Betrachtung über die Psalmen (Synopsis)

1. Buch

Betrachtung über die Psalmen (Synopsis)

Das erste Buch ist vielleicht durch den allgemeinen und charakteristischen Überblick, den es über die in den Psalmen behandelten Gegenstände gibt, das vollständigste und insofern das interessanteste der fünf Bücher. Die anderen verfolgen naturgemäß mehr die Einzelheiten, die den in dem ersten gegebenen allgemeinen Gedankengang weiter ausführen.

Man beachte den folgenden Grundsatz, der sich durch das erste Buch, und gewiss auch, wo er anwendbar ist, mehr oder weniger durch die anderen hindurchzieht: es wird irgendeine große Wahrheit oder geschichtliche Tatsache in bezug auf Christum oder den Überrest, oder auch auf beide, in den Vordergrund gestellt, und dann folgt eine Reihe von Psalmen, die die Gefühle und Empfindungen des Überrestes in Verbindung mit jener Wahrheit oder Tatsache zum Ausdruck bringen. Nach diesem Grundsatz kann das erste Buch in verschiedene Teile eingeteilt werden. Die ersten acht Psalmen bilden ein Ganzes, als Einführung in die ganze Sammlung der Psalmen. Diese acht Psalmen können wieder eingeteilt werden: in die beiden ersten, die in besonderer Weise die Grundlage bilden von allem, was dann in den Psalmen 3 – 7 gelehrt oder ausgedrückt wird, und in den achten. Psalm 9 und Psalm 10  bilden die Grundlage für die folgenden bis einschließlich Psalm 15, sie teilen nicht die großen Grundsätze mit, die der ganzen Geschichte Israels in den letzten Tagen zugrunde liegen, sondern den geschichtlichen Zustand des Überrestes in den letzten Tagen. Die Psalmen 11–15 entfalten die verschiedenen Gedanken und Gefühle, die durch den genannten Zustand des frommen Überrestes und durch die Umstände, in denen sich dieser befindet, hervorgerufen werden. – Die Psalmen 16–24 stellen uns das förmliche Eintreten des Messias in die Umstände des Überrestes vor, die Zeugnisse Gottes, die Leiden des Messias und die schließliche Offenbarung Seiner Herrlichkeit, wenn Er bei Seiner Wiederkunft als Jehova anerkannt werden wird. Man findet auch den Überrest in dieser Abteilung (so in Ps. 17, Ps. 20 und Ps. 23); doch der Hauptgegenstand ist (mit Ausnahme von Psalm 19, der von der Schöpfung und dem Gesetz Zeugnis gibt) der Messias. – Die Psalmen 25–39 stellen uns die verschiedenen Gefühle des Überrestes unter diesen Umständen vor. – Das ganze Buch schließt und ist vollständig mit der Darstellung der wahren Quelle des Erscheinens des Messias, nach den Ratschlüssen und Plänen Gottes, sowie des Platzes, den Er in Niedrigkeit einnahm, und der Segnung Dessen, der mit göttlichem Verständnis den Zustand Seiner Erniedrigung zu unterscheiden und in denselben einzutreten wusste, sowie in den des gerechten Überrestes, der mit Ihm verbunden war. Denn der Überrest war in der Tat mit Ihm verbunden, und diesen Umstand stellen die Psalmen in besonderer Weise ans Licht.

Es ist von außerordentlicher Wichtigkeit, dass wir in einigen Psalmen den Messias persönlich vor uns sehen; aber es ist auch wichtig, dass die sittlichen Züge, die die Schönheit und Herrlichkeit Seines Charakters in Gottes Augen bilden, und der anziehende Gegenstand, den zu segnen, Gottes Wonne ist, von uns erkannt werden, damit wir uns einerseits in ihnen erfreuen und andererseits die unauflösliche innere Verbindung zwischen Christo und dem Überrest erkennen. Diese innere Verbindung und ihre Darstellung in Christo wird uns im Anfang der Bergpredigt sehr deutlich vor Augen geführt. Dort werden diejenigen glückselig gepriesen, die gewisse sittliche Züge und Eigenschaften aufweisen. Diese Züge kennzeichnen den Überrest; doch, genau betrachtet, wird man eine Beschreibung von Christo Selbst darin finden. Daher kommt es auch, dass wir Ihn und den Überrest in manchen Psalmen so miteinander vermischt finden, während andere, wie bereits gesagt, die große Segensgrundlage in Ihm Selbst klar hervorheben. Dies wird uns auch helfen, den Unterschied zwischen der Verbindung Christi mit dem Überrest Israels und Seiner Verbindung mit der Versammlung zu verstehen. Die letztere beginnt erst nach Vollendung des Erlösungswerkes und nachdem Christus bereits in den Himmel erhöht ist. Durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist sind die Gläubigen jetzt mit Christo droben verbunden, und ihre Erfahrungen als Christen fließen aus ihrer Stellung hervor: sie sind verbunden mit Christo infolge der vollbrachten Erlösung und befinden sich darum im Kampf mit der Welt. Bevor sie die Erlösung wirklich kennen, ja gerade aus diesem Grunde, können Gläubige auch jetzt Erfahrungen machen, die denen ähnlich sind, die wir in den Psalmen finden, und können darum auch großen Trost aus ihnen schöpfen; aber ihr wahrer Platz als Christen besteht in ihrer Vereinigung mit Christo 1.

