Die christliche Gemeinschaft
5. Gemeinschaft am Tisch des Herrn (1. Kor 10,14-22)
Die ersten Christen verharrten nicht nur in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, sondern auch im Brechen des Brotes und in den Gebeten (Apg 2,42). Die Reihenfolge in dieser Aufzählung ist beachtenswert. Sie bestätigt das, was wir bereits gesehen haben, und führt uns noch einen Schritt weiter. Die Gemeinschaft der einzelnen Gläubigen mit Gott ist die Grundlage ihrer Gemeinschaft miteinander, und diese zweifache Gemeinschaft findet ihren höchsten Ausdruck im Brechen des Brotes.
Dieses Mahl zum Gedenken an Seinen Tod hat der Herr Jesus selbst in der Nacht vor Seinem Leiden und Sterben eingesetzt. Zuvor hatte Er zum letzten Mal mit Seinen Jüngern das Passah gefeiert, das Er, das wahre Passahlamm, jetzt im Begriff stand zu erfüllen (1. Kor 5,7). Als Er danach Seinen Jüngern Brot und Kelch als Sinnbilder Seines geopferten Leibes und Seines vergossenen Blutes gab, trug Er ihnen nach Lukas 22,19 auf: „Dies tut zu meinem Gedächtnis.“ Doch mit den Worten in Matthäus 26,27: „Trinkt alle daraus“ deutete Er bereits an, daß dieses Mahl keine rein persönliche Handlung sein soll, bei der jeder für sich selbst ißt und trinkt, sondern der Ausdruck der Gemeinschaft der Erlösten. Am Tisch des Herrn verkündigen sie den Tod ihres Erlösers, bis Er wiederkommt, und bringen Ihm und dem Vater gemeinsame Anbetung dar. Hier soll auch das Wesen Gottes, der Licht und Liebe ist, in der durch Seinen Geist bewirkten Einheit und Gemeinschaft Seiner Kinder sichtbar werden. Der Herr Jesus ist der Mittelpunkt, auf den alle Herzen ausgerichtet sind, und deshalb dürfen die Wirksamkeit des Fleisches und die Welt hier nicht geduldet werden.
5.1. Der Tisch des Herrn
Das Vorrecht der Gemeinschaft der Gläubigen am Tisch des Herrn und die damit verbundene Verantwortung stellt Paulus den Korinthern in Kapitel 10,14-22 seines ersten Briefes vor. Dort finden wir die auch heute noch gültigen Gedanken Gottes über dieses Thema.
Die ersten Christen in der griechischen Stadt Korinth besaßen zwar viel Erkenntnis (1. Kor 1,5), aber in der Praxis zeigten sich bei ihnen Uneinigkeit, Streitsucht und andere negative Erscheinungen. Eine davon war ihr Verhältnis zu den Götzen, denen sie vor ihrer Bekehrung gedient hatten, eine andere ihr unwürdiges Betragen beim Brotbrechen. Deshalb mußte Paulus den Korinthern im zweiten Teil seines ersten Briefes grundlegende Belehrungen über ihre Gemeinschaft als Glieder des Leibes Christi erteilen.
Er stellt ihnen zuerst die positive Seite der Gemeinschaft vor. Wenn sie sich am Tisch des Herrn versammelten, was schon damals regelmäßig am ersten Tag der Woche geschah (vgl. Apg 20,7), bekundeten sie durch die Teilnahme an Brot und Kelch ihr Einssein und ihre Gemeinschaft mit Ihm und miteinander. Die höchste Gemeinschaft, die Menschen überhaupt zuteil werden kann, die Gemeinschaft der Erlösten mit ihrem Erlöser, findet hier ihren erhabenen Ausdruck. Den Korinthern war jedoch offenbar nicht bewußt, daß das gemeinsame Essen von dem einen Brot und das Trinken aus dem Kelch eine Form der Gemeinschaft ist. Wie wir zu Anfang festgestellt haben, hat Gemeinschaft ja nicht nur eine innere, sondern auch eine äußere Seite, und um diese beiden Gesichtspunkte geht es in unserem Abschnitt vornehmlich.
