Eine Auslegung des Markusevangeliums

Kapitel 6

Den Abschnitt vor uns möchte ich in drei Teile einteilen, um ihn bequemer untersuchen zu können. Zuerst haben wir die ungläubige Verwerfung Christi in seiner Vaterstadt. Danach hören wir von der Aussendung der Zwölf. Und zuletzt sehen wir die Macht und, ach, gleichzeitig verhängnisvolle Schwäche eines ungereinigten Gewissens, wie es in dem Verhalten des Herodes gegen Johannes den Täufer zur Entfaltung kommt.

Zuerst finden wir also den unermüdlichen Knecht zusammen mit seinen Jüngern in seiner Vaterstadt. „Und als es Sabbat geworden war, fing er an, in der Synagoge zu lehren; und viele, die zuhörten, erstaunten und sprachen: Woher hat dieser das alles, und was ist das für eine Weisheit, die diesem gegeben ist, und solche Wunderwerke geschehen durch seine Hände? Ist dieser nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und ein Bruder von Jakobus und Joses und Judas und Simon? Und sind nicht seine Schwestern hier bei uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm“ (V. 2.3).

Was für eine Lektion! Die Kraft seiner Lehre und die machtvollen Werke von seiner Hand wurden anerkannt. Doch sogar die verachteten Nazarener strauchelten über den demütigen Herrn, den demütigen Knecht, aller. Die Schäbigsten der Menschen sind nicht frei von demselben Geist der Welt, der die Höchsten blind macht. In Wahrheit verblendet der Gott dieser Welt alle Verlorenen. Diese Wahrheit mag deutlicher bei den Fürsten dieser Welt zum Ausdruck kommen, wenn alle menschlichen Hilfsquellen ihnen nicht dabei helfen, den Herrn der Herrlichkeit zu erkennen und Ihn bekannt zu machen. Doch wie allgemein verbreitet diese sittliche Blindheit ist, zeigt sich in dem Verhalten jener Männer Nazareths gegen den Herrn Jesus. Dass der wahre Erbe des Thrones Davids, wenn wir nur von seiner königlichen Herrlichkeit sprechen wollen, ein „Zimmermann“ sein sollte, war und ist für Fleisch und Blut zu viel. Und doch ist die Gnade seiner Erniedrigung, wenn an sie geglaubt wird, genauso auffallend wie dringend und absolut notwendig, wenn Gott verherrlicht und der Mensch nach Gottes Gedanken errettet werden sollte. Es ist auch klar, dass die Gnade all dessen, was Er wurde und erduldete, nur von denen richtig erkannt wird, die in Ihm den Sohn sehen. Er ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben (1. Joh 5,20).

Hier wird Er sogar als Prophet verworfen. Jesus beugte sich diesem gewöhnlichen Los all jener, die für Gott in einer Welt arbeiten, welche die Knechte Gottes zu gut kennt, um sie zu ehren, sie jedoch andererseits genauso wenig kennt, wie die Welt Gott kennt „Ein Prophet“, sagte Er, „ist nicht ohne Ehre, außer in seiner Vaterstadt und unter seinen Verwandten und in seinem Haus“ (V. 4). Und so, wie Er sprach, handelte Er auch, d. h. Er handelte gar nicht. Denn „er konnte dort kein Wunderwerk tun, außer dass er einigen Schwachen die Hände auflegte und sie heilte“ (V. 5). Wie bewunderungswürdig ist die Vollkommenheit seines Dienstes! Mir scheint, dass nichts diese Vollkommenheit besser entfaltet als der Inhalt der Worte: „Er konnte dort kein Wunderwerk tun“. Ja, Er, der Schöpfer und Erhalter aller Dinge, konnte dort kein mächtiges Werk tun. Er war der allezeit abhängige und gehorsame Mensch, der gekommen war, um nicht seinen Willen zu tun, sondern den Willen Dessen, der Ihn gesandt hatte. „Alles ward durch dasselbe [d. h. durch Ihn], und ohne dasselbe ward auch nicht eines, das geworden ist“ (Joh 1,3); und trotzdem konnte Er dort kein Wunderwerk tun. – „Gepriesener Herr, Du bist für mich größer in einer solchen Schwachheit als in der Kraft, durch welche alle Dinge bestehen!“ – Dennoch wurde gnädig die heilende Kraft ausgeübt, soweit sie in sittlicher Hinsicht mit dem Zustand von Volk und Ort in den Augen Gottes verträglich war. Er legte nämlich seine Hände einigen Kranken auf und heilte sie. „Und er verwunderte sich“, wie der Heilige Geist hinzufügt, „über ihren Unglauben“ (V. 6). Dieses Ereignis verhinderte jedoch keineswegs sein Zeugnis in der Nachbarschaft; denn „er zog durch die Dörfer ringsum und lehrte“.

