Die Erziehung in der Schule Gottes
Abel
Abel ist der erste Gläubige, dem die Strafe der Sünde durch Geburt auferlegt war. Wir dürfen daher voraussetzen, in seinem Leben die Grundzüge jener göttlichen Zucht zu erblicken, die ein Leben solch hervorragenden Glaubens notwendigerweise aufweisen muß. Es ist jedoch ein Irrtum, welcher der Seele manchmal nicht geringe Übung bringt, wenn wir annehmen, weil irgendeine Linie der Wahrheit oder Gnade in mir stark ausgeprägt ist, daß aus diesem Grunde die Natur in mir weniger in Tätigkeit trete. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Denn je mehr der natürliche Mensch seinen Fall verspüren muß, umso mehr will er sich behaupten. Es ist gut, dies zu erkennen. Hätte der Mensch in seinem ersten Zustand auf einer tieferen Stufe gestanden, (obwohl der Sündenfall ihn nicht hätte tiefer hinabstürzen können, als dies geschehen ist), so wäre sein Bestreben und sein Eifer, den Folgen des Falles zu entgehen, nicht so anmaßend und gewalttätig gewesen. Die Tatsache, daß der Mensch im Bilde und Gleichnis Gottes geschaffen wurde, gibt der alten Natur Gelegenheit, das zu begehren, was sie eingebüßt hat. Je mehr sie gezwungen wird, die Größe des Falles aus ihrem einst hohen Zustand zu empfinden, soviel mehr ringt sie um Anerkennung und sucht sich Geltung zu verschaffen, wo sie es nur kann. Seelen, die ernstlich jede Wirksamkeit des Fleisches ausschalten wollen, entdecken daher, daß sich ihnen das Fleisch auf Schritt und Tritt entgegenstellt. Sie lernen dadurch auf praktische Weise, daß nur die, die im Fleische gelitten haben (1. Petr 4,1), mit der Sünde abgeschlossen haben; daß nur das Kreuz Christi von der Macht und Knechtschaft der verderbten Natur in der Welt befreit. Die große sittliche Wahrheit, durch die göttliche Zucht das Gestorbensein zu lernen, gewinnt dabei durch Gottes Gnade Gestalt. Wir lernen, daß wir durch den Tod Christi gestorben sind und daß wir nun vor Gott in Ihm dargestellt Sind, befreit von allem, was in Seinem Tode gerichtet werden mußte. Demzufolge will die Zucht des Vaters uns in die praktische Verwirklichung dieser unserer Stellung in Christus einführen, so daß wir nicht nur in Ihm gestorben sind, sondern uns auch tatsächlich für tot halten, was die praktische Folge ist. Die Zucht ist der Weg, diesen Zustand hervorzubringen. Die Seele, die ihre völlige Annahme bei Gott erkannt hat, als gerechtfertigt vor Ihm, lernt nun, daß sie nicht mehr von der Natur abhängig sein kann, von der sie befreit wurde und aus der sie nun herausgenommen ist. Der Apostel konnte sagen: „täglich sterbe ich', und daß er das Sterben Jesu allezeit an seinem Leibe umhertrage, auf dass auch das Leben Jesu an seinem Leben offenbar würde. Wenn unsere Annahme eine Wirklichkeit ist, wenn sie in Wahrheit eine Befreiung von unserer alten Natur bedeutet, sollten wir dann nicht sittlich und praktisch die Folge dieser Befreiung beweisen? Nein, muß es nicht sogar so sein? Da die Annahme in Gerechtigkeit völlig über und außerhalb unserer Natur liegt, so folgt daraus, daß die Natur unserem Auge entschwindet in dem Maße, wie wir die Annahme in Gerechtigkeit genießen und verwirklichen. Dies ist die einzige würdige Anerkennung unserer hohen Stellung. Können wir unseren natürlichen Zustand aufrechterhalten und uns dennoch der Befreiung von ihm rühmen? Wenn wir uns der Befreiung erfreuen, müssen wir sie dann nicht durch Verleugnung dessen beweisen, wovon wir befreit wurden?
