Der Brief an die Galater
Kapitel 3
Der Apostel nennt die Galater „unverständig“, weil sie selbst nicht das geistliche Verständnis hatten zu erkennen, wohin diese falschen Lehrer sie geführt hatten. Sie waren wie verzaubert und im Bann des Bösen. Sie waren bis an den Rand der schrecklichen Schlußfolgerung geführt worden, daß Christus umsonst gestorben sei, daß Sein Tod tatsächlich ein großer Fehler gewesen sei! Am Rand dieses Abgrunds standen sie, und die scharfe Argumentation des Apostels fiel wie ein Blitzlicht in ihre Dunkelheit und legte die Gefahr bloß!
Ihre Torheit war deshalb so auffällig, weil Christus als gekreuzigt früher so treu unter ihnen gepredigt worden war. Paulus selbst hatte unter ihnen evangelisiert, und wie bei den Korinthern war auch bei den Galatern sein großes Thema das Kreuz gewesen. Es war, als ob Christus vor ihren Augen gekreuzigt worden wäre.
Außerdem hatten sie als Folge davon, daß sie das Wort vom Kreuz, das Paulus brachte, angenommen hatten, den Heiligen Geist empfangen, wie Vers 2 andeutet. Nun, wie und auf welcher Grundlage hatten sie den Geist denn empfangen? Durch Gesetzeswerke oder durch die Kunde des Glaubens? Darauf gab es nur eine Antwort. Es war für die Galater absolut unmöglich zu antworten: „Wir haben den Geist durch Gesetzeswerke empfangen.“ Und das wußte Paulus sehr wohl.
Also beantwortet er seine eigene Frage gar nicht, sondern geht in Vers 3 zu weiteren, sich anschließenden Fragen über. Nachdem sie den Geist durch die Kunde des Glaubens empfangen hatten, wollten sie jetzt im Fleisch die Vollendung suchen? Fängt Gott bei uns mit dem einem Grundsatz an und führt die Dinge mit einem anderen, entgegengesetzten Grundsatz zu Ende? Menschen sind ja ziemlich sprunghaft. Sie ändern sich auf diese Art und Weise, wenn ihre früheren Pläne scheitern. Aber gibt es Sprunghaftigkeit bei Gott? Mißlingen Seine Pläne jemals, so daß Er sich ändern müßte? Die Galater waren unverständig, aber waren sie so unverständig, so etwas zu denken? Und waren sie sogar zur Veränderung bereit, um alles als wertlos zu verwerfen, was sie einmal geglaubt und getan hatten, so daß ihre früheren Leiden für Christus alle als vergeblich, als null und nichtig anzusehen wären? Was für Fragen! Sind wir uns beim Lesen nicht ihrer niederschmetternden Kraft bewußt?
Aber warum spricht der Apostel von unserem Vollenden im Fleisch? Erstens, weil das Fleisch dem Geist ausdrücklich entgegengesetzt ist, und zweitens, weil es eng mit dem Gesetz zusammenhängt. Es vervollständigt das Quartett aus den Versen 2 und 3. Der Glaube und der Geist sind miteinander verknüpft. Man empfängt den Geist als Folge der Kunde des Glaubens, und Er ist die Kraft des neuen Lebens, das wir in Christus haben. Genauso sind das Gesetz und das Fleisch miteinander verknüpft. Das Gesetz wurde gegeben, damit das Fleisch es erfüllte, falls es das konnte. Das war aber nicht der Fall. Das Gesetz konnte die Neigungen des Fleisches auch nicht wirksam im Zaum halten, denn das Fleisch „ist dem Gesetz Gottes nicht untertan“ und „vermag es auch nicht“ (Röm 8,7). Und doch neigten die Galater dazu, sich von dem allmächtigen Geist weg- und dem Fleisch zuzuwenden, das zwar mächtig zum Bösen, aber völlig unfähig zum Guten ist. Das war nun wirklich Unverstand!
In Vers 5 wiederholt der Apostel seine Frage von Vers 2, nur in anderer Form. In Vers 2 ging es um die Galater. Wie hatten sie den Geist empfangen? Hier geht es um ihn selbst. Wie und auf welcher Grundlage hatte er gearbeitet, als er mit der Botschaft des Evangeliums zu ihnen kam? Bei ihnen waren Wunder geschehen, und als sie dem Evangelium geglaubt hatten, hatten sie den Geist Gottes empfangen. War all das aufgrund von Werken oder aufgrund des Glaubens geschehen? Wieder wartet er nicht auf eine Antwort, denn er weiß genau, daß die Galater nur eine Antwort geben können. Statt dessen weist er auf Abraham hin, damit ihnen klar wird, daß Gott den Glauben als Weg des Segens für den Menschen eingerichtet hatte, ehe Er überhaupt das Gesetz einführte.
