Die Apostelgeschichte
Kapitel 17
Lukas teilt uns keine Einzelheiten über die Ereignisse in Amphipolis und Apollonia mit, sondern wendet sich nun den Geschehnissen in Thessalonich zu. In diesem Kapitel fällt auf, daß das Fürwort „wir“ nicht benutzt wird. Vielleicht blieb Lukas, da er nicht so sehr in die Unruhen von Philippi einbezogen war, dort, um denen weiterzuhelfen, die gerade bekehrt waren.
Paulus wandte sich zuerst an die Juden in ihrer Synagoge, wie es stets seine Gewohnheit war. Vers 3 macht uns mit der Art und Weise bekannt, in der er auf sie zuging. Er bewies aus ihren eigenen Schriften, daß der Messias bei Seinem Kommen den Tod erleiden und aus den Toten auferstehen mußte. Nachdem das bewiesen war, war es einfach, auf Jesus hinzuweisen, daß Er ohne jeden Zweifel der Messias war. So wird der Kern des Evangeliums wie in einer Nußschale in einem einzigen Vers mitgeteilt. Wie lange auch die Unterhaltungen gedauert haben mögen, in diesen wenigen Worten ist alles zusammengefaßt, und sie geben eine Anleitung für alle, die sich heute mit Juden beschäftigen möchten. Es glaubten nicht alle, aber einige und auch viele der griechischen Proselyten und einige der vornehmen Frauen.
Die aufregenden Ereignisse in Philippi wurden durch enttäuschte, geschäftstüchtige Heiden verursacht. Hier in Thessalonich waren ungläubige Juden der Anlaß für den Widerstand und Aufruhr noch größeren Ausmaßes. Sie beschuldigten Paulus und Silas als solche, die „den Erdkreis aufgewiegelt haben“, und zollten damit unfreiwillig der mächtigen Kraft des Evangeliums ihre Anerkennung, das in der Kraft des vom Himmel gesandten Heiligen Geistes gepredigt wurde. Sie mochten dagegen auftreten, doch sie konnten seinen Siegeszug nicht aufhalten.
Der Dienst des Paulus in Thessalonich wurde durch diesen Aufruhr verkürzt, denn er handelte entsprechend der Anweisung des Herrn in Matthäus 10,23. So brachen sie auf nach Beröa, wo die Juden einen ganz anderen Geist offenbarten. Sie hatten eine offene Gesinnung, die als „edler“ bezeichnet wird, und als Paulus ihnen vorstellte, was die Schriften vorhergesagt hatten, forschten sie sorgfältig darin, und dadurch glaubten viele. Eine bereitwillige, vorurteilsfreie Gesinnung, die sich freudig vor der Schrift beugt, ist wirklich „edel“.
Die Juden von Thessalonich erfüllte jedoch eine solche Feindseligkeit gegenüber dem Wort, daß sie Paulus bis nach Beröa verfolgten. Angesichts weiterer Schwierigkeiten entwich Paulus nach Athen, indem er seine Verfolger durch eine einfache List überlistete. Silas und Timotheus blieben in Beröa zurück, denn offensichtlich richtete sich die Feindseligkeit besonders gegen Paulus. So geschah es, daß Paulus bei seinem Besuch in Athen, dem bedeutenden Zentrum der griechischen Kultur und Weisheit, soweit es um seinen Dienst ging, allein war.
Athen war das bedeutende Zentrum der griechischen Gelehrsamkeit und Philosophie, und es war auch voll von Götzen. Die höchste menschliche Kultur und der gröbste Götzendienst können recht friedlich Seite an Seite existieren. Paulus trat mitten in diese Verhältnisse hinein, und sein Geist wurde durch ihren Anblick schmerzlich erregt. Obwohl er noch immer ohne seine Begleiter war, konnte er sich in einer solchen Situation nicht ausruhen, sondern begann, sowohl Juden als Heiden gegenüber Zeugnis abzulegen. Auf diese Weise wurde die Aufmerksamkeit gewisser Philosophen auf ihn gelenkt, und bei diesen Männern -- obwohl sie entgegengesetzten Schulen angehörten und ihn mit Verachtung behandelten -- war die Neugierde doch so weit geweckt, daß sie mehr zu hören wünschten. So geschah es, daß er Gelegenheit bekam, vor einer Versammlung der gebildetsten Intellektuellen jener Zeit zu sprechen.
Die Verse 18 bis 22 geben uns einen kleinen Einblick in die in Athen herrschenden Umstände. Es gab eine enorme geistige Aktivität und ein unersättliches Forschen nach neuen Ideen. Sie verbrachten ihre Zeit damit, „etwas Neues“ zu sagen oder zu hören. Dabei ging es natürlich nicht um Klatsch oder Geschwätz, sondern um die neuesten philosophischen Auffassungen. So beeindruckte sie die Predigt des Paulus von „Jesus und der Auferstehung“ als große Neuigkeit in Verbindung mit einigen Gottheiten, die ihnen bis dahin völlig fremd gewesen waren. Die Epikuräer glaubten, daß das höchste Gut in der Befriedigung der eigenen Wünsche zu finden sei, die Stoiker dagegen, daß es in ihrer Unterdrückung liege, doch was waren diese neuen Ideen?
