Die Erziehung in der Schule Gottes

Jesaja

Für eine Zeit wie die heutige ist es lehrreich, die Erziehung zu studieren, der die Propheten des Alten Testaments unterworfen waren. Zweck dieser Erziehung war es, die Wahrheit Gottes unter Seinem Volke neu zu beleben und diesem für den Fall mangelnder Bußfertigkeit das Urteil zu verkünden. Daher war es das Bestreben Satans in jenen Zeiten falsche Propheten einzuschleusen, ebenso wie es heute falsche Lehren gibt.

Jesaja weissagte in den Tagen Ussijas, Jothams, Ahas und Jehiskias. Die Wahrheit, von der er zeugen sollte, wird ihm durch ein Gesicht vermittelt. Es geht um Juda und Jerusalem, den königlichen Stamm, die Stadt Gottes und den Abfall Judas. „Mein Volk hat kein Verständnis ... Von der Fußsohle bis zum Haupt ist nichts Gesundes an ihm“, und dennoch: „Zion wird erlöst werden durch Gericht, und seine Rückkehrenden durch Gerechtigkeit“.

„Das Wort, welches Jesaja, der Sohn Amoz, über Jerusalem und Juda geschaut hat“, ist in den Kapiteln 2–5 verzeichnet.

Auf das Gesicht und das Wort Jehovas folgen nun die persönlichen Erfahrungen des Propheten (Kap 6). Er sieht Jehova in Herrlichkeit, den König, den Herrn der Heerscharen. Das Anschauen dieser Herrlichkeit aber bewirkt die Befähigung zum Dienst. Diese Unterweisung schlägt Wurzeln; sie macht den Propheten zum geeigneten Kanal der Mitteilungen Gottes. „Dies sprach Jesaja, weil er seine Herrlichkeit sah“ (Joh 12,41). Die Vorbereitung auf den Dienst dürfte sich danach richten, in welchem Maße die Seele von dem Bewußtsein des Gefühls der Gegenwart Gottes erfüllt ist, so daß im Ergebnis der Zustand der Seele mit der Art des Dienstes übereinstimmt. Die Erscheinung Jehovas in Herrlichkeit wurde nicht auf einige wenige Personen beschränkt, sondern ist in gewissem Maße jedem Seiner Knechte zuteil geworden. Sie prägte den Charakter und das Ausmaß ihres Auftrages. Je nachdem, wie Gott dem Einzelnen erschien, so offenbarte Er Sich ihm; wie Er Sich aber offenbarte, so bestimmte Er auch den Dienst. Er erschien dem Abraham, dem Mose, dem Josua in Seiner Herrlichkeit, aber doch jeweils in einem besonderen Charakter und bestimmte dadurch die Linie der Sendung des einzelnen Knechtes. Da gab Er ihnen Seine Gedanken im Umriß, und sie erhielten den Eindruck, den sie in ihrem irdischen Lauf niemals vergessen sollten. So empfing Paulus sein Evangelium, und strauchelte er in diesen Begriffen, mußte er zu dem zurückkehren, was damals durch den Geist des lebendigen Gottes in seine Seele geschrieben worden war. So wird auch Jesaja für die Pflichten seines Amtes zubereitet. Jehova erscheint auch ihm in Herrlichkeit und stellt ihm, wie immer, den schrecklichen Gegensatz zwischen seiner Natur und der Heiligkeit Gottes vor. Dies gereicht zu einer tiefen Erkenntnis seiner eigenen Untauglichkeit für Gott, die ihn mit Furcht und Scham erfüllt. Die Gegenwart der Herrlichkeit bewirkt stets eine umfassende persönliche Demütigung; aber sie reicht auch Gnade dar. Eine glühende Kohle vom Altar berührt seine Lippen wie der Kuß den verlorenen Sohn und das Wort überzeugt sein Herz von der Wirksamkeit dieser gnadenvollen Berührung: „Siehe, dieses hat deine Lippen berührt; und so ist deine Ungerechtigkeit gewichen und deine Sünde gesühnt“. Der begnadete Knecht erhält eine wunderbare Offenbarung durch die Versicherung, daß er in der Herrlichkeit Gottes von der Ungerechtigkeit befreit und seine Sünde gesühnt ist. Das ist nicht die erste Lektion, wohl aber die größte, die den Knecht in seinem Lauf am wirksamsten stärken wird. Die Frucht dieser Erziehung zeigt sich alsbald. Als Jehova ruft: „Wen soll ich senden?“ antwortet Jesaja bereitwillig: „Hier bin ich, sende mich! Dann erhält er seinen Auftrag, der dem Zustand Israels von jenem bis zum heutigen Tage entspricht und auf den sich unser Herr in Joh 12 und der Apostel Paulus in Apg 28 bezieht.