Abweichend von der tatsächlichen Reihenfolge nennt Paulus hier zuerst den „Kelch der Segnung“ (Vers 16), der in so großem Gegensatz zu dem Kelch steht, den der Herr Jesus am Kreuz bis zur Neige geleert hat (vgl. Lk 22,42). Wie bei den alttestamentlichen Opfern erst das Blut an den Altar gesprengt wurde, so wird hier als erstes der Kelch als Bild der „Gemeinschaft des Blutes des Christus“ erwähnt. Der Inhalt des Kelches ist ein Symbol des für uns vergossenen kostbaren Blutes Christi, das uns vollkommene, ewige Erlösung von unseren Sünden und von der gerechten Strafe Gottes gebracht und uns den Weg ins Heiligtum, in die unmittelbare Gegenwart Gottes geebnet hat (1. Pet 1,19; Eph 1,7; Heb 10,19). Durch das Trinken aus dem Kelch dürfen grundsätzlich alle, die durch Glauben an den segensreichen Auswirkungen des Blutes Christi teilhaben, ihre Gemeinschaft mit Ihm zum Ausdruck bringen. In der Gemeinsamkeit dieser Handlung sehen wir auch, daß alle, die durch das kostbare Blut erkauft worden sind, Gemeinschaft miteinander haben.
„Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus?“ (Vers 16). Auch das Brot ist ein Symbol, und zwar ein doppeltes. Es stellt sowohl den für uns geopferten heiligen Leib des Herrn dar als auch Seinen geistlichen Leib, die Versammlung. Durch das Essen von dem einen Brot bringen wir daher eine zweifache Einheit und Gemeinschaft zum Ausdruck, erstens mit dem Herrn Jesus, der Seinen Leib als Opfer für uns hingegeben hat, und zweitens miteinander als Glieder Seines Leibes in geistlicher Bedeutung.
Den zweiten Gesichtspunkt erklärt Paulus in Vers 17. Er sieht die Vielzahl der Gläubigen vor sich, die beim Brotbrechen von dem einen Brot essen und zeigt auf, daß dadurch eine Tatsache ausgedrückt wird: die vielen bilden einen Leib. Damit ist die Versammlung Gottes gemeint, die aus allen besteht, die an den Herrn Jesus glauben und durch den Heiligen Geist zu einem Leib getauft sind. In der bildlichen Bezeichnung „ein Leib“ kommt besonders deutlich die Einheit der Gläubigen zum Ausdruck (1. Kor 12,12.13). Natürlich war die Versammlung in Korinth nicht der ganze Leib Christi. Im Neuen Testament wird dieser Leib jedoch unter drei Gesichtspunkten betrachtet:
1. nach dem Ratschluß Gottes, der in der Herrlichkeit vollendet sein wird, umfaßt der Leib alle Gläubigen vom Pfingsttag bis zur Entrückung (Eph 1,22.23);
2. weltweit wird der Leib durch die Gesamtheit aller zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Erde lebenden Gläubigen gebildet (Eph 4,4);
3. örtlich wird der Leib auch durch die Versammlung an einem bestimmten Ort dargestellt, d.h. durch alle dort wohnenden Gläubigen (1. Kor 1,2; 12,27).
Der letzte Gesichtspunkt steht hier im Vordergrund, doch ist er von den beiden ersten, besonders dem zweiten, nicht zu trennen. Durch das gemeinsame Essen von dem einen Brot bekundeten die Gläubigen als örtliche Versammlung in Korinth ihre Einheit und Gemeinschaft mit Christus und mit allen Gliedern Seines Leibes auf der ganzen Erde. Der Tisch des Herrn ist die einzig mögliche Darstellung oder Sichtbarmachung des einen Leibes, der Versammlung.
