Betrachtung über die Psalmen (Synopsis)
Psalm 89
Wir haben gesehen, dass der 88. Psalm Israel in der Gegenwart Jehovas (beladen mit der Schuld, Ihm treulos gewesen zu sein) und unter dem Gericht Jehovas darstellt, indem es das Bewusstsein Seines Zornes hat und doch Glauben an Jehova Selbst offenbart. Das ist eine Stellung, die Christus in ganz besonderer Weise eingenommen hat, obschon natürlich für andere, namentlich für Israel, aber nicht für Israel allein. Psalm 89 beschäftigt sich mit der anderen Seite der Beziehung Jehovas zu Israel (nicht zu der Nation, dem Israel unter dem Gesetz), mit den Verheißungen, die Jehova dem David gegeben hatte. Man beachte, dass hier nicht die Schuld in den Vordergrund gestellt wird (gewiss war sie in beiden Fällen die Ursache des besprochenen Zustandes), sondern Zorn, anstatt Heil. Denn Jehova war Israels Heiland gewesen, und so betrachtete der Glaube Ihn noch, und dennoch verließ Er Israel, anstatt die dem David gegebene Verheißung zu erfüllen. Hier findet man keine Spur von Sündenbekenntnis. Im vorigen Psalm klagt der Überrest über den Tod und den Zorn; hier, wo die Güte auf ewig gebaut werden sollte, sehen wir, dass der Bund verworfen und die Krone entweiht ist. Der Prophet Jesaja rechtet mit Israel, um es von seiner Schuld zu überzeugen: erstens haben sie sich gegen Jehova verschuldet, weil sie Götzenbilder hatten (Jes 40–48); zweitens haben sie Christum verworfen (Jes 49–58). Aber hier haben wir Israels Klage gegen Jehova Selbst, nicht, denke ich, in unheiliger Weise als Tadel, sondern als eine Berufung auf Ihn Selbst aufgrund dessen, was Er für Israel gewesen war. Wie wir gesehen haben, ist Jehova hier damit beschäftigt, diese Beziehungen wiederherzustellen. Israel ist Israel und befindet sich in dem Lande (siehe Ps 85). Die Nationen sind da – alles ist nicht wiederhergestellt; das letzte Bündnis der Völker ist in Sicht, aber es richtet sich gegen Israel. „Gott steht in der Versammlung Gottes, inmitten der Götter richtet Er“ (Ps 82). Jehova hat Seiner früheren Gnadenerweisungen gedacht (Ps 81, 10–16). Die Bundeslade wird erwähnt, und es wird gesagt, dass Gott zwischen den Cherubim wohne, wie einst in der Wüste (Ps 80). Mit einem Wort, das ganze Buch zeigt die Lage eines Volkes, das zwar im Lande wiederhergestellt ist, aber angegriffen wird und zerstreut ist, während der Tempel, der wieder besteht, verwüstet und abgebrochen ist (Ps 74–76 u. Ps 79). Es ist nicht nur ein jüdischer Überrest, der über die antichristliche Bosheit von Leuten klagt, mit denen er äußerlich verbunden, oder von denen er vertrieben ist, sondern es ist Israel, das Volk (dargestellt durch den Überrest), umgeben von Feinden, die zerstören, was ihm teuer ist. Es wird ermuntert durch Prophezeiungen bezüglich des schließlichen Ausgangs und unterwiesen betreffs der in David verliehenen unumschränkten Gnade, als es in seiner Treue als, Volk gefehlt hatte (Ps 88 und Ps. 89); es ist das Volk, das zu Gott (Elohim) als Solchem, im Gegensatz zum Menschen, emporblickt zu dem Höchsten, aber mit Gebet zu Jehova zurückkehrt (da es von Ägypten her Sein Eigentum ist) und bittet, dass Seine Hand auf dem Menschensohne sein möge, dem Reis 1, das Er Sich gestärkt hatte (Ps 80). Mit einem Wort, das ganze Buch zeigt uns Israel, wie es den Boden eines Volkes einnimmt, sich tatsächlich im Lande befindet und einen Tempel hat, wie es durch den Glauben in die Bundesbeziehungen eintritt, aber zerstörenden Einfällen feindlicher Mächte ausgesetzt ist – Einfällen des Assyrers und seiner Verbündeten, zu denen, weil sie Erfolg haben, das Volk sich hinwendet (Ps 73, 10); denn Jesaja 10, 5–23 ist noch nicht erfüllt (vgl. Jes. 18, besonders V. 5–7).
Die beiden letzten Psalmen des Buches stellen den ganzen Druck vor, den diese Sachlage auf den Geist der Treuen ausübt. Statt eines gesegneten Volkes finden wir Verlassensein unter dem Zorn. Dennoch ist Jehova der Gott ihrer Rettung. Der Thron ist zur Erde gestürzt und entweiht, obwohl unveränderliche Verheißungen, dass er durch Fehltritte nicht beseitigt werden solle, dem David gegeben worden waren. Das Ergebnis zeigt sich in dem folgenden Buche in der Offenbarung Jehovas, in der Einführung des Eingeborenen in die Welt. In diesem ganzen Buch befinden wir uns auf prophetischem Boden im Blick auf Israel, es beschreibt nicht die besondere Lage, in die der Überrest infolge der Verwerfung Christi hinsichtlich des Antichristen kommen wird; daher treten dessen Leiden weit weniger hervor als da, wo von dieser Lage die Rede ist. Dies war im ersten und zweiten Buche der Fall. Wir finden darum auch in den folgenden Büchern bei den Heiligen die Erkenntnis, dass Jehova ihre Wohnung gewesen ist von Geschlecht zu Geschlecht. Ihre Geschichte endet mit dem Erscheinen des Jehova-Messias in Herrlichkeit.
