Der 2. Brief an die Korinther
Kapitel 6
Paulus beginnt damit, die Belehrungen von Kapitel 5 nun auf die Korinther persönlich in der Form einer Bitte anzuwenden. Er und seine Begleiter waren hinsichtlich des Dienstes Mitarbeiter, und sie hatten den Korinthern das Wort getreulich überliefert, sei es die Botschaft der Gnade des neuen Bundes oder die der Versöhnung. Nun bat er sie, daß sie die Gnade des Evangeliums nicht vergeblich empfangen möchten. Gnade wird vergeblich empfangen, wenn sie Zweck und Wirkung, zu denen sie gegeben ist, nicht erzielt. Im Titusbrief wird uns gesagt, wie die Gnade uns unterweist, besonnen, gerecht und gottselig zu leben. Weil die Korinther in dieser Hinsicht erhebliche Mängel aufwiesen, brauchten sie diese Ermahnung, und wir brauchen sie sicher nicht weniger.
Vers 2 ist eine Einschaltung und daher in Klammern gesetzt. Der erste Teil wird aus Jesaja 49,8 zitiert. Die Worte richten sich prophetisch an den Messias, der verworfen werden würde, und dennoch ein Licht der Nationen und zum Heil bis ans Ende der Erde sein würde. Trotz Seiner Verwerfung würde Er von seiten Gottes Erhörung und Hilfe erlangen. Die Stunde der Erhörung und der Hilfe würde die wohlangenehme Zeit und der Tag des Heils sein. Die zweite Hälfte des Verses weist darauf hin, daß wir in eben dieser Stunde leben. In Seiner Auferstehung ist der Herr erhört worden, und mit Seiner Auferstehung hat der Tag des Heils begonnen. Dieser Tag wird so lange andauern, bis der Tag des Gerichts plötzlich eintreten wird. Das ist natürlich der Grund dafür, daß die Gnade uns überhaupt erreicht hat. Wir sollten sie nicht vergeblich empfangen.
Nachdem der Apostel uns in dieser Weise ermahnt hat, stellt er weitere Bitten zunächst zurück (er nimmt sie mit Vers 11 wieder auf) und kommt auf Merkmale zu sprechen, die ihn und seine Mitarbeiter gekennzeichnet hatten. Er hatte darüber schon manches in Kapitel 4 gesagt, und man könnte sich verwundert fragen, warum er hier darauf zurückkommt. Wir vermuten, weil der Charakter, das Betragen, ganz allgemein die Gesinnung der Diener Gottes so äußerst wichtig sind. Sie üben eine Wirkung auf ihren Dienst aus, die für uns einfach unermeßlich ist. Beim Lesen der Apostelgeschichte geht uns auf, wie der Dienst des Paulus eine außergewöhnliche Kraft auswies. Sie war von einer Art, die entweder sehr großen Segen bewirkte oder heftigsten Widerstand wachrief. Ignoriert werden konnte sie nicht. Die Kraft Gottes war mit ihm. Das war die Erklärung. Aber warum war die Kraft Gottes in so ungewöhnlichem Maß mit ihm? Weil da die begleitenden Merkmale waren, die wir in den Versen 3-10 dieses Kapitels aufgelistet finden.
Zuerst einmal vermied er sorgfältig alles, was Anstoß oder Ärgernis erregen würde, denn er wußte wohl, daß irgendein in dem Diener erkennbarer Makel ein Hindernis für seinen Dienst bedeuten würde. Der große Widersacher holt beständig zu Schlägen gegen das Werk Gottes aus. Erst verlockt er die Arbeiter zu unbedachten Verstößen, und dann macht er solche weithin bekannt, um das Werk in Mißkredit zu bringen. Es ist traurig zu sagen, daß ihm dabei Christen manchmal noch in die Hände spielen, indem sie seine öffentlichen Handlanger sind. Sie machen ein Versagen ihres Bruders zum Schaden evangelistischer Bemühungen öffentlich bekannt.
Doch es genügt noch nicht, keinen Anstoß zu geben. Empfehlung tut not, die in Gutem ihren Ursprung hat. Nun, solche war bei dem Apostel reichlich vorhanden, denn Geduld oder Ausharren zeichnete ihn aus angesichts einer Unzahl von widrigen und kritischen Situationen, die er unter neun Stichpunkten zusammenfaßt. Die meisten dieser neun Punkte sind in der Apostelgeschichte mit deutlichen Beispielen belegt - denken wir an Drangsale, Schläge, Gefängnisse, Aufstände, Mühen. Die übrigen waren dort nicht abwesend, wir erkennen sie, wenn wir zwischen den Zeilen lesen. In all dem schweren Erleben hielt er durch, um den Dienst der Gnade zu vollbringen.