Der Herr Jesus hat durch Sein Sterben am Kreuz „die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelt“ (Joh 11, 52). Sie bilden nach Seinem Willen nicht viele verschiedene Familien oder Häuser, sondern einen Leib, dessen Haupt Er als verherrlichter Mensch im Himmel ist. Nun ist es Sein Wunsch, daß alle Erlösten ihre Einheit an Seinem Tisch bekunden, bis Er kommt, um sie alle heimzuholen ins Haus des Vaters. Im engen Zusammenhang mit dieser großen und wichtigen Tatsache enthält diese Stelle noch weitere ernste Belehrungen, denen wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen.
Das Brotbrechen an sich ist eine äußerliche Handlung. Mit Brot und Kelch hat der Herr Jesus den Seinen sichtbare Zeichen hinterlassen, durch die sie jedesmal, wenn sie an Seinem Tisch versammelt sind, an Seinen Tod als die Grundlage aller ihrer Segnungen erinnert werden und durch deren Genuß sie äußerlich sichtbar Gemeinschaft mit Ihm und miteinander haben. Das ist keine unbedeutende oder nebensächliche Angelegenheit! Wenn Geist und Seele mit dem Herrn Jesus beschäftigt sind, kann der Leib nicht unbeteiligt sein oder Dinge tun, die im Widerspruch dazu stehen, wie es bei den Korinthern der Fall war. Doch bevor Paulus zu dem Punkt gelangt, der der eigentliche Anlaß seiner Darlegungen war, führt er zur Untermauerung seiner Beweisführung ein Beispiel aus der Geschichte des Volkes Israel an.
Wenn die Israeliten das Friedensopfer aßen (das einzige Opfer, an dem nach 3. Mose 7,19 im Prinzip jeder teilhaben durfte), waren sie in Gemeinschaft mit dem Altar Gottes. Nachdem das Blut des Friedensopfers als Zeichen der Sühnung an den Altar gesprengt war, wurde das Fett, das Wertvollste des Opfertiers, zum lieblichen Geruch für Gott geräuchert. Es war Seine Speise, Sein Brot. Die Brust und den rechten Schenkel erhielten die Priester, und das übrige Fleisch durfte der Opfernde essen und mit ihm jeder Israelit, der nach dem Gesetz rein war (3. Mo 3 und 7,11-38). Wir haben hier also ein gemeinsames heiliges Mahl an einem heiligen Ort vor uns.
Wenn das Wort Gemeinschaft im Alten Testament auch nicht vorkommt, ist der Gedanke daran hier doch deutlich erkennbar. Die gemeinsame Mahlzeit, von der Gott, die Priester und schließlich jeder reine Israelit einen Teil bekamen, ist eine treffende Darstellung der Gemeinschaft mit Gott auf Grund des einen Opfers Christi. Doch Gemeinschaft mit Gott ist etwas Heiliges. Deshalb bestanden strenge Vorschriften über die Reinheit der Teilnehmenden.
Der Brandopferaltar wird in Maleachi 1,7.12 auch der „Tisch Jehovas“ oder „Tisch des Herrn“ genannt -vierhundert Jahre bevor der neutestamentliche Begriff geprägt wurde. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Paulus die Ähnlichkeit zwischen dem Essen des Friedensopfers und der Teilnahme am Tisch des Herrn dazu benutzt, die Heiligkeit der Gemeinschaft hervorzuheben, in die die gläubigen Korinther gebracht worden waren und die am Tisch des Herrn ihren erhabenen Ausdruck findet. In beiden Fällen handelt es sich um eine äußerliche Handlung von großer Bedeutung. Das gemeinsame Essen ist nämlich eine Form der Gemeinschaft. Wenn das schon beim irdischen Volk Gottes der Fall war, wieviel mehr trifft es dann bei den Erlösten heute zu, die durch den Glauben an den Sohn Gottes in eine so wunderbare Verbindung und Gemeinschaft mit Ihm gebracht worden sind!
