Die Apostelgeschichte
Kapitel 20
In der Apostelgeschichte wird uns einfach berichtet, daß Paulus die Gläubigen in Mazedonien mit vielen Worten ermahnte, daß er Griechenland besuchte und daß er, um der Verfolgung der Juden zu entgehen, auf seinem Rückweg nach Asien durch Mazedonien reiste. Vers 4 nennt uns die Namen derer, die ihn auf seiner Rückreise begleiteten, obwohl sie über das Meer vorausfuhren und ihn in Troas erwarteten. Da Lukas in Vers 5 wieder das Fürwort „uns“ benutzt, wissen wir, daß er von diesem Zeitpunkt an wieder mit dabei war. Paulus, Lukas und die anderen machten eine Seereise von fünf Tagen, die sie wieder nach Troas brachte, wo vor nicht langer Zeit „eine Tür aufgetan worden war im Herrn“. Die folgenden Verse dieses Kapitels zeigen, daß an diesem Ort noch immer ein großes Interesse für die Dinge Gottes vorhanden war.
Paulus blieb nur eine Woche in Troas, doch während dieser Zeit fand jene denkwürdige Versammlung statt, von der die Verse 7 - 12 berichten. Diese bietet uns ein sehr erfrischendes Bild von der Einfachheit und dem Eifer, die jene Tage kennzeichneten. Es war für die Jünger dort eine Gewohnheit geworden, sich am ersten Tag der Woche zu versammeln, um das Brot zu brechen -- das Mahl des Herrn zu feiern. Dazu war nicht der Sabbat gewählt worden, sondern der folgende Tag, der Tag der Auferstehung des Herrn, obwohl es kein freier Tag war, wie es der Tag vorher für die gewesen wäre, die Juden waren. So versammelten sich die Christen abends, wenn die Tagesarbeit getan war. Ein Obersaal war ihr Versammlungsraum, denn „Kirchgebäude“ waren unbekannt.
Es ist einfach, sich die Situation vorzustellen. Das überfüllte Zimmer, der junge Mann in der Fensteröffnung sitzend, die vielen Fackeln, die das Ihre zu der warmen, einschläfernden Luft beitrugen, die durch das Fenster entwich, dann die plötzliche Unterbrechung: Eutychus bekommt einen Kollaps und fällt aus dem Fenster. Doch die Kraft Gottes erwies sich durch Paulus derart, daß die Zusammenkunft wegen dieses Zwischenfalls weder abgebrochen wurde noch die Zuhörer von der Botschaft des Paulus abgelenkt wurden, sondern ihre Herzen gestärkt und getröstet wurden, so daß sie sich hinsetzten und bis zum Tagesanbruch zuhörten. Der Apostel brach dann zu seiner letzten Reise nach Jerusalem auf; die Frage nach deren Richtigkeit mag offenbleiben, doch daß der Geist Gottes durch ihn wirkte, so wie auch früher, daran gibt es keinen Zweifel. Paulus tat kein bemerkenswertes Wunder als nur dieses. Was wir hier lesen, ist dadurch gekennzeichnet, daß alles Zeremonielle und Offizielle fehlt, aber es strahlt Kraft aus. In der heutigen allgemeinen Christenheit behauptet das Zeremonielle das Feld, die Kraft fehlt. Schade, daß das so ist.
Als es Tag geworden war, verließ Paulus Troas zu Fuß, während Lukas und seine anderen Begleiter mit dem Schiff fuhren und ihn in Assos abholten. In Milet angekommen, rief er die Ältesten der Versammlung von Ephesus zu sich, um ihnen, in der Überzeugung, sie nicht wiederzusehen, noch einige Ermahnungen einzuschärfen. Seine bewegende Ansprache scheint wie von selbst aus drei Teilen zu bestehen.
In dem ersten Teil (Verse 18-27) wirft er einen Rückblick auf seinen eigenen Dienst unter ihnen. Seine ersten Worte waren: „Ihr wisset von dem ersten Tage an, ... wie ich die ganze Zeit bei euch gewesen bin.“ Dann, nachdem er über die Art und Weise seiner Arbeit, das „Wie“, gesprochen hatte, ging er über zu ihrem Inhalt, dem „Was“, das sie kennzeichnete. In beiden, der Art und Weise und dem Inhalt, können wir ihn uns zum Vorbild nehmen.