Wenn Abel der erste Zeuge der Annahme in Gerechtigkeit ist, so werden wir auch sehen, daß er der erste Zeuge war, der, als von Gott angenommen, seines natürlichen Lebens beraubt wurde. Er war ein Zeuge sowohl der einen wie der anderen Tatsache. Wenn er von der Annahme bei Gott zeugte, zur Freude und Ruhe seines eigenen Herzens, so zeugte er durch den Tod auch davon, wie wahr und herrlich diese Annahme war, so daß er, obwohl er gestorben ist, noch redet“. Dies ist die erste Stufe der Zucht: „Haltet euch der Sünde für tot.“ Dies ist die Folge unseres Lebens in Christo. Denn, lebend in Ihm, sollten wir tot in uns selbst sein. Und die göttliche Zucht, in ihren ersten, einfachsten Unterweisungen, will uns in diese Wahrheit führen. Keinem Gläubigen bleibt es erspart, die Bedeutung des Todes zu lernen. Er mag es in dem langsamen, stetig fortdauernden Prozeß kleinerer Übungen lernen, oder auch durch einen einmaligen, überwältigenden Schlag, oder vielleicht auch durch ein letztes Krankenlager. Aber auf die eine oder andere Weise muß das Gestorbensein gelernt werden, um unsere Seelen den Gewinn der Befreiung vom Tode empfinden zu lassen. Ohne dieses kann auch kein Zeugnis da sein. Abels Geschichte liefert uns nicht viele Einzelheiten, aber sie stellt in einer nicht zu überbietenden Lebendigkeit und Eindringlichkeit die zwei großen Pole im Leben des Gläubigen ans Licht: die Annahme bei Gott und der Tod aller natürlichen Bande und Empfindungen, das erste durch den Glauben mühelos verwirklicht, das zweite nicht aus eigenem Willen, sondern durch Gewalttat, als Folge eines veränderten und gefallenen Zustandes, in einer bösen Welt dargestellt, aus welcher der Tod Befreiung bedeutete. Gott gestattete der Gewalttätigkeit Kains, die Gelegenheit zur Darstellung dieser Wahrheiten zu bieten. Gott gab dadurch Seiner Gnade, und Seiner Selbst als dem Quell dieser Gnade, Ausdruck, während Sein Knecht und Zeuge, obwohl er in sich selbst in die Übung geführt wurde, den höchsten Platz des Dienstes im Evangelium einnahm, den Platz des Leidens um der Gerechtigkeit willen.
Laßt es uns als erwiesen betrachten, daß, wenn ich meiner Annahme mir wohl bewußt bin, mein Teil in dieser Welt der Tod ist, und daß die Zucht diese Tatsache nicht übergehen wird. Denn sie ist es, welche die Wahrheit meiner Annahme mir umso kostbarer macht, und welche sie meiner Umgebung bezeugt. In dieser Tatsache liegt für uns das ganze Interesse und die Unterweisung der Geschichte Abels. Er ging in das Leben hinaus (wie wir sagen würden), nicht gemäß der dem Adam gegebenen Regel und Vorschrift, den Boden zu bearbeiten, von dem er genommen war, sondern, im Gegensatz hierzu, um ein Schafhüter zu werden. Dadurch stand von vornherein fest, daß er nicht die Absicht hatte, den Schauplatz um sich herum zu verbessern oder aus der Erde, durch seine eigenen Bemühungen, irgend etwas zu gewinnen, was zwischen ihm und Gott vermitteln könnte. Das Bewußtsein des Todes und des Gerichts stand vor seiner Seele, und