Die Briefe an Timotheus
1. Timotheus 3
Das dritte Kapitel bildet eine Fortsetzung des allgemeinen Themas, das uns im zweiten Kapitel beschäftigte, nämlich wie man sich als Gläubiger im Haus Gottes verhalten soll. Daß das wirklich das allgemeine Thema ist, ist deutlich ersichtlich aus Vers 15 unseres Kapitels.
Gott ist ein Gott der Ordnung, und deshalb soll in der christlichen Versammlung, wo Er wohnt, alles „anständig und in Ordnung“ geschehen (1. Kor 14,40). Zur Förderung dieser Sache waren in der Versammlung die zwei Ämter des Aufsehers (Bischofs) und des Dieners (Diakons) geschaffen worden, um die es in diesem Kapitel geht.
Aus dem ersten Vers scheint hervorzugehen, daß es in Ephesus einige Männer gab, die danach strebten, Aufseher zu werden. Der Apostel erkennt an, daß das, wonach sie strebten, ein gutes Werk war. Aber er besteht in diesem Zusammenhang auf einem vorbildlichen Lebenswandel. Es ist nicht etwa so, daß es wünschenswert wäre, daß der Aufseher über alle die erwähnten geistlichen Voraussetzungen verfügt, sondern es ist ein Muß. Außerdem muß er, bevor er für die Versammlung Sorge trägt, seine Befähigung zu einem solchen Werk bewiesen haben durch die Art, wie er den viel kleineren und bescheideneren Bereich seines eigenen Hauses verwaltet hat. Er darf kein Neubekehrter sein, jemand, der zwar möglicherweise dem Alter nach geeignet wäre, aber erst ein Anfänger in den Dingen Gottes ist. Sonst könnte er vor Stolz über seine neuerworbene Wichtigkeit in denselben Fehler verfallen, der im Anfang den Sturz Satans verursachte. Diotrephes, von dem in 3. Johannes 9 und 10 die Rede ist, scheint ein Beispiel für eine solche Überhebung zu sein.
In vielen der ersten Versammlungen wurden Aufseher oder Älteste offiziell angestellt, in anderen scheint das nicht so gewesen zu sein. Aber auch wenn sie ordnungsgemäß angestellt waren, so verlieh ihnen erst das gottesfürchtige Leben, das Paulus hier beschreibt, wirkliches Gewicht. Wer würde sonst auf ihre Ermahnungen hören oder sich ihrer Seelsorge und Wegweisung in geistlichen Dingen unterwerfen? Außerdem mußte man an die Welt außerhalb der Versammlung denken, wie es in Vers 7 heißt. Die Welt hat ein scharfes Auge und ist schnell mit Kritik bei der Hand, wenn es dafür auch nur den geringsten Grund gibt. Um das zu erreichen, stellt der Teufel seine Fallen.
Das Wort „Bischof“ bedeutet einfach Aufseher und das Wort „Diakon“ Diener. In der Versammlung gibt es viele Dienste zu tun, die nicht eigentlich geistlicher Natur sind wie z. B. solche, die in Apostelgeschichte 6 erwähnt werden. Aber wenn Männer solche einfachen Dinge im Dienst Gottes ausführen sollen, brauchen sie bestimmte geistliche Voraussetzungen und müssen erprobt werden, ehe sie beginnen.
In Vers 11 werden die Frauen der Diener besonders genannt. Das geschieht zweifellos deshalb, weil dieser Dienst so war, daß sie häufig daran teilnahmen. Phöbe war zum Beispiel eine Dienerin der Versammlung in Kenchreä (Röm 16,1) und wurde von dem Apostel sehr empfohlen.
Wir müssen daran denken, daß Aufseher und Diener diesen bewährten christlichen Charakter aufweisen sollten, weil sie ein Vorbild sein sollten für die Masse der Gläubigen, die zu ihnen aufsahen. Laßt uns daran denken, wenn wir dieses Kapitel lesen, daß Gott diese Wesenzüge bei uns allen sehen möchte. Können wir sie lesen, ohne unser Versagen zu fühlen? Wie steht es mit der Geldgier oder Verleumdung oder Doppelzüngigkeit – wenn man zu manchen Leuten so redet und zu anderen ganz anders? Sind das nicht herzerforschende Fragen?
Der Dienst eines Dieners mag unbedeutend erscheinen, aber im Dienst für Gott ist nichts wirklich unbedeutend. Vers 13 stellt eindeutig fest, daß solch ein Dienst, wenn er treu getan wird, der Weg zu höheren und größeren Dingen ist. Das veranschaulicht die weitere Geschichte von zwei Männern, die in Apostelgeschichte 6 erwähnt werden; Stephanus wurde zum ersten christlichen Märtyrer, Philippus zu einem vielgebrauchten Prediger des Evangeliums, der einzige, der in der Schrift als Evangelist bezeichnet wird (s. Apg 21,8). Jeder wahre Diener Gottes hat mit einfachen und bescheidenen Dingen angefangen. Laßt uns sie also nicht verachten und uns davor drücken, auch wenn wir von Natur aus dazu neigen.
Beachte den Ausdruck „die draußen sind“ in Vers 7. Am Anfang waren die Grenzen ganz klar. Ein Mensch war entweder in der Versammlung Gottes oder Teil der großen Welt draußen, denn Versammlung und Welt unterschieden sich deutlich. Heutzutage ist es leider anders. Die Welt hat die Kirche unterwandert, und die Trennungslinie ist verwischt, für Gott natürlich nicht, wohl aber für uns. Folglich ist es viel schwieriger für uns zu verstehen, was für ein erhabener Ort das Haus Gottes ist und wie man sich dort zu verhalten hat.
Vers 15 sagt uns, daß das Haus Gottes die Versammlung des lebendigen Gottes ist. Wir sollen offenbar begreifen, daß es nicht bloß eine Idee ohne jede praktische Bedeutung ist, daß wir einen Teil der Versammlung bilden. Der lebendige Gott wohnt dort, und Er hat gesagt: „Ich will unter ihnen wohnen und wandeln“ (2. Kor 6,16). Er prüft alles, und Er wirkt dort, wie aus Apostelgeschichte 5,1–11 zu ersehen ist. Deshalb sollte unser Verhalten dem entsprechen.
Die Versammlung ist auch „der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“. Pfeiler oder Säulen wurden in zweifacher Hinsicht benutzt. Meistens dienten sie als Stützen. Aber sie wurden gewöhnlich auch aufgestellt, nicht um etwas zu tragen, sondern als Denkmal mit einer Inschrift. Hier geht es unseres Erachtens um das zweite. Gott möchte, daß die Wahrheit nicht nur im inspirierten Wort zu lesen ist, sondern auch im Leben Seines Volkes veranschaulicht wird. Die Versammlung soll wie eine Säule sein, die auf ihrer Grundlage steht, eine Säule, auf die die Wahrheit eingeschrieben ist, damit alle sie sehen können, und das in einer lebendigen Weise, denn die Versammlung ist die „Versammlung des lebendigen Gottes“.
Die Versammlung ist also nicht der maßgebliche Lehrer und Ausleger der Wahrheit, wie Rom behauptet, sondern der lebendige Zeuge der Wahrheit, die in der Schrift zuverlässig niedergelegt ist. Es ist von äußerster Wichtigkeit, diese beiden Dinge zu unterscheiden und richtig einzuordnen. AUTORITÄT liegt nur im Wort Gottes, das wir ausschließlich in der Schrift haben. Das lebendige Zeugnis von dem, was die Schrift darlegt, findet sich in der Versammlung. Aber leider ist dieses Zeugnis zur Zeit verdunkelt, obwohl es einmal in der Herrlichkeit vollkommen und vollständig sein wird. Beim Vergleich der Verse 21 und 23 in Johannes 17 stellt man fest, daß das, was die Welt jetzt nicht „glaubt“, „erkennen“ wird, wenn die Versammlung in Herrlichkeit vollendet sein wird.
