Die christliche Gemeinschaft
4. Gemeinschaft miteinander (1. Joh 1,7)
Grundlage unserer Gemeinschaft als Kinder Gottes miteinander ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Unser gemeinsames Teil besitzen wir aufgrund unserer persönlichen Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. So haben wir es in 1. Johannes 1,3 gesehen, wo der Apostel schreibt: „Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.“ Die folgenden Verse bestätigen dies.
Zunächst sehen wir in Vers 5, daß Gott „Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist“. Wer noch in der Finsternis lebt, kann keine Gemeinschaft mit Ihm haben. Wer es dennoch behauptet, der lügt und tut nicht die Wahrheit (Vers 6). Der nächste Vers zeigt uns die Stellung der Kinder Gottes: „Wenn wir aber in dem Licht wandeln, wie er in dem Licht ist, so haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde“ (Vers 7). Wie wir gesehen haben, bezeichnet der Wandel im Licht - ebenso wie der Wandel in der Finsternis - nicht unser praktisches Leben, sondern unsere Stellung vor Gott. In Seinem Licht haben wir Gemeinschaft miteinander und stehen unter der reinigenden Kraft des Blutes Christi (in bezug auf unseren praktischen Wandel ist es das Wasser des Wortes Gottes, nicht das Blut Christi, das uns reinigt, vgl. Joh 13, Eph 5,26).
Die ersten Christen lebten anfänglich in inniger, vorbildlicher Gemeinschaft. „Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten“ (siehe Apg 2,42-47). Auf die Bedeutsamkeit der Tatsache, daß die Lehre der Apostel an erster Stelle steht, haben wir bereits hingewiesen. Als zweites Kennzeichen der Christen in Jerusalem folgt das Verharren in der Gemeinschaft. Da das Wort Gemeinschaft an dieser Stelle ausnahmsweise ohne jeden weiteren Zusatz verwendet wird, wird hier sowohl die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn als auch die geschwisterliche Gemeinschaft gemeint sein, obschon der zweite Gesichtspunkt im Vordergrund steht, wie die folgenden Verse erkennen lassen. Diese gerade erst bekehrten Gläubigen waren noch so lebendig mit ihrem Herrn verbunden, daß sie die Gemeinschaft mit Ihm miteinander genießen wollten. Deshalb verharrten sie auch in den beiden weiteren gemeinsamen Glaubensaktivitäten, die hier genannt werden: im Brechen des Brotes und in den Gebeten.
Die Auswirkung der Gemeinschaft auf ihre Gesinnung war Einmütigkeit (Vers 46). In Kapitel 4,32, wo eine ähnliche Situation erwähnt wird, heißt es: „Die Menge derer aber, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele“. Die Einmütigkeit konnte nur das Ergebnis der Gemeinschaft jedes einzelnen mit Gott sein. Sie besaßen alle dasselbe Ziel, denselben Gegenstand für ihre Herzen, und dadurch wurden sie geeint. Die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn bewahrte sie vor Egoismus und Eigenwillen, den Feinden jeder geistlichen Gemeinschaft. So ertrugen sie in Liebe einer des anderen Schwächen, die sie ebensogut an sich hatten wie wir. Die ebenfalls noch recht jung im Glauben stehenden Christen in Philippi mußten jedoch später von Paulus unter Berufung auf die Gemeinschaft des Geistes zur Einmütigkeit ermahnt werden (Phil 2,1-4).
Äußerlich offenbarte sich die Gemeinschaft der ersten Christen in Jerusalem darin, daß sie alle beisammen waren, und zwar nicht nur in ihren Zusammenkünften als Versammlung, sondern auch in der übrigen Zeit (Vers 44). Sie brauchten einfach das Zusammensein mit ihren Geschwistern im Herrn. Auch die Tatsache, daß sie alle ihre Habe gemeinsam hatten, war eine praktische Auswirkung der geistlichen Gemeinschaft, die die ersten Gläubigen so besonders kennzeichnete. Wenn jemand in Not war, empfing er Hilfe von anderen, die dazu ihren Besitz verkauften. Diese außergewöhnliche Handlungsweise blieb auf die erste Zeit der Versammlung in Jerusalem beschränkt und wurde von den Gläubigen an anderen Orten nicht übernommen. Aber wenn später in den Briefen des Neuen Testaments im Blick auf die materiellen Bedürfnisse der Gläubigen von einem „Beitrag“ (Röm 15,26), von „Teilnahme“ (2. Kor 9,13) und von „Mitteilen“ (Heb 13,16) die Rede ist, dann wird im Grundtext immer dasselbe Wort benutzt, das sonst mit „Gemeinschaft“ übersetzt wird! Notleidende Geschwister materiell zu unterstützen ist also nicht nur ein Zeichen von Mitgefühl, sondern ein echter Ausdruck christlicher Gemeinschaft.
Doch kehren wir kurz zu der Versammlung in Jerusalem zurück. Schon bald änderte sich das anziehende Bild. Ananias und Sapphira störten die frische, lebendige und echte Gemeinschaft durch ihre Heuchelei so tiefgehend, daß Gott beide durch den Tod wegnahm (Kapitel 5). Sie brachten einen Teil des Erlöses für ein Grundstück zu den Aposteln, stellten sich jedoch so, als hätten sie alles gegeben, um die Gemeinschaft vorbehaltlos zu unterstützen. Kein Mensch hätte etwas von dieser Unaufrichtigkeit gemerkt, doch der Heilige Geist ließ diese Sünde gegen die Gemeinschaft, die sich in Wirklichkeit gegen Gott richtete, nicht hingehen.
Wir müssen aus dieser traurigen und beschämenden Begebenheit die ernste Lehre ziehen, daß eine äußerliche Form von Gemeinschaft nicht bedeutet, daß auch Gemeinschaft der Herzen vorhanden ist. Und zweitens: Wenn unsere Gemeinschaft mit Gott gestört ist, wird sich das auf unsere Gemeinschaft mit den Geschwistern auswirken, auch wenn es nicht immer sofort erkennbar ist.