von diesem befreit zu werden konnte allein ihn befriedigen. Als Schafhirte bewachte er seine Herde und zog mit ihr von Weideplatz zu Weideplatz, wie die Schafe es bedurften. Auf dieser Erde, von der er nichts erwartete, was ihn hätte befreien können, nannte er keinen einzigen Ort seinen bleibenden Ruheplatz. Als Arbeiter, als Wanderer, indem er unter dem Fluch litt, der auf allem um ihn her lastete, und selber unter dem Urteil des Todes stehend inmitten eines solchen Schauplatzes ‑ in diesem Zustand bewachte er eine Herde lebender Tiere und stand dadurch in Berührung mit dem Leben, dem einen Gegenstand, den sein eigener Geist nötig hatte. Im Glauben nahm er von der Erstgeburt der Herde, dem Anfang ihrer Kraft, und opferte sie als etwas, was Gott gehörte und was ein Sinnbild des Lebens Christi darstellte. Dies Opfer, Gott dargebracht, entsprach seinem eigenen Gefühl des Todes. Aber mehr als das war nötig, um der Gegenwart Gottes begegnen zu können. Es bedurfte auch der Annahme. Dieser Wunsch fand seinen Ausdruck und seine Befriedigung durch die Darbringung des Fettes, welches das Kostbarste des Tieres darstellt und nur durch dessen Tod gewonnen werden kann ‑ das Resultat des Todes Christi durch die Auferstehung, das jetzt das Gewissen bezüglich der Annahme bei Gott voll befriedigt. So trat Abel in die Gedanken Gottes ein bezüglich seines eigenen Zustandes vor ihm, und so erhielt er das Zeugnis, gerecht zu sein, nicht nur in bezug auf seine Handlungsweise, sondern auch auf seine Stellung. In dem Glück, von Gott angenommen zu sein, muß er den Platz und die Leiden dessen kennenlernen, der hier auf Erden so gesegnet ist. Wenn er von Gott angenommen war, so mußte er von einem Schauplatz getrennt werden, der unter Gottes Fluch stand. Wenn er von dem Urteil des Todes befreit wurde, so konnte der Tod keine Strafe mehr für ihn bedeuten. Er mußte ihn aber erwarten auf einer Erde, wo alles dem Leben entgegensteht, in welchem er angenommen war. Infolgedessen wurde er dazu ausersehen, ein unerschütterliches Zeugnis davon abzulegen, daß die Annahme bei Gott und die Befreiung vom Gericht derart wirkliche Segnungen sind, daß selbst der Tod sie ihm nicht rauben konnte. Dies ist Abels Zeugnis, und dies seine Zucht.
Wie bei Stephanus, dem ersten Märtyrer der Auferstehung, so war es auch bei Abel, dem ersten Märtyrer der Annahme. Stephanus bewies die Wirklichkeit der Auferstehung im Tode mehr als im Leben, und seine Seele drang im Augenblick seines Todes tiefer in ihre Wirklichkeit ein, als sie während seines Lebens je imstande war. Sein letztes Zeugnis war das hellste. Während die Werkzeuge des Bösen in der Welt Stephanus steinigten, antwortete er auf ihre tödlichen Würfe nur, indem er seinen Geist Dem anbefahl, Den sie verleugneten und verstießen. Und welch ein Beweis davon, wie vollkommen sicher er der Fürsorge und Bewahrung Christi war, ist es, daß er niederknien konnte, um sich mit aller Kraft, die ihre Bosheit ihm noch ließ, für sie zu verwenden.