Der Begriff „Tisch des Herrn“, der im Neuen Testament nur in 1. Korinther 10,21 vorkommt, bezeichnet natürlich nicht das Möbelstück, auf dem Brot und Kelch stehen. Auch der Altar im Alten Testament war ja kein Tisch im eigentlichen Sinn. Der Tisch des Herrn ist ein bildlicher Ausdruck. Er bezeichnet die Gemeinschaft mit Christus und mit den Gliedern Seines Leibes auf Grund Seines Opfers und Seines Todes am Kreuz. Nach dem Willen des Herrn soll die sichtbare Handlung unsere innere Glaubensgemeinschaft mit Ihm widerspiegeln. Innere Gemeinschaft mit Ihm ohne äußere Teilnahme am Brotbrechen muß in den Augen des Herrn etwas Unvollständiges und Mangelhaftes sein; aber unerträglich ist für Ihn die Aufrechterhaltung der äußerlichen Gemeinschaft, wenn keine innere Gemeinschaft mit Ihm besteht, wie bei den in 1. Korinther 11,29.30 genannten Gläubigen, die von Gott bestraft wurden, oder wenn jemand sogar ein sündiges Leben führt, wie der in 1. Korinther 5 erwähnte Mann, der deshalb von jeglicher Gemeinschaft ausgeschlossen werden mußte.
5.2 Gemeinschaft mit Dämonen?
Nachdem Paulus zur Verdeutlichung das alttestamentliche Friedensopfer herangezogen hat, deckt er nun den Charakter des heidnischen Götzendienstes auf. Auch den Götzen wurden Schlachtopfer gebracht, die anschließend in gemeinsamen Mahlzeiten verzehrt wurden. Zwar hatte er in Kapitel 8 festgestellt, daß ein Götzenbild - und demzufolge auch ein Götzenopfer - nichts ist. Jetzt beleuchtet er jedoch den ernsten Gesichtspunkt der Gemeinschaft mit den Dämonen, die hinter den Götzenbildern stehen. Mit seinen Fragen: „Was sage ich nun? Daß ein Götzenopfer etwas sei, oder daß ein Götzenbild etwas sei?“ (Vers 19) kommt er dem möglichen Einwand der Korinther zuvor: Du hast soeben geschrieben, daß ein Götzenbild nichts sei (Kapitel 8,4), und jetzt mißt du ihm eine solche Bedeutung bei?
Deshalb erklärt er ihnen, daß hinter den Götzenbildern doch etwas steckt: „Sondern daß das, was die Nationen opfern, sie den Dämonen opfern und nicht Gott“ (Vers 20). Einerseits ist ein Götzenbild tatsächlich nur ein totes Gebilde oder höchstens ein menschliches Kunstwerk und ein Götzenopfer gewöhnliches Fleisch. Aber das ist nicht alles. Götzenbilder sind Abbilder unsichtbarer böser Mächte. Beim Essen eines Götzenopfers kam genauso die Gemeinschaft mit Dämonen zum Ausdruck wie am Tisch des Herrn die Gemeinschaft mit Christus. Sicherlich wollten die Christen in Korinth nicht Gemeinschaft mit Dämonen haben. Aber durch ihre Teilnahme an Opfermahlzeiten zu Ehren von Götzenbildern war es doch der Fall. Das gemeinsame Essen ist Gemeinschaft, wenn auch eine äußerliche. Ob sie sich dieser Tatsache bewußt waren oder nicht, änderte nichts daran. Alle übrigen Teilnehmer an solchen Mahlzeiten und mögliche Beobachter mußten jedenfalls den Eindruck erhalten, daß sie Gemeinschaft mit Götzen hatten. Zudem bestand die Gefahr, daß sie selbst durch häufigere Teilnahme daran innerlich abstumpften oder beeinflußt wurden. „Laßt euch nicht verführen: Böser Verkehr verdirbt gute Sitten“ schreibt Paulus in Kapitel 15,33.