Jehova weist den Propheten sodann an: „Gehe doch hinaus, dem Ahas entgegen, du und dein Sohn Schear-Jaschub, an das Ende der Wasserleitung des oberen Teiches, nach der Straße des Walkerfeldes hin“. Diese Botschaft Gottes wird ihm und seinem Sohn anvertraut. Welch anziehender Ausdruck völliger Treue! Aber es ist auch bemerkenswert, wie der Vater vor Gott steht und im Kinde der Glaube des Vaters deutlich wird.

Den Unterschied zwischen den Worten, die der Prophet dem König Ahas als die Gedanken und Gnadenabsichten Gottes mitteilt, und dem, was er selbst praktisch darstellen soll, zeigt die folgende Anweisung (Kap 8,1). Jesaja hat eine große Tafel zu nehmen und darauf mit Menschengriffel zu schreiben: „Es eilt der Raub, bald kommt die Beute“. So wird berichtet, daß ein Eilen zur Beute stattfinden würde, und es ist der Sohn des Propheten, der durch seinen Namen von dieser gnädigen Dazwischenkunft Gottes Zeugnis ablegt. Wie bedeutungsvoll ist Jesajas Hingabe an Gott; sie bewirkt, daß alles, was von ihm ausgeht – die Nachkommenschaft ist ein anschauliches Bild hiervon – in lebendiger Darstellung die Gedanken und die Gunst Gottes andeutet! Wie gesegnet ist es, wenn der Knecht nicht nur die Gedanken und Absichten Gottes offenbart, sondern auch in seinem Sohn, seinem eigenen Geschlecht, praktisch das Zeugnis der jeweiligen Wege Gottes zum Ausdruck kommt. Wie wirkungsvoll hat sich die Erziehung Gottes erwiesen, wenn der Knecht zugleich Gottes Werkzeug und Zeuge ist!

Der Prophet erkannte also die Dinge nicht nur so, wie sie sich tatsächlich darstellten, sondern wurde von Gott auch unterwiesen, sie in der Ordnung zu sehen, wie sie hernach zur Herrlichkeit Gottes verändert werden sollten, wie sie einmal sein würden. In der Folge berichtet er: Denn also hat Jehova zu mir gesprochen, indem seine Hand stark auf mir war und er mich warnte, nicht auf dem Wege dieses Volkes zu wandeln“. Dann werden ihm die Gedanken Christi während Dessen Verwerfung mitgeteilt (Verse 12–18) und der Prophet stellt Ihn in seinem eigenen Herzen dar. Jehova hat ihn mit starker Hand gewarnt und ihm Erkenntnis über Seine Gedanken für den nämlichen Zeitraum geschenkt, in dem wir leben. Was nun folgt, zeigt den Kummer Israels (Kap 9–22).

Dass dem Propheten der Beginn und die Vollendung des Segens vorgestellt werden (Kap 9,1–7) beweist, wie ihn der Herr für Seinen Dienst in arger Zeit – Jesaja lebte während der ganzen 16jährigen Regierungszeit des Ahas und mehr als 25 Jahre unter der Regierung Hiskias – vor und zubereitet. Welch eine traurige, eigenartige Zeit war das! Welch ein Gegensatz zwischen der Geschichte unseres Propheten und der Geschichte Israels nach 2. Kön 16! Wie umfassend war er aber auch durch gesegnete Unterweisungen zu einer gottgemäßen Behandlung der verschiedenen Formen des Bösen ausgerüstet, das sich damals in Israel breitmachte. Seine Erziehung geschah durch das Wort, und das ist besser als eine Erziehung durch die Umstände; denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam, und unter seinem Einfluß wird man „entsetzt“ wie Daniel.