Seine Arbeit war in erster Linie Dienst. Er war kein hoher kirchlicher Würdenträger, der über die Herde Gottes herrschte, sondern ein Knecht. Er diente wirklich den Gläubigen, und indem er ihnen diente, diente er in erster Linie dem Herrn, und zwar vom ersten bis zum letzten Tag. Und wie aus früheren Kapiteln deutlich ist, diente er außerdem mit aller Demut. Er war nicht der Mann, der erwartete, daß jedermann ihm nachgab oder zu seinen Diensten stand. Er half anderen und arbeitete mit seinen eigenen Händen, um das tun zu können. Und das wiederum geschah mit Tränen und inmitten vieler Versuchungen seitens der Juden. Tränen sprechen von tiefen Empfindungen und Herzensübungen, während die Versuchungen zeigen, daß er fortwährend Schwierigkeiten und Widerständen ausgesetzt war.
Er war auch geprägt durch Treue in der Verkündigung der Wahrheit und ihrer Anwendung auf die Gläubigen. Er buhlte nicht um billige Popularität, die man erreicht, indem man Dinge vermeidet, die nicht nach dem Geschmack der Zuhörer sind, sondern hatte immer ihren Nutzen im Sinn. Ferner beschränkte er sich nicht auf öffentliches Predigen, was oft einiges an Anerkennung und Zustimmung einbringt, sondern widmete sich ganz dem Werk, von Haus zu Haus zu gehen, was weit weniger Beachtung findet, doch oft weit wirkungsvoller ist. Das alles zeigt, „wie“ er unter ihnen gewesen war. Doch da ist auch noch das, wovon er in Vers 24 spricht: seine völlige Hingabe an den ihm anvertrauten Dienst und an Den, von dem er diesen Dienst empfangen hatte. Sein ganzes Leben hatte er dafür eingesetzt, und selbst die Vorahnung von Leiden oder gar des Todes konnten ihn nicht davon abbringen. Wenn ein Knecht Gottes seiner Treue eine Hingabe hinzufügt, die auch vor dem Tod nicht zurückschreckt, ist mit seinem Dienst stets Kraft verbunden.
Wenn es um den Inhalt seines Dienstes geht, so erwähnt er drei Themen: zuerst das Evangelium, das ihm anvertraut worden war; und das schloß in sich, daß er überall und allen „die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus“ bezeugte. Das Evangelium verkündet „die Gnade Gottes“, die in Christus Jesus bekanntgemacht worden ist, in Seinem Tod für unsere Sünden und durch Seine Auferweckung zu unserer Rechtfertigung. Das führt auf unserer Seite zu Buße und Glauben. Das war beständig das Thema seiner Predigten gewesen.
Er hatte auch das „Reich Gottes“ gepredigt, doch das tat er nicht unter „allen“, sondern unter „euch allen“. Das heißt, daß er offensichtlich das Reich überall unter den Jüngern gepredigt hatte. Das ist nicht ohne Bedeutung auch für unsere Zeit heute. Wenn er von den zukünftigen Dingen sprach, so sprach er zweifellos über das Reich, das öffentlich aufgerichtet werden wird, doch stellte er ihnen ebenso vor, daß sie, indem sie Christus als Herrn annahmen, bereits unter die Autorität Gottes gebracht worden waren, und er zeigte ihnen, was es praktisch bedeutet, dem Willen Gottes unterworfen zu sein. Es ist z.B. bemerkenswert, daß Paulus sich in seinen Briefen niemals damit begnügte, die Wahrheit rein theoretisch vorzustellen, sondern er wies immer mit Nachdruck darauf hin, daß die als Wille Gottes erkannte Wahrheit den Wandel prägen müsse.