Deshalb fährt er hier fort: „Ich will aber nicht, daß ihr Gemeinschaft habt mit den Dämonen. Ihr könnt nicht des Herrn Kelch trinken und der Dämonen Kelch; ihr könnt nicht des Herrn Tisches teilhaftig sein und des Dämonen-Tisches“ (Verse 20 und 21). Mit apostolischer Autorität (vgl. Kapitel 1,1) untersagt Paulus den Korinthern die Gemeinschaft mit den Dämonen, die sie durch ihre Teilnahme an Opfermahlzeiten praktizierten. Mit den Worten: „Ihr könnt nicht ... des Herrn Tisches teilhaftig sein und des Dämonen-Tisches“ macht er ihnen die moralische Unmöglichkeit solch einer doppelten Gemeinschaft deutlich. Wer jedoch meint, diese Freiheit zu besitzen, muß sich darüber klar sein, daß er dadurch den heiligen Eifer Gottes reizt (Vers 22; vgl. 5. Mo 32,16).
Wir kommen wohl kaum in die Lage, dieses Gebot, das ja durch Umstände hervorgerufen wurde, die in vielen Ländern heute nicht mehr so existieren, buchstäblich anwenden zu müssen, obwohl wir nicht übersehen dürfen, daß der zunehmende Okkultismus in den westlichen Ländern nichts anderes als Dämonenverehrung ist.
Aber hat uns dieser Abschnitt nicht doch etwas zu sagen? Wenn wir uns den Appell unseres Herrn vergegenwärtigen, nicht nur Seine „Gebote“, Seine ausdrücklichen Forderungen, sondern Sein „Wort“, das Seine Gedanken offenbart, zu halten (Joh 14,21.23), dann erkennen wir hier den gleichen Grundsatz wie in 2. Korinther 6,14: „Welche Gemeinschaft hat Licht mit Finsternis?“ und Epheser 5,11: „Und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis ...“ Oberflächlich betrachtet mögen Abweichungen von den göttlichen Anweisungen bezüglich des Zusammenkommens und des Tisches des Herrn als geringfügige Abänderungen erscheinen, in Wirklichkeit ist es jedoch Ungehorsam gegenüber dem Wort Gottes und damit fleischlicher Eigenwille. Der Prophet Samuel mußte zum Beispiel dem König Saul einmal sagen, daß Eigenwille auf dem Gebiet des Gottesdienstes wie Abgötterei und Götzendienst ist (1. Sam 15,23). Was hatte Saul getan? Entgegen dem Gebot Gottes, alles zu töten, was zu Amalek gehörte, hatten er und das Volk Israel den König Agag am Leben gelassen und das Beste vom Vieh zurückbehalten - wie er sagte, um es Gott als Opfer darzubringen.
So sehen wir heute auch auf christlichem Gebiet Abweichungen, die oft mit für den Verstand sehr einleuchtenden Argumenten untermauert werden. Aber ist das deshalb in Gottes Augen weniger verkehrt? Steht die Existenz der verschiedenen christlichen Gemeinschaften - teilweise sogar in Verbindung mit falschen Lehren - nicht im offenbaren Widerspruch zur Wahrheit von dem einen Leib Christi und der Einheit des Geistes? Und doch sind sich viele Kinder Gottes nicht darüber im klaren, daß die biblische Gemeinschaft am Tisch des Herrn auf dieser Grundlage nicht ausgeübt werden kann.
Er allein beurteilt die Beweggründe und den Grad der Erkenntnis jedes einzelnen richtig, und deshalb wollen wir uns vor voreiligen Urteilen über den Herzenszustand von Kindern Gottes hüten. Doch der für alle Gläubigen gültige Maßstab ist und bleibt das Wort Gottes, und danach sollten wir uns doch auch in diesen Fragen richten. Mögen die Argumente auch für viele überzeugend klingen, mag vielleicht verharmlosend von „unterschiedlicher Sicht der Dinge“ die Rede sein, jede Abweichung vom Wort Gottes ist Ungehorsam, und wenn Belehrung nicht angenommen wird, kann ein Kind Gottes, dem die Gemeinschaft mit seinem Herrn teuer ist, damit nicht einverstanden sein.