Ahas war der erste König von Juda, der seinen Sohn durchs Feuer gehen ließ. Er nahm daher den verderblichen Götzendienst an, der sich in Israel eingenistet hatte und wandelte so in den Wegen der Könige von Israel. Die sittliche Linie, die Juda vom Zehnstämme-Reich geschieden hatte, verschwand auf diese Weise mehr und mehr zugunsten einer Entwicklung, wie sie auch in der Christenheit zu beobachten ist, wo sich die Verteidigung der Bibel und der Rechte Gottes immer stärker verderblichen Einflüssen unterwerfen. Ahas opferte und räucherte auf den Höhen, auf den Bergen und unter jedem grünen Baum. Er suchte seine Hilfe bei Tiglath-Pileser und vervollständigte seinen Abfall dadurch, daß er einen Altar nach dem Muster, das er in Damaskus gesehen hatte, errichtete. So sah es um diese Zeit der Prophetie Jesajas in Juda aus, und dieser Zustand hielt an, bis Ahas starb (Kap 14). Die Belehrung, die Jesajas in dieser schweren Zeit erhielt, befähigte und ermächtigte ihn, den Überrest zu den Absichten und Ratschlüssen Gottes zurückzuführen. Was das Sichtbare anging, So war alles, vom Throne an abwärts, dazu angetan, ihn zu entmutigen; aber die ihm gegebenen Mitteilungen waren so lebendig und einzigartig, daß er sich über alles Sichtbare erheben und in den schönen Bereich der zukünftigen Wege Gottes auf Erden versenken konnte, wie es einem gottesfürchtigen Juden entsprach.

Ein kurzer Überblick über die weitere Prophetie des Jesajas führt uns zunächst die zukünftige Segnung Israels vor Augen, die im Galiäa der Nationen begann und sich bis zu ihrer Vollendung im Reiche erstreckt (Kap 9, 1–7, s. a. Fußnote V. 1). Auf welche gesegnete Weise muß eine solche Enthüllung den Seher für den Dienst Jehovas in jenen bösen Tagen gestärkt haben! Denn nichts läßt uns so über den Dingen stehen wie das Wissen um ihren Ausgang, Wer das Geheimnis des Ergebnisses kennt, hat den Schlüssel der Stellung. Dieser Schlüssel wird hier dem Jesaja anvertraut; aber jeder wahre Knecht Gottes wird in böser Zeit durch die Gnade des Herrn in ähnlicher Weise ausgerüstet werden. Er wird vor der Zeit erfahren, ob das Volk Gottes gesegnet oder infolge seiner Bosheit gezüchtigt werden soll. Aber die Gnade und die Gerechtigkeit Gottes werden durch die Schlechtigkeit des Menschen nur noch augenscheinlicher hervorgekehrt.

Daher wird Jesaja nicht nur die zukünftige Errettung des Volkes Gottes gezeigt, sondern auch das über Israel verhängte Gericht, wie der Assyrer, „die Rute meines Zorns“, es zertreten wird gleich Straßenkot (vgl. Kap 10, 5+6). Dann wird der Überrest umkehren (V. 21), wie der Name des Sohnes des Propheten – Schear-Jaschub – besagt (vgl. 7,3). Es ist sehr ermutigend für einen Knecht Gottes in einer solchen Zeit, daß sein eigener Sohn einen solchen beziehungsvollen Namen trägt.

Wie verschiedenartig und passend sind doch die Methoden, mit denen der gepriesene Gott den Knecht in Seinem Dienst erquickt und befestigt.