Von Anfang an beruhte der Weg des Segens für den Menschen auf dem Glauben, wie Hebräer 11 so deutlich darlegt. Doch bei Abraham trat diese Tatsache schon zur Zeit des Alten Testaments klar ans Licht. 1. Mose 15,6 zeigt das eindeutig, und dieser Vers wird hier wie auch in Römer 4,3 und Jakobus 2,23 angeführt. Abraham war der Stammvater der Juden, die als äußeres Zeichen die Beschneidung hatten, aber er war auch in einem tieferen und geistlichen Sinn der Vater aller, die glauben (Röm 4,11).
Die judaisierenden Lehrer hatten die Galater zu überreden versucht, die Beschneidung anzunehmen, damit sie dadurch in eine den Juden ähnliche Stellung kämen, sozusagen äußerlich Söhne Abrahams würden. Das wäre eine schwache Nachahmung gewesen, verglichen mit einem echten Israeliten. Dabei waren sie doch schon Söhne Abrahams, wenn sie „aus Glauben“, d. h. Gläubige waren, und das im tiefsten Sinn, wie Vers 7 feststellt.
Jeder Gläubige ist in geistlicher Hinsicht ein Sohn Abrahams. Und nicht nur das, sondern wie uns Vers 9 zeigt, tritt jeder Gläubige in den Segen Abrahams ein. Vers 8 deutet an, was dieser Segen Abrahams ist. Es ging nicht nur um den Segen für ihn persönlich, sondern darum, daß in ihm alle Nationen gesegnet werden sollten. Nicht nur er sollte vor Gott gerechtfertigt stehen und die Segnungen empfangen können, die mit der Gerechtigkeit verbunden sind, sondern Millionen und Abermillionen aus allen Völkern sollten ähnliche Gunst erfahren, und zwar in ihm.
Aber wieso in Abraham? Wie ist das möglich? Es wäre gut, die Stellen in 1. Mose zu lesen, die sich hierauf beziehen. Die Verheißung des Segens wurde ihm zum erstenmal gegeben, als Gottes Ruf ihn zum erstenmal erreichte. Das steht in Kapitel 12,3. Dann wird sie ihm in Kapitel 18,18 bestätigt. Dann wird die Verheißung erweitert (Kap. 22,16-18), und wir entdecken, daß die Erfüllung durch „den Samen“ geschehen sollte, d. h. Christus, wie Vers 16 unseres Kapitels im Galaterbrief zeigt. Später wird die Verheißung gegenüber Isaak und Jakob bestätigt (Kap. 26,4 und 28,14), und beide Male wird „der Same“ erwähnt. Nachdem der Hinweis einmal eingeführt ist, wird er nie mehr weggelassen, denn von Christus hängt wahrhaftig alles ab, was die Erfüllung betrifft.
Der Segen war also nur insofern „in Abraham“, als Christus dem Fleisch nach von ihm abstammte. Die Juden rühmten sich Abrahams, als sei er an sich von höchster Wichtigkeit. Die Galater waren versucht gewesen, sich selbst durch die Annahme des Bundes der Beschneidung mit Abraham zu verbinden. Aber worauf es ankam, war die Verbindung mit Christus. Und gerade die Beschneidung, die sie äußerlich mit Abraham verbunden hätte, würde sie von Christus trennen (vgl. Vers 3), in dem alles zu finden ist, nicht in äußerlicher, sondern in innerlicher und lebendiger Hinsicht.
Von Anfang an wollte Gott die Heiden (oder Nationen) durch Glauben segnen. Das war bei Ihm keine nachträgliche Überlegung. Wie gnädig war Sein Plan! Und wie tröstlich für uns, das zu wissen! Er rief Abraham aus den Nationen heraus, die dem Verderben anheimgefallen waren, um trotz allen Versagens Seines Volkes einen gottesfürchtigen Samen zu bewahren, aus dem zu seiner Zeit der Same entsprossen sollte, in dem alle Nationen und auch Abraham selbst gesegnet werden sollten. Also sollen die Nationen wie Abraham durch Glauben und nicht durch Gesetzeswerke gesegnet werden.