Die Verbindung des Herrn mit den Heiligen des Überrestes ist anderer Art. Sie gehen durch ihre Trübsale, bevor sie die Erlösung oder die kraftvolle Anwendung derselben auf sich kennen gelernt haben. Ihre Erfahrungen sind nicht die Frucht des Einsseins mit Christo 2.

Christus hat denselben Pfad in der Gnade gegen sie betreten. Nicht dass sie mit Ihm vereinigt gewesen wären, Er war allein, aber Er war bedrängt in ihrer Bedrängnis und in ihrer Unterdrückung von Seiten der Welt. Der Tod lag vor Ihm, in Gnade ist Er, wie wir bereits sahen, eingetreten in die Folgen des Strafgerichts Gottes über sie. Diese Folgen gaben sich in dem Zustand kund, in dem sich Israel befand. In all den Leiden, die die Heiligen des Überrestes in den letzten Tagen erdulden werden, sei es von Seiten des gottlosen Israel, sei es unter dem Druck der Nationen, vereinigt Er Sich mit ihnen prophetisch durch Seinen Geist und gibt durch Denselben ihren Gefühlen auf ihrem Wege den rechten Ausdruck, bis sie dahin kommen, das Erlösungswerk zu verstehen.

Dies macht die Sprache und den Sinn der Psalmen klar und verständlich. Das Wort: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, hat der Herr auf dem Kreuze ausgerufen, als Er das Versöhnungswerk, die Frucht der Gnade, vollbrachte. Das Gericht über Israel wurde auf diese Weise zurückgehalten, und der Heilige Geist nahm in Apostelgeschichte 3, 17 in gesegneter Weise diesen Ruf des Herrn wieder auf, als Er durch den Mund des Petrus den Juden (als den Kindern der Propheten und dem Volke, in dem die Nationen gesegnet werden sollten) die Rückkehr Jesu verhieß, falls sie Buße tun würden. Diese Gnade blieb damals ohne Wirkung; aber in den letzten Tagen werden alle Früchte des Kreuzes und dieser auf Erden geschehenen Fürbitte Jesu auch auf der Erde in Erfüllung gehen, wenn sie Buße getan und Den angeschaut haben werden, den sie durchstochen haben.

Doch ist diese Fürbitte, wie auch ihre endliche Erfüllung, auf das Versöhnungswerk gegründet, das zwischen Christo und Gott allein vollbracht wurde, und das die Gnade zur Grundlage hat und Gnade bringen wird. Es steht nicht in Verbindung mit Seinen Leiden von Seiten der Menschen; diese Leiden werden im Gegenteil Gericht über die Menschen, Seine Widersacher, bringen. Die Psalmen reden beständig von diesem Gericht, der Folge der Bosheit der Menschen gegen Christum, sowie von dem Wunsche des Überrestes, dass es kommen möge; in den Evangelien dagegen wird nirgendwo ein solcher Wunsch durch Christum ausgedrückt. Wohl spricht Er prophetische Wehe über diejenigen aus, die die Seelen hinderten, zu Ihm zu kommen; aber das war Liebe zu diesen Seelen. Ein Verlangen nach Gericht wird nirgendwo gefunden. Andererseits begegnet man in den Psalmen nie einer Stelle wie: „Vater, vergib ihnen“, obschon die Frucht der Gnade, nach der eigenen Rettung Christi von den Hörnern der Büffel (Ps 22, 21), in der rührendsten Weise entwickelt wird. Das Evangelium ist die gute Botschaft von der Tatsache, dass der Sohn Gottes die Welt und das Volk Israel in Liebe besucht hat. In der Menschwerdung betrat Christus allein diesen Weg der Liebe zu allen: „Gott war in Christo, die Welt mit sich selbst versöhnend.“ Nichts anderes wurde und konnte damals offenbart und entfaltet werden. Es war das, was Er persönlich in der Welt war. Aber der Überrest des Volkes Gottes muss durch Leiden gehen, und das einzig mögliche Mittel zu seiner Rettung ist die Vernichtung seiner Feinde. Wir werden mitten aus unseren Leiden heraus dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft; wir haben nicht nötig, zu unserer Befreiung die Vernichtung unserer Feinde herbeizuwünschen; im Evangelium haben wir es mit der Gnade zu tun, mit einem himmlischen Christus, der nicht mehr durch Leiden geht, und mit der Herrlichkeit.