Nach dem Einblick in den Zustand und die Segnungen des Überrestes im Einzelnen (bis zum Ende von Kap 12) werden dem Propheten der Aufstieg und der Fall Babels geoffenbart (Kap 13 u. 14 bis Vers 27). Es ist bemerkenswert, daß Babel zu jener Zeit geschichtlich völlig unbedeutend war; aber der Geist Gottes urteilt nicht nach menschlichem, sondern nach Seinem eigenen Maßstab und unterweist Seinen Knecht, wie Er Babel einschätzt und wie böse die Grundsätze waren, die es entwickelt hatte. Diese Art und Weise, wie dies geschieht, verdient unsere volle Aufmerksamkeit, weil sie uns zeigt, wie ein Knecht Gottes für die Zeiten und Umstände, in die er gestellt ist, zubereitet wird.

Jesaja betritt nun einen neuen Zeitraum, Hiskia hat den Thron bestiegen, durch ihn wird Juda Rettung erlangen; aber erst muß das Gericht kommen. Der Prophet schildert zunächst in einer kurzen Zusammenfassung die Leiden Israels und die Wiederherstellung des Überrestes (Kap 14,28–32). In alledem müssen ihm in solchen Zeiten das Wort und der Ratschluß Gottes zur eigenen Belehrung und Bewahrung gereichen, wenn er die ihm verordnete Aufgabe gottgemäß lösen will. Erst hernach wird gezeigt, wie umfassend er für diesen Platz zubereitet und wie sehr er mit den Absichten Gottes vertraut war. Für einen Diener, der – wie Jesaja – in der Herrlichkeit der Gegenwart Gottes zur Ruhe gelangt ist, gibt es nur eine wirksame Vorbereitung: die Erziehung durch das Wort; und Jesaja erfährt in der Folge (Kap 15 bis 36), was Juda und die mit ihm in Verbindung stehenden Nationen in den Augen Gottes sind. Nachdem ihm auch das Gericht Gottes über Moab, Damaskus, Äthiopien und Ägypten – eingeleitet durch die assyrische Macht – gezeigt worden ist, tritt er selbst als Zeuge der Leiden, die sie erdulden würden (Kap 20,2) auf, indem er das Sacktuch von seinen Lenden löst, seine Sandalen von seinen Füßen zieht und nackt und barfuß einhergeht. So erfährt er im Vorbild am eigenen Leibe dieselben Leiden, die er den Aufsässigen und Gedankenlosen prophezeit; unverdient erduldet er was sie verdientermaßen erdulden müssen, und das, obwohl es sich um Ägypten handelt. So wird er zu einem lebendigen Selbstzeugnis dessen, was er bewußt und mit Anteilnahme voraussagt. Das ist eine sehr notwendige Übung für den Propheten, der damit die dritte Stufe seiner Erziehung – nach der Ruhe in der Herrlichkeit Gottes und der Gewißheit, daß Gottes Gedanken auch durch seine Nachkommen bezeugt werden würden, nunmehr das persönliche Leiden als Darstellung des prophetischen Wortes – erreicht hat.

