Die Briefe des Johannes
1. Johannes 5
Wenn wir unsere Verantwortlichkeit unseren Brüdern gegenüber betrachten, sind wir, vom Fleisch her, immer geneigt, die Frage Kains zu stellen: „Bin ich meines Bruders Hüter?“ Nun, vielleicht sind wir nicht sein Hüter, sicher aber sein Helfer im Geist der Liebe. Wir kommen auch gern auf eine Frage ähnlich der des Gesetzgelehrten in Lukas 10 zurück. Er wünschte sich selbst zu rechtfertigen und fragte: „Und wer ist mein Nächster?“ Wir mögen fragen: „Und wer ist mein Bruder?“ Die Antwort auf diese Frage wird uns sehr direkt in den ersten Versen von Kapitel 5 gegeben. Jeder, der da glaubt, daß Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren.“ So haben wir jeden als unseren Bruder anzuerkennen, der an Jesus als den Christus glaubt, wer auch immer er sein mag. Da kann es kein Herauspicken und kein Vorziehen geben.
Viele dieser Gläubigen, die aus Gott geboren sind, mögen uns auf einer rein natürlichen Basis gar nicht zusagen. Im Blick auf Erziehung und Gewohnheiten mögen wir kaum Gemeinsamkeiten haben. Außerdem stimmen wir in den göttlichen Dingen auch nicht in allem mit ihnen überein. Aber gerade solche Gläubigen werden uns zu einem Prüfstein. Haben wir die Freiheit, ihnen gegenüber jede Anteilnahme zu leugnen und an der entgegengesetzten Seite vorüberzugehen? Die haben wir nicht. Wenn ich den Bruder liebe, der nett zu mir ist und mit dem ich übereinstimme, dann tue ich nur, was jeder andere auch tun könnte. „Denn wenn ihr die liebet, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe“ (Mt 5,46)? Wenn ich meinen Bruder liebe, weil er aus Gott geboren ist, ohne daß er nett und mir angenehm ist, dann lasse ich die Liebe erkennen, die ihre Quelle in der Natur Gottes selbst hat. Und nichts ist größer als das.
Zusammenfassend stellt Vers 2 fest, daß wir wissen, daß wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und im Gehorsam wandeln. Die Liebe Gottes treibt uns an, Seine Kinder zu lieben, und das Gebot befiehlt es uns, Seine Kinder zu lieben. Dann ist es ganz bestimmt so, wenn wir Gott lieben und Seine Gebote halten, daß wir Seine Kinder lieben. Im übrigen gehen Liebe und Gehorsam zusammen, wie wir schon früher in diesem Brief gesehen haben, so daß es unmöglich ist, Gott zu lieben, ohne Ihm zu gehorchen.
Vielleicht haben wir schon einmal ein Kind gesehen, das seine Mutter augenscheinlich sehr liebte – „Oh, Mutter, ich hab' dich lieb!“, gefolgt von vielen Umarmungen und Küssen. Doch keine fünf Minuten später trug die Mutter dem Kind etwas auf, das sich mit seinen Wünschen nur wenig kreuzte, und was für ein Zornesausbruch und Ungehorsam war zu erleben! Wer es miterlebt, weiß, was er von der „Liebe“ zu halten hat, die ein paar Minuten vorher so laut beteuert wurde. Was ist solche Liebe wert? Nichts. Nun, dann laßt uns daran denken, daß „dies die Liebe Gottes ist, daß wir seine Gebote halten“.
Dem Kind mag das Verlangen der Mutter quer gekommen sein, weil es dadurch von seinem Spiel abgehalten wurde. Wenn wir auf einen Weg des Ungehorsams abirren, haben wir keine Entschuldigung, denn „seine Gebote sind nicht schwer“. Was Er auferlegt, stimmt völlig mit der Liebe der göttlichen Natur überein. Und diese Natur besitzen wir, wenn wir wirklich aus Gott geboren sind.
Es wäre allerdings schmerzlich, wenn uns etwas befohlen würde, was unserer Natur ganz und gar entgegengesetzt ist – etwa so, wie es einem Hund ginge, wenn er Heu fressen müßte, oder ein Pferd Fleisch. Das Gesetz Moses legte „schwere und schwer zu tragende Lasten“ auf, doch das kam daher, weil es Menschen im Fleisch gegeben wurde. Wir haben Gebote empfangen, aber wir haben auch eine neue Natur empfangen, die sich an dem, was befohlen ist, erfreut. Das macht den Unterschied aus. Die Worte des Johannes hier werden von Paulus bestätigt, wenn er sagt: „Denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, nach seinem Wohlgefallen“ (Phil 2,13). Auch Jakobus bekräftigt den Gedanken, wenn er das „vollkommene Gesetz der Freiheit“ erwähnt (Jak 1,25).