Schließlich noch einige Worte über die Einzelheiten des 89. Psalmes. Er redet von den Gütigkeiten Jehovas (Seiner Huld gegen Israel) und ihrer Unveränderlichkeit – von den gewissen Gnaden Davids. Es war Glaube vorhanden, um zu sagen: „Auf ewig wird die Güte gebaut werden“, denn das war Gnade. Daher konnte man sich auch auf Gott berufen, wie vorhin erwähnt. Bis wann sollte es anders sein? ja, scheinbar auf immer! Jehova war treu; denn der Gläubige hatte im Glauben gesagt: Die Huld, die offenbarte Güte, wird auf ewig gebaut werden; und die Treue war da festgestellt, wo nichts sie antasten konnte. Und so wird es sein, wenn Satan aus dem Himmel herabgeworfen ist. Es ist die wahre Beschreibung des Tausendjährigen Reiches. Sodann berichtet der Psalmist von dem Bunde, der ursprünglich mit David gemacht worden war und der Ausdruck der Güte ist, dem gegenüber Jehova treu sein musste: die gewissen Gnaden Davids. Dann beginnt er von neuem, Jehova zu preisen (V. 5–18), indem er an die einstige Errettung aus Ägypten erinnert und daran gedenkt, dass das Lob Jehovas notwendigerweise hervorkommt aus dem, was Er ist, und aus der Segnung des Volkes, das den Jubelschall kennt. In Seinem Namen würden sie frohlocken den ganzen Tag, und durch Seine Gerechtigkeit (denn wir befinden uns hier auf dem Boden der Gnade) erhöht werden. Er ist die Zierde ihrer Stärke, und durch Seine Gunst wird ihr Horn erhöht werden.
Das ist die Segnung, die in der Verbindung mit Jehova in Gunst gefunden wird. Aber diese Segnung beruhte in der gewissen Gnade gegen David. Und wie soll diese erfüllt werden? Dadurch, dass Jehova, der kodesch (Heilige) Israels, ihr König sein wird. Aber dann hatte Gott nicht von einem kodesch, sondern von einem Frommen geredet, in welchem all die Gnaden vereinigt sein sollten, und dem Jehova eine unwandelbare Treue erweisen wird – die gewissen Gnaden Davids. Dann kommt der Psalmist nochmals auf den mit David gemachten Bund zurück und zeigt, dass er nie geändert werden sollte (V. 34–37). Tatsächlich befand sich indes alles in einem anderen Zustand. Aber es war auch, gegründet auf diese Verheißung, Glaube vorhanden, um zu sagen: „Bis wann, Jehova?“ Wenn Er Sich für immer verbirgt, und Sein Grimm brennt wie Feuer, was ist der Mensch, um das zu ertragen und nicht in den Tod hinabzusinken (V. 48)?
Der Treue beruft sich auf die früheren Gütigkeiten gegen David, insofern sie David selbst zugeschossen waren; doch zweifle ich nicht daran, dass die Verse 50 und 51 auf alle Treuen anwendbar sind. Doch der Geist Christi tritt hier ein, wie Er es auch bei dem Zorn tat, um die ganze Wirklichkeit der Last auf Sich zu nehmen. An jenem Tage wird Er natürlich nichts leiden, aber Er hat diesen Tag der Leiden im voraus gefühlt, damit Sein Geist in Seinem Volke reden könne wie mit Seiner Stimme; denn der Hohn der Mächtigen und Abtrünnigen wird an jenem Tage die Fußstapfen des Gesalbten Gottes verhöhnen. Und wenn die Treuen in diesen Fußstapfen wandeln, so werden sie von dem Hohn seitens der Feinde Jehovas ihr Teil zu tragen haben. Das wird dann ihre Lage sein – sie wandeln in den Fußstapfen des Herrn, sie warten auf israelitische Bundes-Segnungen, sie fühlen den Zorn, jedoch im Glauben, aber sie blicken auf die dem David in Gnade gegebene Verheißung (die an sich selbst schon nichts als Gnade war, denn die Bundeslade war fort, und Israel war Ikabod, das ist Nicht-Herrlichkeit, geworden) und erwarten die Antwort. Diese findet sich in dem folgenden Buche. Wir stehen hier, wie bereits gesagt, in prophetischen Zeiten, inmitten der von Jesaja beschriebenen Ereignisse, die mit dem Assyrer und einem verwüsteten Tempel in Verbindung stehen. Die Bösen sind da: das Volk strömt ihnen zu, weil sie Gedeihen haben. Wenn wir diese Umstände im Buch Daniel suchen, so müssen wir uns Daniel 8 zuwenden, nicht Daniel 7! Das Tier und der Antichrist sind nicht auf dem Schauplatz; es handelt sich um das Land, das schuldige Israel und die Verheißungen, nicht aber um die Verwerfung Christi.
Mit diesem Psalm schließt das dritte Buch.
Fußnoten
- 1 Vergleiche die Verbindung und den bemerkenswerten Gegensatz zwischen dieser Stelle und Johannes 15.