Eine andere sehr notwendige Erfahrung folgt unmittelbar (Kap 21). In seinem Geist nimmt er nun schreckliche Dinge wahr, deren Verwirklichung ihm Kummer und Sorge bereiten. Voll Schmerz und Pein sieht er das Emporkommen der Perser und wie diese Babel vernichten. Der Räuber raubt, und er krümmt sich, daß er nicht hören, ist bestürzt, daß er nicht sehen kann. Der Prophet ist keine bloße Maschine; er versteht und fühlt Art und Charakter der Dinge, die er bedient. Der Fall Babylons hat ihn nahezu überwältigt, obwohl damit die Nation gerichtet wird, die ehedem die Geißel Israels war. Jesaja empfindet in seiner Seele vor Jehova die ganze Schrecklichkeit des Gerichts. Er ist kein unbeteiligter Zuschauer, sondern Teilhaber der Trübsale, die vor seinen Augen vorüberziehen, bevor irgendein anderer leidet, und das ist wahre Erziehung, wenn der Knecht die Art und Wirkung der Wahrheiten, die er verkündet, persönlich verspürt. In seinem Gemüt besonders erschüttert aber wird er von der Welle des Zorns, die über das Judentum kommt (Kap 22). Er klagt: „Schauet von mir weg, daß ich bitterlich weine; dringet nicht in mich, um mich zu trösten über die Zerstörung der Tochter meines Volkes!“ (22,4). Nach diesem Kummer des Herzens führt ihn seine Sendung zu Schebna, der über das Haus ist“ (V. 13), um ihm anzukündigen, daß alle seine Größe, selbst die mit seinem Grab verbundene, verschwinden werde; er soll zum Beispiel für die Art des Gerichts über Jerusalem werden. Jehova wird „zu einem Knäuel dich fest zusammenrollen, wie einen Ball dich wegschleudern in ein geräumiges Land. Dort sollst du sterben und dorthin sollen deine Prachtwagen kommen, du Schande des Hauses deines Herrn!“ Und dennoch sollte diesem Hause in der Person Eljakims Errettung werden. Im Augenblick des Gerichts wird der niedergebeugte Knecht durch den Ausblick auf die zukünftige Wiederherstellung getröstet. Doch die Fülle und der gründliche Charakter des überwältigenden Gerichts wird so weitgehend enthüllt, daß Jesaja, obgleich er die Gnade Jehovas sieht, erkennt, was er selbst ist. So ruft er aus: „Ich vergehe, ich vergehe, wehe mir!“ und verkündet: „Die Erde klafft auseinander, die Erde zerberstet, die Erde schwankt hin und her; die Erde taumelt wie ein Trunkener und schaukelt wie eine Hängematte“ (Kap 24,16+19). Aber wenn im Gericht der Mond mit Scham bedeckt und die Sonne beschämt wird, herrscht „Jehova der Heerscharen als König auf dem Berge Zion und in Jerusalem, und vor seinen Ältesten ist Herrlichkeit“.

Angesichts dieser Erfahrung verwandelt sich der Kummer des Propheten wegen des drohenden Gerichts in Lobpreis über das Reich und die Herrlichkeit. Da dieses Ziel aber nur durch Gericht erreicht werden kann, fährt der Prophet fort, den schweren Weg zu beschreiben, den sie geführt werden sollten und warnt sie, sich durch die Prüfungen verleiten zu lassen, nach Ägypten hinabzuziehen (Kap 27–36). Aber anziehend ist die persönliche Verbundenheit mit Gott, die darin zum Ausdruck kommt, daß er die großen Tatsachen erfährt und in seiner Seele durchschreiten darf, noch ehe er sie verkündigt. So wird er gewissermaßen zum Herrn der Geschichte und ist doch zugleich Geschichtsschreiber, der so vollständig in dem künftigen Geschehen aufzugehen vermag, dass er es mit lebendigem, persönlichem Interesse schildern kann, so wie große Geschichtsschreiber die Schauplätze großer Taten besucht haben, um die Empfindungen eines wirklich daran Beteiligten erfassen zu können. Der historische Bericht eines Beteiligten oder Augenzeugen wirkt naturgemäß ganz anders als der eines Unbeteiligten. So ist auch für den Lehrer die persönliche Erfahrung in den Wahrheiten, die er predigt oder verkündigt, von unschätzbarem Wert.

In der fortlaufenden Betrachtung kommen wir nun zu Sanheribs Einfall in Israel. Hiskia, der den zukünftigen Überrest darstellt, erlebt in diesem Zusammenhang zwei Prüfungen und zwei Errettungen: eine äußere aus der Hand des Assyrers und eine innere, die gewissermaßen einer Auferstehung aus den Toten gleicht. Gegenstand unserer Aufmerksamkeit ist in erster Linie die Rolle, die Jesaja in diesen beiden Prüfungen spielt. Die Weise, wie ein Knecht handelt, enthüllt die Wirkung der Zucht, die er durchgemacht hat. Jeder Knecht benötigt und empfängt – wenn er darauf wartet – die geeignete Vorbereitung für den Dienst. Wie gut ist, daß er diesen Dienst nicht kennt. Er würde sonst darüber nachdenken, wie er handeln sollte, statt sich einfach von Gott vorbereiten zu lassen. Das läßt sich immer wieder feststellen. Aber selbst die beste menschliche Vorbereitung und Durchführung eines göttlichen Auftrages reichen nicht hin; es bedarf hierzu der lebendigen Kraft, die Gott allein darreichen kann und die Er dem verleiht, den Er Selbst befähigt und zubereitet hat, auch wenn sich der Diener dessen nicht bewußt ist. Ein wahrer Knecht gleicht einem Garten, in dem jede Art von Frucht wächst, die der Besitzer wünscht. Er weiß nicht, was von ihm verlangt wird, aber er ist zugerüstet, bereit zum Dienst, wenn Sein Herr es wünscht. Ist Mangel an Dienst, so ist das wohl darauf zurückzuführen, daß es an dieser Vorbereitung fehlt, die allein bewirkt wird durch das Wort Gottes. Deshalb muß sich der Knecht unablässig mit dem Wort beschäftigen und so durchdringen lassen, daß er Gottes Willen gemäß handeln kann, wenn die Aufforderung dazu erfolgt.