Drittens hatte er ihnen den „ganzen Ratschluß Gottes“ dargelegt. Er brachte sie in das Licht alles dessen, was Gott für Christus und die Versammlung und die zukünftige Welt beschlossen hat. Dadurch lernten sie das kennen, was bis dahin verborgen war, und zeigte er ihnen, daß Gott höhere Gedanken hatte als das, was an früheren Ratschlüssen im Blick auf Israel geoffenbart worden war. Dieses dritte Thema seines Dienstes war es, das so heftigen Widerstand seitens vieler seiner jüdischen Zuhörer hervorrief und letztlich zu seiner Gefangennahme führte. Deshalb betonte er: „Ich habe nicht zurückgehalten, euch ... zu verkündigen“. Wenn er nur diesen Teil seines Dienstes zurückgehalten hätte, so hätte er vielleicht in seinem Dienst eine weit friedvollere Zeit gehabt und wäre vielen Leiden aus dem Weg gegangen. Denn es war Gottes Ratschluß entsprechend der Wahrheit von der Versammlung, daß auch die Nationen herzugebracht werden sollten. Er wußte das und schreckte nicht davor zurück.
In den Versen 28 - 31 finden wir den zweiten Teil seiner Ansprache, in der er die Ältesten ermahnt und warnt. Der Heilige Geist hatte sie zu Aufsehern in der Herde gemacht, die die Versammlung Gottes ist. Die Herde gehörte nicht ihnen, sondern Gott, denn Er hatte sie erworben, und sie sollten sie weiden oder hüten. Doch zuerst sollten sie achthaben auf sich selbst, denn wenn ein Mensch nicht zuerst auf sich selbst achthat, wie kann er für die Herde sorgen? Weiterhin sollten sie wachen und auf der Hut sein vor den Feinden, eingedenk, wie Paulus selbst sie drei Jahre voll innerer Anteilnahme ermahnt hatte. Ist es nicht so, daß dieser Dienst des Ermahnens zum größten Teil unbekannt geworden ist und aufgehört hat?
Hier warnt Paulus die Ältesten vor zwei Hauptquellen des Unheils: erstens vor den verderblichen Wölfen, die von außen hereinkommen würden, und zweitens vor den Männern, die aus ihnen aufstehen und verkehrte Dinge reden würden. Mit „Wölfen“ meinte er ohne Zweifel solche Männer, die echte Werkzeuge des Teufels waren. Von solchen sagt Petrus, daß sie „verderbliche Sekten“ nebeneinführen würden. Die Geschichte der Kirche gibt Zeugnis davon, wie sich diese Weissagung erfüllt hat; sie war auch Zeuge des Unheils, das durch solche Männer verursacht wurde, die aus der Mitte der Ältesten selbst aufgestanden sind und die „verkehrt“ oder „verkehrte“ Dinge redeten. Diese Menschen sind sicher wahre Gläubige, doch sie geben ihren Belehrungen eine Eigenheit, die die Wahrheit verdreht. So machen sie sich selbst zu Führern von Parteien und zu Anziehungspunkten für solche, die sie irreführen. Sie ziehen zu sich selbst, statt zu Christus zu führen. Mit diesen Worten skizzierte Paulus die Zukunft dessen, was wir als Christenheit kennen.
Vielleicht finden wir aus diesem Grund in der Schrift keinerlei Anweisung für eine offizielle Fortsetzung der Ältestenschaft über die Lebzeit der Apostel hinaus. Wenn auch aus der Mitte der Ältesten diese Arbeiter des Unheils kommen würden, so sollten wir trotzdem dankbar die erkennen und annehmen, die Gott auch ohne ihre offizielle Einsetzung erwecken mag. Eine offizielle Einsetzung würde von Menschen, die verkehrte Dinge reden, nur dazu benutzt werden, das Verkehrte zu sanktionieren.
