Einführende Vorträge zum Johannesevangelium
Kapitel 14
Kapitel 14 (und auch hier muss ich mich kurz fassen) verfolgt denselben Gegensatz zu den Umständen des Judentums. Wie der Dienst der Liebe, der in der praktischen Waschung der Heiligen gezeigt wurde, sich völlig von einer ruhmvollen Herrschaft über die Erde unterscheidet, so ist auch die Hoffnung, die hier von Christus vorgestellt wird, etwas Besonderes. Der Herr deutet zunächst an, dass Er sich jetzt nicht als ein jüdischer Messias sichtbar für die Welt offenbaren wollte. So wie sie an Gott glaubten, sollten sie auch an Ihn glauben. Er würde weggehen, so dass sie Ihn nicht mehr sehen konnten. Das war ein ganz neuer Gedanke, da der Messias nach jüdischen Vorstellungen für immer in Macht und Herrlichkeit regieren sollte. „Ihr glaubet an Gott“, sagt Er, „glaubet auch an mich“ (V. 1). Doch dann verknüpft Er die unsichtbare Stellung, in die Er eingehen wollte, mit dem Charakter der Hoffnung, die Er ihnen gibt. Im Grunde genommen sagt Er, dass ihre Segnungen nicht auf die Erde beschränkt sind. Es ging auch nicht um einen sichtbaren Schauplatz für die natürlichen Augen der Menschen in dieser Welt. Er stand im Begriff, sie in einer unendlich besseren Weise und an einem herrlicheren Ort zu segnen. „In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben.“ Das sagt der Sohn. Die Worte der Propheten lauteten anders. Die Verkündigung dieser neuen Wahrheit stand ausschließlich Ihm zu. Wer, außer Ihm, konnte als Erster den Jüngern auf der Erde die himmlische Stätte von Liebe und Heiligkeit sowie Freude und Herrlichkeit, die Er so gut kannte, enthüllen? „Wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“ (V. 2–3). Darin liegt der Angelpunkt und das Geheimnis: „Wo ich bin.“ Alles beruht auf diesem kostbaren Vorrecht. Der Platz, der dem Sohn zustand, war es, den die Gnade den Söhnen geben wollte. Sie sollten in derselben Glückseligkeit sein wie Christus. Er spricht demnach nicht nur davon, dass Er weggehen würde, um im Himmel zu sein und dort ihre Gemeinschaft mit Ihm aufrechtzuerhalten. Er verkündet auch – o, wunderbare Gnade! –, dass sie Ihm zu gegebener Zeit folgen sollten, um bei Ihm zu sein. Die Gnade ist so unumschränkt, dass Er es keiner anderen Person anvertraut, sie in den Himmel nachzuholen. Er wollte selbst kommen und an seinen Wohnort bringen, „auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet.“ Dies, sage ich, steht in jeder Hinsicht im Gegensatz zu irdischen Hoffnungen, ja, sogar zu den glänzendsten jüdischen Erwartungen.
Außerdem wollte Er ihnen Sicherheit über die Grundlage ihrer Hoffnung geben. Sie sollten in Ihm erkennen, wie sie an jenen Ort gelangen konnten. „Wo ich hingehe, wisset ihr, und den Weg wisset ihr“ (V. 4). Sie waren überrascht. Wie immer war die Missachtung der Herrlichkeit seiner Person der Anlass für ihre Verwirrung. Als Antwort an Thomas sagte Er: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (V. 6). Er war der Weg zum Vater; und deshalb hätten sie den Weg kennen müssen; denn niemand kommt zum Vater, als nur durch Ihn. Durch die Annahme Jesu, indem er Ihm glaubt (und nur auf diese Weise), gelangt ein Mensch zum Vater, welchen die Jünger im Sohn gesehen hatten. Philippus hätte das wissen sollen. Der Herr war der Weg; es gab keinen anderen. Außerdem war Er die Wahrheit – die Offenbarung einer jeden Person und einer jeden Sache in ihrem wahren Wesen. Er war auch das Leben, in welcher jene Wahrheit durch die Kraft des Heiligen Geistes erkannt und genossen werden konnte. Christus war auf jede Weise das einzig mögliche Mittel, um in jene Glückseligkeit einzugehen. Er war im Vater und der Vater in Ihm. Der Sohn sprach die Worte nicht aus sich selbst heraus; auch die Werke tat nicht Er, sondern der Vater, der in Ihm war.
Danach wandte sich der Herr von dem, was sie aus seiner Person und seinen Worten und Werken hätten lernen können, anderen Wahrheiten zu, die sie bis dahin nicht wissen konnten. Dadurch wird das Kapitel unterteilt. Der erste Teil zeigt den Sohn, wie Er auf der Erde in persönlicher Würde, indem Er den Vater verkündigte, – zwar unvollkommen, aber doch der Wahrheit entsprechend – gekannt war. Daraus hätten sie eigentlich schließen sollen, wohin Er ging; denn Er war nicht nur der Sohn der Maria, sondern auch des Vaters. Und das wussten sie damals schon, auch wenn sie die Folgen dieser Wahrheit nur schwer verstanden. Die ganze Offenbarung seiner Person in unserem Evangelium war ein Zeugnis von dieser Herrlichkeit. Das hätten sie natürlich erkennen sollen. So stimmte auch die neue Hoffnung völlig mit jener Herrlichkeit überein. Doch jetzt enthüllte Er ihnen das, was sie erst tun und verstehen konnten, nachdem der Heilige Geist gegeben war. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird auch die Werke tun, die ich tue, und wird größere als diese tun, weil ich zum Vater gehe. Und was irgend ihr bitten werdet in meinem Namen, das werde ich tun, auf dass der Vater verherrlicht werde in dem Sohne. Wenn ihr etwas bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es tun. Wenn ihr mich liebet, so haltet meine Gebote; und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht, noch ihn kennt. Ihr aber kennet ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich werde euch nicht als Waisen lassen, ich komme zu euch. Noch ein Kleines, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber sehet mich: weil ich lebe, werdet auch ihr leben. An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch“ (V. 12–20). Das setzt die Gabe des Heiligen Geistes voraus. Zuerst war der Sohn auf der Erde; und der Vater wurde in Ihm und Er im Vater erkannt. Jetzt wird der Heilige Geist angekündigt. Nach seinem Kommen würden diese gesegneten Ergebnisse folgen. Der Sohn ging wirklich weg. Sie sollten jedoch ihre Liebe mehr im Halten seiner Gebote erweisen als in menschlicher Trauer über seine Abwesenheit.
Zudem wollte Christus seinen Vater bitten, dass Er ihnen den Tröster, der immer bei ihnen bleiben sollte, geben möge, während Er selbst im Himmel war. Der Heilige Geist würde kein vorübergehender Besucher auf der Erde sein wie der Sohn, der nur eine Zeit lang bei ihnen weilte; Ersterer sollte in Ewigkeit bleiben. Sein Wohnen bei ihnen steht im Gegensatz zu jeder vergänglichen Segnung. Und außerdem sollte Er in ihnen sein. Das ist der Ausdruck einer Intimität, die kein menschliches Vorbild verdeutlichen kann.
Wir müssen beachten, dass der Herr die Gegenwartsform (Präsens) für sich selbst und für den Tröster – den Heiligen Geist – in einer Weise in diesem Kapitel verwendet, welche kurz erklärt werden soll. In Vers 2 sagt Er über sich selbst: „Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten.“ Er meint damit nicht, dass Er schon in der Tätigkeit des Weggehens sei, sondern dass Er im Begriff stand wegzugehen. Er benutzt die Gegenwartsform, um die Gewissheit und die Nähe dieses Ereignisses auszudrücken. Er stand damals kurz davor aufzubrechen. Genauso ist es mit seinem Wiederkommen, wo Er auch das Präsens benutzt: „Ich komme wieder.“ Genau genommen sagt Er nicht, wie es in der englischen Übersetzung steht: „Ich werde kommen“ (vgl. Lutherbibel). Dieser Abschnitt der Schrift genügt, um beispielhaft eine allgemeine Spracheigentümlichkeit des Griechischen zu zeigen, die auch bei uns und in anderen Sprachen üblich ist, wenn eine Angelegenheit als sicher angesehen wird und ständig erwartet werden kann. Das gilt wohl auch für den Heiligen Geist, wenn vom Ihm gesagt wird: „Er bleibt bei euch“ (V. 17). Ich fasse es so auf, dass der Nachdruck auf sein Bleiben gelegt werden soll. Der Heilige Geist sollte bei seinem Kommen nicht einfach kommen und bald wieder gehen, sondern bleiben. Folglich sagt der Herr Jesus: „Er bleibt bei euch.“ Als Nächstes sehen wir: „Er ... wird in euch sein“ – eine notwendige Ergänzung; denn das ist nicht ohne Weiteres in seinem Bleiben eingeschlossen.
Das sind also die beiden großen Wahrheiten des Kapitels: Erstens das zukünftige Teil der Jünger mit Christus im Haus des Vaters und zweitens die ununterbrochene Gegenwart des Heiligen Geistes bei ihnen in der Zwischenzeit. Außerdem wohnt letzterer in ihnen auf der Grundlage des Lebens in einem auferstandenen Christus. „Ich werde euch nicht als Waisen lassen, ich komme zu euch. Noch ein Kleines, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber sehet mich: weil ich lebe, werdet auch ihr leben. An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch“ (V. 18–20). Wenn sie so den Heiligen Geist als Kraft des Lebens in Ihm besaßen und Ihn im Vater kannten, würden sie Ihn intimer kennen und Er sie, als wenn sie Ihn als den Messias bei sich und über sich auf der Erde hätten. Das sind die beiden Wahrheiten, welche der Herr ihnen mitteilt.
Danach hören wir von einem Gegensatz zwischen seiner Offenbarung an die Jünger und an die Welt. Dieser steht in Verbindung mit einem anderen sehr wichtigen Gesichtspunkt: Die Kraft des Heiligen Geistes zeigt sich in ihrem Gehorsam und zieht eine Liebe, die der Regierung des Vaters über seine Kinder entspricht, auf sie herab. Es handelt sich nicht einfach um die Liebe des Vaters zu seinen Kindern als solchen, sondern Vater und Sohn lieben sie, weil sie die Gebote Jesu haben und halten. Dieser Gehorsam begegnet einer Offenbarung Jesu an die Seele, wie sie die Welt nicht kennt. Doch der Herr erklärt weiter, dass ein Mensch, der Ihn liebt, sein Wort halten wird. Diesen wird sein Vater lieben, „und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“ (V. 23). Hier spricht Er nicht von einem Gebot, sondern von seinem Wort – einem einfachen Hinweis auf seine Gedanken bzw. seinen Willen. Daher folgt diesem tiefgründigeren Test auch ein vollerer Segen. Das ist ein schöner Unterschied von großem praktischen Wert, der mit der Größe unserer Achtsamkeit des Herzens in Verbindung steht. Wo der Gehorsam vergleichsweise oberflächlich ist und Eigenwille und Weltlichkeit nicht verurteilt werden, benötigen wir immer ein Gebot zur Stütze des Gehorsams. Darum fragen die Menschen: „Muss ich dieses tun? Schadet mir jenes?“ Für solche ist der Wille des Herrn nur eine Frage eines Gebots. Natürlich gibt es Gebote als Ausdruck seiner Autorität; und sie sind nicht schwer (1. Joh 5,3). Aber wo das Herz Jesus innig liebt, erkennt es seinen Willen schon in seinem Wort. Sogar im normalen Leben genügt oft ein Blick der Eltern. Wir wissen gut, dass ein gehorsames Kind häufig das Verlangen seiner Mutter erfasst, bevor diese ein Wort gesagt hat. So wird das ganze Wort Jesu beachtet und dadurch Herz und Leben im Gehorsam gebildet. Welche Freude und Kraft werden dort sein, wo solche willige Unterordnung unter Christus die Seele durchdringt und alles in Übereinstimmung steht mit dem Vater und dem Sohn? Gibt es einen unter uns, der sagen könnte, dass dies sein gewöhnliches, ununterbrochenes Teil ist?
Die abschließenden Verse (V. 25–31) geben den Jüngern den Grund für die Mitteilung des Herrn an. Außerdem sollten sie ihnen das Vertrauen auf den Heiligen Geist vermitteln, der sie alles lehren und sie an alles erinnern würde, was Jesus ihnen gesagt hatte. Dann fügt Er hinzu: „Frieden [die Frucht seines Todes] lasse ich euch, meinen [den charakteristischen Frieden, den Er selbst kannte] Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch.“ „Nicht wie die Welt“ – diese ist unzuverlässig und parteiisch und behält sogar da für sich selbst zurück, wo sie große Freigebigkeit heuchelt. Allein Jesus, der Gott ist, konnte wie Er geben, und zwar um jeden Preis sowie auch die kostbarsten Dinge. Und beachten wir, welches Vertrauen Er erwartet und welche Zuneigung, die das Ich besiegt! „Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin, und ich komme zu euch. Wenn ihr mich liebtet, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe, denn mein Vater ist größer als ich.“ Es blieb nicht mehr viel übrig, um es mit ihnen zu bereden. Eine andere Aufgabe stand vor Ihm, in der Er es nicht mehr mit den Erlösten, sondern mit Satan zu tun hatte. Dieser würde kommen, aber nichts in Ihm finden außer Gehorsam bis zum Tod. Auf diese Weise sollte die Welt erkennen, dass Er den Vater liebte und das tat, was Er Ihm geboten hatte. Danach hieß Er seine Jünger aufstehen, um wegzugehen. Auch Er selbst erhob sich. Beides sind meiner Ansicht nach kennzeichnende Handlungen in Übereinstimmung mit den Wegen, die sich vor Ihm und ihnen auftaten.
Doch mehr kann ich jetzt nicht zu diesem kostbaren Abschnitt sagen, weil mir die Zeit dazu fehlt. Ich hoffe, dass ich die allgemeine Reichweite seines Inhalts sowie seinen besonderen Charakter aufzuzeigen vermochte. Möge unser Gott und Vater geben, dass das, was gesagt wurde, seinen Kindern hilft, sein Wort mit ständig sich vertiefendem Verständnis zu lesen! Möge Er ihnen großen Genuss an seinem Wort und an dem, von dessen Gnade und Herrlichkeit es erfüllt ist, schenken!