Der Zeuge der Annahme, ‑ Abel ‑ und der Zeuge der Auferstehung, ‑ Stephanus ‑ haben kein Teil in dieser Welt. Alles muß für sie Tod sein und in der Zucht lernen sie das, um sich die Größe der Gabe Gottes zu vergegenwärtigen, die ewiges Leben außerhalb und jenseits des Todes ist. Auf welchem Pfade du auch wandelst, du mußt das eine lernen, daß der Vater es so will. Aus einem Feuer von Reisig Wird eine Natter Paulus daran erinnern, daß er sich inmitten des Todes befindet. Er geht von einem Grab zum anderen. Gestern schiffbrüchig, heute von einer Natter gebissen! Wir haben diese Zucht nötig. Wir glauben, wir könnten weiterleben wie andere Menschen und das neue und gesegnete Teil, das wir empfangen haben, genießen. Aber das können wir nicht, und es ist gut zu verstehen, daß wir unser Teil in Seinem Sohn zu würdigen wissen, im Gegensatz zu allen Dingen auf der Erde. Vergeblich versuchen wir, beides zu verbinden, so daß wir einen großen Teil unserer Zeit vergeuden, um zu erkennen, daß es hier nichts gibt, das den Anforderungen unserer neuen Gefühle entspricht. Es ist ein einsames Wandern in der Wüste, aber eine Stadt, um darin zu wohnen, finden wir hier nicht. Aber Gott läßt es zu, damit Seine Kinder entdecken, daß ihr Begehren nur von Ihm gestillt werden kann. Wir müssen lernen, daß wir nicht von der Welt sind. Wir können ihr nicht vertrauen. Christus konnte sich den Menschen nicht anvertrauen. Stephanus mochte das Angesicht eines Engels haben, dennoch wurde er gesteinigt, weit er Christo treu war. Obwohl Kain zu Abel „sprach“ und sie „auf dem Felde“ scheinbar in Eintracht waren, erfährt Abel bald, daß er ihm nicht trauen kann, denn im selben Augenblick erhob sich Kain wider ihn und erschlug ihn.
Unsere Berufung bedeutet, daß wir mit der Erde zu Ende sind. Dahin werden uns Gottes Zucht und ein treues Zeugnis immer führen. In unserer Zucht können wir ein Zeugnis sein; aber wieviel besser ist es, in unserem Zeugnis gezüchtigt zu werden. Sicher sollten wir darauf achten, inwieweit wir gezüchtigt werden, weil wir auf die eine oder andere Art an der Welt hängen, oder weil wir gegen sie zeugen. Wir können leicht erklären, warum Abel fortfuhr, in brüderlicher Nähe mit Kain zu verkehren, und wir können sein Tun rechtfertigen, denn der Hag des Menschen gegen die Gerechtigkeit Gottes war bislang noch nicht enthüllt worden. Und wir können wohl verstehen, wie Abel seine vertraute Art mit seinem Bruder beibehielt, die Kain eine allzu günstige Gelegenheit bot, seinen Mordplan durchzuführen. Dies ist leicht und natürlich zu erklären. Aber wie können wir Gläubige entschuldigen, die fortfahren, geselligen Umgang mit der Welt zu pflegen? Können wir nicht oft den Grund und die Notwendigkeit für die Zucht, die viele erleiden, auf die Tatsache zurückführen, daß diejenigen, die vor Gott in Christo lebend sind, und durch Seinen Tod von allem, was in der Welt ist, befreit sind, noch immer an der Welt hängen, statt gegen sie zu zeugen? Die Stunde des Umgangs mit Kain war verhängnisvoll für Abel, da er mit der Bosheit der Menschen unbekannt war und nicht an Arges dachte. Jetzt ist die Stunde des Umgangs sittlich verhängnisvoller für die, welche wissen sollten, daß der Fürst dieser Welt den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt hat und daß die Freundschaft der Welt Feindschaft gegen Gott ist. Haben solche nicht Zucht nötig? Müssen sie nicht lernen, alles aufzugeben, wofür Christus verurteilt wurde? Wenn sie es nicht in Gnade aufgeben, muß Gott, unser Vater, Seine Kinder auf die eine oder andere Art von einer Welt trennen, von der wir nach Seinem Willen durch den Tod Seines Sohnes befreit sind. Es ist richtig und passend, daß es so sei. Laßt uns denn unseren wahren Platz außerhalb der Welt einnehmen, und möge unsere Zucht lieber durch unser Zeugnis sein, als unser Zeugnis durch unsere Zucht.