Zweitens berief Er zwölf Jünger und fing an sie zu zwei und zwei auszusenden. Er gab ihnen Gewalt über unreine Geister und befahl ihnen, nichts mit auf den Weg zu nehmen außer einem Stab, usw. Ich denke nicht, dass die Wichtigkeit der Aussendung seiner Knechte seitens des Herrn, seien es die Zwölf oder andere, von den meisten Menschen richtig bewertet wird. Ihre Mission konnte jetzt natürlich noch nicht ihren vollen Charakter der weltumspannenden Gnade haben. Das geschah erst nach seinem Tod und seiner Auferstehung. Und doch entfaltete diese Aussendung seiner Boten mit einer Botschaft der Gnade einen sehr kostbaren Grundsatz; denn sie war etwas Neues auf der Erde. Außerdem, was für ein Zeugnis legte sie ab von der wirklichen, wenn auch verborgenen, Herrlichkeit Dessen, der die Jünger aussandte! Wer konnte auf diese Weise andere in den Dienst stellen und mit Kraft über unreine Geister befähigen außer einer Person, die sich ihrer Göttlichkeit bewusst war? Und was für Befehle gab Er seinen Gesandten! „Kein Brot, keine Tasche, kein Geld in den Gürtel, sondern Sandalen untergebunden; und zieht nicht zwei Unterkleider an“ (V. 8–9). Wahrhaftig, sein Reich und sein Dienst waren nicht von dieser Welt, sonst hätte Er anders vorgesorgt. Trotzdem gingen sie im vollen Bewusstsein ihrer Autorität hinaus. „Und er sprach zu ihnen: Wo irgend ihr in ein Haus eintretet, dort bleibt, bis ihr von dort weggeht“ (V. 10). Wie weise war das und wie umsichtig hinsichtlich der Würde seiner Boten! Und welche Achtsamkeit, damit die Botschaft nicht durch den Eigennutz ihrer Verkünder gefährdet werden konnte! „Und welcher Ort irgend euch nicht aufnimmt und wo sie euch nicht hören, von dort geht hinaus und schüttelt den Staub ab, der unter euren Füßen ist, ihnen zum Zeugnis“ (V. 11). Die Tatsache, dass Er der Sohn Gottes, der Heiland, war, verkleinerte keineswegs, sondern, im Gegenteil, vergrößerte die Schuld jener, die Ihn in seinen Knechten ablehnten.1 Der Inhalt der Predigt bestand in der Aufforderung, dass die Menschen Buße tun sollten. Ohne Buße gibt es kein göttliches Werk in einem Sünder. Ohne Buße kann es bestenfalls eine Art wertlosen Glaubens in der Seele geben. In der Christenheit ist dieser weit verbreitet. Wo der Heilige Geist wirkt, ist das anders. Er bearbeitet das Gewissen und trägt die gute Saat, die gesät wird, zum Herzen. Der Dienst der Zwölf wurde von äußeren Zeichen begleitet. „Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Schwache mit Öl und heilten sie“ (V. 13).

Der dritte Punkt, dem wir jetzt unsere Aufmerksamkeit schenken wollen, ist die ernste Geschichte des Gewissens im König Herodes. Er hörte das Gerücht von Jesus und schrieb die Wunder Johannes dem Täufer zu, von dem er annahm, dass er von den Toten auferstanden sei. Unter den Menschen bestanden die üblichen Meinungsunterschiede und Unsicherheiten. Doch das schlechte Gewissen machte Herodes sicher, dass Jesus Johannes war, den er enthauptet hatte. Welch eine Pein verursachte hier das Gewissen! Doch der Fall ist noch verzweifelter, wo das Gewissen durch Religiosität verhärtet ist. Der Heilige Geist wendet sich hier etwas beiseite, um uns einen Bericht von den Umständen zu geben und zu erklären, warum Herodes so besorgt und verwirrt war. Die gottlose Herodias, die der Vierfürst schuldhaft geheiratet hatte, obwohl sie die Frau seines Bruders war, hatte zunächst vergeblich nach Rache verlangt. Denn trotz seines Tadels stand Johannes als gerechter und heiliger Mann hoch in der Wertschätzung des Herodes. Und wenn Herodes ihn gehört hatte, tat der König vieles; dabei hörte er ihm gerne zu. Aber hier endete der schöne Schein. Satan fand eine Möglichkeit, ihn auf einen Weg zu bringen, von dem es kein Entrinnen gab außer durch Buße und die Anerkennung seiner Sünden. Diese Gelegenheit ergab sich bei einem königlichen Gelage, bei dem die Tochter der Herodias zur Zufriedenheit des Herodes und seiner Gäste tanzte. Dafür gab Herodes mit einem Eid das vorschnelle Versprechen, ihr bis zur Hälfte seines Königreiches zu geben, um was sie bitten mochte. Jetzt war die Gelegenheit für die rachsüchtige Ehebrecherin gekommen, welche ihre Tochter anwies, sofort um das Haupt Johannes des Täufers auf einer Schüssel zu bitten. Und der König, dessen Furcht vor Johannes aus keiner besseren Quelle kam als die menschliche Natur, wurde zwar sehr betrübt, doch gab er zugunsten des Ansehens bei seinen Gästen nach. Er schickte sofort jemand von der Leibwache, um den Gefangenen hinzurichten, und übergab seinen Kopf an das Mädchen, welches ihn zur Mutter brachte. Welch ein Netz legte Satan vor die Füße eines Mannes, der nicht ohne Gefühl war! Wie kraftlos ist das Gewissen, wenn in der einen Waagschale der Knecht Gottes und in der anderen die arme verpfändete Ehre der Menschen liegt! Wie einfach ist alles in der Gegenwart Gottes! Gelübde an den Teufel werden besser gebrochen als gehalten (V. 14–29).

Der letzte Teil des Kapitels ist ähnlich wie der erste einzigartig voll Belehrung über den Dienst des Herrn. – Zuerst hatten wir das Los des Herrn (V. 1–6). Er wurde nicht nur in seinem Anrecht als König und Messias zurückgewiesen, sondern auch als Knecht Gottes verachtet. Sie hörten seine Lehre und erstaunten sowohl über seine Weisheit als auch seine Macht; doch eines überwog alles andere: „Ist dieser nicht der Zimmermann?“ Ja, Er war es! Anscheinend hat unser Herr wirklich als solcher gearbeitet. Er war nicht nur der Sohn eines Zimmermanns, sondern auch selbst ein Zimmermann. Der Schöpfer des Himmels und der Erde verbrachte einen beträchtlichen Teil seines Aufenthalts auf der Erde Tag für Tag bei dieser niedrigen Arbeit.