Wir anerkennen freudig jeden wahren Gläubigen als unseren Bruder, da er aus Gott geboren ist. In Vers 4 nun entdecken wir, daß ein weiteres Merkmal den Gläubigen auszeichnet: Er überwindet die Welt. Dieser Sieg über die Welt ist mit unserem Glauben verknüpft. „Glaube“ bedeutet hier, wie wir denken, nicht bloß jene geistliche Fähigkeit in uns, die die Wahrheit sieht und empfängt, sondern auch die Wahrheit, die wir empfangen – den christlichen Glauben. Der Kerngehalt dieses Glaubens ist, daß Jesus der Sohn Gottes ist, wie Vers 5 uns zeigt.
Beachten wir nun den Punkt, an dem wir jetzt angekommen sind. Wir haben den christlichen Bereich vor uns gehabt, die Familie Gottes, die aus all denen gebildet ist, die aus Ihm geboren sind. Gott ist Liebe, deshalb teilen die, die aus Ihm geboren sind, Seine Natur, und sie bleiben in der Liebe. Indem sie in Ihm bleiben, bleibt Er in ihnen, und sie lieben sich untereinander und halten so Seine Gebote. Aber sie überwinden auch die Welt, statt daß sie von der Welt überwunden werden. Obwohl sie als Familie Gottes durch die Welt hindurchgehen, sind sie von ihr getrennt, und sie sind ihr überlegen.
Das Geheimnis des Überwindens ist zweifach. Zuerst ist da das göttliche Werk, das in den Gläubigen gewirkt wird. Zweitens ist es der Glaube an Jesus als den Sohn Gottes, der uns als eine Person vorgestellt und von uns im Glauben angenommen wird.
In Kapitel 2,14 fanden wir, daß ein Überwinden „des Bösen“ möglich ist für die, die aus Gott geboren sind. In Kapitel 3,9 hieß es, daß jemand, der aus Gott geboren ist, „nicht sündigt“. Jetzt dürfen wir sehen, daß jemand, der aus Gott geboren ist, die Welt überwindet. Es ergibt sich daher klar die Tatsache, daß diese göttliche Geburt den Sieg über den Teufel, das Fleisch und die Welt sicherstellt.
Ein weiterer Gesichtspunkt kommt noch hinzu. Dabei geht es nicht darum, was in uns geschieht, sondern um das, was das Evangelium uns vorstellt. Jesus ist der Sohn Gottes. Er war nicht nur der größte der Propheten, um eine Ordnung der Dinge auf der Erde einzuführen, die die Propheten erwartet hatten. Er war der Sohn im Schoß des Vaters, und Er tat das Himmlische kund, das weit jenseits und über dieser Welt liegt. Wenn der Glaube das erfaßt hat, dann verliert die Welt ihre Anziehung und kann als etwas sehr Unbedeutendes beiseite gesetzt werden. Wer aus Gott geboren ist und in dem Glauben an Jesus als den Sohn Gottes lebt, den kann die Welt nicht gefangennehmen. Er überwindet sie.
Natürlich haben wir all dies immer noch im abstrakten Sinn vor Augen. Wir betrachten die Dinge nach ihrer grundlegenden Natur und lassen dabei für einen Augenblick unseren gegenwärtigen Zustand hier außer acht, denn das würde einschränkende Gesichtspunkte einführen. Es ist sehr wertvoll, die Dinge einmal in dieser abstrakten Weise zu sehen, denn dadurch werden wir über ihre wahre Natur unterwiesen, und wir sehen sie, wie Gott sie sieht. Außerdem sehen wir die Dinge dann so, wie sie sich an einem künftigen Tag offenbaren werden, wenn Gott Sein Werk mit uns vollendet hat, denn Er „wird es vollführen bis auf den Tag Jesu Christi“ (Phil 1,6).
Wenn es um unseren tatsächlichen Zustand heute geht, wie weit sind wir da von dem entfernt, was wir betrachtet haben!
