, sagt unser Herr zum Schluss, „wenn aber das Salz salzlos geworden ist, womit wollt ihr es würzen? Habt Salz in euch selbst, und seid in Frieden untereinander“ (V. 49–50). Wie kostbar und praktisch ist die Ermahnung! Das erste Erfordernis besteht in dieser heiligen, bewahrenden Kraft in unserer Seele. Sodann benötigen wir untereinander einen Geist des Friedens. „Die Frucht der Gerechtigkeit in Frieden aber wird denen gesät, die Frieden stiften“ fügt der Apostel Jakobus hinzu (Jak 3,18).
Fußnoten
- 1 In „Vorträge zum Matthäusevangelium“, Band 7 dieser Serie, Kapitel 17 (Übs.)
- 2 Eine Quelle für diese Zitate ist nicht angegeben und unbekannt. (Übs.)
- 3 In der alten englischen Bibelübersetzung („Authorized Version“) steht in Vers 16, dass der Herr die Schriftgelehrten fragte. Der griechische Urtext (und auch die „Elberfelder Übersetzung“) spricht einfach von „ihnen“ (“αύτούς“), was man auf die Jünger oder auf die Schriftgelehrten beziehen kann. Eine neuere Übersetzung, die auch den Ausdruck „ihnen“ auf die Schriftgelehrten bezieht, befindet sich in K. Berger und Chr. Nord (1999): Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt/M. & Leipzig (Übs.).