Und er selbst übte Gnade, in Übereinstimmung mit der Gnade, die er verkündigte. Davon sprechen die Verse 6 und 7. Wieder faßt er neun Punkte zusammen: der erste Reinheit, der letzte Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken. Reinheit und Gerechtigkeit stehen gleich Wachposten rechts und links, vorn und hinten, und in ihrem Schutz gleichsam befinden sich Erkenntnis, Langmut, Liebe und Wahrheit in der Kraft des Geistes und der Macht Gottes. Wie schön sind hier geistliche Gnaden miteinander verknüpft. Ein Diener Gottes, der sich der Gerechtigkeit als Waffe bedient und doch voller Langmut ist, voller Gütigkeit und ungeheuchelter Liebe, muß gleich einem blanken Schwert in der Hand des Heiligen Geistes sein.
Wir haben daher in diesen Versen zunächst die negative Tugend, gesehen in der Abwesenheit von Ärgernis, dann Empfehlung, die dem Ausharren angesichts aller Art feindseliger Mächte entspringt. Drittens sehen wir die positiven Tugenden, mit Gerechtigkeit und Liebe verbunden. Und jetzt zum Schluß beschreibt er die paradoxe Sachlage, wie sie sich aus dem Widerspruch zwischen der äußeren Erscheinung und der inneren Wirklichkeit ergibt. Noch einmal finden wir eine neunfache Aufgliederung, um dieses Paradox deutlich zu machen.
Oberflächlich und von weltlicher Warte aus betrachtet, wäre das, was sich dem Blick bot, unehrenhaft gewesen zu sein. Hier war ein Mensch, der alle seine glänzenden Aussichten vertan hatte. Üble Gerüchte über ihn waren beständig in Umlauf. Er schien ein Betrüger zu sein, unbekannt und nicht anerkannt bei Menschen mit religiösem Ansehen. Obwohl lebend, glich er mehr einem Sterbenden. Selbst Gott brachte anscheinend Züchtigungen über ihn. Sorgen und Nöte überfielen ihn fortwährend. Er war arm und besaß praktisch nichts. Was für eine Geschichte!
Doch diese Geschichte hatte noch eine andere Seite. Es gab Ehre und ein gutes Zeugnis von Gott. Manchmal mag es auch ein gutes Zeugnis von seinen Bekehrten gegeben haben. Doch das wog nicht viel, verglichen damit, daß er der großen Schar derer hinzugefügt wurde, „die durch den Glauben ein Zeugnis erlangten“, wie Hebräer 11 uns sagt. Er war ein wahrhaftiger Mensch und droben wohlbekannt. Er ging ein in das, was wirkliches Leben ist. In seinem Innern freute er sich allezeit. Er diente in einer Weise, daß er eine große Zahl von Menschen reich machte. Er glich einem Menschen, der in geistlichen Reichtümern schwamm, denn er besaß alles. Wir sagen es noch einmal: Was für eine Geschichte! Nur diesmal schwingt ein anderer Ton in unserer Stimme.
Dieser erstaunliche Diener Gottes war der Anführer einer kleinen Schar von Männern, von denen gesagt wurde: „Diese, die den Erdkreis aufgewiegelt haben“ (Apg 17,6). Und das wundert nicht! Die begleitenden Merkmale geistlicher Kraft haben wir in den soeben betrachteten Versen gefunden. Laßt uns sie gründlich überdenken. Sie mögen uns zum Segen sein zu einer Zeit, wo das Böse in der Welt überhandnimmt und Treue und Hingabe unter dem Volk Gottes schwach sind.
Zweimal hatte der Apostel von dem Dienst der Ermahnung gesprochen, der ihm anvertraut war, Menschen zu „ermahnen“ oder zu „bitten“ (5,20; 6,1). Diese Ermahnungen waren allgemein gehalten; in Vers 11 aber schlägt er einen sehr persönlichen Ton an und wendet sich ganz direkt an die Korinther. Offensichtlich ist in diesem Augenblick sein Mund weit aufgetan und sein Herz freimütig, ihnen deutlich den Irrtum vorzustellen, in dem so manches Übel in ihrer Mitte wurzelte. Sie hatten nicht bemerkt, daß, wenn sie im gleichen Joch mit Ungläubigen blieben, sie notwendigerweise vielfach in deren böse Wege mit hineingezogen würden.