Wie wenig bleiben wir in der Liebe und wie wenig daher in Gott und Gott in uns! Laßt uns ehrlich sein und das eingestehen; während wir doch zur gleichen Zeit an dem normalen, kennzeichnenden Standard festhalten und uns danach beurteilen. Das wird unsere geistliche Gesundheit und Fruchtbarkeit fördern.
Der Glaube, daß Jesus der Sohn Gottes ist, ist das Herzstück jeder christlichen Glaubensaussage. Jesus Christus – eine historische Persönlichkeit – war in der Welt. Niemand kann diese Tatsache mit Erfolg bestreiten. Aber wer ist Er? – das ist die Frage. Unser Glaube – der christliche Glaube – ist der, daß Er der Sohn Gottes ist.
Wenn das feststeht, taucht eine weitere Frage auf: Wie und auf welche Weise kam Er? Die Antwort hierauf ist in Vers 6 enthalten: Er kam „durch das Wasser und das Blut“.
Das ist eine weitere dieser bündig knappen Aussagen, die in den Schriften des Johannes so häufig vorkommen. Sehr einfach in ihrer Form, obwohl ziemlich schwer verständlich in ihrer Bedeutung, bringt sie dennoch nach andächtigem Nachsinnen eine reiche Ernte an Belehrung ein. Sie nimmt deutlich Bezug auf das, was geschah, als einer der römischen Soldaten mit einem Speer die Seite des gestorbenen Christus durchbohrte, wie es in Johannes 19,34 berichtet wird. Keiner der übrigen Evangelisten berichtet dieses Ereignis, und Johannes verleiht ihm besonderen Nachdruck, indem er dem Bericht noch hinzufügt: „Und der es gesehen hat, hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahrhaftig; und er weiß, daß er sagt, was wahr ist, auf daß auch ihr glaubet.“ Johannes schrieb sein Evangelium, „auf daß ihr glaubet, daß Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“ (20,31). Daß bei diesem Ereignis Blut und Wasser herauskamen, bezeugt offensichtlich die Tatsache, daß Er sowohl der Christus als auch der Sohn ist. In unserer Stelle hier tritt diese zweifache Tatsache vor uns.
Zunächst einmal bezeugen das Wasser und das Blut Seine wahre Menschheit. Der Sohn Gottes ist zu uns gekommen in Fleisch und Blut; ein wirklicher und wahrhaftiger Mensch, nicht ein Phantom oder ein Trugbild. Diese Tatsache wurde niemals klarer bewiesen als in dem Augenblick, wo Blut und Wasser aus der Stichwunde in Seiner Seite hervorflossen.
Wasser und Blut haben jeweils auch ihre eigene Bedeutung. Das Wasser bezeichnet Reinigung und das Blut Sühnung. So dürfen wir weiter sagen, daß das Kommen Jesu Christi durch Reinigung und Sühnung gekennzeichnet war. Diese beiden Dinge waren unbedingte Notwendigkeiten, wenn Menschen gesegnet werden sollten. Sie mußten von dem Schmutz, in dem sie sich befanden, gereinigt werden; und ihre Sünden mußten gesühnt werden, wenn sie zu Gott gebracht werden sollten. Das eine regelt die moralische Frage, das andere die rechtliche, und beides war gleicherweise notwendig. Weder eine moralische Erneuerung ohne eine rechtliche Klärung (die Befriedigung der gerechten Forderungen Gottes), noch eine rechtliche Klärung ohne eine moralische Erneuerung hätte unserer Lage gerecht werden können.
So haben wir hier ein weiteres Zeugnis dafür, daß Jesus der Sohn Gottes ist. Er war ein wirklicher Mensch. Doch niemand, der nur ein Mensch war, hätte in der Kraft der Reinigung und Sühnung kommen können. Deshalb mußte Er der Sohn sein, der das Wort des Lebens war.
Im Evangelium heißt es „Blut und Wasser“, in diesem Brief „Wasser und Blut“. Das Evangelium gibt uns, wie wir sagen könnten, die historische Reihenfolge: Wir brauchen zuerst die Vergebung und dann die Reinigung. Doch das wichtige Thema des Briefes ist das, was in uns gewirkt wird, sofern wir aus Gott geboren sind. Außerdem geht es in diesem Brief um die heiligen und gesegneten Charakterzüge unseres neuen Lebens, eines Lebens, das in seinem Wesen so heilig ist (“er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist“), daß eine wunderbare Reinigung dadurch unser Teil geworden ist. Deshalb wird das Wasser hier zuerst genannt. In unseren Gedanken ist es mit dem Tod des Christus verbunden, denn wir dürfen das in uns gewirkte Werk und das für uns vollbrachte Werk niemals voneinander trennen.