5.3 Was bedeutet uns der Tisch des Herrn?
Der Tisch des Herrn, wie er uns im Wort Gottes vorgestellt wird, ist dem Grundsatz nach der Platz für alle Glieder des Leibes Christi, auch wenn heute viele Schranken die Glieder des Leibes Christi trennen. Durch das eine Brot, in dem die Einheit des Leibes Christi sichtbar wird, dürfen wir uns immer wieder daran erinnern, daß alle Gläubigen zu Seinem Leib gehören. Durch das gemeinsame Essen und Trinken von Brot und Kelch dürfen wir immer wieder unsere innige Gemeinschaft mit unserem Herrn und mit dem Vater, aber auch als Glieder des Leibes Christi miteinander zum Ausdruck bringen. Ist es unser Wunsch, die Gemeinschaft an diesem einzigartigen Platz in der Gegenwart unseres Herrn an jedem Sonntag neu zu erfahren?
An die Worte des Apostels Paulus in 1. Korinther 10,17: „Ein Brot, ein Leib sind wir, die vielen, denn wir alle nehmen teil an dem einen Brot“ möchte ich die Frage knüpfen: Warum nehmen nicht alle Glieder des Leibes Christi am Brotbrechen teil? Anfänglich brachten sowohl die Christen, die aus dem Judentum kamen, als auch diejenigen, die früher Götzendiener gewesen waren, die ihnen geschenkte Gemeinschaft mit ihrem Erlöser und Herrn durch die Teilnahme an Seinem Tisch zum Ausdruck. Aber wie steht es heute damit? Manche Geschwister kommen jahrelang in die Zusammenkünfte zum Brotbrechen, ohne daß der Wunsch in ihnen wach wird, selbst daran teilzunehmen. Sie sind nicht nur der Aufforderung des Herrn Jesus ungehorsam: „Dies tut zu meinem Gedächtnis“, sondern berauben auch sich selbst eines kostbaren Vorrechts.
Die einen sagen ängstlich: Ich fühle mich (noch) nicht würdig zur Teilnahme am Brotbrechen. Wenn wir jedoch zur „Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn“ fähig gemacht worden sind, sind wir es dann nicht auch zur Gemeinschaft am Tisch des Herrn? Zwar warnt Gottes Wort uns vor dem Essen des Brotes und dem Trinken des Kelches in unwürdiger Weise, aber es zeigt zugleich den göttlichen Ausweg: „Ein jeder aber prüfe sich selbst, und so esse er von dem Brot und trinke von dem Kelch“ (1. Kor 11,27.28). Kein Gläubiger kann von sich behaupten, daß er sich immer Gottes würdig verhält. Deshalb müssen wir uns alle ständig im Selbstgericht prüfen und unsere Sünden bekennen, um Vergebung zu empfangen. Dann dürfen wir zuversichtlich am Mahl des Herrn teilnehmen.
Andere sagen jedoch: Ich möchte die mit dem Tisch des Herrn verbundene Verantwortung nicht auf mich nehmen. Hier kommt eine andere Haltung zum Vorschein. Man steht möglicherweise mit Dingen in Verbindung, von denen man weiß, daß sie nicht dem Willen Gottes entsprechen, will aber nicht davon lassen. Doch beurteilt Er die Sünde bei jemand, der am Brotbrechen teilnimmt, anders als bei jemand, der es nicht tut? Ist Sünde nicht gleich Sünde?
Es gibt wahrscheinlich noch weitere Gründe, die jemand hindern können, am Brotbrechen teilzunehmen. Kein Kind Gottes sollte sich jedoch durch die Verantwortung abschrecken lassen, auf das Vorrecht der Gemeinschaft am Tisch des Herrn zu verzichten! Je mehr wir den Segen der Gemeinschaft mit dem Vater, dem Sohn und den Seinen kennenlernen und genießen, um so lieber werden wir die damit verbundene Konsequenz und Verantwortung auf uns nehmen.