Es ist für jeden Knecht anziehend und bedeutsam, die Art und Weisung seiner Zurüstung für den Dienst zu verstehen. je schwieriger die Art des Dienstes ist, desto größer das Bedürfnis nach Vorbereitung. Erst wenn diese Erziehung zu abhängiger Bereitschaft gediehen ist, erfahren wir unseren Auftrag. Anweisungen, die uns vordem gegeben werden, gleichen den versiegelten Befehlen, die der Kapitän eines Schiffes vor dem Auslaufen mit der Order empfängt, sie erst auf hoher See zu öffnen. Es soll damit sichergestellt werden, daß der Dienst nicht nach unseren Gedanken und Wünschen ausgerichtet, sondern von der Kraft gestaltet wird, die nach der Weise und den Gedanken Gottes wirkt. Das soll nicht heißen, daß sich der Sprecher mit dem auszulegenden Schriftwort nicht schon früher beschäftigt haben darf; aber es besteht die Gefahr, daß er sich sonst mehr von seiner Erkenntnis als von der Macht Christi, von der Kraft und Salbung leiten läßt, die nur in Seiner Gegenwart erlangt werden können und ohne die selbst die größte Wahrheit, auch wenn sie in der vollkommensten Weise dargeboten wird, kraft- und wirkungslos ist. Wer aber wahrhaft zubereitet ist, wird sicher nicht der Einsicht ermangeln, die doch zweifellos zu seinem Dienste gehört und deshalb wesentlicher Teil der Vorbereitung sein muß.

So sind auch dem Propheten Jesaja viele Wahrheiten mitgeteilt worden, ehe er zu irgendeinem Dienst berufen wurde, aber die Art des Dienstes, auf den er vorbereitet wurde, erfuhr er nicht. Auch Abraham wußte nicht, daß der Besuch und der Segen Melchisedeks ihn auf das Zusammentreffen mit dem König von Sodom und dessen Angebot vorbereiten sollten; aber als es dazu kam, zeigte er sich als so gründlich unterwiesen, daß er entschieden alles Angebotene zurückwies – vom Faden bis zum Schuhriemen. Mose mußte sich 40 Tage in der Herrlichkeit aufhalten, einmal um die wahre, ganze Gestalt der Stiftshütte kennenzulernen, zum andern aber auch, um sittlich für den großen Dienst ausgerüstet zu werden, zu dem er infolge der Abgötterei Israels gerufen werden würde. Daher weiß er ohne Zögern und Unsicherheit, wie er zu handeln hat, als er vom Berge herabsteigt und den Abfall des Volkes sieht – wie groß und furchtbar die Überraschung für ihn auch gewesen sein mag. Er hat weder Menschenfurcht noch Zweifel an Gott; der entscheidende Augenblick findet ihn gewappnet und entschlussfähig. Er handelt Gott gemäß, indem er das Zelt nimmt und es weit außerhalb des Lagers aufschlägt, abgesondert vom Götzendienst des abtrünnigen Volkes. Die Vorbereitung des Apostels Paulus auf den Dienst ersehen wir aus den Worten des Herrn „Hierzu bin ich dir erschienen, dich zu einem Diener und Zeugen zu verordnen, sowohl dessen, was du gesehen hast, als auch worin ich dir erscheinen werde“. Und Petrus ist, als er das in Apg 10 beschriebene Gesicht sieht, mehr von den Gedanken und dem Ratschluß Gottes als von den Ausdrucksformen gegenüber Kornelius beeindruckt. Wenn wir wahrhaft und völlig von den Gedanken Gottes erfüllt sind, ist die Art und Weise ihrer Darstellung auch in Übereinstimmung mit Seinem Willen.

