Der zweite Brief an die Korinther
Kapitel 4
Der Apostel kommt hier aufs Neue auf seinen Dienst zurück, indem er ihn mit seinen Leiden in Verbindung bringt. Der Gegenstand dieses Dienstes ist der verherrlichte Christus, der Überwinder des Todes, Dessen Herrlichkeit mit aufgedecktem Angesicht gesehen wird. Der Apostel zeigt nun in diesem Kapitel, dass der Glaube an Ihn uns auch in allen Leiden und Schwierigkeiten aufrechterhält, die mit dem irdischen Gefäß, worin dieser Schatz getragen wird, verbunden sind: wir werden aller Furcht des Todes enthoben. „Darum, weil wir diesen Dienst haben, wie wir begnadigt worden sind, ermatten wir nicht, sondern wir haben den verborgenen Dingen der Scham entsagt, indem wir nicht in Arglist wandeln, noch das Wort Gottes verfälschen, sondern durch die Offenbarung der Wahrheit uns selbst jedem Gewissen der Menschen empfehlen vor Gott“ (Verse 1–2).
Schon im dritten Kapitel unseres Briefes lesen wir, dass der Apostel den empfangenen Dienst der Gerechtigkeit und des Geistes mit Freimütigkeit erfüllte; und hier versichert er, dass er trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten nicht mutlos geworden, dass sein Glaube nicht entkräftet sei. Auch schwächte er die Herrlichkeit des Herrn Jesus nicht ab durch allerlei Schleichwege, sondern verkündigte sie in all ihrer Klarheit und ihrem Glanz, wie sie in Christus selbst offenbart war. Er verfälschte nicht die Lehre durch Vermischung mit andern Dingen, sondern offenbarte die Wahrheit des unveränderlichen Wortes Gottes in aller Reinheit. Er teilte sie ebenso lauter und unvermischt mit, wie er sie selbst empfangen hatte. Auf diese Weise empfahl er sich jedem Gewissen der Menschen im Angesicht Gottes. Dennoch gab es in Korinth Menschen, die trotz allem in ihrer Blindheit und Unwissenheit gegen des Apostels Zeugnis verharrten: „Wenn aber auch unser Evangelium verdeckt ist, so ist es in denen verdeckt, die verloren gehen, in welchen der Gott dieser Welt den Sinn der Ungläubigen verblendet hat, damit ihnen nicht ausstrahle der Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit des Christus, welcher das Bild Gottes ist“ (Verse 3–4). Die Herrlichkeit Gottes war im Angesicht des Herrn Jesus Christus völlig enthüllt. Wo nun irgend der Lichtglanz dieser Herrlichkeit, die das Evangelium verkündigte, nicht ausstrahlte, da lag eine Decke auf dem Herzen; und dies war der Fall bei denen, die durch den Betrug Satans durch Unglauben verblendet waren; denn jene Herrlichkeit war nicht allein im Angesicht des Christus völlig enthüllt, sondern wurde auch durch die lautere Verkündigung des Evangeliums von Seiten des Apostels völlig offenbart. „Denn“, sagt er, „wir predigen nicht uns selbst, sondern Christus Jesus als den Herrn, uns selbst aber als eure Knechte um Jesu willen“ (Vers 5). Der Gegenstand der Verkündigung war der Herr, während die Verkündiger selbst sich als Diener derer darstellten, denen diese Botschaft galt.
Wir sehen also die Herrlichkeit in der Person des Christus, als Folge der vollbrachten Erlösung, erfüllt: Er hat die Sünde getragen und völlig hinweggetan. Der Tod ist überwunden und der Mensch in die Gegenwart Gottes gebracht, und die Herrlichkeit Gottes wird jetzt ohne Hülle in dem Angesicht des Christus geschaut. Zugleich sehen wir diese Herrlichkeit in Verbindung mit dem Dienst, durch den sie in der Welt offenbart wird. Die Kraft dieses Dienstes ist der Heilige Geist, Der in den vom Herrn berufenen Werkzeugen wirksam ist. Er verkündigt Christus als Den, der alle Gerechtigkeit für den Menschen erfüllt hat, und ladet alle ein, die Segnungen der Gnade und Liebe Gottes zu genießen. Er verkündigt uns, dass der Weg zu Gott in vollkommener Freiheit geöffnet ist, selbst bis zum Allerheiligsten hin!
