Der zweite Brief an die Korinther
Kapitel 7
„Da wir nun diese Verheißungen haben, Geliebte, so lasst uns, uns selbst reinigen von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes und die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes“ (Vers 1). Unsere Verwandtschaft mit Gott erfordert eine völlige Absonderung von allem Unreinen, Sündlichen, Schlechten, fordert nicht nur Reinheit in Bezug auf unsern äußerlichen Wandel, sondern auch unseres Geistes, unseres Seelenlebens, ja unserer innersten Gedanken. Vollkommene Heiligkeit wird freilich erst dann vorhanden sein, wenn kein Fleisch mehr da ist; aber hier werden wir ermahnt, nach unserer Erkenntnis in vollkommener Heiligkeit zu wandeln, weil dann auch unser Gewissen praktischer Weise vor Gott stets vollkommen sein wird. Wir werden immer Eigenliebe finden, sobald wir uns mit Jesus vergleichen; und wenn unsere Herzen nicht in der Gegenwart Gottes sind, werden wir nicht einmal darüber beschämt sein, obgleich wir es sehen. Sobald wir uns aber im Geist in Seiner Gegenwart befinden und verstehen, was diese Gegenwart ist, so werden wir uns mit Eifer bemühen, sowohl unsern äußerlichen Wandel als auch unsere innersten Gedanken Seiner Heiligkeit gleichförmig zu machen, oder mit andern Worten, „unsere Heiligkeit in der Furcht Gottes zu vollenden.“ „Ihr sollt mir heilig sein, denn ich bin heilig, ich, der HERR“ (3. Mose 20, 26, 1. Petrus 1, 16). Und je mehr dies verwirklicht wird, desto mehr wird Seine Gegenwart gefühlt, Seine Verwandtschaft mit uns genossen, Seine Gnade erkannt, desto mehr werden alle Seine gesegneten Führungen mit uns verstanden und gepriesen werden. Welch ein Vorrecht, dieses innige, gesegnete Verhältnis mit „dem Herrn, dem Allmächtigen“ zu verwirklichen inmitten einer abtrünnigen Welt!
Der Apostel kehrt jetzt zu seiner eigenen Verwandtschaft mit den Korinthern zurück. Sie waren das Werk seines Dienstes, dessen Quelle, Charakter und Tragweite er in den vorhergehenden Kapiteln dargelegt hatte. Durch diesen Dienst hatte sich durch die Macht des Heiligen Geistes zwischen Paulus und den Korinthern ein inniges Band der Liebe gebildet; und wenn es sich auch für eine Zeit durch die Einflüsse falscher Lehrer gelockert hatte, so war es doch jetzt wieder erneuert, und der Apostel bemühte sich, es noch mehr zu befestigen. „Nehmt uns auf“, d. h. in euren Herzen; „wir haben niemandem unrecht getan“, haben uns durch keine eigenmächtige Handlung eurer Zuneigung unwürdig gemacht; „wir haben niemanden verderbt“, durch falsche Lehre; „wir haben niemanden übervorteilt“, weil wir nicht das Unsrige unter euch gesucht haben (Vers 2). Und damit die Korinther nicht denken möchten, dass er aus Misstrauen gegen sie so rede, fügt er hinzu: „Nicht zur Verurteilung rede ich, denn ich habe vorhin gesagt, dass ihr in unsern Herzen seid, um mit zu sterben und mit zu leben“ (Vers 3). Er fühlt sich so innig mit ihnen verbunden, dass er alles mit ihnen teilen will: Leben und Tod. Ihr Schmerz ist der seinige, und ihre Freude die seinige, und zwar so völlig, dass er seinen eigenen Kummer ganz darüber vergisst. „Groß ist meine Freimütigkeit gegen euch, groß mein Rühmen eurethalben, ich bin mit Trost erfüllt, ich bin ganz überströmend in der Freude bei all unserer Drangsal“ (Vers 4). Welch eine Liebe ohne Selbstsucht! Inmitten der mannigfachen Trübsale, in denen der Apostel selbst augenblicklich stand, freut er sich mit überströmender Freude, sobald er die gute Botschaft von dem veränderten Zustand der Korinther hört. Er verstand es in Wahrheit, „sich zu freuen mit den sich Freuenden und zu weinen mit den Weinenden“ (Röm 12, 15). Er entfaltet hier nicht die Grundsätze des Dienstes, sondern die Gefühle eines Dieners Gottes. Er öffnet den Korinthern aufs Neue sein Herz und teilt ihnen mit, was er ihretwegen in Mazedonien gefühlt habe. Wir wissen, dass er dorthin gekommen war, nachdem er Troas verlassen hatte, weil er Titus, den er mit Nachricht aus Korinth über die Wirkung seines ersten Briefes erwartete, daselbst nicht fand. Aber „auch als wir nach Mazedonien kamen“, sagt er, „hatte unser Fleisch keine Ruhe, sondern allenthalben waren wir bedrängt, von