Unser Herr wurde von der Ausführung großer Taten abgehalten und wandte sich infolgedessen einem bescheideneren Dienst zu. Obwohl Er durch ihren Unglauben daran gehindert wurde, ein auffallendes Zeugnis seiner Herrlichkeit zu liefern, legte Er seine Hände einigen Schwachen auf und heilte sie. Die Gefühle des Herrn konnten nicht ertötet werden. Er wandte sich schweigend von der Verachtung, die seine mächtigen Taten dort ausschloss, ab und beschäftigte sich mit einigen wenigen unbedeutenden Fällen. Können wir – selbst in diesen Umständen – die Vollkommenheit Christi als der Knecht übersehen?

Als Nächstes sahen wir die Aussendung der Zwölf. In ihnen gab es zwei Kennzeichen, die schwer zu vereinbaren waren. Sie sollten in Umstände gestellt werden, die sie der Verachtung eines jeden aussetzen würde. Sie sollten kein Geld in ihrem Gürtel besitzen und nicht einmal zwei Leibröcke oder Schuhe mit sich nehmen, sondern Sandalen tragen. Sie sollten ohne Tasche und ohne Verpflegung losgehen. Was könnte hilfloser oder abhängiger aussehen als ihre Lage? Nichtsdestoweniger waren sie als die Boten des Königs ausgesandt worden und infolgedessen mit seiner Kraft versehen. Ein bemerkenswerter Beweis davon war ihre Macht über unreine Geister. „Er fing an, sie zu zwei und zwei [sie hatten Gemeinschaft in ihrem Dienst] auszusenden, und gab ihnen Gewalt über die unreinen Geister“ (V. 7). Nachdem sie so ausgesandt waren, predigten sie nicht nur, dass die Menschen Buße tun sollten, sondern trieben auch viele Dämonen aus, salbten zahlreiche Schwache mit Öl und heilten sie. Der oberste Gesichtspunkt in den Gedanken des Herrn war der Umgang mit der Macht Satans. Diesbezüglich gibt es unter den Menschen viel Unglauben. Die Welt ist mit materiellen Erfindungen alt geworden. Und während die Zeit auf der Erde verging, haben sich die Menschen so sehr an die Macht gewöhnt, die ihnen über die äußere Natur gegeben worden ist, dass sie unter diesen Umständen dazu neigen, die unsichtbare Macht und die Listen Satans zu vergessen und zu leugnen. Es war deshalb sehr wichtig, dass die Jünger, die von der Autorität Gottes berufen und ausgesandt wurden, bei ihrem Zug durch das Land Israel mit göttlicher Kraft ausgestattet waren, soweit sie um Christi willen verliehen werden konnte.

Aber noch etwas anderes ist im Dienst des Herrn von großer Wichtigkeit. Indem sie die Menschen zur Buße aufriefen, gab es eine überraschende Antwort im Gewissen. Das Wort erreicht das Herz selbst da, wo man es zuletzt erwarten würde, wie in dem Fall des Herodes, der hier vom Geist Gottes als Beispiel vorgestellt wird. Auch wo der Mensch keine Buße tut, gibt es ein Gewissen; und das Wort ist nicht zu schwach, dieses zu erreichen. Die Menschen mögen die Warnung nicht beachten, sie mögen sich von ihr abwenden, sie mögen versuchen, diese zu vergessen, und eine Zeitlang Erfolg damit haben, alle guten Gefühle zu ersticken; doch der Widerhaken ist da. Und wenn auch bei einem starken Menschen eine Wunde lange Zeit nicht tastbar ist, so erscheint doch die alte Wunde in Zeiten der Schwachheit wieder. Was jugendliche Kraft missachten konnte, kann noch vor dem Abschluss des Lebens zu einer ständig wachsenden Not werden.

In Herodes haben wir die Geschichte einer Seele, deren Gewissen vom Wort Gottes erreicht wurde – aber nicht mehr. Wir wissen ganz gut, dass unbekehrte Menschen sich dem Heiligen Geist widersetzen können. Das ist gewöhnlich dort die Antwort, wo man Gottes Wort kennt. Dabei widersteht man nicht nur dem Wort, sondern auch dem Geist Gottes. Deshalb sagte Stephanus in seiner Rede an die Juden: „Ihr widerstreitet allezeit dem Heiligen Geist; wie eure Väter, so auch ihr“ (Apg 7,51). Der Heilige Geist benutzt weitgehend das Wort Gottes, um das Gewissen zu erreichen; und wer es zurückweist, widersteht sowohl dem Wort als auch dem Geist Gottes. Im Fall des Herodes war es nur das Zeugnis des Johannes; doch es war ein machtvolles Zeugnis, soweit es die Überführung von der Sünde betraf. Johannes der Täufer behauptete nicht, dass er die Erlösung brachte. Sein Hauptaufgabe war, auf Den hinzuweisen, der kommen sollte. Durch ihn wurde jedoch in den führenden Männern ein machtvolles Werk hervorgebracht, wodurch sie erkannten, dass sie ohne den Herrn nicht auskommen konnten. So stellte er den Menschen vor, dass in den Augen Gottes alles verdorben war und dass, weit von blühenden und glücklichen Umständen entfernt, die Axt an der Wurzel des Baumes lag (Lk 3,9). Das Gericht stand vor der Tür. Jawohl, so war es – nur dass das Gericht, welches der Mensch verdiente, durch die Gnade zuerst auf Christus herabkam. Das war die überraschende Gestalt, in der das göttliche Gericht damals am Kreuz stattfand. Es war ein wirkliches Gericht Gottes. Es war ein Gericht, das zu dieser Zeit nicht auf die Schuldigen fiel, sondern auf den schuldlosen Sohn Gottes, wodurch außerdem die Erlösung vollbracht wurde. Das ganze Werk Christi für die Kirche (Versammlung) Gottes wurde erst vorgestellt, nachdem der Mensch – Israel – sich selbst überlassen worden war. Es ist jetzt die Zeit der Langmut Gottes. Der Welt ist genauso erlaubt, ihren eigenen Weg in der Verwerfung des Evangeliums zu gehen, wie sie vorher Christus kreuzigen durfte. So handelt die Welt heutzutage. Wenn sie bald ihren Höhepunkt erreicht hat, kommt das Gericht.

