Betrachtung über die Psalmen (Synopsis)
Psalm 90-92
Psalm 90
Der erste Psalm dieses Buches, Psalm 90, stellt also das Volk, d. h. den gläubigen, frommen Teil desselben, auf den Boden des Glaubens an Jehova und gibt dem Sehnen nach Befreiung und Segnung durch Seine Hand Ausdruck. Zunächst erkennt der gläubige Israelit Jehova an als die Wohnung Israels von Geschlecht zu Geschlecht, als ihre Zuflucht und Heimat. Sodann war Er der ewige Gott, ehe die Welt war, und Er lässt den Menschen kommen und gehen in einem Augenblick, wie es Ihm gefällt; für Ihn gibt es keine Zeit. Israel war verzehrt worden durch seinen Grimm. Doch das war noch nicht alles; obwohl Seine Macht unumschränkt war, handelte Er doch nicht nach Willkür, sondern Seine Wege waren der Ausdruck einer wahren und heiligen sittlichen Regierung. Und so finden wir in unserem Psalm nicht nur ein unumwundenes Bekenntnis offenbarer Sünden und Fehltritte, sondern die Anerkennung der heiligen Regierung Gottes, die auch das verborgene Tun des Menschen vor das Licht Seines Angesichts stellt (denn so handelt Gott, Ihm sei Dank dafür, dass Er es tut!); ihre Tage schwanden dahin durch Seinen Grimm. Aber sie wünschen, dass der Stolz ihres Herzens dadurch gebrochen werde und sie ihrer Schwachheit und Sterblichkeit eingedenk sein mögen, damit alle Selbstzufriedenheit, die dem natürlichen Herzen so eigen ist, für immer abgetan sei und das Herz sich der Weisheit, der Furcht Gottes, zuwende. Dass der Mensch so an seinen wahren Platz gestellt und Gott Sein Platz eingeräumt wird, und zwar in Verbindung mit einem Glauben, wie derjenige Israels an Jehova, das ist reich an Unterweisung im Blick auf die moralische Stellung, die sich für den Überrest in den letzten Tagen geziemt; dem Grundsatz nach ist es stets wahr. So schaut also der Überrest nach Jehova aus, dass Er zurückkehre und sie befreie – der Glaube fragt: bis wann? – und dass Seinen Knechten Sein Tun erscheinen möge, wie auch die Prüfung von Ihm gekommen war; ja, dass die Huld Jehovas, ihres Gottes, über ihnen sein und das Werk ihrer Hände durch Ihn befestigt werden möge. Es ist wahrer Glaube infolge der Beziehung zu Gott, jedoch zu Gott als dem Höchsten in Seiner heiligen Regierung auf Erden; als solcher aber ist Er der Gott Israels.
Psalm 91
In Psalm 91 wird ein anderer höchst wichtiger Grundsatz eingeführt: Der Messias nimmt Seinen Platz inmitten Israels ein, den Platz des Vertrauens auf Jehova, um so den Kanal zu bilden für die volle Segnung des Volkes. Wir finden in diesem Psalm drei Namen Gottes; denjenigen, durch den Er in Verbindung mit Abraham stand: der Allmächtige; einen zweiten, den Abraham durch das Zeugnis Melchisedeks prophetisch gekannt haben mag, den Titel, den Gott im Tausendjährigen Reiche annimmt, wenn Er Seine Rechte über die ganze Erde geltend machen wird: der Höchste (vgl. 1. Mo 14, 18 – 20). Wie alle Namen Gottes, so haben auch diese beiden ihre eigentümliche Bedeutung; der eine weist auf vollkommene Macht, der andere auf unumschränkte Oberherrlichkeit hin. Nun erhebt sich die Frage: Wer ist der Gott, der diesen Platz einnimmt? Wer ist für die Erde dieser höchste Gott über alles? Und wer wird Seine verborgene Stätte finden, um da zu wohnen? – Wer diese Stätte gefunden hat, wird vollen Schutz haben durch eine allmächtige Kraft. Der Messias (Jesus) sagt: Ich will den Gott Israels, Jehova (dies ist der dritte Name Gottes in diesem Psalm), zu meiner Zuflucht nehmen (V. 2). In den Versen 3 – 8 hören wir die Antwort, die dem Messias hierauf zuteil wird. Zweifellos ist das Gesagte auch wahr von jedem gottesfürchtigen Israeliten, ja, es bezieht sich sogar auf den gläubigen Überrest, aber als geleitet durch den Geist Jesu, des einen Vollkommenen und Treuen, der diesen Platz wirklich einnahm.