So wird Jesaja – nachdem er von Gottes Gedanken über Israel und alle mit Israel in Verbindung stehenden Nationen erfahren hat – im entscheidenden Augenblick zum Handeln in der zweifachen Prüfung Hiskias gerufen. Sein Dienst ist beispielhaft. Er ist dem König – der Knecht Gottes sollte als solcher bekannt sein – nicht fremd und wird von ihm gerufen. „Und die Knechte des Königs Hiskias kamen zu Jesaja“, um die Gedanken Jehovas durch ihn zu erfahren. Jesaja antwortet ihnen: „Also sollt ihr zu eurem Herrn sagen: So spricht Jehova: Fürchte dich nicht vor den Worten, die du gehört hast, womit die Diener des Königs von Assyrien mich gelästert haben. Siehe, ich will ihm einen Geist eingeben, daß er ein Gerücht hören und in sein Land zurückkehren wird, und ich will ihn durchs Schwert fällen in seinem Lande“. Jesaja hat keine Furcht. Der Feind erscheint ihm als ungefährlich, weil seine Seele von der Größe und Macht Gottes erfüllt ist. Diese Beurteilung ist der sicherste Beweis, daß er sich nahe bei Ihm aufgehalten hat. Hiskias Krankheit zum Tode war vor dem Einfall des Assyrers, und es ist aufschlußreich zu beobachten, wie Jesaja in dieser ersten, persönlichen Prüfung handelt, bevor wir seinen Dienst in der zweiten, äußeren Prüfung betrachten.

In Kap 38 lesen wir, daß Jesaja von Gott zu Hiskia gesandt wurde, um ihm zu verkünden, daß er sterben und nicht genesen würde. Welch eine Prüfung für Jesaja. Als Schützer der Interessen Jehovas muß er sich in jener Zeit an der Treue Hiskias erfreut haben; das soll nun aufhören. Er selbst ist dazu ausersehen, jenen Schlag anzukündigen, der ihm praktisch den ganzen Zusammenbruch und Verfall seines Volkes vor Augen stellt. Den Tod Hiskias vor Augen, muß er mit der Auflösung Israels rechnen und ein solches Ende schmerzhaft empfinden. Es ist eine notwendige Zucht für den Knecht das Ende alles Fleischlichen völlig zu erfassen. Aber diese Erfahrung befähigt ihn für seinen zukünftigen Dienst, wenn er über Israel ausrufen muß: „Fürwahr, das Volk ist Gras. Das Gras ist verdorrt, die Blume ist abgefallen; aber das Wort unseres Gottes besteht in Ewigkeit“. Das große Werkzeug der Wiederherstellung muß dahingehen wie eine Blume.

Nach diesem großen Kummer – ein Knecht des Herrn wird so geführt, damit er die Auferstehung wirklich und tiefgreifend verstehen lernt – wird er unterwiesen, dem Hiskia das Mittel zu seiner Heilung zu offenbaren (Kap 38,21). Als alle Hoffnung dahin ist und die kalte Hand des Todes lähmend fühlbar wird, bricht das Licht in die Finsternis. Die Seele wird von der tiefen Überzeugung erquickt, daß es einen Gott gibt, der die Toten erweckt. Das war für Jesaja eine zukunftsprächtige Offenbarung im Blick auf sein Volk. Es sollte sterben, abgeschnitten werden, wie es in der jetzigen Haushaltung geschehen ist; doch es gab Hoffnung auf ein Wiederaufleben, und in der Tat, Israel wird wiederhergestellt werden.