So wird also das Gewissen in einem Mann gezeigt, der fühlte, was richtig war, und der eine Zeitlang das Wort Gottes gerne hörte. Es gab jedoch keine Buße. Er unterwarf seine Seele nicht der Überzeugung, die einen Augenblick an seiner Seele vorbeizog und die ihm vorstellte, was wahr, gerecht und Gott-gemäß war. Die Folge war, dass die Umstände vom Teufel so benutzt und von Gott zugelassen wurden, dass Herodes die Wertlosigkeit des natürlichen Gewissens sogar in Hinsicht auf die Person, die er als Prophet anerkannt hatte, offen zur Schau stellte. Auf jeden Fall war jetzt alles verloren. Es genügte eine schuldige Stunde bei einem Festessen, wo das Verlangen, einer Seele einen Wunsch zu erfüllen, die genauso schlecht oder noch schlechter war als er selbst, seine Schwachheit umgarnte und ihn an sein Wort fesselte. Hier endete das natürliche Gewissen. Herodes gab den Befehl, von dem er nicht für möglich gehalten hatte, dass er ihn jemals geben würde. Wir kennen jedoch nur wenig die Macht jenes unreinen und verschlagenen Widersachers, des Teufels. Wir sehen hier das genaue Gegenteil von dem, was der Herr in Gnade durch seine Jünger ausführen ließ. Er gab ihnen Gewalt über die unreinen Geister. Dazu müssen die Menschen Buße tun und die Macht Satans gebrochen werden. Hier dagegen war ein Mensch, der wusste, dass er in einem bösen Zustand war; doch die Macht Satans wurde niemals wirklich gebrochen. Er ging nicht zu Gott im Bewusstsein, dass er sich selbst nicht befreien konnte. Infolgedessen schritt Herodes weiter auf seiner Bahn, bis in jener bösen Stunde die schreckliche Tat zur Ausführung gelangte. Alles war vorbei. Herodes wurde jetzt zweifellos der Verzweiflung oder der Gleichgültigkeit überlassen. Wäre doch bei ihm das Empfinden für die Gnade in Christus vorhanden gewesen! Es gab Gnade genug, um diese und jede andere Sünde auszulöschen. Aber ein Herz, das es ablehnt, sich im Gewissen vor Gott zu beugen, erkennt niemals die Gnade in Christus an.

Nachdem wir so noch einmal ein wenig die Wahrheit in diesem Teil des Kapitels skizziert haben in Hinsicht auf die Grundsätze Gottes für die Leitung im Dienst, können wir weitergehen. Die Apostel versammelten sich bei Jesus und erzählten Ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Das war eigentlich ganz natürlich. Außerdem ist es heilsam für jeden im Werk des Herrn Beschäftigten, wenn er so mit dem, was getan und gelehrt wurde, zu Jesus geht. Es ist gut, sich zu prüfen und vielleicht alles genau zu berichten. Doch wo können wir das ohne sittliche Gefahr, wenn nicht bei Jesus? Es ist eine Sache, im Dienst für Jesus hinauszugehen; die andere ist jedoch, dass wir zu Jesus zurückkehren und Ihm alles erzählen, was wir tun und reden mussten. Verschiedentlich gibt es Gelegenheiten, wo es gut und angebracht ist, andere mit den wunderbaren Werken Gottes zu ermuntern. Es ist jedoch immer gut und nützlich, damit zum Herrn zu gehen. In seiner Gegenwart besteht keine Gefahr, dass wir uns aufblasen und von uns höher denken, als es sich gebührt. Dort lernen wir, wie klein wir sind und wie mangelhaft selbst das ist, was wir zur Belehrung untereinander am meisten erstreben.

Unser Herr zeigte sein ungeteiltes Interesse und seine Anteilnahme an ihrem Bericht und sagte zu ihnen: „Kommt ihr selbst her an einen öden Ort für euch allein und ruht ein wenig aus. Denn es waren viele, die kamen und gingen, und sie fanden nicht einmal Zeit, um zu essen“ (V. 31). Es wäre gut für uns, wenn wir diese Rast häufiger benötigen würden! Damit meine ich, dass unsere Arbeiten so überreich, bzw. unsere selbstverleugnenden Bemühungen für den Segen anderer so anhaltend sein sollten, dass wir sicher sein können, ebenfalls diese Worte des Herrn zu hören: „Kommt ihr selbst her an einen öden Ort besonders und ruht ein wenig aus“. Ich fürchte, dass wir manchmal eher nötig haben, wachgerüttelt zu werden, damit wir fühlen, dass Seelen ein Recht an uns haben. Wir sind nicht nur den Heiligen Gottes verpflichtet, für ihren Segen zu sorgen, sondern auch jeder Kreatur, denn wir sind Schuldner aller (Röm 1,14). Wenn wir einen solchen Christus besitzen, wie es unser Teil ist, sollten wir eigentlich fühlen, dass wir Reichtümer genug für einen jeden haben. Wir haben in Ihm nicht nur Reichtümer der Gnade für die Heiligen Gottes, sondern auch für den ärmsten Sünder. Die Zwölf hatten ihre Mission so gut erfüllt, dass unser Herr zu ihnen sagen konnte: „Kommt ... und ruht ein wenig aus!“ Das war mehr als Rast für den Leib. Was für eine Erholung finden wir bei Ihm für die Seele! Es ist gut, zeitweise auf solche Weise allein und doch nicht allein zu sein. Wir sind allein hinsichtlich menschlicher Gesellschaft, damit wir bei dem Einzigen seien, der uns neue Kraft und gleichzeitig die passende Demut für eine noch bessere Erledigung unseres Dienstes, welcher Art er auch sei, geben kann.