Doch obwohl das Wasser zuerst erwähnt wird, unterstreicht Vers 6 besonders, daß der Herr nicht durch das Wasser allein gekommen ist, sondern „durch das Wasser und das Blut“. Er kam in diese Welt nicht nur zur moralischen Reinigung, sondern auch zur Sühnung. Das ist ein besonders wichtiges Wort für uns heute, denn eine der Lieblingsideen des modernen religiösen Unglaubens ist die, daß wir jede Vorstellung von Sühnung unbeachtet lassen können, wohl aber festhalten, daß Christus als ein Reformator kam, um für uns alle ein wunderbares Beispiel zu geben und durch dessen Kraft das sittliche Verhalten der Menschen zu läutern. Sie halten nur fest, daß Er durch Wasser allein kam. Sein Tod als höchstes Beispiel eines heroischen Selbstopfers soll aus unserem Inneren den Geist der Selbstsucht austreiben. Seinen Tod als eine blutige Sühnung für menschliche Schuld lehnen sie um jeden Preis ab.
Solche, die das Blut leugnen, während sie das Wasser anerkennen, müssen letztlich mit dem Geist rechnen, dessen Zeugnis sie verneinen. Der Geist, der das Zeugnis gibt, ist die Wahrheit, deshalb ist sein Zeugnis Wahrheit. Sie werden an dem künftigen Tag als Lügner entlarvt werden, wenn nicht schon früher. Im Evangelium, wo die historische Tatsache berichtet wird, ist der Evangelist zufrieden, selbst ein Zeuge zu sein, wie wir gesehen haben. Zu der Zeit, als er den Brief schrieb, waren jedoch Männer aufgetreten, die all das, was wahr war, in Frage stellten. Deshalb geht Johannes gleichsam über sich selbst als menschlichen Kanal des Zeugnisses zurück zu dem Geist, der göttlich und in seinem Zeugnis allüberragend ist, und er weist darauf hin, daß Er, der die Wahrheit ist, gesprochen hat. Sein Zeugnis stellt fest, wer gekommen ist und was Sein Kommen wirklich bedeutet.
Der Geist Gottes ist der lebendige, wirksame Zeuge. Das Wasser und das Blut sind stille Zeugen, doch alle drei zielen auf den einen Punkt ab, der in den Versen 11 und 12 mitgeteilt wird. Die Verse 9 und 10 sind eingeschaltet. Es ist beachtenswert, daß das Zeugnis, ob es nun durch den Geist oder das Wasser oder das Blut gegeben wird, das Zeugnis Gottes ist; und es ist erforderlich, es als solches zu behandeln. Wir nehmen täglich das Zeugnis von Menschen an, und das trotz der Tatsache, daß es häufig ungenau ist, auch ohne Täuschungsabsicht. Das Zeugnis Gottes ist bei weitem größer in seinem Thema und in seinem Charakter. Der Sohn ist sein Thema, und absolute Wahrheit ist sein Charakter. Als der Sohn auf der Erde war, legte Er Zeugnis ab Über Gott. Jetzt ist der Geist hier, und das Zeugnis Gottes Über den Sohn wird bezeugt. Ist das nicht sehr bemerkenswert?
Außerdem hat der, der an den Sohn Gottes glaubt, jetzt das Zeugnis in sich selbst, weil der Geist, der da zeugt, in ihm wohnt. Natürlich beginnen wir damit, daß wir das Zeugnis, das uns über den Sohn Gottes bezeugt wird, glauben, und dann haben wir“durch den Geist, den er uns gegeben haü, das Zeugnis in uns selbst. Kein Ungläubiger kann dieses Zeugnis in sich haben, denn weil er dem Zeugnis, das Gott über Seinen Sohn gegeben hat, nicht glaubt, hat er Gott in der Tat „zum Lügner gemacht“. Wie schrecklich ist es, das zu tun.