Wir können daher verstehen, weshalb der Überrest Israels die Ausführung des Gerichts über seine Feinde herabruft; er steht nicht wie wir in Verbindung mit dieser himmlischen, unumschränkten, überströmenden Gnade, die uns unseren Platz mit Christo gibt, völlig außerhalb der Welt. Wir sind nicht von der Welt, gleichwie Er, der vor Grundlegung der Welt Geliebte, nicht von der Welt war; aber die Gläubigen des Überrestes haben es mit der Regierung dieser Welt zu tun. Ohne Zweifel sind sie selbst Gegenstände der Gnade, und zwar einer unvermischten Gnade, denn sie haben die Verheißungen in Christo, die ihnen um der Wahrheit Gottes willen angeboten wurden (Röm 15, 8), verworfen und sind eingeschlossen worden in den Unglauben, auf dass sie Gegenstände der Gnade werden möchten (Röm 11, 32); doch sind sie die Nation, in der die Regierung dieser Welt ihren Mittelpunkt findet und hinsichtlich derer diese Regierung überhaupt entfaltet wird. Deshalb erwarten sie das Gericht und die Offenbarung der gerechten Ausübung dieser Regierung, das Hinwegtun der Unterdrücker und der Gottlosen. Daher hat auch Christus (der in ihre Leiden eingetreten ist und im Geist in dieselben eintreten wird, der aber Selbst hinweggetan wurde, anstatt Seine Feinde hinweggetan zu sehen, indem Er ein besseres und herrlicheres Werk vollbrachte) damals nicht für die Welt gebeten, sondern für die Seinigen, und zwar, dass sie bei Ihm sein möchten, da wo Er ist. Das 17. Kapitel des Evangeliums Johannes (Joh 17) zeigt den förmlichen Gegensatz der beiden Systeme. Christus wollte nicht Feuer vom Himmel fallen lassen, Er wollte nicht das gerechte Gericht ausüben. In der Bergpredigt (Mt 5, 25) wird allerdings angedeutet, dass Er mit Israel „auf dem Wege“ (zum Richter) war, wie auch Johannes sagt, dass „die Welt ihn nicht erkannt habe“ (1. Joh 3, 1). Nichtsdestoweniger ist es der Pfad des Christen, Gutes zu tun und um deswillen zu leiden, und zwar geduldig zu leiden, wie Christus es getan hat.

Daher konnte Christus, während Er durch die Leiden ging, nur in prophetischem Sinne mit den Wünschen und dem Verlangen nach Gericht verbunden sein; diese werden ihren richtigen Platz haben, wenn die Zeit der öffentlichen Regierung Gottes in dieser Welt und die Zeit des Gerichts gekommen ist. Schon in Psalm 2 sehen wir Ihn in dieser Stellung, und alle Psalmen deuten darauf hin. Somit geht der leidende Überrest, wenn Er nach Gericht ruft, bis auf Ihn zurück, der, obschon Er nie um Seiner Selbst willen das Gericht herbeiwünschte, gelitten hat und für diese Heiligen das Gericht begehren und ausführen wird, da Er Selbst die Mitte jenes Mittelpunktes der irdischen Regierung Gottes ist. Er wird durch den Geist der Prophezeiung in denselben Umständen gesehen wie der Überrest, und deshalb ertönt der Ruf nach Gericht. Aber man wird immer finden, dass da, wo dies der Fall ist, neben dem Herrn Selbst auch der Überrest, andere Menschen, vorhanden sind.