außen Kämpfe“, vielleicht waren auch dort Zwistigkeiten ausgebrochen, „von innen Befürchtungen“ (Vers 5), weil er nicht wusste, welch einen Erfolg sein erster Brief in Korinth gehabt hatte. Nichts, weder die offene Tür in Troas, noch die Trübsale in Mazedonien, konnten seinen Kummer bezüglich der Versammlung wegnehmen. „Der aber die Niedrigen tröstet, Gott, tröstete uns durch die Ankunft des Titus“ (Vers 6). In diesen wenigen Worten liegt eine köstliche Wahrheit. Gott tröstet die Niedergebeugten. Es ist dies eine Seiner Wesenheiten, und nur Er vermag auf die rechte Weise zu trösten. Paulus wurde aber nicht allein durch die Ankunft des Titus getröstet, den er so sehnlichst erwartet hatte, „sondern auch“, fügt er hinzu, „durch den Trost, womit er (Titus) eurethalben getröstet wurde, als er uns kundtat eure Sehnsucht, euer Wehklagen, euern Eifer für mich, so dass ich mich um so mehr freute“ (Vers 7). Der Trost des Titus, verbunden mit dem gesegneten Erfolg, den sein erster Brief in den Herzen der Korinther hervorgebracht hatte, macht seine Freude noch überschwänglicher. Durch die Wirkung des Heiligen Geistes waren die echten Früchte hervorgebracht, und so konnte Paulus sich jetzt mit seiner ganzen zärtlichen Zuneigung zu ihnen wenden, um alle die Wunden zu heilen, die sein erster Brief in ihren Herzen geschlagen hatte. Und wie schön ist es, hier zu sehen, wie Pflicht und Liebe in dem Herzen dieses treuen und tief fühlenden Dieners Gottes gekämpft hatten! Auf der einen Seite war er wegen des Zustandes der Korinther gezwungen, mit Ernst und Strenge an sie zu schreiben, auf der andern Seite war er mit der innigsten Liebe und Zuneigung für sie erfüllt; und diese Liebe hatte ihn, wenn auch nur für einen Augenblick, so sehr hingenommen, dass er sogar wegen des ihnen dadurch bereiteten Schmerzes bereute, jenen Brief geschrieben zu haben. Er befürchtete, dass ihre Herzen noch mehr möchten abgewandt worden sein. Jetzt aber, da er den gesegneten Erfolg desselben gesehen hatte, reute es ihn nicht mehr. „Denn wenn ich euch“, sagt er, „durch den Brief betrübt habe, so reut es mich nicht, wenn es mich auch gereut hat, denn ich sehe, dass jener Brief, wenn auch nur für eine kurze Zeit, euch betrübt hat. Nun freue ich mich, nicht dass ihr betrübt worden, sondern dass ihr zur Buße betrübt worden seid, denn ihr seid Gott gemäß betrübt worden, damit ihr in nichts von uns Schaden erlittet“ (Verse 8–9). In welch einer Schönheit wird durch dieses Wort das Herz des Apostels vor unsern Blicken enthüllt! Welch eine tiefe und zärtliche Liebe für die Korinther, deren Herzen doch so enge für ihn waren, und welch eine treue und ausdauernde Fürsorge für die Versammlung Gottes! Es könnte uns auffallen, dass es ihn, wenn auch nur für einen Augenblick, gereut hat, den ersten Brief geschrieben zu haben, da er doch in Wahrheit durch Eingebung des Heiligen Geistes geschrieben hatte; und wir sehen im 7. Kapitel desselben, wie bestimmt er die Gebote des Herrn von seinen eigenen Ratschlägen in Bezug auf das eheliche Verhältnis, Frucht seiner langjährigen, durch die Kraft und Hilfe des Geistes erlangten Erfahrungen unterscheidet. Doch müssen wir hier die Persönlichkeit des Apostels von der Inspiration unterscheiden. Der Heilige Geist hatte jenen Brief, wie alle die übrigen, eingegeben; aber Paulus zittert beim Gedanken an die Folgen desselben. Seine große Liebe für die Korinther erfüllt ihn mit Sorge und Angst, indem er befürchtet, sie, anstatt wieder nahe zu bringen, noch weiter entfernt zu haben, und somit vergisst er für einen Augenblick den Charakter seines Briefes und überlässt sich seinen Gefühlen. Der Heilige Geist selbst teilt uns diese Gefühle mit, damit wir einerseits den Unterschied sehen zwischen dem Apostel als der menschlichen Person und als dem inspirierten Schreiber, anderseits aber auch seine innige und zärtliche Liebe und Sorgfalt, sowie sein tiefgehendes Interesse für die Versammlung Gottes erfahren. Eine höchst wichtige Belehrung für uns! Die Liebe allein ist die wahre Quelle jedes Dienstes unter den Heiligen. Sie allein gibt uns jene zärtliche Fürsorge und befähigt uns, die Herzen zu gewinnen und zu leiten.