Das Zeugnis betrifft Seinen Sohn. Es besagt im besonderen, daß Gott uns Gläubigen ewiges Leben gegeben hat und daß dieses Leben in Seinem Sohn ist. Der Geist Gottes ist der lebendige und bleibende Zeuge hiervon. Der Apostel Paulus spricht an anderer Stelle von ihm als „dem Geist des Lebens in Christus Jesus“. Auch das Wasser und das Blut geben dem Zeugnis, nur in einem mehr negativen Sinn. Wenn wir sehen, daß das Leben des Sohnes Gottes in den Tod ausueschüttet wurde um jener willen, deren Leben verwirkt war, so wissen wir, was das bedeutet – daß kein Leben in ihnen war. Der Apostel Paulus bestätigt das wieder, wenn er schreibt, „daß einer für alle gestorben ist und somit alle im Tod lagen“ (vgl. Fußnote der Elberfelder Übersetzung). So war es: Alle waren tot, und deshalb gab der Sohn Gottes Sein Leben in den Tod. Das Wasser und das Blut bezeugen, daß in dem Menschen – in dem ersten Adam und seiner Nachkommenschaft – kein Leben ist. Leben war nur in dem, der es hingab und es in der Auferstehung wiedernahm.
Das ist also das Zeugnis, daß wir ewiges Leben haben. Es ist uns von Gott gegeben worden; und es ist „in seinem Sohn“. Wer den Sohn hat, hat das Leben; und wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht. Das Ergebnis ist völlig klar. Niemand könnte den Sohn „haben“, der Ihn leugnet, wie diese antichristlichen Lehrer es taten. In Kapitel 2,22.23 haben wir gesehen, daß niemand den Vater „haben“ kann, der den Sohn leugnet. Hier sehen wir, daß sie den Sohn nicht „haben“ können, und daher können sie auch kein Leben haben.
Vers 13 macht die Bedeutung des Wortes „haben“, wenn es in diesem Sinn gebraucht wird, klar. „Dies habe ich euch geschrieben, auf daß ihr wisset, daß ihr ewiges Leben habt, die ihr glaubet an den Namen des Sohnes Gottes.“ Vielleicht hätten wir erwartet, daß Johannes gesagt hätte: „Dies habe ich euch geschrieben, damit ihr den Sohn habt“, statt daß er einfügt, was darin eingeschlossen ist, den Sohn zu haben, nämlich „an den Namen des Sohnes Gottes“ zu glauben. Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat den Sohn und hat ewiges Leben. Johannes mußte dies schreiben, damit wir, die glauben, das auch wissen.
Zweifellos dachte Johannes, als er dies schrieb, daran, einfachen Gläubigen, die durch die anmaßenden Behauptungen der Antichristen eingeschüchtert und verunsichert sein mochten, Hilfe und Zuversicht zu geben. Jene kamen mit ihrer vermeintlich fortschrittlichen Philosophie und ihren neuartigen Erleuchtungen, und der schlichte Gläubige, der seinen Glauben auf das gründete, „was von Anfang war“, wurde von ihnen behandelt, als ob er außerhalb des höheren geistigen „Lebens“ stünde, das sie genossen. Es blieb jedoch dabei, daß gerade der, der an den Namen des Sohnes Gottes glaubte, es war, der den Sohn und das Leben hatte; und das Leben, das er hatte, war ewiges Leben – das einzige Leben, das zählt.
Und da stehen die Verse, die auf vielfache und erfreuende Weise auf ängstliche Gläubige auch unserer Tage Anwendung finden können. Der Apostel Johannes hat uns die charakteristischen Merkmale des Lebens durch das, was er schrieb, aufgezeigt. Und wir dürfen wissen, daß es unser Leben ist, nicht nur um deswillen, was Gott gesagt hat, sondern auch, weil die Kennzeichen des Lebens sichtbar werden. Manche denken viel über glückliche Gefühle nach, doch diese gehören nicht zu den großen Charakterzügen des Lebens, sondern vielmehr Liebe und Gerechtigkeit.