Paulus hatte nicht gleich zu Anfang seines Briefes unverblümt von ihnen Rechenschaft über diesen Punkt verlangt. Woher kam die Neigung, sich in Parteien und Meinungsschulen aufzuspalten? Woher die Unsittlichkeit, die Lust an Rechtsstreitigkeiten, die Sorglosigkeit um Dinge des Götzendienstes, die Unordnung bei ihren Zusammenkünften, die spekulativen Irrtümer über die Auferstehung? Zweifellos aus dem Fleisch; doch auch aus dem Einfluß der Welt um sie her, denn Korinth war voll von solchen Dingen. Wir können aus der klugen Art, wie Paulus hier vorging, eine wertvolle Lektion lernen. In seinem ersten Brief zog er es vor, sich mit den Fehlern zu befassen, die an der Oberfläche lagen, und er wartete, bis dieser Brief seine Wirkung getan hatte, bevor er die zugrundeliegenden Ursachen enthüllte. Jetzt jedoch war eine passende geistliche Atmosphäre bewirkt worden. Er war in der Lage gewesen, ihre Gedanken auf den Dienst der Versöhnung zu lenken. Gott und die Welt stehen in denkbar schärfstem Gegensatz zueinander, und deshalb muß Versöhnung mit Ihm die Trennung von der Welt in sich schließen. Somit war der günstige Augenblick gekommen, diesen Punkt offen anzusprechen.
Der Apostel Paulus war ein Mensch mit einem weiten Herzen. Die Korinther waren Gläubige mit engherzigen Zuneigungen, verengt in ihrem Innern. Sehr bemerkenswert! Findest du nicht auch? Der durchschnittliche Weltmensch pflegt die Dinge genau umgekehrt einzuschätzen, und nicht wenige Christen würden ihm noch beipflichten. Sie würden den abgesonderten Christen als „engstirnigen Menschen“ einstufen und den leichtlebigen, weltlich gesinnten Christen als weitherzigen Menschen preisen. Tatsache ist aber, daß der abgesonderte Gläubige seinen Mittelpunkt in Christus findet und damit in die Weite Seiner Interessen eingeht. Der weltliche Gläubige ist durch diese kleine Welt begrenzt und auf selbstsüchtige Interessen eingeengt. Paulus ermahnte die Korinther, durch Absonderung von der Welt weit zu werden.
Vers 14 spielt an auf 5. Mose 22,10. Der Ausdruck „ungleiches Joch“ bedeutet wörtlich „verschiedenartig zusammengejocht“, obwohl sich natürlich, wenn zwei nach Art und Gestalt verschiedene Tiere, zum Beispiel ein Rind und ein Esel, zusammengestellt werden, ein solches Joch als ungleich erweisen würde. Jedes Zusammenjochen von einem Gläubigen und einem Ungläubigen muß ungleich sein, da sie verschieden sind in Wesen und Charakter - der eine ist aus Gott geboren, ein Kind des Lichts; der andere hat noch die Natur Adams und ist ein Kind der Finsternis. Bei solcher Verschiedenheit beide zusammenzujochen, muß sich als unheilvoll erweisen.
Beachten wir, daß es hier um ein Joch geht. Der Gläubige ist noch in der Welt zurückgelassen und kommt mit allerlei Leuten in Berührung, wie wir der Aufzählung in 1. Korinther 5,9.10 entnehmen. Während er aber mit ihnen in dieser bunten Mischung verkehrt, hat er es sorgfältig zu vermeiden, mit irgendeinem von ihnen unter ein Joch zu kommen. Das vertrauteste und dauerhafteste Joch, das die Welt kennt, ist das der Ehe. Ein Gläubiger mag sich durch eine geschäftlichen Partnerschaft mit einem Ungläubigen unter ein Joch bringen. Bevor die Sache durchgestanden ist, mag er viel geistlichen Verlust erleiden und den Namen des Herrn verunehren, da er ja in der Mitverantwortung für üble Machenschaften steht, die der unbekehrte Partner betrieben hat. Doch im Verlauf der Zeit kann er zumindest aus dem Verhältnis aussteigen, auch wenn finanzielle Einbußen nicht zu umgehen sind. Aber aus der Ehe kann er nicht aussteigen außer im Todesfall, ob bei ihm selbst oder dem anderen. Und es gibt noch manches andere Joch außer denen in Ehe und Geschäft, obwohl nicht so schwer und andauernd. Wir haben sie alle zu meiden.