Gott ist allwissend. Er kann vorhersehen, was Er tun will, was auch geschehen mag. Aber hier wird diese Allwissenheit der Schrift zugeschrieben! Das ist sicher eine bemerkenswerte Tatsache. Gottes Wort stammt von Ihm, redet über Ihn und soll deshalb sehr eng mit Ihm in Verbindung gesehen werden. Die Menschen sollten sorgfältig damit umgehen. Es gibt Menschen, die die Schrift völlig ablehnen und sich darüber lustig machen, und es gibt solche, die sie theoretisch ehren, aber praktisch verwerfen. Beide werden einmal im Gericht mit dem Gott zu rechnen haben, dessen Wort sie ist. Und wehe ihnen! Die Schrift selbst sieht voraus und sagt ihr Urteil voraus!
Kapitel drei ist von Anfang bis Ende voll von Gegensätzen. Auf der einen Seite haben wir das Gesetz und die Werke, die es forderte, dann das Fleisch, an das sich die Ansprüche des Gesetzes richteten, und den Fluch, der eintrat, wenn die Forderungen des Gesetzes nicht erfüllt wurden. Auf der anderen Seite finden wir den Glauben des Evangeliums, den empfangenen Geist und den geschenkten Segen. Wir haben von Gegensätzen gesprochen, aber eigentlich ist es nur ein Gegensatz, der auf unterschiedliche Weise herausgearbeitet wird.
In Vers 3 werden Fleisch und Geist einander gegenübergestellt. In Vers 10 haben wir den Fluch des Gesetzes im Gegensatz zum Segen des gläubigen Abraham. Der Fluch wurde über jeden ausgesprochen, der nicht in allem blieb, was das Gesetz forderte. Niemand tat das fortwährend, und folglich fielen alle, die unter dem Gesetz standen, unter den Fluch. Es genügte, „aus Gesetzeswerken“ zu sein - d. h. vor Gott stehen oder fallen zu müssen entsprechend dem Verhalten gegenüber den Forderungen des Gesetzes -, um unter dem Fluch zu stehen. Wie der Mensch von Natur aus ist, ist er verloren in dem Augenblick, in dem er auf dieser Grundlage vor Gott stehen muß.
Die Juden, die das Gesetz hatten, scheinen sich darüber kaum im klaren gewesen zu sein. Im Gegenteil, sie sahen im Gesetz das Mittel zu ihrer Rechtfertigung. Zufrieden mit einer bloß äußerlichen Befolgung einiger seiner Gebote, trachteten sie danach, „ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten“, wie Paulus es in Römer 10,3 ausdrückt. Natürlich scheiterten sie darin völlig, denn in ihren eigenen Schriften stand ja: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ Das Gesetz aber beruht nicht auf dem Grundsatz des Glaubens, sondern auf dem der Werke. Wenn man alles kurz zusammenfaßt, läßt sich sagen: Durch das Gesetz kommen Menschen unter den Fluch und sterben. Durch den Glauben werden Menschen gerechtfertigt und leben.
Der Fluch, den das Gesetz aussprach, war ein vollkommen gerechtes Urteil. Weil der Jude unter das Gesetz gestellt worden war, lag der Fluch des Gesetzes auf ihm, und dieser Fluch mußte gerechterweise getragen werden, damit er davon befreit werden konnte. Im Tod Christi wurde der Fluch getragen, und deshalb ist der gläubige Jude davon losgekauft. In den Tagen Moses bezog sich der Fluch besonders auf jemanden, der als Übertreter starb, indem er an ein Holz gehängt wurde. Damals wird sich vielleicht mancher beim Lesen von 5. Mose 21,23 gefragt haben, warum der Fluch so mit dem Tod an einem Holz verknüpft war im Unterschied zum Tod z. B. durch Steinigen oder durch das Schwert. Jetzt wissen wir es. Zu gegebener Zeit sollte der Erlöser den Fluch für andere tragen und so das Gesetz erfüllen, indem Er an einem Holz hing. Das ist ein weiteres Beispiel für das Voraussehen der Schrift!