Sie fuhren dann für sich allein mit einem Schiff an einen öden Ort. Ich denke, nichts ist an dieser Stelle so der Beachtung würdig wie die Wege der Güte unseres Herrn. Wir trauen unserem Herrn nicht genug zu. Wir sind nicht einfältig in unserer Vorstellung von dem Interesse, das Er an uns in all den Einzelheiten der Umstände Tag für Tag hat. Wir denken nicht immer daran, dass Er ein wirklicher, liebender und besorgter Freund ist, der sich mit uns beschäftigt, auf unser Wohl bedacht ist und sich sogar herablässt, für unseren Leib genauso gut zu sorgen wie für unsere Seele. In Hinsicht auf die Zwölf finden wir hier den Beweis.

„Und viele sahen sie abfahren und erkannten sie und liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor. Und als er ausstieg, sah er eine große Volksmenge, und er wurde innerlich bewegt über sie, weil sie wie Schafe waren, die keinen Hirten haben. Und er fing an, sie vieles zu lehren“ (V. 33–34). Das ist außerordentlich lieblich, wenn wir bedenken, dass Er sich eigentlich zurückziehen wollte, um seinen Jüngern Ruhe zu verschaffen. Sie hatten nicht einmal Zeit, um zu essen; und die Eile der Volksmenge war wirklich ein Sichaufdrängen. Und doch wandte der Herr sich ihr sofort in Liebe zu. Auch hier finden wir nicht im Geringsten so etwas wie den Ausdruck einer Irritation. Den Eindringlingen schlug keine Kälte entgegen. Im Gegenteil, Er wandte sich diesem neuen Dienst mit der gleichen Bereitwilligkeit zu, mit der Er sich beiseite gewandt hatte, um seinen Jüngern dadurch etwas Rast zu gewähren. Darüber hinaus blickte Er in Mitgefühl auf die Volksmenge, „weil sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er fing an, sie vieles zu lehren“. Er jedenfalls kannte keine Muße. Wo erlaubte Er sie sich jemals, obwohl es für Ihn unendlich mehr gab, was Ihn übte und als Mensch auf der Erde ermüdete, als bei jedem anderen Mann hienieden? Er übernahm es sofort, diese notleidenden Menschen zu belehren, obwohl sie kaum wussten, dass sie diese Lehre benötigten.

„Und als es schon spät geworden war, traten seine Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist öde, und es ist schon spät; entlass sie, damit sie hingehen aufs Land und in die Dörfer ringsum und sich etwas zu essen kaufen“ (V. 35–36). Oh, sehen wir hier nicht ein Spiegelbild von uns selbst? „Entlass sie!“ War das alles, was die Jünger denken oder sagen konnten? Hatten sie nicht mehr Nutzen aus der vorherigen Erfahrung mit ihrem Meister gezogen? Hatten sie keinen Nutzen gezogen aus der Gnade, die der Herr schon so lange Zeit gegen das arme, hirtenlose Israel entfaltet hatte? „Entlass sie!“ Schicke sie von Jesus weg! Schicke sie ohne Erfrischung von Jesus weg! Sogar Jünger konnten so etwas dem Herrn vorschlagen. Lernen wir nicht diese Wahrheit aus unseren eigenen Herzen? Entdecken wir nicht ständig, wie wenig fähig wir sind, auf die Gnade zu rechnen und ihre grenzenlosen Hilfsquellen auf gegenwärtige Schwierigkeiten anzuwenden? Wenn wir die Wege des Herrn gesehen haben, dann kann es sein, dass wir sie bewundern. Doch der Glaube zeigt sich insbesondere darin, dass wir wissen, wie wir uns für die augenblicklichen Bedürfnisse vor uns dessen bedienen, was in Christus ist. Hier sehen wir diesen Mangel bei anderen. Doch wie groß muss dieser Mangel sein, wenn die Jünger sogar dem Herrn gegenüber ihrem Unglauben freien Lauf ließen?

„Entlass sie, damit sie hingehen ... und sich etwas zu essen kaufen. ... Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen!“ (V. 36–37). Der Herr handelte immer als der Gebende. Er liebt einen großzügigen Geber (2. Kor 9,7). Er war selbst einer. Und Er stand jetzt im Begriff, die Herzen der Jünger zu öffnen, um richtig zu empfinden. Es ging nicht mehr nur um das, was in einer mit Autorität versehenen Mission durch das ganze Land Israel benötigt wurde, damit das Reich aufgerichtet werden konnte. Hier ging es um ein Herz für die Armen, Verachteten und Elenden in Israel. Der Herr wollte den Jüngern seine eigenen Empfindungen mitteilen. Sie sollten erkennen, was ihnen mangelte. Christus wollte sie lehren, was für Gefühle Er sogar für die Menschen hatte, welche für seine Bedürfnisse kein Verständnis zeigten und keine Rücksicht auf Ihn nahmen in Hinsicht auf die Einsamkeit, die Er suchte. Letzteres konnte die Gnade in Christus Jesus nicht abschwächen. Worin andere auch immer fehlen mögen – wir haben gut darauf zu achten, dass wir die geduldige Weisheit der Gnade entfalten. Das ist das Schwerste, was wir zu lernen haben. Hier versagten die Jünger; doch es geschah in Gegenwart einer Person, die ihr Versagen als Gelegenheit nutzte, sie zu einer größeren Einsicht in seine Gnade zu führen. Das ist das große Thema des ganzen Kapitels. Es handelt davon, dass andere Personen angesichts seiner herannahenden völligen Verwerfung zum Dienst passend gemacht werden.