Betrachte, wofür ein Gläubiger steht - für Gerechtigkeit, Licht, Christus, den Tempel Gottes. Der Ungläubige steht für Ungerechtigkeit (oder Gesetzlosigkeit), Finsternis, Belial, Götzen. Was kann es nun für ein mögliches Joch oder eine Genossenschaft oder ein Übereinkommen zwischen den beiden geben? Nichts dergleichen. Warum dann aber eine Stellung einnehmen, mit dem Versuch, Dinge zusammenzubringen, die wie die Pole auseinander liegen? Der Ungläubige kann möglicherweise nicht übereinstimmen mit den Dingen, die das Leben des Gläubigen ausmachen. Er besitzt nicht das Leben, das ihn dazu befähigen würde. Der Gläubige kann sich durch Dinge der Ungerechtigkeit, die den Ungläubigen beschäftigen, sehr wohl verstricken und Schaden leiden, denn obwohl er aus Gott geboren ist, hat er noch das Fleisch in sich. Joche die beiden zusammen, und was wird das Ende sein?
Kein tiefes Verständnis ist nötig, um diese Frage zu beantworten. Der eine kann nur in eine Richtung gehen, der andere in beide. Der Weg des Ungläubigen ist ausschlaggebend, obwohl der Gläubige vielleicht widerwillig mitgezogen wird und deshalb wie eine Bremse auf die Räder wirkt.
Die Ermahnung geht somit dahin, daß wir uns aus der Gesellschaft der Ungläubigen lösen, uns absondern und Unreines nicht einmal anrühren. Der Gläubige kann nicht sorgfältig genug sein, jede Art von Verbindung mit bösen Dingen zu vermeiden. Und das wegen seines individuellen Charakters als ein Kind des Lichts, und auch weil er mit anderen Gläubigen zusammen den Tempel des lebendigen Gottes bildet. Da Er der lebendige Gott ist, wohnt Er nicht nur in der Mitte Seines Volkes, sondern wandelt auch in ihrer Mitte und beobachtet alle ihre Wege. Und Seinem Hause geziemt Heiligkeit auf immerdar.
Einige von uns mögen zu sich selbst sagen: „Ja, aber wenn ich diesem ausdrücklichen Befehl gehorche und diese oder jene Bindungen konsequent abbreche, werde ich einen großen Verlust erleiden und mich in einer sehr schwierigen Lage befinden.“ Das ist sehr wohl möglich. Doch solche Folgen sind voraussehbar. Die Welt mag dich ausschließen, aber Gott wird dich aufnehmen und dir ein Vater sein. Der letzte Vers dieses Kapitels bezieht sich nicht auf die eigentlich christliche Beziehung, die in Christus begründet ist und die der Apostel in Galater 3,26 - 4,7 erläutert, sondern mehr auf das praktische Verhältnis des Gläubigen als eines Kindes zu seinem himmlischen Vater. Er braucht diese Beziehung besonders dann, wenn er von seiten der Welt leidet. Wenn wir es in aller Ehrfurcht so ausdrücken dürfen - Gott selbst wird die Vaterrolle übernehmen. Deshalb heißt es hier, daß wir Seine Söhne und Töchter sind. Wenn es um die eigentlich christliche Stellung geht, so sind wir alle, ob Mann oder Frau, Seine Söhne.
Und beachten wir dies: der, der versprochen hat, uns zum Vater zu sein, ist der Herr, der Allmächtige. An dieser Stelle sind Seine drei großen Namen miteinander verbunden: Vater, HERR, Allmächtiger. Er ist der HERR, der Unveränderliche, der treu zu Seinem Wort steht. Er übt alle Macht aus. Und der Wert beider Namen kommt in Seiner väterlichen Fürsorge zum Ausdruck. Wir brauchen uns nicht zu fürchten, alle Bindungen zur Welt abzubrechen, koste es, was es wolle.
Auf einen interessanten und ermutigenden Gegensatz zwischen diesem Vers und Epheser 6,12 wollen wir noch hinweisen. Da sind es die „Weltbeherrscher dieser Finsternis“ - zweifellos satanische Gewalten und Mächte, die diese Welt voller Finsternis beherrschen. Wir müßten sie wohl fürchten, wären wir nicht unter dem Schutz unseres allmächtigen Herrn. Das mit „Allmächtiger“ übersetzte Wort bedeutet genau der Alles-Beherrscher. Die Weltbeherrscher mögen groß sein, aber sie sind wie nichts in der Gegenwart des Alles-Beherrschers, ebenso wie diese Welt, so groß sie uns erscheint, doch sehr klein ist im Vergleich mit der ganzen Schöpfung - dem gewaltigen Universum Gottes.