Andrerseits ist aber auch der Mensch für die Annahme dieses Evangeliums verantwortlich. Er wird dem schrecklichen Gericht nicht entrinnen, wenn er dieser Herrlichkeit widerstrebt. Welch eine Verantwortung: den einzigen Weg, zu Gott zu kommen, zu verachten! Auf jedem andern Weg, den einer einschlagen möchte, würde Christus und Sein Werk beiseite gesetzt und als unzureichend erklärt! Der hier gezeigte Weg ist der einzige, auf dem die Herrlichkeit Gottes in der Person des Herrn Jesus Christus gesehen wird, und zwar in Verbindung mit der Offenbarung der vollkommenen Liebe und der Erfüllung der vollkommenen, göttlichen Gerechtigkeit. Hier ist Gott selbst in der Fülle Seiner Gnade und in Seiner ganzen Vollkommenheit! Ein jeder, der dieses Evangelium der Herrlichkeit in sein Herz aufnimmt, tritt in das Licht Gottes und genießt den Reichtum Seiner Liebe und Gnade.
In Vers 6 wird uns ein anderer wichtiger Grundsatz offenbart. Gott selbst ist es, der das Evangelium der Herrlichkeit des Christus hervorstrahlen lässt. Es ist derselbe Gott, Der einst bei der Finsternis dieser Erde sprach: „Es werde Licht! Und es ward Licht.“ Wie dort, so auch hier, ist es das Werk Seiner Macht. „Denn der Gott, Der aus der Finsternis das Licht leuchten hieß, ist es, Der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesus Christus“ (Vers 6). Das Herz des Apostels war zuerst das Gefäß, worin Gott diese Herrlichkeit offenbarte. Durch die Macht des Heiligen Geistes gab Er ihm das Licht der Erkenntnis jener Herrlichkeit, die im Angesicht des Christus leuchtete, und befähigte ihn zugleich, diese Herrlichkeit im Evangelium vor der Welt ausstrahlen zu lassen. Der Apostel genoss zuerst für sich selbst die belebenden und erquickenden Strahlen derselben und ward dann durch den ihm anvertrauten Dienst ein Licht, welches andern diese Segnungen kundmachte. Dies ist, wenn auch in einem weit geringeren Maße als bei Paulus, das Vorrecht aller, die das Evangelium der Herrlichkeit in ihr Herz aufgenommen haben.
„Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die Überschwänglichkeit der Kraft sei Gottes und nicht aus uns“ (Vers 7). Beides, sowohl die Schwachheit der Gefäße, als auch die Überschwänglichkeit der Kraft Gottes, erweist sich in den mannigfachen Umständen und Schwierigkeiten, durch die Gott die Träger Seines Zeugnisses gehen lässt: „Allenthalben bedrängt, aber nicht eingeengt, keinen Ausweg sehend, aber nicht ohne Ausweg, verfolgt, aber nicht verlassen, niedergeworfen, aber nicht umkommend, allezeit das Sterben Jesu am Leib umhertragend, damit auch das Leben Jesu an unserm Leib offenbar werde“ (Verse 8–10). Gott hatte Wohnung genommen in dem Gefäß; Er war da, um allen alles zu sein. In diesen versuchungsreichen Umständen finden wir beides: die Schwachheit des Gefäßes und die darin wirkende Kraft des allmächtigen Gottes. Mochte auch das Gefäß zerbrechen und sich inmitten der Schwierigkeiten ohne Hilfe sehen, so war doch das Zeugnis abgelegt und die gottgewollte Wirkung hervorgebracht. Ja, je mehr der natürliche Mensch zerstört wurde, desto augenscheinlicher trat die Kraft Gottes hervor. Offenbar trug der Apostel allezeit das Sterben Jesu an seinem Leib umher. Er war mit Christus gestorben, und dies verwirklichte er in seinem praktischen Leben in all den mannigfachen Schwierigkeiten und Leiden. Stets sah man an ihm das Bild des verachteten und gekreuzigten Christus; seinem ganzen Leben war der Stempel des Kreuzes aufgedrückt, damit auch das Leben Jesu an seinem Leib offenbar werde (Vers 10), jenes Leben, das der Tod nicht anzutasten vermag und welches siegreich über den Tod triumphiert. „Denn wir, die wir leben, werden allezeit dem Tod überliefert um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu an unserm sterblichen Fleisch offenbar werde“ (Vers 11). Als Diener des Christus verwirklichte Paulus den Tod von alledem, was dem natürlichen Leben angehörte. Gott kam ihm durch die Schwierigkeiten auf seinem Lebenspfad zu Hilfe, um dieses Bewusstsein, dass er mit Christus gestorben war, stets in seinem Herzen wach zu erhalten. Der Tod war auf alles geschrieben, damit Christus, das Leben, allein gesehen wurde. O, wie gesegnet und ernst ist das Vorrecht, durch diese Welt zu wandeln und ein Brief des Christus zu sein! Wir sind berufen, den Charakter, die Wege, den Geist und die Gesinnung Dessen zu offenbaren, Der vollkommen ist. Welch eine herrliche Berufung für einen Menschen, Christus gleichförmig und das Gefäß der Macht Seiner Liebe zu werden! Wir sind aber nur dann fähig, dies alles inmitten einer abtrünnigen Welt zu offenbaren, wenn wir unser Gestorbensein mit Christus in unserm praktischen Wandel verwirklichen. Dies war beim Apostel der Fall. Er konnte zu den Korinthern sagen: „So denn wirkt der Tod in uns, das Leben aber in euch“ (Vers 12). Wenn Paulus auf sich sah, so sah er nur den Tod; aber auf Seiten Gottes war das vollkommene Leben, und dies war ihm offenbart, damit es durch seinen Dienst den Korinthern zuteil werde. Welch ein herrlicher Dienst! Welch eine gesegnete Stellung durch die Gnade: ein Gefäß zur Verherrlichung des Herrn und zum Segen für andere zu sein! Welch eine Gleichförmigkeit mit Christus!