Paulus begann seine Rede auf dem Areopag, indem er ihnen versicherte, daß sie „den Göttern sehr ergeben“ seien. Unter ihren vielen Heiligtümern hatten sie sogar einen Altar, der „dem unbekannten Gott“ geweiht war, aus Sorge, es könnte ein ihnen nicht bekannter Gott existieren, der besänftigt werden müsse. Das nahm er zum Anlaß und machte es zum Thema seines Vortrags, denn es war ja wirklich so, daß ihnen der lebendige Gott völlig unbekannt war. Paulus verkündigte ihnen den Gott, den sie nicht kannten; und wenn wir die kurzen Aufzeichnungen seiner Rede untersuchen, so können wir sehen, wie er ihnen Gott vorstellte. Was göttliche Dinge betrifft, waren diese gebildeten Athener einfach Heiden, und hier werden wir unterwiesen, wie den Heiden das Evangelium vorgestellt werden sollte.
Paulus begann, indem er ihnen Gott als den Gott der Schöpfung vorstellte. Das bildet die Grundlage von allem. Wenn wir Ihn so nicht kennen, kennen wir Ihn überhaupt nicht. Deshalb hat die Evolutionstheorie solch eine verheerende Wirkung. Sie ist deshalb so anziehend für viele, weil sie ihnen die Möglichkeit gibt, ganz ohne Gott auszukommen oder Ihn zumindest so weit in den Hintergrund zu schieben, daß es sich nicht lohnt, über Ihn nachzudenken. Paulus präsentierte ihnen ein Bild, in dem Gott in rechter Weise im Vordergrund steht. Gott hat nicht nur die Welt gemacht, sondern auch alles, was in ihr ist. Die Gebäude der Menschen können Ihn nicht fassen, und man kann Ihm auch nicht so dienen, als ob Er irgend etwas aus der Hand des Menschen bedürfe. Er Selbst ist es, der Leben und alles gibt. Alle Menschen sind Seine Geschöpfe, aus einem Blut gemacht, und Er hat verordnete Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnung bestimmt.
Betreffs dieser Dinge waren unter ihnen noch einige Lichtschimmer erhalten geblieben, und Paulus war in der Lage, einige ihrer eigenen Dichter zu zitieren, die von der Menschheit als dem Geschlecht Gottes gesprochen hatten. Darin hatten sie recht. Nur durch den Glauben an Jesus Christus werden wir Kinder Gottes, doch als Geschöpfe sind alle Menschen Sein Geschlecht. Daher sollten wir uns von Gott nicht eine geringere Vorstellung machen als von uns selbst oder als sei Er das Werk unserer Hände. Wir sollten solche sein, die Ihn suchen. Die enge Verbindung zum Schöpfer kommt in den Worten zum Ausdruck: „In ihm leben und weben und sind wir“. Doch Paulus predigte Ihn als den Übernatürlichen, den Herrn über Himmel und Erde.
Doch dieser Gott der Schöpfung ist auch ein Gott der Geduld. Die Menschen finden es nicht für gut, Gott in Erkenntnis zu haben, und so verfielen die Nationen in Unwissenheit über Gott. Einige Jahrhunderte lang hatten sich die Athener ihrer Kultur und Gelehrsamkeit gerühmt, doch während dieser ganzen Zeit hatten sie in dieser Unwissenheit gelebt -- dieser Unwissenheit über Gott, und das sagte Paulus ihnen so einfach. Doch Gott „übersah“ diese Unwissenheit, indem Er im Blick auf das, was Er in Jesus Christus tun wollte, mit Geduld handelte.
Nachdem Christus aber gekommen war, läßt Gott sich als der Gott des gerechten Gerichts verkündigen. Er hat den Tag bestimmt, an dem Er die Zügel der Regierung in die Hand nehmen wird durch den Mann, den Er erwählt hat, und die ganze Erde wird in Gerechtigkeit gerichtet und regiert werden. Angesichts dieser Tatsache ist Buße das einzige, das sich für ungerechte Menschen geziemt, wo immer sie auch sein mögen. Sie ist das einzig Richtige, und Gott gebietet sie.
Der Beweis, daß dieser Tag des gerechten Gerichts kommen wird, ist durch die Auferstehung des von Gott dazu bestimmten Mannes gegeben worden. Deshalb stellt Paulus zuletzt Gott als den Gott der Auferstehung vor. Es hatte etwas stattgefunden, was völlig außerhalb jeder menschlichen Berechnungen lag. Jesus war aus dem Tod, in den Ihn der Mensch gebracht hatte, auferweckt worden. Paulus begann sein Werk in Athen, indem er Jesus und die Auferstehung unter den Arbeitern auf dem Marktplatz verkündigte, und er beendete seine Rede vor den Denkern auf dem Areopag mit dem gleichen Thema. Ihr reges Denken kreiste um die Welt des Menschen, und so lag die Auferstehung völlig außerhalb ihres Gesichtskreises. Für viele von ihnen schien sie absurd zu sein, und daher spotteten sie. Andere zeigten ein gewisses Interesse, doch weiteres Nachdenken verschoben sie als nicht so dringend auf später. Einige Männer und Frauen glaubten jedoch und schlossen sich Paulus an. Diese drei Klassen sind gewöhnlich anzutreffen, wenn das Evangelium irgendeinen Ort erreicht: es gibt Spötter, Abwartende, Glaubende.
Paulus hielt sich nicht lange in Athen auf. Er wartete dort nicht länger auf seine Mitarbeiter, sondern reiste weiter nach Korinth. So ist es wahrscheinlich, daß die, die sagten: „Wir wollen dich darüber auch nochmals hören“, keine Gelegenheit mehr dazu hatten.