Mit Vers 14 scheint ein jäher Wechsel in dem Gedankengang einzutreten. Der Apostel nimmt einen Faden wieder auf, den er einige Verse lang in Kapitel 3 verfolgt hatte und in Vers 22 wieder fallen ließ. Wenn wir die beiden Schriftstellen miteinander vergleichen, ergibt sich, daß der Wechsel nicht so jäh ist, wie es zunächst aussieht. Dort ging es darum, daß, wenn wir in Tat und Wahrheit lieben, wir Freimütigkeit vor Gott und im Gebet haben werden. Hier folgt ein ähnlicher Gedanke. Als ein Ergebnis dessen, was Johannes uns geschrieben hat, wissen wir zu unserer Freude – und das ist ein sehr bewußtes Wissen –, daß wir ewiges Leben haben. Deshalb haben wir Vertrauen (oder Freimütigkeit) zu Ihm und halten fest, daß, „wenn wir etwas nach seinem Willen bitten, er uns hört“. Und wenn Er uns hört, dann ist es sicher, daß unsere Bitten erhört werden.
Da wir das Leben haben, wird Sein Wille unser Wille. Wie können wir da in einfacher und glücklicher Weise nach Seinem Willen bitten. Das ist etwas völlig Normales für den Gläubigen, und erhörte Gebete sind die Folge. Ach, daß unsere wirklliche Erfahrung so oft nicht als normal, sondern als anormal gelten muß – weil wir nach dem Fleisch wandeln.
Vers 16 setzt voraus, daß wir in unseren Gebeten nicht selbstsüchtig, sondern um andere besorgt sind. In der Fürbitte verwenden wir uns für unsere Brüder. Die Freimütigkeit, die wir vor Gott haben, schließt dies mit ein und beschränkt sich nicht nur auf persönliche Angelegenheiten. Dieser Vers macht ferner klar, daß (obwohl wir Freimütigkeit haben) es doch gewisse Dinge gibt, um die wir nicht bitten dürfen oder können. Die Regierungswege Gottes mit Seinen Kindern sind sehr ernst zu nehmen und können durch unsere Gebete nicht unterlaufen werden. Der hier angesprochene Tod bezieht sich auf den Leib.
Wir sehen ein Beispiel hierzu in Ananias und Sapphira (Apostelgeschichte 5).
Wir mögen das Leben – oder natürlich auch weniger als das – für jeden erbitten, dessen Sünde nicht zum Tod ist-, und alle Ungerechtigkeit ist Sünde, so daß wir ein weites Feld für die Fürbitte haben. Doch angesichts einer Sünde zum Tod sind unsere Lippen versiegelt. Es ist möglich, daß der Apostel, als er dies schrieb, eine bestimmte Sünde im Sinn hatte, vielleicht im Zusammenhang mit der antichristlichen Verführung, aber er beschreibt sie nicht näher. So können wir nur den allgemeinen Grundsatz beachten. Wir wissen, daß im Fall des Ananias Heuchelei und die Vorspiegelung falscher Tatsache die Sünde zum Tod war, und grobe Unordnung und Ehrfurchtslosigkeit beim Mahl des Herrn war die Sünde zum Tod bei den Korinthern (1. Kor 11,29–32).
In den Versen 16 und 17 haben wir Dinge betrachtet, die in der Praxis unter Gläubigen vorkommen, denn der, der eine Sünde zum Tod begeht, ist ein „Bruder“. In Vers 18 wird die abstrakte Darstellung wieder aufgenommen. Der aus Gott Geborene sündigt nicht, wenn wir ihn in seiner wesensmäßigen Natur betrachten. Wir haben das schon früher in diesem Brief gesehen. Und weil dies so 1 st, sind solche in der Lage, sich zu bewahren, so daß der Böse sie nicht antastet. Diese letzte Bemerkung stützt eigentlich den Gedanken, daß die Sünde zum Tod, die Johannes vor Augen hat, sich auf die listigen Anläufe des Teufels in Form der antichristlichen Irrlehren bezieht. Abstrakt gesehen, ist der aus Gott Geborene gegen den Bösen gefeit. Praktisch gesehen und weil das Fleisch immer noch in den Gläubigen ist, obwohl sie aus Gott geboren sind, kann ein Bruder von dem Bösen verführt werden und sich unter die Zucht Gottes bringen, die sogar bis zum Tod führen kann.