Sodann kommt die Bedrückung durch den Feind von außen, den der König von Assyrien in dieser Geschichte darstellt. Jesaja versichert Hiskia, daß er aus dieser Unterdrückung errettet werden wird (Kap 38, 6+7). Aber das ist nicht alles. Als Hiskia gegen Sanherib betet, überbringt ihm Jesaja nicht nur die Zusicherung der Errettung, sondern auch einen bemerkenswerten Gnadenbeweis für das Volk. „Und dies soll dir das Zeichen sein: man wird in diesem Jahr den Nachwuchs der Ernte essen, und im zweiten Jahr, was ausgesprosst ist; im dritten Jahre aber säet und erntet, und pflanzet Weinberge und esset ihre Frucht“. Und dann wird hinzugefügt: „Und das Entronnene vom Hause Juda, das übriggeblieben ist, wird wieder wurzeln nach unten und Frucht tragen nach oben. Denn von Jerusalem wird ein Überrest ausgehen, und ein Entronnenes vom Berge Zion. Der Eifer Jehovas wird solches tun“! (2. Kön 19,29-31). So entfalten sich jetzt nicht nur die Gedanken über den Dienst zu dem der Prophet berufen war, sondern er muß probeweise auch in die beiden Prüfungen eintreten, die sein Volk erwarteten: das Absinken bis in den Tod wegen der in ihnen wohnenden Schwachheit und die vollständige Gefangennahme durch die Hand des Feindes. Aber diese tiefgreifenden Erfahrungen waren nötig zu einem wahren Verständnis der wunderbaren Wege Gottes, mittels deren Er die zweifache Errettung für das Volk Israel bewirken wollte. Hiervon weissagt Jesaja und darin schwelgt er von Kap 40 bis zum Ende des Buches. Welche wunderbaren Einblicke werden ihm gewährt. Und obgleich sie zu jener Zeit noch nicht verwirklicht werden sollten und alle menschlichen Begriffe überstiegen, sah er doch praktisch und wirklichkeitsnahe die Zukunftswege Gottes mit Seinem Volke vor sich. So wird der Knecht des Herrn im Verborgenen durch die Entfaltung der Gedanken Gottes zubereitet, damit er die Dinge gottgemäß zu beurteilen lernt; aber er muß auch persönlich in die zweifache Prüfung eintreten, nämlich in die Todesschwachheit des Menschen in sich selbst und in die furchtbare Macht des Feindes, weil nur der Knecht, der sich diesen beiden Tatsachen praktisch bewußt ist und Gottes Art der Errettung aus ihnen erfahren hat, in angemessener Weise von Seinem Reich und Seiner Macht zeugen kann. Damit der Knecht fähig ist, die ganze Fülle und Größe der Zukunftspläne Gottes völlig zu verstehen, muß er den Tod und den Verfall aller Dinge aufgrund der Macht, die Satan infolge des Falles des Menschen erlangt hat, praktisch erfahren. Wenn er dann auch die Macht der Auferstehung in Gott durch Christus erlebt hat, ist er empfänglich für die Offenbarungen, die Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben. – Abraham war für die große Offenbarung im Blick auf seinen Samen zubereitet, nachdem er praktisch gelernt hatte, seine Hoffnung nur auf den Gott zu setzen, Der aus den Toten erwecken kann. Er hatte das Ende alles Irdischen erkannt und konnte nun die Tatsache begreifen, daß in seinem Samen alle Nationen der Erde gesegnet werden würden. Es ist eine folgenschwere Tatsache, daß niemand für die zukünftige Herrlichkeit, die für ihn aufbewahrt ist, bereit ist, der nicht die Vollständigkeit des irdischen Verfalls infolge der vereinten Tätigkeit menschlicher Schwachheit und satanischer Macht erkannt hat. Gleich Jesaja mußten auch Mose und Paulus – wie gut sie auch für den Dienst zubereitet waren – die zwei großen Wahrheiten lernen: den Widerstreit des Feindes von außen und die völlige Schwachheit des Menschen in sich selbst, in dessen Hand alles verdorben wird. Mit tiefem Verständnis für diese Wahrheiten bat Mose: „Laß mich doch deine Herrlichkeit sehen!“ Und Paulus konnte sagen:

„Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein“.

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