Im dritten Teil seiner Ansprache wies Paulus auf die Hilfsquellen hin, die trotz allem, was sich ereignen würde, bleiben würden. Seine Worte waren kurz und sind in einem Vers zusammengefaßt, doch der Inhalt ist gehaltvoll und von entscheidender Bedeutung. Unsere große Hilfsquelle ist in Gott und nicht im Menschen. Er befahl sie nicht den anderen Aposteln und erst recht nicht der Ältestenschaft an, denn er richtete sich ja an Älteste, aus deren Mitte die Arbeiter des Unheils kommen würden. Gott, und Gott allein, ist die Hilfsquelle für Sein Volk. Doch dann hat Er Sein Wort gegeben, das Ihn selbst offenbart. Früher sprach Er durch Moses, aufgezeichnet im AT. Das war das Wort Seiner Forderung an den Menschen. Nun hat Er in Christus geredet, aufgezeichnet im NT, das ist das Wort Seiner Gnade. Diesem Wort werden wir besonders anbefohlen, denn es vermag uns im Glauben aufzuerbauen und uns in geistlicher Kraft und Freude zusammen mit allen Geheiligten das Erbe zu geben, das unser ist. Das Erbe ist unser durch den Glauben an Christus (Apg 26,18), doch es wird uns in gegenwärtiger Kraft dargereicht durch das Wort Seiner Gnade.
Die Bedeutung des 32. Verses für uns heute kann kaum überbewertet werden. Gott und Sein Wort bleiben für uns, was immer geschehen mag. Keine Macht des Bösen vermag Gott anzutasten. Er bleibt, und wir können die Verbindung mit Ihm durch Gebet, Gemeinschaft, Danksagung und Anbetung aufrechterhalten. Sein Wort bleibt, denn Er hat in Seiner Vorsorge darüber gewacht und es für uns aufbewahrt. Doch es ist natürlich der Gegenstand unaufhörlicher Angriffe des Feindes. Allzu schnell war es nahezu erstickt in den Traditionen der Kirchenväter. Dann wurde es in einer unbekannten Sprache vergraben und dem Volk vorenthalten. Jetzt, da es frei zugänglich ist, wird es gewaltsam kritisiert, und nichts wird unversucht gelassen, seine Autorität zu untergraben. Den Spuren eines Judas folgend, grüßen große Männer es mit einem Kuß und sagen: „Sei gegrüßt, Lehrer einer wunderbaren Sprache!“, doch nur, um es an solche zu verraten, die es jeder Spur göttlicher Autorität berauben wollen. Trotz allem bleibt es jedoch die Zuflucht des glaubenden und gehorsamen Herzens.
Paulus beendete seine Ansprache, indem er noch einmal seine Aufrichtigkeit und Redlichkeit erwähnte, die ihn gekennzeichnet hatte. Weit davon entfernt, sich etwas aneignen zu wollen, hatte er immer anderen gegeben. Er fügt ein Wort des Herrn Jesus hinzu, das in den Evangelien nicht erwähnt wird, und dieses Wort hatte er ausgelebt. Zuvor hatte er davon gesprochen, daß er ihnen verkündigt und sie gelehrt hatte (V. 20), und nun sagt er, daß er ihnen alles gezeigt habe. Er lebte ihnen vor, was er ihnen gepredigt hatte. Und es ist das Zeigen, das solch eine wirkungsvolle Sprache spricht.
Paulus war dazu berufen, für uns ein Vorbild zu sein, sowohl als Gläubiger wie auch als Diener. Daher ist uns dieser inspirierte Bericht gegeben, wo er auf seinen Dienst zurückschaut, und wenn wir uns daran messen, werden wir tief beschämt. Nachdem er diese Worte an seine Zuhörer beendet hatte, kniete er nieder und betete mit ihnen allen. Alle weinten. Es muß eine ergreifende Szene gewesen sein. Das Wort, das hier für „küssen“ benutzt wird, bedeutet inbrünstiges Küssen. Es ist dasselbe Wort, das in Lukas 15 gebraucht wird, wo der Vater den verlorenen Sohn küßt. Vielleicht entdecken wir jedoch auch ein Element der Schwachheit in der Tatsache, daß sie am meisten darüber betrübt waren, daß sie nicht hoffen konnten, Paulus wiederzusehen. Hätten sie nicht vielmehr darüber betrübt sein müssen, daß Gottes schöne Kirche durch Wölfe verwüstet und durch verdrehende Männer Schaden leiden würde?