Wir finden hier nicht nur die angemessene Macht, sondern auch die angemessenen Gefühle. Die Macht über unreine Geister haben wir schon gesehen. Die sittliche Kraft durch das Wort hatte sich sogar über das Gewissen eines natürlichen Menschen erwiesen. Doch jetzt geht es um die Wahrnehmung der Gefühle des Herrn und seines Mitgefühls für eine Volksmenge, selbst wenn diese ungläubig ist. Es gibt viele, die wahrhaft an die Liebe des Herrn für seine Kirche (Versammlung) glauben. Sie verstehen jedoch das tiefe Mitleid des Herrn mit den armen Menschen als solchen überhaupt nicht. Genau das zeigte der Herr hier. Es handelte sich nicht unbedingt um Gläubige. Wir haben hier zweifellos Personen vor uns, die einfach alles, was sie bekommen konnten, von Jesus zu erhalten wünschten. Sie folgten Ihm um ihrer selbst willen. Sie kamen nicht wegen des ewigen Lebens, nicht wegen ihrer Sünden, noch nicht einmal wegen der Wunder, die sie gesehen hatten – sie folgten Ihm wegen desjenigen, was Er ihnen für dieses Leben geben konnte (vgl. Joh 6). Der Herr lehnte sie nicht ab. Sogar die Jünger wussten nichts von dieser Gnade. Ihnen war Autorität übertragen worden; sie hatten bewiesen, dass ihnen mit dieser zusammen Gewalt gegeben worden war. Sie waren zurückgekommen und hatten dem Herrn erzählt, was sie getan und gelehrt hatten. Doch wo entsprachen ihre Gefühle denen ihres Herrn? Ihre Worte verrieten Ihm, dass sie diese nicht teilten.

Unser Herr musste ihnen seine eigenen Gedanken und Gefühle mitteilen. Er tat es in der folgenden Weise: „Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen.“ Die Leute brauchten nicht wegzugehen; sie brauchten nichts zu kaufen. Jesus sagte den Jüngern, dass sie geben sollten. „Gebt ihr ihnen zu essen. Und sie sagen zu ihm: Sollen wir hingehen und für zweihundert Denare Brote kaufen und ihnen zu essen geben?“ (V. 37). Jetzt wirkte der Unglauben auf eine andere Weise in ihnen. Sie dachten nicht im Geringsten daran, hinzugehen und Brot zu kaufen, sondern wollten ihre unlösbare Schwierigkeit vor ihrem Meister niederlegen. Wofür brauchen wir jemand wie Christus, wenn nicht für die Probleme, mit denen wir nicht fertig werden? Je größer die Schwierigkeit, desto mehr ist sie eine Gelegenheit für den Herrn, sich zu offenbaren. Er ist der Herr von allem. Und wenn Er dieser Herr ist – was kann dann eine Schwierigkeit anders sein als ein Appell an seine Macht, welche zeigt, das letztere jedes Maß übersteigt! „Gebt ihr ihnen zu essen!“

„Er aber spricht zu ihnen: Wie viele Brote habt ihr? Geht hin und seht nach. Und als sie es erfahren hatten, sagen sie: Fünf, und zwei Fische“ (V. 38). Diese Einzelheit ist, denke ich, gut zu beachten, denn sie ist in praktischer Hinsicht bedeutsam. Obwohl der Herr wirklich in seiner Macht wirkt, liebt Er, das zu nutzen, was menschliche Weisheit verachten würde. Mose mochte seine Unfähigkeit geltend machen (2. Mo 4); doch der Herr wollte jenen Mann schwerer Zunge benutzen. Wenn Gott außerdem Aaron gebrauchte, dann wollte Er das Urteil des Todes auf alles prägen, auf das der Mensch sich stützen könnte. So nahm unser Herr auch hier die Hilfsmittel in Anspruch, die sich schon in den Händen der Jünger befanden. Ohne Ihn hätten ihre Mittel natürlich nichts genützt. Unser Vertrauen liegt darin, dass Er immer auf die eine oder andere Weise bei uns und bereit ist, entsprechend seiner allmächtigen Kraft und Güte zu wirken und zu segnen.

Als sie Ihm die Nachricht brachten, dass fünf Brote und zwei Fische zur Verfügung standen, taten sie es zweifellos mit der Überzeugung, dass keine Antwort weniger zufriedenstellend sei. Wie weise waren sie in ihrer Überzeugung, dass unmöglich eine solche Volksmenge durch irgendetwas ernährt werden konnte, was sie besaßen! Es ist jedoch genauso die Weise Gottes, das Schwache und Geringe zu nutzen, wie das in seiner Größe auf sich selbst Vertrauende herabzusetzen. Da der Herr im Begriff stand, in Zukunft nach diesem Grundsatz mit den Zwölfen zu handeln, lehrte Er sie schon jetzt diese Wahrheit in der Speisung der Volksmenge um sie herum. Er setzte seine schöpferische Macht auf dasjenige an, was äußerst verächtlich war – jedenfalls in menschlichen Augen. Fünf Brote und zwei Fische erschienen lächerlich für eine solche Volksmenge. Aber was waren sie in den Händen Jesu?