Wir sind nun bei den letzten Worten des Briefes angekommen, und auf bemerkenswerte Weise wird der Inhalt für uns noch einmal zusammengefaßt. Wenn wir in dem bleiben, was von Anfang war, gibt es gewisse Dinge, die wir kennen: Wir wissen um die wahre Natur solcher, die aus Gott geboren sind, entsprechend Vers 18. Dann wissen wir, die wir die Familie Gottes bilden, daß wir aus Gott sind. Dadurch unterscheiden wir uns völlig von der Welt, die in der „Bosheit“ oder in dem „Bösen“ liegt. Vor der Zeit Christi gab es eine solch klare Unterscheidung nicht. Da verlief eine Trennungslinie eher zwischen Israel als einer Nation, die Gott anerkannte, und den Heiden, die Gott nicht anerkannten, obwohl ohne Zweifel der Glaube immer,schon wahrnehmen konnte, daß nicht ganz Israel das wahre Israel Gottes war.
Jetzt ist die Linie ganz ohne nationale Erwägungen gezogen. Die Frage ist einfach, wer aus Gott geboren ist und wer nicht. Es spielt keine Rolle, welcher Nation jemand angehört. Die Familie Gottes ist gänzlich und grundsätzlich von der Welt getrennt.
Weiter wissen wir, was diese Veränderung bewirkt hat. Der Sohn Gottes ist gekommen. Diese Person ist auf den Schauplatz getreten, und in Ihm ist das Leben offenbart worden. Das führt uns an den Anfang des Briefes zurück, doch eine weitere Tatsache ist nun ins helle Licht getreten. Zu Beginn richteten sich unsere Gedanken auf das, was durch Sein Kommen offenbart wurde. Was aber dann in der Folge dieses Briefes entwikkelt wurde, ist dies, daß uns, als eine Frucht Seines Kommens, ein Verständnis gegeben worden ist, so daß wir den, der offenbart worden ist, kennen, Ihn wertschätzen und Ihm entsprechen. Es ist unschwer einzusehen, daß bei fehlendem Verständnis die vollkommenste Offenbarung für uns vergeblich sein würde.
Gott sei Dank, wir haben solch ein Verständnis. Wir sind aus Gott geboren, und Er hat uns Seinen Geist gegeben, wie dieser Brief uns gezeigt hat. Diese Salbung hätten wir nie besitzen können, wenn der Sohn Gottes nicht gekommen wäre. Jetzt kennen wir den „Wahrhaftigen“, denn der Vater ist in dem Sohn kundgemacht worden. Doch die nächsten Worte sagen uns, daß wir „in dem Wahrhaftigen und in seinem Sohne Jesus Christus“ sind. So ist Aer Wahrhaftige“ ein Ausdruck, der beide, den Sohn und den Vater, umschließt, und fast unmerklich kommen wir von dem Einen zu dem Anderen. Es ergibt sich ein weiteres Zeugnis für die Tatsache, daß der Sohn und der Vater im Wesen eins sind, obwohl in der Person unterschieden.
Nachdem wir so zu Seinem Sohn Jesus Christus cebracht worden sind, sagt Johannes sehr gezielt: „Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben.“ Eine kraftvollere Bestätigung Seiner Gottheit könnten wir nicht haben. Auch ist Er das ewige Leben, wie wir gesehen haben, und für uns die Quelle, aus der es hervorquillt.
Was für eine wunderbare Zusammenfassung dieses Briefes in diesem kurzen Vers! Das Leben ist offenbart worden, und der Wahrhaftige ist durch das Kommen des Sohnes Gottes kundgemacht worden. Als ein Ergebnis Seines Kommens haben wir ein Verständnis empfangen, so daß wir befähigt sind, all das, was enthüllt worden ist, aufzunehmen und zu schätzen. Doch der „Wahrhaftige“ ist nicht nur offenbart worden, und wir sind nicht nur fähig gemacht, Ihn zu kennen, sondern wir sind in Ihm dadurch, daß wir in dem sind, der Ihn offenbart hat. Wäre das nicht geschehen, hätten wir nur erstaunte Zuschauer sein können, ohne eine lebendige Verbindung mit Gott. Doch Gott sei Dank, diese Lebensverbindung besteht. Und der, in dem wir sind, ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben.
Wie treffend sind die letzten Worte: „Kinder [das Wort umfaßt die ganze Familie Gottes], hütet euch vor den Götzen!“ Ein Götze ist das, was sich in unseren Herzen jenen höchsten Platz, der allein Gott zusteht, widerrechtlich aneignet. Wenn wir in der Wirklichkeit und der Kraft von Vers 20 leben, werden wir sicherlich mit Ephraim sagen: „Was habe ich fortan mit den Götzen zu schaffen?“ (Hos 14,8)