Der Apostel freut sich jetzt; sein Herz ist völlig befriedigt, weil er die gesegnete Wirkung seines Briefes sieht. Die Korinther waren Gott gemäß betrübt worden. „Denn die Betrübnis Gott gemäß bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil, die Betrübnis der Welt aber bewirkt den Tod“ (Vers 10). Was aber sind die Früchte der göttlichen Traurigkeit? Der Brief hatte vor allem großen Fleiß unter ihnen bewirkt, den ernsten Worten der Ermahnung Folge zu leisten: „sogar Verantwortung“, indem sie bewiesen, dass sie jene böse Tat nicht billigten; „sogar Furcht“ im Blick auf die ernsten Züchtigungen Gottes; „sogar Sehnsucht“, um den Apostel wieder zu sehen und ihm vollkommene Genugtuung zu geben; „sogar Eifer“ gegen die Sünde und für die Ehre Gottes, sowie für die Heiligkeit der Versammlung; „sogar Vergeltung“ oder strenge Zucht, die sie an jenem Schuldigen ausgeübt hatten. Erfüllt mit einem heiligen Eifer, verwarfen sie jede Verbindung mit der Sünde, so dass der Apostel jetzt sagen konnte: „Ihr habt euch in allem erwiesen, dass ihr an der Sache rein seid“ (Vers 11). Im folgenden Vers sehen wir, wie Paulus jetzt den Nichtschuldigen von dem Schuldigen trennt. Die Korinther hatten sich früher durch ihren nachlässigen Wandel der Sünde mitteilhaftig gemacht, indem sie das Böse in ihrer Mitte duldeten, jetzt aber, nachdem sie sich selbst gerichtet und die Sünde hinweggetan hatten, waren sie vom Bösen getrennt. Zugleich sagt Paulus, dass er durch jenen Brief nur seine Fürsorge und seinen Eifer für ihre Wohlfahrt habe an den Tag bringen wollen (Vers 12). Und die Korinther hatten diese Liebe verstanden und waren ihr durch ihr Betragen entgegengekommen. Dies erfüllte das Herz des Apostels mit überschwänglicher Freude. „Deswegen sind wir getröstet worden, viel mehr aber freuten wir uns bei unserm Trost noch überschwänglicher über die Freude Titus, weil sein Geist durch euch alle erquickt worden ist“ (Vers 13).
Am Schluss dieses Kapitels finden wir noch einen andern Beweis der Liebe des Apostels. So schlecht auch der moralische Zustand der Versammlung gewesen war, so hatte Paulus doch den Titus ermuntert, nach Korinth zu gehen, und hatte ihm versichert, dass er jedenfalls Herzen unter ihnen finden würde, die seine Zuneigung erkennen und seinen Ermahnungen Folge leisten würden. Darin war der Apostel nicht zuschanden geworden! Wie er die Wahrheit unter ihnen verkündigt hatte, so war auch das als wahr erfunden worden, was er Titus gegenüber über sie gerühmt hatte (Vers 14): „Und seine innerlichen Gefühle sind überströmender gegen euch, indem er an euer aller Gehorsam gedenkt, wie ihr ihn mit Furcht und Zittern empfangen habt“, d. h. mit tiefer Ehrerbietung, als einen Gesandten des Apostels und einen Diener des Christus. Und vertrauensvoll fügt er die ermunternden Worte hinzu: „Ich freue mich, dass ich in allem Zuversicht betreffs euer habe“ (Vers 16).