In den Versen 9 – 13 spricht, glaube ich, Israel zu dem Messias (d. h. der Geist legt Israel die Worte in den Mund): „Weil du Jehova, meine Zuflucht, den Höchsten, gesetzt hast zu deiner Wohnung...“, so wird der Schutz des Allmächtigen dich bewahren. In Vers 14 nimmt Jehova Selbst das Wort und redet von dem Messias als Dem, der Seine Wonne an Ihm hat. Diese Gestaltung des Psalmes ist auffallend. Der Geist Gottes Selbst stellt uns vor dieses Problem. Der, welcher das Verborgene des Höchsten (Gottes Titel im Tausendjährigen Reiche) findet, wird die volle Segnung von Seiten des Allmächtigen, des Gottes Abrahams, genießen. Der Messias sagt: Ich nehme Jehova, den Gott Israels, zu meiner Zuflucht; und die Antwort an Ihn lautet: Weil du dies getan hast, wirst du auch die gesegneten Folgen davon genießen. In Vers 9 spricht Israel und erklärt durch den Geist, dass Ihm, dem Messias, die Segnungen zuteil werden sollen. In Vers 14 drückt Jehova Sein Siegel auf dies alles, und der Löser des großen göttlichen Rätsels empfängt die volle Segnung von Seiten Jehovas, an dem Er Seine Wonne hatte, dessen Namen Er kannte als den Namen Jehovas, des Gottes Israels. In dieser Hinsicht ist der Psalm von großem Interesse.
Indessen lasst uns beachten, dass alles – auch der Charakter Gottes in jeder Hinsicht – von einem irdischen Gesichtspunkt aus betrachtet wird. Die Frage, wie Christus für den damaligen Augenblick Seine Ansprüche an die göttliche Befreiung aufgab, dagegen vollkommenen Gehorsam offenbarte, indem Er völlig auf Seinen Vater vertraute, steht in Verbindung mit einer tieferen Kenntnis der Ratschlüsse Gottes und des gesegneten Pfades unseres hochgelobten Herrn. Satan wollte gerade die in diesem Psalm gegebene göttliche Zusage benutzen, um Ihn von dem Pfade des Gehorsams abzulenken und auf den Weg des Misstrauens und Eigenwillens zu bringen; aber Gott sei gepriesen sein Versuch war, wie wir wissen, vergeblich. Die gewissen, David zugesagten Gnaden (Jes 55, 3; Apg 13, 32 – 38) sollten in einem gehorsamen und auferstandenen Menschen erfüllt werden – dies wird uns in einem späteren Psalm von unvergleichlicher Schönheit gezeigt –, und so sollten Segnungen und Herrlichkeiten höherer Art offenbart werden. Doch Er, der jenen Pfad völliger Unterwürfigkeit betrat, hat nichtsdestoweniger alle in unserem Psalm entfalteten Segnungen für diejenigen gesichert, die in Seiner Nachfolge diese Stellung des Vertrauens auf Jehova auf der Erde einnehmen werden. Diesen Grundsatz finden wir in mannigfaltiger Form immer wieder in den Psalmen. In der Tat war das Sühnopfer Christi, das Seine persönliche Verzichtleistung auf die in Psalm 91 zugesagte Segnung in sich schloss, notwendig, damit andere auf demselben Pfade zu wandeln vermöchten, auf dem Er persönlich, natürlich ohne jenes, wandeln konnte. Der 91. Psalm gibt uns eine göttliche Offenbarung von der Art und Weise, in der die Verheißung des Lebens dem Herrn Jesu erfüllt wurde (vgl. Ps 16, 9 – 11).
Psalm 92
In Psalm 92 finden wir gleichfalls diese Namen Gottes: Jehova und der Höchste, doch handelt es sich hier nicht mehr um einen verborgenen Zufluchtsort, den nur der treue Gläubige kennt; vielmehr sichert die Allmacht Gottes jetzt die Segnung und antwortet dem Glauben. Die Verse 7 und 8 zeigen uns, in welcher Weise dies geschieht. Dieser Psalm redet nicht von der erzieherischen Übung des Glaubens, sondern von der Antwort, die dem Glauben zuteil wird, und die zeigt, dass Jehova gerecht ist, und dass kein Unrecht in Ihm ist.
Die Psalmen 90–92 gehören zusammen und bilden die Einleitung zu dem großen Gegenstande, mit dem sich die folgenden Psalmen beschäftigen, nämlich zu der Tatsache, dass Jehova regiert. Schon hat die Machtentfaltung begonnen, und das volle Ergebnis, d. i. das Gericht über alle Feinde und eine dauernde Segnung, wird jetzt erwartet; der gläubige Überrest hofft nicht nur darauf, nein, das schon offenbarte Einschreiten Gottes lässt ihn fest darauf rechnen. Psalm 92 geht von der gleichen Stellung aus, die der Messias in dem vorhergegangenen Psalm eingenommen hat, wo Er im Geiste mit Israel in den letzten Tagen einsgemacht wurde, und zwar in der Zeit, wo Israel durch göttliche Macht wiederhergestellt, aber noch nicht im vollen Genuss des Friedens und der göttlichen Segnung ist, wie wir dies im dritten Buch gefunden haben. Daher stimmt der Messias Selbst den Lobgesang an und weiß, dass Sein Horn erhöht werden wird mit Ehre (vgl. Ps 75, 9. 10). Doch Jehovas Gedanken sind tiefer. Er blickt weit hinaus; Er sieht sogar das Ende von Anfang. Er führt alle Seine Vorsätze aus und erfüllt Sein Wort. Hieran sollte der Glaube stets gedenken.