Er tut allerdings zuerst noch etwas anderes. Er befiehlt, dass die Volksmenge sich in Gruppen auf das grüne Gras setzen sollte; und sie lagerten sich in Abteilungen zu fünfzig und hundert Personen. Der Herr ist nicht gleichgültig gegen äußere Ordnung und gesittetes Benehmen bei seinen Anordnungen. Er wollte ein überwältigendes Wunder wirken, deshalb ordnete Er das Volk sorgfältig, um es vor aller Augen davon zu überzeugen, was zur Befriedigung der Not des Menschen in Ihm war. Er, der Verheißene, der seine Armen mit Brot sättigen sollte (Ps 132,15), war wirklich da. Wer waren sie, dass sie niemals an Ihn gedacht hatten – dass sie nicht mit solch einer Liebe für ein noch größeres Bedürfnis als das Brot für den Leib, der vergeht, gerechnet hatten? (Joh 6,27)? Es war jedoch der Herr, der aus seiner eigenen Güte heraus handelte und nicht im Geringsten entsprechend den Vorstellungen selbst der Jünger. Die Volksmenge war auf dieses Wunder nicht vorbereitet; doch die Jünger waren genauso blind. Sie hatten das, was geschah, genauso wenig erwartet wie die Volksmenge. Die Tatsache, dass wir Gläubige sind, ist keinesfalls ein Beweis, dass wir den praktischen Glauben in Bezug auf eine bestimmte Notlage besitzen. Wir müssen in jenem Augenblick von Gott abhängig sein, um die Wege des Herrn richtig beurteilen zu können; anderenfalls sind wir genauso töricht, als wenn wir überhaupt keinen Glauben hätten. Wir können sicher sein, dass uns letzteres kennzeichnet, wenn wir die Schwierigkeiten nicht an der Person Jesu messen. Bringe Ihn in die Schwierigkeit, und diese ist zu Ende!

Außerdem benutzte der Herr die Jünger als Mittler zwischen sich und der Volksmenge. Wie oft vergalt der Herr ihnen Gutes für Böses. Er legte Ehre auf die armen Jünger, die so wenig seine Gefühle der Liebe und des Mitleids zu schätzen wussten. Er verteilte das Brot nicht direkt, als machte Er seine Knechte bedeutungslos. Damit wollte Er seinen Jüngern zeigen, dass die Liebe Christi gerne durch menschliche Kanäle wirkt. Der gleiche Unglaube, der auf der einen Seite in Jesus nichts besonderes sieht, neigt auf der anderen Seite dazu, den Gebrauch, den Christus von geeigneten Werkzeugen zur Verbreitung seines Segens in dieser Welt macht, zu übersehen und zu leugnen. Jesus war die Quelle von allem, und die Jünger waren nur Kanäle, indem sie lernten und lehrten, was die Gnade für und durch sie tun konnte. Folglich nahmen die Jünger das Brot aus den Händen Jesu. Auf diese Weise wurde die große Volksmenge mit Nahrung versorgt. So handelte der Herr damals; und so handelt Er heute. Die Wunder seiner Gnade sind sozusagen nicht ausschließlich für seine Hände reserviert. Obwohl Er allein die beständige, unwandelbare Quelle der Gnade ist, wirkt Er gleichzeitig, durch wen Er will. Häufig wirft Er die meiste Ehre auf das am wenigsten einnehmende Glied seines Leibes. Wir wissen aus der Natur, dass die lebensnotwendigsten und unentbehrlichsten Körperglieder am meisten geschützt und am wenigsten sichtbar sind. So ist es auch bei seinem Leib, der Kirche (Versammlung). „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ (1. Kor 1,31). Er war in ihrer Mitte „wie der Dienende“ (Lk 22,27). Es geht keineswegs darum, dass der Herr die Würdigkeit des einen oder anderen zeigen will; Er entfaltet nur seine Gnade und Macht nach seinem eigenen unumschränkten Willen. Die Jünger sollten jedoch lernen, dass sich die Gnade des Herrn gegen sie, auch wenn sie getadelt und ihr Unglaube offen gelegt wurden, nicht änderte. Nein, seine Gnade konnte sie unmittelbar danach benutzen, um der hungernden Volksmenge das Brot seiner Vorsorge mitzuteilen. Was für eine Gnade gegen sie!

Die ganze Szene ist sehr lehrreich, insbesondere da sie uns die Art seines Dienstes und das Versagen der Jünger zeigt. „Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte auf zum Himmel, segnete und brach die Brote und gab sie seinen Jüngern, damit sie sie ihnen vorlegten; und die zwei Fische verteilte er unter alle. Und sie aßen alle und wurden gesättigt. Und sie hoben an Brocken zwölf Handkörbe voll auf, und von den Fischen. Und die, welche die Brote gegessen hatten, waren fünftausend Männer“ (V. 41–44). Allein die übrig gebliebenen Brocken waren mehr als der anfängliche Vorrat; und dennoch sollten sie weder vergessen, noch missachtet werden. Welche Schlichtheit liegt doch in dieser Vorsorge, wenn Er sicherstellt, dass das Zeugnis von dem übernatürlichen Charakter der ganzen Handlung vor ihren Augen offenbart wird!