Dem Grundsatz nach kann jeder leidende Jude so sprechen; nur erheben sie da Christus mehr als alle gelitten hat, in den Psalmen, in denen das Verlangen nach Rache vorkommt, die Ausdrücke zuweilen bis zu den Umständen, die ihre buchstäbliche Verwirklichung in Ihm fanden, als Er hienieden litt. Aber der Ausgangspunkt des Gefühls, das ausgedrückt, und alles dessen, was in Verbindung damit gesagt wird, ist das Herz eines jeden frommen Juden in den letzten Tagen, wer er auch sei. Christus ist in diese Stellung eingetreten; aber die eigentliche oder ausschließlich persönliche Anwendung einer Stelle auf Ihn ist nur dann richtig, wenn dies durch die Umstände und die Ausdrücke der Stelle bewiesen wird. Der eigentliche Ausgangspunkt sind immer der Überrest und sein Zustand. Christus ist nur in den Gedanken des Geistes der Prophezeiung mit demselben verbunden, obschon Er tatsächlich in weit tiefere Leiden hinabgestiegen ist, als jener es je tun wird. Daraus geht hervor, wie außerordentlich wichtig es ist, vor allem anderen die Stellung und die notwendig daraus hervorgehenden Gedanken des Überrestes in den Psalmen zu erfassen.

Christus ist mit den Heiligen des Überrestes und ihrer Stellung nur in Gnade verbunden, obschon Er überall, wo Er hervortritt, den Mittelpunkt bilden und die erste Stelle einnehmen muss. Halten wir dies nicht fest, so gibt es durchaus keine Möglichkeit, die Psalmen zu verstehen. Jede Auslegung, die diesen Grundsatz oder diese Wahrheit nicht zu ihrem Ausgangspunkt nimmt, ist von vornherein falsch. Sobald wir den Boden der Prophezeiung und der Ordnung, wie sie durch die Regierung Gottes geschaffen wird, betreten, selbst im Neuen Testament, begegnen wir sofort denselben Bitten um Rache. Es ist Gericht und nicht Gnade. Die Seelen unter dem Altar in Offenbarung 6 begehren, dass ihr Blut gerichtet und gerächt werde; und die heiligen Apostel und Propheten werden aufgefordert, sich über die Zerstörung Babylons zu freuen.

Dieser wichtige Grundsatz muss also festgehalten werden, dass jeder Psalm, in dem der göttliche Überrest einen Teil haben kann, das heißt, wo die Person Christi nicht der unmittelbare Gegenstand ist (denn wir haben gesehen, dass einige Psalmen (z.B. Ps 2, Ps 102 und andere von Christo persönlich reden), weder ganz hoch hauptsächlich auf Christum angewandt werden darf. Ein solcher Psalm beschäftigt sich vielmehr mit dem Zustand des Überrestes und spricht von diesem; und die Grundsätze, nach denen Gott mit den Heiligen des Überrestes durch Christum handelt, werden oft vorgestellt als das große Vorbild der Schmerzen des leidenden Gerechten. Ein solcher Psalm kann daher in den Umständen, auf die er sich bezieht, sich bis zu der Höhe der Psalmen erheben, in denen buchstäblich die Umstände dargestellt sind, durch die Christus Selbst ging, um so zu zeigen, in welcher Weise Er in die äußere Lage der Heiligen eingetreten ist. Dies letztere mag dann der augenscheinlich wichtigste Teil des Psalms sein, aber das ändert nichts an dem Grundsatz. Es mag auch Psalmen geben, in denen der Überrest, als Gegenstand der schließlichen Segnungen, mit Christo zusammen eingeführt wird, während ein besonderer Teil offenbar nur auf Christum anwendbar ist, der allein diese Segnungen herbeiführt.

Psalm 22 hat einen besonderen und bestimmt ausgeprägten Charakter, weil hier Christus, während Er von Leiden spricht, die Ihm und dem Überrest (wenn auch nicht dem Grade, so doch der Art nach) gemeinsam sind, doch, indem Er Sich bereits in diesen Leiden befindet, zu dem übergeht, worin Er ganz allein stand. Tatsächlich ist der eigentliche Gegenstand dieses Psalms der, den Gegensatz dieser beiden Arten von Leiden hervorzuheben. Die Gerechten sind durch Leiden gegangen, der Überrest wird es auch tun. Doch die Gerechten wurden gerettet, als sie zu Gott schrieen; der Überrest wird gleichfalls gerettet werden. Aber Christus, der in dem tiefsten Leiden vollkommen war, wurde nicht gerettet, so dass Er hier wirklich allein ist, obschon, um den Gegensatz dieses Leidens zu anderen Leiden, in denen die Heiligen sein können und gewesen sind, zu zeigen, diese letztere von Leiden erwähnt wird.

Ich berührte schon die Tatsache, dass in den Psalmen, welche die Leiden des Gerechten von Seiten der Menschen zum Ausdruck bringen, der Redende immer um Rache schreit, während Christus in Seinem Leben – wie die Evangelien es uns mitteilen, d. h. der Wahrheit gemäß als persönlich in die Welt gekommen und als Zeuge in der Welt alleinstehend – dieses niemals tut, vielmehr bittet Er am Kreuze um das Gegenteil, und während Seines Lebens verbietet Er den Jüngern, sich zu rächen, indem Er ihnen vorwirft, dass sie nicht wüssten, wes Geistes sie seien. Diese wichtige Tatsache hat offenbar den größten Einfluss auf unser Urteil, inwieweit und in welcher Weise wir den lebenden, geschichtlichen Christus in den Psalmen als unmittelbaren Gegenstand finden.

