Betrachtung über das Buch der Richter (Synopsis)
Kapitel 1-2
Zur Zeit des Ablebens Josuas verließen die Kraft und die Gegenwart Gottes Israel nicht. Das war immer da zu finden, wo Glaube vorhanden war, um davon Gebrauch zu machen. Dies ist die erste Wahrheit, die dieses Buch darstellt. Es ist das, was Paulus zu den Philippern sagte: „Daher, meine Geliebten, gleichwie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirkt eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern, denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken.“
Diese Anwesenheit Gottes, die zum Segen bei ihnen ist, gibt sich dem Glauben zu erkennen, einmal durch einen Sieg über sehr starke Feinde (Ri 1, 1–7); ein andermal durch das Erlangen eines besonderen Segens: „Wasserquellen“ (V. 13–15), und in allen Einzelheiten ihrer Verwirklichung der Verheißungen. Sogar die Philister wurden vertrieben (V. 18). Gleichzeitig aber versagte der Glaube Judas und Simeons, Ephraims und Manasses und aller Stämme, und infolgedessen versagte auch ihre Lebenskraft, ihr Bewusstsein von dem Wert der Gegenwart Gottes, und dass sie Ihm geweiht waren, und sie merkten auch nicht das unter ihren Gegnern bestehende Böse; wenn sie es gemerkt hätten, würde das deren Anwesenheit in ihrer Mitte unerträglich gemacht haben.
Welche Verunehrung Gottes, welche Sünde, solche Personen zu verschonen, zu dulden! Welche Treulosigkeit Gott gegenüber war diese Gleichgültigkeit, und was für eine unfehlbare Quelle des Bösen und der Verderbtheit in Israel! Sie aber empfanden das alles nicht. Es mangelte ihnen sowohl an geistlichem Unterscheidungsvermögen als auch an Glauben, und die Quellen des Bösen und des Elends wohnten neben dem Volk, und zwar im Land Gottes und Israels.
Wehe! wenn der Zustand des Volkes solcherart war und wenn sie damit zufrieden waren, so kam eine Züchtigung wie zu Ai nicht mehr in Frage. Aber der Engel des HERRN (die wirksame Kraft Gottes inmitten des Volkes) verlässt Gilgal (jene geistliche Beschneidung des Herzens, die dem Sieg vorausgeht und die Seele von neuem passend stimmt, damit wir im Kampf überwinden können) und kommt herauf nach Bochim, zu dem Ort der Tränen, in die Mitte des Volkes und erklärt, er würde den Feind, den Israel verschont hat, nicht mehr vor ihnen vertreiben.
Somit war Gott in Gilgal gewesen! Welch ein Segen inmitten jener Seelenübungen und inneren Kämpfe des Herzens, in denen wahre praktische Beschneidung ausgeführt wird, wobei die Quelle und der Einfluss der Sünde verspürt werden, um sie vor Gott zu richten, damit, indem das Fleisch gerichtet wird, wir die Kraft Gottes im Kampf (und auch in Gemeinschaft) genießen möchten, die Er dem Fleisch und der Sünde nicht gewähren kann.
Dieses innere Töten ist kein Werk äußerer Herrlichkeit; es wird nicht gesehen, und in den Augen der Menschen ist es gering und erbärmlich; es macht uns gering in unseren eigenen Augen, Gott aber und seine Gnade groß, und es verbindet das Herz mit Ihm, und gibt uns das sittliche Bewusstsein von seiner Gegenwart. Nicht als ob wir zu stark wären, im Gegenteil, es besteht das Bewusstsein völliger Abhängigkeit (vgl. 2. Kor 12), jedoch einer Abhängigkeit von göttlicher Kraft, die in Wirklichkeit alles verrichtet, was es zu tun gibt, obwohl Gott es durch Werkzeuge tun mag, wenn es gut ist in seinen Augen, und dann tritt die Verantwortung des Menschen hervor. Zu Jericho tat Gott alles ohne die Menschen, um zu zeigen, wer der Vollbringer ist – und dann war zu Ai die Verantwortlichkeit. Die Kraft wurde nicht zu Gilgal gezeigt. Sie wurde auf den Bergen bei Gibeon gegen die Amoriter erwiesen; sie wurde aber zu Gilgal gesammelt. Historisch trat nicht in Erscheinung, dass die Kraft Gottes in Gilgal war. Das kundzutun hätte das eigentliche Werk Gilgals vernichtet: das Gericht in Demut wegen Gott – das Gericht über alles, worin das Fleisch wirkt. Doch als sie Gilgal verlassen hatten, wurde entdeckt, dass der Engel des HERRN dort gewesen war. Statt dessen sind es jetzt Tränen. Diese Tränen werden aber wegen verlorener Segnungen vergossen. Gott kann zu Bochim angebetet werden. Seine Beziehung zum Volke ist unverändert geblieben. Er nimmt diese Tränen an. Aber welcher Unterschied! Die Kraft und das Licht des Angesichts Gottes sind nicht dort. Doch für den Glauben ist Er immer Derselbe, um auf Ihn zu rechnen wie da, wo das Meer vor seinem Angesicht floh und der Jordan sich zurückwandte. Die Traurigkeit der Lage wird empfunden, wird jedoch gehindert durch das Wissen, dass seine Gnade nicht versagen kann und wird (siehe Ri 6, 13. 14). Dieser Wechsel von Gilgal nach Bochim ist der Schlüssel zu diesem Buch; es ist leider nur zu oft so mit dem Zustand der Kinder Gottes.
Nachdem der Heilige Geist diese allgemeinen Grundlagen festgestellt hat, geht Er zur historischen Entwicklung der Stellung Israels über.
Alle die Tage Josuas und der Ältesten, die ihn überlebten, wandelte Israel vor dem HERRN, es ist die Geschichte der Versammlung. Während die Apostel da waren, wurde sie bewahrt; aber sowohl Paulus (Apg 20, 29) als auch Petrus (2. Pet 2) warnten die Heiligen, dass Untreue und Widerspenstigkeit in unglückseliger Weise nach ihrem Ableben folgen würden. Diese bösen Grundsätze waren schon da. Die Untermischung von Ungläubigen (das Werk des Feindes) würde zu dem Mittel werden, durch das das Böse sich entfalten und unter ihnen fußfassen würde.
Der Herr hatte davon geredet (Mt 13), eigentlich nicht in Bezug auf die Versammlung, sondern den guten Samen, den Er gesät hatte, und Judas 1 entfaltet dessen Fortschritt und die Ergebnisse mit ernster Deutlichkeit und Genauigkeit.
Als aber ein anderes Geschlecht in Israel aufkam, das der HERR nicht kannte und all die großen Werke seiner Hand nicht gesehen hatte, und als sie den Göttern der Völker dienten, die Israel verschont hatte, schützt sie Gott nicht mehr. Treulos drinnen, fällt Israel in die Hände des Feindes draußen. Und dann, wie wir gesehen haben, wurde der HERR in ihrer Bedrängnis vom Mitleid bewegt und erweckte ihnen Richter, die seinen Namen anerkannten und die Erweisung seiner Macht wieder in ihre Mitte brachten.