Er trug den Fluch, damit der Segen verliehen werden konnte. Vers 14 redet davon und stellt uns den Segen in zweifacher Weise vor: zuerst den „Segen Abrahams“, der Gerechtigkeit bedeutet, dann die Gabe des Heiligen Geistes. Das ist ein Segen, der weit über das hinausgeht, was Abraham verliehen wurde. Das Wunder des Werkes Christi besteht darin, daß Gerechtigkeit jetzt genauso den gläubigen Heiden zuteil wird wie den Gläubigen, die nach dem Fleisch Söhne Abrahams sind. Alle, die glauben, sind in geistlichem Sinn Söhne Abrahams, wie wir in Vers 7 sahen.
Zur Zeit des Alten Testaments war der Geist verheißen worden, z. B. in Joel 2,28.29. Heute empfangen wir, ob Juden oder Heiden, den Geist, wenn wir glauben. So nehmen wir durch den Glauben den Segen, an dem man sich im Tausendjährigen Reich so vollkommen erfreuen wird, schon im voraus in Anspruch.
Im Augenblick jedoch verfolgt der Apostel das Thema des Heiligen Geistes nicht weiter. Wenn wir zu Kapitel 4 kommen, werden wir etwas über die Bedeutung der Innewohnung des Geistes lernen, und in Kapitel 5 werden uns Seine Wirkungen erklärt. Unser Kapitel behandelt das Gesetz und die Stellung, die es in den Wegen Gottes einnahm. Danach wird die wahre christliche Stellung entfaltet, wie sie in den ersten Versen von Kapitel 4 beschrieben wird. Das ist das zentrale Thema dieses Briefes. Und zuallererst werden gewisse Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt; verkehrte Vorstellungen und Einwände, die aus einem falschen Verständnis der Funktionen des Gesetzes herrühren, das die judaisierenden Lehrer hatten und das sie zweifellos den Galatern eingeflößt hatten.
Ein erster Punkt wird in den Versen 15-18 aufgegriffen. In den Gedanken vieler Juden hatte der Bund des Gesetzes den Bund der Verheißung mit Abraham völlig überschattet. Aber wie wir gerade gesehen haben, zieht der Bund des Gesetzes unweigerlich den Fluch nach sich. Segen kann man nur erlangen durch den Bund der Verheißung, der in Christus gipfelt. Man kann ihn nicht teilweise durch Gesetz und teilweise durch Verheißung erlangen. Das sagt Vers 18. Käme das Erbe des Segens aus dem Gesetz, könnte es nicht aus der Verheißung sein, und das gilt natürlich auch umgekehrt. Gott sei Dank, es kommt aus der Verheißung!
Aber war das Gesetz nicht als eine Art Revision des ursprünglichen Bundes oder als ein Anhang dazu gedacht? Ganz und gar nicht, denn Vers 15 sagt, daß der Bund weder aufgehoben noch ihm etwas hinzugefügt werden kann. Es ist ein alter Trick unehrenhafter Menschen, in ein unliebsames Dokument einen Zusatz hineinzuschmuggeln, der den Hauptbestimmungen so zuwiderläuft, daß damit das Ganze wirkungslos wird. Das ist schon unter Menschen nicht erlaubt, und wir dürfen nicht meinen, Gottes Bund der Verheißung sei weniger heilig als menschliche Dokumente. Das Gesetz wurde erst 430 Jahre später erlassen und hat ihn nicht aufgehoben. Es wurde auch nicht hinzugefügt, um die Einfachheit und Klarheit der Segensverheißung abzuändern. Weder das eine noch das andere war damit beabsichtigt.
Vers 16 verdient besondere Beachtung, nicht nur, weil er so unmißverständlich feststellt, daß der Bund von Anfang an im Blick auf Christus und Sein Erlösungswerk geschlossen wurde, sondern auch wegen der bemerkenswerten Art, mit der der Apostel aufgrund der alttestamentlichen Vorhersage argumentiert. Der Heilige Geist inspirierte ihn, die ganze Frage an dem Wort „Samen“ aufzuhängen, das im Singular steht und nicht im Plural. Dadurch deutet der Geist an, daß Seine früheren Äußerungen in vollem Sinn inspiriert waren. Nicht nur das Wort war inspiriert, sondern auch die genaue Form. Die Inspiration war nicht bloß verbal, d. h. wörtlich, sondern sogar literal, d. h. buchstäblich.