Wenden wir uns jetzt zu den Einzelheiten.

Der aufmerksame Leser wird wahrnehmen, dass in der bereits besprochenen Ordnung der Psalmen des ersten Buches ein Grundsatz (auf den ich ebenfalls schon hingewiesen habe) deutlich an den Tag tritt, nämlich, dass gewisse Psalmen, die irgendwelche Hauptgrundsätze oder -tatsachen enthalten, vorangestellt sind, worauf dann eine Reihe von Psalmen folgt, in denen die durch die ersten hervorgerufenen Gedanken und Gefühle des Überrestes zum Ausdruck kommen. So folgen auf die Psalmen 1 und 2 die Psalmen 3 – 7, welche den Zustand der Dinge schildern, so wie dieser sich dem Psalmisten in Verbindung mit den Psalmen 1 und 2 darstellt, indem Christus verworfen ist. Psalm 8)enthält dann das Endergebnis und zeigt eine gewaltige Veränderung in der Stellung Christi, gemäß den Ratschlüssen Gottes, er bildet die Grundlage von allem folgenden. Auf diesen Psalm wird in Johannes 1 Bezug genommen im Gegensatz zu den Worten des Nathanael, die sich auf Psalm 2 beziehen, ebenso in Lukas 9 und ähnlichen Stellen. Dann wird er in Epheser 1, 10 und 1. Korinther 15, 27 angeführt und schließlich in Hebräer 2 weiter entwickelt. Auch am Ende des Evangeliums Johannes finden wir die drei Titel Christi, auf die diese Psalmen gegründet sind. Gott rechtfertigt Seinen verworfenen Sohn, indem Er Ihm Zeugnis gibt: Christus erweckt Lazarus auf, und der Sohn Gottes wird dadurch verherrlicht; Er reitet nach Jerusalem hinein als der König Israels; dann kommen die Griechen, und Er sagt: „Die Stunde ist gekommen, dass der Sohn des Menschen verherrlicht werde“; aber um diesen letzten Platz einzunehmen, musste Er leiden und sterben. In Kapitel 13 (Joh 13) beginnt Er demnach Seinen himmlischen Platz einzunehmen.

Die Psalmen 9 und 10 zeigen den Stand der Dinge in den letzten Tagen; die Psalmen 11–15 die verschiedenen Gefühle des Überrestes, die damit in Verbindung stehen. Die Psalmen 16–24 stellen uns dann Christum und das ganze Zeugnis Gottes vor Augen, sowie Christum auf dem Kreuze oder die Versöhnung, während die Psalmen 25 – 39 wiederum die hieraus hervorfließenden Gefühle schildern. In Psalm 25 findet sich zum erstenmal die Anerkennung von Sünden. Vorher ist wohl von Trübsalen und Rettung die Rede, aber Sünden konnten nur bekannt werden im Blick auf die Versöhnung und auf diese bauend, nachdem Gott Unterweisung darüber gegeben hatte. So wird es in Wirklichkeit geschichtlich mit Israel in den letzten Tagen sein, obschon dies hier nicht erwähnt wird.

Indem ich jetzt zu der Betrachtung der Psalmen des ersten Buches im einzelnen übergehe, wolle der Herr mir helfen, das meinen Lesern wiedergeben zu können, was Er in Seiner Gnade mir darreicht!

Fußnoten

  • 1 Daher kommt es auch, dass in dem Briefe an die Römer von Erfahrungen die Rede ist, weil da der Prozess vorgestellt wird, den die Seele durchmacht, um zur Freiheit zu gelangen; während wir in dem Briefe an die Epheser keine Erfahrungen finden, weil der Mensch darin zunächst als tot in Sünden und dann als vereinigt mit dem zur Rechten Gottes erhöhten Christus gesehen wird. Der Brief an die Philipper beschäftigt sich fast ausschließlich mit der eigentlich christlichen Erfahrung.
  • 2 Das Einssein mit Christo gehört nur der Stellung der Versammlung an und ist die Folge der Taufe des Heiligen Geistes. In einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden (1. Kor 12,13). Wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit Ihm (1. Kor 6,17). Die Schrift schreibt das Einssein nicht einfach dem Besitz des Lebens zu (vgl. Joh 14,20).
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel