Die Briefe des Johannes
1. Johannes 1
Wir dürfen den Ausdruck „von Anfang“ nicht verwechseln mit „am Anfang“, den einleitenden Worten des Johannesevangeliums. Dort wird die ewige Existenz und Göttlichkeit des Wortes festgestellt, und wir gehen bis zum Anfang aller Dinge, die je einen Anfang hatten, zurück, ja sogar noch darüber hinaus. Hier haben wir mit der Tatsache zu tun, daß alle christliche Wahrheit mit der Offenbarung beginnt, die uns in dem fleischgewordenen Christus erreicht hat. Sie war der Anfang der wahren Offenbarung Gottes und des ewigen Lebens. Sie war die Grundlage aller apostolischen Unterweisung. Die Antichristen verfochten ihre verführerischen Lehren, die allein ihrem eigenen törichten Denken entsprangen. Die Apostel erklärten, was von Anfang war, und nicht etwas, das zu einer späteren Zeit eingeführt worden war.
Wenn der Herr Jesus in den Versen 1 und 2 erwähnt wird, liegt die Betonung auf dem, was uns in Ihm vorgestellt wird. Er war das „Wort des Lebens“. In Johannes 1 ist Er „das Wort“, und als solcher erschafft Er, so daß die Schöpfung zumindest etwas von Gott zum Ausdruck bringt. Auch wird Er Fleisch und wohnt unter uns, damit Er uns Gott völlig offenbaren kann. Hier ist der Gedanke ähnlich. Leben ist das Thema: Er war „das ewige Leben, das bei dem Vater war“, und in Ihm ist es uns offenbart worden. Wir sollen das Leben haben, indem wir Ihn haben; zuerst aber geht es darum, den ganzen Charakter dieses Lebens, wie es aus Ihm hervorfloß, zu sehen.
Das Leben war ewiges Leben, aber es war auch „bei dem Vater“. Das Relativpronomen „welches“ weist nach dem Grundtext auf den Charakter des Lebens hin (vgl. Fußnote in der „New Translation“ von J.N.Darby), so daß es nicht allein um die Tatsache geht, daß es bei dem Vater war, sondern vielmehr darum, daß es solch ein Leben wie dieses war. Es war bei dem Vater, weil Er, der der Urquell dieses Lebens ist, bei dem Vater war; und in Ihm ist es uns offenbart worden. Er wurde Fleisch, damit es offenbart werden konnte.
Durch die Tatsache, daß Er Fleisch wurde, vermochten drei der fünf Sinne oder Fähigkeiten, die dem Menschen verliehen sind, Ihn wahrzunehmen. Er konnte gehört, gesehen und betastet werden. Das Hören kommt zuerst, denn in unserem gefallenen Zustand ist es diese Fähigkeit, an die sich Gott in besonderer Weise wendet. „Also ist der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort“ (Röm 10, 17). An erster Stelle hörten deshalb die Apostel das Wort des Lebens und waren so in der Lage, Ihn zu erfassen.
Aber dann sahen sie Ihn auch mit ihren Augen, ja, sie „schauten an“ oder „betrachteten“ Ihn. Es hatte auch in früheren Tagen flüchtige Erscheinungen dieser großen Person als „Engel des Herrn“ gegeben, nur war es dann nicht möglich gewesen, Ihn wirklich zu betrachten, weil Er nur für einen Augenblick zu sehen war. Jetzt, im Fleisch gekommen, war alles anders. Die Apostel verbrachten Jahre mit Ihm, und sie konnten Ihn aufmerksam und genau betrachten. Sie richteten lange und ernste Blicke auf Ihn, auch wenn sie nicht alles verstanden, was sie beobachteten, bis sie die Gabe des Heiligen Geistes empfangen hatten.
Ferner kamen sie in körperliche Berührung mit Ihm. Ihre Hände konnten Ihn wirklich betasten. Damit war verbürgt, daß sie es nicht nur mit der Erscheinung eines Geistes zu tun hatten. Er weilte unter ihnen in einem echten menschlichen Leib von Fleisch und Blut. Nach Seiner Auferstehung hielt Er sich unter ihnen auf in Seinem Auferstehungsleib von Fleisch und Bein. Wir erinnern uns, wie Er sie besonders aufforderte, Ihn zu betasten und zu sehen, daß Er nach Seiner Auferstehung nicht etwa ein Geist war.
Das alles bewies daher ohne jeden Zweifel, daß es diese wirkliche Offenbarung ewigen Lebens vor ihnen gegeben hatte. Johannes 1 zeigt, daß in Ihm der Vater kundgemacht wurde (V. 18), Kolosser 1, daß Gott in Ihm als Seinem Bild vollkommen dargestellt wurde (V. 15); Hebräer 1, daß Er als der Sohn das Wort ist und daß Er der Ausdruck und der Abglanz des Wesens Gottes und Seiner Herrlichkeit ist (V. 2 und 3). Hier finden wir, daß Er die einzig wahre, objektive Offenbarung des ewigen Lebens vermittelte. Es ist bemerkenswert, daß – ebenso wie wir vier Evangelien haben, die Sein Leben von verschiedenen Gesichtspunkten aus entfalten – wir diese vier Schriftstellen haben, die von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus all das beleuchten, was in Ihm offenbart wurde.
Der Grund dafür, daß Johannes in den einleitenden Versen so ausführlich auf diesen Punkt eingeht, liegt darin, daß die antichristlichen Lehrer ihn abschwächten oder sogar ganz und gar leugneten. Sie wurden „Gnostiker“ genannt, weil sie beanspruchten, „Wissende“ zu sein. Sie beschäftigten sich lieber mit ihren eigenen subjektiven Ideen und philosophischen Spekulationen als mit den objektiven Tatsachen, wie sie in Christus begründet waren. Doch jede Sache begann für die Apostel und beginnt für uns mit wohlgegründeten Tatsachen.- Der einmal den Heiligen überlieferte Glaube beruht auf Fakten. In diesem Punkt können wir niemals zu klar sehen und ihn niemals genug betonen. Das, was (wie wir sehen werden) subjektiv in den Gläubigen zur Entfaltung kommt, stimmt genau mit dem überein, was objektiv in Ihm offenbart worden ist.
Die Offenbarung war an erster Stelle den Aposteln vermittelt worden. Das ist die Bedeutung von „wir“ hier. Dann aber: „Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch. „Euch“, das waren die Gläubigen allgemein. Die den Aposteln gegebene Offenbarung hatte sie in die „Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ eingeführt. Sie haben uns verkündigt, was offenbart worden war, damit auch wir in dieselbe wunderbare Gemeinschaft eingeführt werden konnten. Der Vater und der Sohn sind uns kundgemacht worden. Das ewige Leben, das mit dem Vater und dem Sohn verbunden ist, wurde uns durch sie bezeugt. Die Dinge über den Vater und den Sohn sind offenbart worden. Nichts könnte wunderbarer, nichts fesselnder sein als dies, wenn wir durch den Heiligen Geist einmal begonnen haben, davon Besitz zu ergreifen. Nichts könnte geeigneter sein, unsere Herzen mit bleibendem Glück zu erfüllen. Da wundern wir uns nicht, wenn der Apostel hinzufügt: „Dies schreiben wir euch, damit eure Freude völlig sei.“
Vers 4 macht es sehr klar, daß die Mitteilung dieser Dinge an uns durch die Apostel mittels der Schriften geschieht. „Dies schreiben wir euch ...“ Die Apostel hörten, sahen und betasteten. Wir müssen lesen. Gott sei Dank für die Heiligen Schriften, die uns zu unserer Freude mit diesen Dingen bekannt machen.
In Vers 5 beginnt Johannes mit seiner Botschaft. Womit fängt er an? Mit der bedeutsamen Tatsache, daß Gott Licht ist. Nicht damit, daß Gott Liebe ist, wie wir vielleicht erwartet hätten. Zweifellos würde aller Nachdruck auf Seiner Liebe gelegen haben, wenn die Offenbarung im Bereich unbefleckter Reinheit und ungetrübten Lichtes gegeben worden wäre. Da diese Offenbarung jedoch in einer Welt geschehen ist, die im Schmutz der Sünde liegt und voller Dunkelheit ist, muß der erste Nachdruck auf das Licht gelegt werden.
Was das Licht betrifft – wer kann es definieren? Menschen haben Theorien formuliert, um das Licht der Schöpfung zu begreifen, aber sie können es nicht wirklich erklären. Wer soll dann das unerschaffene Licht beschreiben? Wir wissen, daß Licht notwendig ist, damit Leben existieren kann, außer in seinen niedrigsten Formen. Wir wissen, daß es für die Gesundheit wohltuend ist, daß es alle Dinge beleuchtet und enthüllt und daß dort, wo es sich ausbreitet, die Dunkelheit weicht. In Gott gibt es überhaupt keine Finsternis, denn Finsternis ist ein Bild dessen, was dem Licht und seiner Wirkung entzogen ist, was verborgen und sündig ist.
Gott ist nicht nur selbst Licht, sondern Er ist auch, wie Vers 7 uns sagt, „in dem Licht“. Einst hatte der Herr gesagt, „daß er im Dunkel wohnen wolle“ (2. Chr 6,1); und die Tatsache, daß Salomo Ihm ein Haus baute, änderte nichts daran, denn Seine Gegenwart war immer noch im Allerheiligsten, wo alles dunkel war. Das wurde anders mit dem Kommen des Herrn Jesus, denn in Ihm trat Gott ins Licht. Der Gott, der Licht ist, ist nun in dem Licht.
Diese Tatsache wird in Vers 6 als Prüfstein benutzt. Er ist der erste von vielen Prüfsteinen, die uns hier an die Hand gegeben werden. Sie waren notwendig wegen der Anwesenheit vieler falscher Lehrer mit ihren verschiedenen, prahlerischen Behauptungen; und es wird uns auffallen, daß nicht einer von ihnen auf komplizierte und weit hergeholte Überlegungen gestützt ist. Sie sind alle von der schlichtesten Art und gegründet auf die fundamentale Natur der Dinge. Hier zum Beispiel ist die Tatsache, daß Gott Licht ist und daß Er im Licht ist, der Prüfstein für jede Behauptung, mit Ihm in Gemeinschaft zu sein. Wer so etwas behauptet, kann unmöglich in der Finsternis wandeln, denn an anderer Stelle lesen wir: „Welche Gemeinschaft hat Licht mit Finsternis?“ Es gibt überhaupt keine Gemeinschaft (oder Genossenschaft) zwischen den beiden. Sie sind einander genau entgegengesetzt.
Es geht hier nicht darum, ob wir immer gemäß diesem Licht, das wir empfangen haben, wandeln. Mit Bedauern stellen wir fest, daß wir dem zu der einen oder anderen Zeit nicht entsprechen. „In der Finsternis wandeln“ bedeutet in Unwissenheit sein über das Licht, das in Christus geleuchtet hat. Ein Zitat aus Jesaja 50, 10.11 mag hier hilfreich sein: „Wer in Finsternis wandelt und welchem kein Licht glänzt, vertraue auf den Namen des HERRN und stütze sich auf seinen Gott.“ Doch auch in den Tagen Jesajas gab es solche, die lieber selbst „ein Feuer anzündeten“ und im Licht eines solchen Feuers und seiner Funken wandelten. Genau so war es in den Tagen des Apostels Johannes, und heute ist es auch nicht anders. Es gibt viel zu viele falsche Lehrer, die die Funken des von ihnen entzündeten Feuers dem Licht der Offenbarung Gottes vorziehen. Infolgedessen sind sie und ihre Nachfolger trotz all ihrer gegenteiligen Behauptungen in der Finsternis und haben keine Gemeinschaft mit Ihm.
Der wahre Gläubige wandelt in dem Licht Gottes, das völlig enthüllt ist. Das Licht hat ihn natürlich erforscht. Das kann nicht anders sein. Doch er wandelt glücklich in dem Licht, weil er in diesem Licht gelernt hat, daß das Blut Jesu Christi, Seines Sohnes, uns von aller Sünde reinigt. Jeder Schmutzfleck, den das Licht an den Tag bringt, wird durch das Blut ausgetilgt.
Das Wort „reinigt“ ist in der Gegenwartsform. Daraus haben einige geschlossen, daß das Blut fortwährend angewandt werden muß. Aber die Gegenwartsform wird auch benutzt, um die Natur oder den Charakter einer Sache zu bezeichnen. So sagen wir beispielsweise: „Kork schwimmt“ oder: „Feuer brennt“ oder: „Seife reinigt“. Damit ist ihr jeweiliges Wesensmerkmal bezeichnet. Solche Eigenschaften sind kennzeichnend. So ist es auch das Wesen des Blutes Christi, daß es von aller Sünde reinigt. Das ist sein segensreiches Kennzeichen. Die Vorstellung, daß das Blut fortwährend oder wiederholt anzuwenden ist, steht im Widerspruch zu der Belehrung von Hebräer 9,23–10,14. Wir sind „EINMAL GEREINIGT“ durch das „eine Opfer“, so daß wir „kein Gewissen mehr von Sünden“ haben.
Es gab nicht nur Menschen, die bekannten, Gemeinschaft mit Gott zu haben, während sie noch in der Finsternis wandelten, sondern es gab auch einige, die so weit gingen zu sagen: „Wir haben keine Sünde.“ Für eine solch böse Behauptung finden wir hier keinen Prüfstein. Das war auch nicht nötig, weil Leute dieser Art notgedrungen bald offenbar wurden. Sie betrogen sich selbst, wie Johannes ihnen sehr klar sagt. Sie würden kaum andere täuschen; und wenn sie es für kurze Zeit fertigbrächten, so würde eine solche Täuschung doch bald durch die Sünde, die sich an ihnen allzu deutlich zeigte, ans Licht treten. Wenn jemand solche hohen, aber grundlosen Behauptungen aufstellt, so beweist er dadurch noch nicht, daß keine Sünde in ihm ist. Wohl aber zeigen solche deutlich, daß die Wahrheit nicht in ihnen ist.
Man kann sich nur schwer wahre Gläubige vorstellen, die sich in dieser Weise selbst betrügen, es sei denn für eine sehr kurze Zeit. Die einzig aufrichtige und ehrliche Haltung für uns besteht darin, unsere Sünden zu bekennen und das sofort zu tun. Natürlich ist das ebenso für den Ungläubigen das einzig ehrliche Verhalten, seine Sünden zu bekennen, wenn er davon überführt worden ist. Dann ist Vergebung sein Teil, völlige und ewige Vergebung. Hier geht es jedoch um den Gläubigen. Es heißt: „Wenn wir ... bekennen“. Die Sünde eines Gläubigen berührt nicht die ewige Vergebung, die er empfing, als er sich als Sünder reuevoll an Gott wandte. Sie berührt aber dennoch seine Gemeinschaft mit Gott, von der wir gerade gelesen haben. Diese Gemeinschaft wird getrübt sein, bis er die Sünde, die zu ihrer Unterbrechung führte, bekannt hat.
Wenn wir bekennen, dann ist Gott treu und gerecht gegenüber allem, was Christus ist und getan hat; die Sünde wird vergeben, so daß die volle Gemeinschaft wiederhergestellt werden kann. Wir könnten das die väterliche Vergebung nennen, um sie von der ewigen Vergebung zu unterscheiden, die wir als Sünder erlangt haben.
Und Er vergibt nicht nur, sondern Er reinigt auch von aller Ungerechtigkeit. Das ehrliche Sündenbekenntnis des Gläubigen hat nicht nur Vergebung zur Folge, sondern hat auch eine reinigende Wirkung. Das Bekenntnis der Sünde bedeutet in unseren eigenen Herzen und Gedanken das Gericht über das, was wir bekennen. Und das beinhaltet zugleich eine Reinigung von ihrem Einfluß und eine Befreiung von ihrer Macht.
Eine dritte -anmaßende Behauptung tritt in Vers 10 vor uns. Einige mögen sich so weit verleiten lassen zu sagen, daß sie „nicht gesündigt haben“. Der Prüfstein dafür wird hier vorgelegt, nämlich das Wort Gottes. Eine solch groteske Aussage setzt uns in Widerspruch zu dem Wort Gottes und macht Ihn zum Lügner. Er stellt unmißverständlich fest, daß wir gesündigt haben, und damit ist die Frage entschieden. Wir können nicht Seinem Wort widersprechen und zugleich Sein Wort bleibend in uns haben.
Ebenso gewiß, wie wir in dem Licht sind, werden wir wissen, daß wir gesündigt haben und daß Sünde noch in uns ist. Doch wir werden auch den Wert des Blutes Christi erkennen und seine reinigende Kraft wie auch die Wiederherstellung, die uns auf ein ehrliches Bekenntnis hin geschenkt wird. Auf der Grundlage Seines Blutes ist die Gemeinschaft in dem Licht mit dem Vater und Seinem Sohn aufgerichtet worden, und auf dieser Grundlage wird sie aufrechterhalten. Wir sind befähigt, das Leben, das offenbart worden ist, zu erkennen und uns daran zu erfreuen, wie an allem, was von Anfang an in dem Sohn Gottes entfaltet worden ist. Gepriesen sei Sein Name!
Wenn unsere Freude in diesen Segnungen völlig ist, werden wir keine Neigung mehr verspüren, Menschen nachzulaufen, die uns verlocken möchten mit angeblichen Verbesserungen und Weiterentwicklungen dessen, „was von Anfang war“. Die Funken, die sie vor uns sprühen lassen, mögen schön aussehen, doch sie entspringen ihrem selbstentzündeten Feuer, und sie erlöschen in Finsternis.