Wenn man nun der Beweisführung des Paulus zustimmt, wie sie aus den eben betrachteten Versen deutlich wird, könnte sich eine weitere Schwierigkeit für unser Verständnis auftun. Wenn das Gesetz, das mehr als 400 Jahre nach Abraham gegeben wurde, keinen Einfluß auf den früheren Bund hatte, ihn also weder aufhob noch veränderte, sieht es dann nicht so aus, als hätte ihm jede klar umrissene Zweckbestimmung gefehlt? Ein Gegner könnte behaupten, daß eine solche Lehre das Gesetz jedes Sinnes und jeder Bedeutung beraube, und vielleicht meinen, eine harte Nuß zum Knacken zu geben durch die einfache Frage: „Warum überhaupt das Gesetz?“
Genau mit dieser Frage beginnt Vers 19. Die Antwort darauf fällt sehr kurz aus und verdeutlicht zwei Dinge. Erstens wurde das Gesetz deshalb gegeben, damit die Sünden der Menschen, indem sie das Gesetz brachen, eindeutige Übertretungen wurden. Dieser Punkt wird ausführlicher in Römer 5,13 behandelt. Ein zweiter nützlicher Zweck bestand darin, für Israel die Zeit bis zum Kommen Christi auszufüllen, indem es bewies, daß sie es nötig hatten. Das Gesetz wurde durch Engel und durch einen menschlichen Mittler, nämlich Mose, angeordnet. Aber schon die Tatsache, daß ein Mittler auftrat, setzt zwei Parteien voraus. Gott ist die eine. Wer ist dann die andere? Der Mensch. Und weil es bei dieser Vereinbarung auf das Tun des Menschen ankam, der anderen Partei, scheiterte sie sofort.
Indem es den Menschen eindeutig der Übertretung überführte, hat das Gesetz etwas äußerst Wichtiges erreicht. Was ist richtig, und was ist falsch? Was fordert Gott von den Menschen? Vor der Gesetzgebung hatte der Mensch eine gewisse Kenntnis, und das Gewissen war in Tätigkeit, wie aus Römer 2,14.15 hervorgeht. Aber als das Gesetz kam, verschwand alle Unbestimmtheit; denn alle, die unter dem Gesetz standen, konnten sich nicht mehr darauf berufen, in Unwissenheit gehandelt zu haben, und wenn sie wegen ihrer Übertretungen vor Gericht kamen, blieb auch nicht der Hauch einer Entschuldigung. Wir Heiden sind niemals formal unter das Gesetz gestellt worden, aber auch wir wissen darum. Und eben wegen unserer Kenntnis des Gesetzes werden wir dem Gericht Gottes unterworfen sein in einem Maß und einer Weise, die den unzivilisierten und unwissenden Stämmen der Erde unbekannt ist. Laßt uns also vorsichtig sein.
In Vers 21 wird eine andere Frage angeschnitten, die sich aus der vorhergehenden ergibt. Man könnte schlußfolgern, daß das Gesetz, wenn es den Bund der Verheißung schon nicht ergänzte, es auf jeden Fall im Gegensatz dazu stehen müsse. Das stimmt nun überhaupt nicht. Hätte Gott die Absicht gehabt, den Menschen durch das Gesetz zu rechtfertigen, hätte Er es mit Kraft versehen, die Leben gibt. Das Gesetz unterwies, forderte, drängte, drohte, und wenn es gebrochen worden war, verurteilte es den Übertreter zum Tode. Aber nichts davon fruchtete. Notwendig war das eine: dem Menschen neues Leben zu geben, wodurch es für ihn genauso natürlich sein würde, das Gesetz zu erfüllen, wie es bis dahin natürlich war, es zu brechen. Genau das konnte das Gesetz nicht. Statt dessen hat es bewiesen, daß wir alle unter der Sünde standen. Dadurch wurde ganz klar, daß wir das nötig hatten, was Christus gebracht hat.
Anstatt auch nur irgendwie im Gegensatz dazu zu stehen, paßt also das Gesetz harmonisch zu allen anderen Teilen des großen göttlichen Plans. Bis Christus kam, spielte es die Rolle des „Zuchtmeisters“, unseres Aufsehers, und hielt eine gewisse Autorität aufrecht. Als Christus erschien, wurde eine neue Ordnung der Dinge eingeführt. Für uns gibt es Rechtfertigung auf der Grundlage des Glaubens, nicht der Werke.