Wenn Vers 15 von der Versammlung als Zeugnis der Wahrheit redet, geht es in Vers 16 um eine wunderbare Darlegung dessen, was der Kern der Wahrheit ist, nämlich Gottes Selbstoffenbarung, die das „Geheimnis der Gottseligkeit“ genannt wird. Dabei ist nicht gemeint, daß Gottseligkeit etwas Geheimnisvolles sei. Es geht vielmehr darum, daß die verborgene Quelle, aus der die so beschriebene Gottseligkeit entspringt, überaus groß ist. Die von vielen Gläubigen zu verschiedenen Zeiten an den Tag gelegte Gottseligkeit stand immer in Übereinstimmung mit der ihnen zugänglichen Erkenntnis Gottes und ging nie darüber hinaus. Das Neue Testament zeigt zweifellos eine höhere Art der Gottseligkeit als das Alte Testament. Aber warum? Weil wir jetzt nicht eine teilweise, sondern eine völlige Offenbarung Gottes haben.
Die Gottseligkeit, von der der Apostel so eindringlich spricht, kommt nur zustande, wenn wir Gott kennen. In der Offenbarung Gottes liegt ihr großes „Geheimnis“. Es ist deshalb ein Geheimnis, weil die Art der Offenbarung Gottes von der Welt nicht wertgeschätzt wird, sondern nur von Gläubigen. „Er, der offenbart worden ist im Fleisch“ in Christus. Doch als die Ungläubigen Ihn sahen, „hatte er kein Ansehen, daß wir seiner begehrt hätten“ (Jes 53,2). Nur die Gläubigen sahen, wenn sie Ihn anschauten, den Vater. Vers 16 ist also eine konzentrierte Zusammenfassung davon, wie Gott sich selbst in Christus offenbart hat.
Dieser Vers ist auch bei tiefgründigster Betrachtung nicht auszuloten, wie wir uns denken können. Er besteht aus sieben knappen Aussagen, von denen uns sechs die große Offenbarung zusammenfassen. Die erste dieser sechs zeigt uns Gott, offenbart in der Menschheit, und die letzte zeigt uns den Menschen Christus Jesus, in dem sich Gott offenbarte, aufgenommen in Herrlichkeit. Die vier dazwischenliegenden geben an, in welch verschiedener Weise diese Offenbarung verwirklicht wurde.
Gott wurde „gerechtfertigt im Geist“. Die Auferstehung rechtfertigte Jesus und erwies Ihn als „Sohn Gottes in Kraft ... dem Geist der Heiligkeit nach“ (Röm 1,4), wo die Welt Ihn als Verbrecher gekreuzigt hatte. Aber tatsächlich war Er Gott, offenbart im Fleisch.
„Gesehen von den Engeln“. Hatten Engel vorher Gott wirklich schon gesehen? Sicher nicht so, wie sie Ihn beim großen Lobgesang der Engel in Bethlehem sahen.
„Gepredigt unter den Nationen“. Er hatte sich so wirklich in der Geschichte offenbart, daß das Evangelium von Ihm den Völkern bezeugt wurde, die weit entfernt vom tatsächlichen Schauplatz Seiner Offenbarung wohnten.
„Geglaubt in der Welt“. Nicht von der Welt, sondern in der Welt. Die Welt kannte ihn nicht, und doch geschah Seine Offenbarung nicht immateriell, als existierte sie nur in der Vorstellungswelt der Zuschauer oder Zuhörer, sondern sie war wirklich und tatsächlich, von kompetenten Zeugen beglaubigt und daher von denen angenommen, die Glauben hatten.
Wer durch den Glauben diesen wirklichen, wahren, geschichtlichen Christus, den wahren im Fleisch offenbarten Gott kennt, der als Mensch in die Herrlichkeit eingegangen ist, der besitzt das Geheimnis eines gottseligen Lebens. Ein Ungläubiger kann unmöglich gottselig sein, auch wenn er als natürlicher Mensch vielleicht äußerst liebenswert und freundlich ist.