Die Wirkung des Todes auf den Apostel in den täglichen Versuchungen schwächte nicht im Geringsten sein Vertrauen. Der in ihm wohnende Geist des Glaubens erfüllte ihn mit Trost und Zuversicht, so dass er die Worte, die der Geist des Christus durch den Psalmisten ausspricht, auf sich anwenden konnte: „Da wir aber denselben Geist des Glaubens haben, nach dem, was geschrieben steht: „Ich habe geglaubt, darum habe ich geredet“, so glauben auch wir, darum reden wir auch“ (Vers 13, Psalm 116, 10). Trotz aller Gefahr, trotz allem Widerspruch heidnischer Menschen gab er von Gott und der Wahrheit Zeugnis. Er wandelte stets in den Fußstapfen des Herrn, weil durch den Glauben ihn das Bewusstsein erfüllte, dass Der, welcher den Herrn Jesus auferweckt hatte, auch ihn durch Jesus auferwecken werde (Vers 14). Brachte ihm auch das Zeugnis für Christus selbst den Tod, so wusste er doch, dass, wenn wir mitgestorben sind, wir auch mit Ihm leben werden, und dass er mit Christus in derselben Herrlichkeit würde dargestellt werden, in welcher Er Selbst ist! Hatte er das Vorrecht, mit Christus für die Gerechtigkeit und das Werk der Liebe zu leiden, so hatte er auch das Vorrecht, mit Ihm vor dem Angesicht Gottes verherrlicht zu werden. Paulus denkt aber nicht allein an sich, sondern schließt auch zugleich seine geliebten Korinther in diese Segnung mit ein: Er wird „uns darstellen mit euch, denn alles ist um euretwillen, damit die Gnade, überreich geworden durch die Vielen, die Danksagung zur Herrlichkeit Gottes überströmen fasse“ (Vers 15). Sein Zeugnis und sein Leiden waren zu ihrem Heil; er erduldete „alles um der Auserwählten willen, damit auch sie die Seligkeit erlangen, die in Christus Jesus ist, mit ewiger Herrlichkeit“ (2. Tim 2, 10). Das Endziel aber von allem ist die Verherrlichung Gottes, die durch die Danksagung der an vielen überreich gewordenen Gnade bewirkt wird.
„Deshalb ermatten wir nicht, sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert“ (Vers 16). Der Verfall des äußeren Menschen diente zur Erneuerung und Kräftigung des inneren; der scheinbare Verlust war ein großer Gewinn. Doch gab es noch eine andere Wahrheit, die das Herz des Apostels mit Trost und Zuversicht erfüllte. „Denn das schnell vorübergehende Leichte unserer Drangsal bewirkt uns ein über die Maßen überschwängliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit“ (Vers 17). Blickte Paulus auf die Trübsale, wie in Kap. 1, 8, so war das Leid „über Vermögen“ schwer; war aber sein Herz auf den Herrn gerichtet, und betrachtete er die Leiden im Licht der kommenden Herrlichkeit, deren überschwängliche Größe alle menschlichen Gedanken und Gefühle weit, weit übertraf, so bezeichnete er sie als „schnell vorübergehend und leicht.“ Welch eine tröstliche Hoffnung für alle, die hienieden im Zeugnis für Christus Seiner Leiden teilhaftig werden! Alles wird leicht und gering, jede Schwierigkeit unbedeutend und nichtig, sobald die ewige Belohnung, Christus und Seine Herrlichkeit, durch den Glauben erkannt und verstanden wird! Wie nun auch die äußern Umstände sein mochten, Paulus verzagte nicht: „indem wir nicht das anschauen, was man sieht, sondern das, was man nicht sieht; denn das, was man sieht, ist zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig“ (Vers 18). Hierin liegt die wahre Kraft unseres christlichen Wandels. Der Wandel des Glaubens ist stets auf das Unsichtbare, das ewig Bleibende gerichtet. Ein solcher Wandel setzt voraus, dass die Macht des göttlichen Lebens in der Seele offenbart ist, dass die Vergänglichkeit alles Sichtbaren und die Unvergänglichkeit alles Unsichtbaren und Himmlischen erkannt worden ist.