Um diese neue Ordnung geht es in Vers 23, wenn vom Kommen des Glaubens die Rede ist. In Vers 25 heißt es auch wieder: „Da aber der Glaube gekommen ist“. Bei allen Gläubigen des Alten Testaments finden wir natürlich Glauben, wie in Hebräer 11 dargelegt wird und auch in dem Abschnitt aus Habakuk, der in Vers 11 unseres Kapitels zitiert wird. Als Christus kam, wurde der Glaube an Christus offenbart, und der Glaube wurde öffentlich anerkannt als Weg, und zwar als einziger Weg, auf dem ein Mensch zu Gott kommen und dabei gesegnet werden kann. In diesem Sinn „ist der Glaube gekommen“. Sein Kommen kennzeichnete den Beginn einer völlig neuen Epoche.
Durch den Glauben an Christus Jesus haben wir den bevorzugten Platz von „Söhnen Gottes“ erhalten. In Vers 26 ist ausdrücklich von „Söhnen“ die Rede, nicht von „Kindern“. Die Gläubigen unter dem Gesetz waren wie minderjährige Kinder, unterstanden also dem Zuchtmeister. In der jetzigen Zeit ist der Gläubige wie ein Kind, das volljährig ist. Er hat also den Zustand der Unmündigkeit hinter sich und nimmt seinen Platz als Sohn im Haus des Vaters ein. Dieser großartige Gedanke, übrigens der beherrschende Gedanke dieses Briefes, wird in den ersten Versen von Kapitel 4 weitergeführt. Vorher werden in den drei letzten Versen von Kapitel 3 noch drei wichtige Tatsachen erwähnt.
Durch unsere Taufe haben wir bekannt, Christus angezogen zu haben. Hätten wir uns der Beschneidung unterzogen, dann hätten wir das Judentum angezogen und uns damit verpflichtet, das Gesetz zu erfüllen, um gerechtfertigt zu werden. Wären wir mit der Taufe des Johannes getauft worden, hätten wir den Mantel der öffentlichen Buße angezogen und uns verpflichtet, an den zu glauben, der nach ihm kommen würde. Nun haben wir, wenn wir auf Christus getauft sind, Christus angezogen und uns verpflichtet, das Leben Christi praktisch auszudrücken, wovon im nächsten Kapitel als „Frucht des Geistes“ die Rede ist. Als Söhne Gottes, die sich der Freiheit des Hauses erfreuen, ziehen wir Christus an, damit wir fähig sind, dort zu sein.
Weiter heißt es, daß wir „in Christus Jesus“ sind, und folglich sind wir „alle einer“. Alle Unterschiede sind beseitigt, nationale, soziale, natürliche. Wenn wir zum letzten Kapitel kommen, werden wir sehen, daß es in Christus Jesus eine neue Schöpfung gibt; das ist der Grund für die Beseitigung aller Unterschiede, die zur alten Schöpfung gehören. Das Werk dieser neuen Schöpfung hat uns, was unsere Seele betrifft, schon erreicht, aber noch nicht, was unseren Körper betrifft. Deshalb können wir bis jetzt diese Dinge noch nicht im absoluten Sinn in Anspruch nehmen. Darauf müssen wir warten, bis wir beim Kommen des Herrn mit dem Herrlichkeitsleib überkleidet werden. Doch auch jetzt schon sind wir in Christus Jesus und können lernen, einander unabhängig von diesen Unterschieden anzusehen.
Laßt uns beachten, daß hier gelehrt wird, daß diese Unterschiede in Christus Jesus abgeschafft sind und nicht in der Versammlung. Wir sagen das, um sicherzugehen und falschen Vorstellungen vorzubeugen. In der Versammlung sind zum Beispiel die Unterschiede zwischen Mann und Frau sehr wohl beibehalten, wie aus 1. Korinther 14,34.35 hervorgeht.
Wir haben schon drei Punkte besprochen, die den Gläubigen von heute im Gegensatz zu den Gläubigen vor dem Kommen Christi kennzeichnen. Wir sind „Söhne Gottes“, wir haben „Christus angezogen“, wir sind „in Christus Jesus“. Der letzte Vers unseres Kapitels zeigt uns einen weiteren Punkt: wir sind „Christi“, und weil wir zu Ihm gehören, sind wir in geistlicher Hinsicht Abrahams Nachkommen und folglich Erben, nicht nach dem Gesetz, sondern nach der Verheißung.