Auch das nächste Ereignis enthält eine Lehre für uns. „Und sogleich nötigte er seine Jünger, in das Schiff zu steigen und an das jenseitige Ufer nach Bethsaida vorauszufahren, während er die Volksmenge entlässt. Und als er sie verabschiedet hatte, ging er hin auf den Berg, um zu beten“ (V. 45–46). Es war eines der großen Zeichen des Messias, dass Er seine Armen mit Brot sättigen würde, wie wir aus Psalm 132 erfahren. Daran hätte der Herr erkannt werden sollen. Doch Er wurde es nicht. Folglich sandte Er sie weg. Anstatt dass sich das Volk um den Herrn als ihren König sammelte, wurde es, wenigstens für eine gewisse Zeit, beiseite gesetzt. Er entließ die Volksmenge wegen ihres Unglaubens. Er wich für eine Zeit von Israel und stieg hinauf, um den Platz der Fürbitte einzunehmen. Während der Herr sich dort aufhielt, waren die Jünger allen Stürmen und Schwankungen hier auf dem unteren Schauplatz ausgesetzt. „Und als es Abend geworden war, war das Schiff mitten auf dem See und er allein auf dem Land. Und als er sie beim Rudern Not leiden sah – denn der Wind war ihnen entgegen ...“ (V. 47–48). Das ist ein kleines Bild von dem, was damals bevorstand. Der Herr ist in der Höhe. Er ist weder bei der Volksmenge, noch körperlich bei den Jüngern. Er hat die Juden für eine Zeit verlassen; Er ist auch fern von seinen Jüngern. Sie haben ihre Aufgabe zu erfüllen, doch sie machen augenscheinlich keinen Fortschritt. Da kommt Er auf dem Höhepunkt der Widrigkeiten aller Dinge um sie herum wieder zu ihnen. „Um die vierte Nachtwache (kommt er) zu ihnen, wandelnd auf dem See; und er wollte an ihnen vorübergehen. Als sie ihn aber auf dem See wandeln sahen, meinten sie, es sei ein Gespenst, und schrien auf; denn alle sahen ihn und wurden bestürzt. Er aber redete sogleich mit ihnen und spricht zu ihnen: Seid guten Mutes, ich bin es; fürchtet euch nicht! Und er stieg zu ihnen in das Schiff, und der Wind legte sich“ (V. 48–51).

Als der Herr mit den Jüngern an das Ufer gekommen war, sehen wir, wie Er alle Voraussagungen erfüllte. „Und als sie aus dem Schiff gestiegen waren, erkannten sie ihn sogleich und liefen in jener ganzen Gegend umher und fingen an, die Leidenden auf den Betten umherzutragen, wo sie hörten, dass er sei. Und wo irgend er eintrat in Dörfer oder in Städte oder in Gehöfte, legten sie die Kranken auf den Märkten hin und baten ihn, dass sie nur die Quaste seines Gewandes anrühren dürften; und so viele irgend ihn anrührten, wurden geheilt“ (V. 54–56). Das ist ein kleines Bild von dem, was nach der Rückkehr des Herrn auf die Erde folgen wird, wenn der Herr und seine Jünger wieder zu dem Ufer zurückkehren, das Er verlassen hatte. Das heißt, wenn Er wiederkommt, werden jedes menschliche Weh, jedes Elend, jede Schwachheit und jede Krankheit in dieser Welt vor der Gegenwart und Berührung des Sohnes Gottes fliehen. Dann wird Er auf diese Weise seine Güte offenbaren.

Folglich sehen wir hier in seinem eigenen Dienst die Krönung und den Triumph jeden Dienstes. In der Zwischenzeit werden die Jünger in ihrer Schwachheit gezeigt. Sie werden jedoch durch die Erwartung seines Wiederkommens in Macht und Herrlichkeit ermutigt. Dann wird alles erfüllt, was der Herr jemals verheißen und was sein Volk unter seiner Leitung in dieser Welt erwartet hat.

Es ist gut für unsere Seelen, wenn wir verwirklichen, dass wir während der Abwesenheit des Herrn uns nicht von Schwierigkeiten entmutigen lassen sollen. Wir sollen nicht niedergeschlagen sein, wenn der Wind uns entgegen ist und wir uns vergeblich abmühen; denn es ist nicht vergeblich! Er hat uns über den aufgewühlten See geschickt. Er tritt inzwischen im Gebet für uns ein. Und genauso gewiss wird Er zu uns kommen. Wenn Er zurückkehrt, wird Er allem Mangel abhelfen. Alle Hindernisse werden weggeräumt. Dann wird das Universum gebührend und vollkommen frohlocken in seinem Herrn, unserem Herrn und Meister, wenn Er erhöht sein wird von Meer zu Meer und vom Strom bis zu den Enden der Erde (Ps 72,8).

Das wird durch die abschließenden Ereignisse des Kapitels versinnbildlicht. Sie sollten uns in jedem geringen Dienst vor uns aufmuntern. Das Kapitel enthält demnach eine Belehrung über den Dienst des Herrn. Er beginnt mit seiner Verwerfung in Schande und endet mit seiner herrlichen Rückkehr, wenn jede Krankheit und jedes Elend vor seiner Gegenwart verschwindet.

Fußnoten

  • 1 Das englische Original, welches der allgemein verbreiteten englischen Bibelausgabe („King-James-Bible“, bzw. „Authorized Version“) folgt, hat hier noch den Zusatz zu Vers 11:„Wahrlich, ich sage euch, es wird dem Land von Sodom und Gomorra erträglicher ergehen am Tag des Gerichts als jener Stadt.“ Dieser Satz ist wahrscheinlich durch Unachtsamkeit der Bibelabschreiber des Altertums fälschlich hier eingefügt worden. Er stammt aus Matthäus 10, wo er wohl zu Recht steht. Wie unsere „Elberfelder Bibel“ und auch das griechische Neue Testament („Nestle-Aland“, 27. Aufl.) zeigen, gehört er nicht in das Markusevangelium (Übs.).
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