Das Evangelium nach Lukas
Kapitel 9
Die Jünger hatten nun bei vielen Gelegenheiten die Gesinnung, die Art und Weise sowie die Macht ihres Meisters kennengelernt; so wurden sie selbst ausgesandt; die Verse 1-6 berichten uns davon, wie sie ausgesandt wurden. „Als er zusammengerufen hatte, gab er ... und er sandte ... Und er sprach ...“ Die Reihenfolge der vier Verben ist sehr lehrreich. Es ist Seine Auswahl, nicht unsere. Und Er beruft sie nicht nur, Er gibt ihnen auch die Autorität und die Kraft, und zwar entsprechend dem Dienst, zu dem Er beruft. Er sendet nicht aus, bis Er die Kraft verliehen hat. Und dann gibt Er bei der Aussendung die besonderen Anweisungen, die für sie bei ihrem Dienst maßgebend sind und sie anleiten sollen. Die von Ihm gegebenen Vorschriften waren denen, die ausgesandt wurden, das Zeugnis von dem Messias zu tragen, genau angepaßt. Es war das Zeugnis des Messias, des Sohnes des Menschen, der um diese Zeit persönlich auf der Erde war.
Es ist nicht das Zeugnis, das wir heute berufen sind weiterzuleben. Unser Zeugnis hat einen Christus zum Inhalt, der auferstanden und droben verherrlicht ist. Doch irgendein Dienst, den wir tun können, ist genau denselben Bedingungen unterworfen. Er muß berufen und aussenden. Wenn Er einen von uns beruft, wird Er Kraft und Gnade darreichen, wie sie für das Werk nötig sind. Und wenn wir gesandt sind, haben auch wir sorgfältig die Anweisungen zu beobachten, die Er uns hinterlassen hat.
Die Jünger gingen aus in der Kraft ihres Herrn, der hinter ihrem Werk stand. Das Zeugnis erfuhr so eine beträchtliche Ausweitung, so daß die Aufmerksamkeit sogar eines gottlosen Monarchen wie Herodes auf den Herrn gezogen wurde. Die große Frage war: „Wer ist dieser?“ Das Volk stellte diese Frage und erging sich in Mutmaßungen. Die Frage beschäftigte auch Herodes, den sie in Verlegenheit brachte, denn er hatte Johannes bereits enthauptet. Sein Wunsch, Jesus zu sehen, wurde ihm erfüllt, doch kaum, wie er es sich vorgestellt hatte (siehe Kap. 23,8-11).
Alle Einzelheiten dieses Missionsdienstes der Jünger werden mit Schweigen übergangen. Vers 10 berichtet uns, daß sie zurückkehrten und ihrem Meister alles erzählten, was sie getan hatten, und Er nahm sie allein beiseite. So wird es für uns alle sein, wenn wir Ihm bei Seinem Kommen begegnen. Es bedeutet, daß wir vor Seinem Richterstuhl offenbar werden, und das geschieht in der vertraulichen Nähe und der Ruhe Seiner Gegenwart.
Für Ihn gab es nur wenig Ruhe bei dieser Gelegenheit. Obwohl der Ort öde war, zog das Volk scharenweise zu Ihm hin, und Er schickte keinen fort. Er nahm sie an, Er sprach vom Reich Gottes, Er heilte, und als der Abend nahte und sie hungrig waren, gab Er ihnen zu essen.
Die Jünger verhielten sich wie wir, sie hatten viel zu lernen. Obwohl sie als Seine Botschafter ausgesandt worden waren, hatten sie noch kein Gefühl für Seine Macht und Allgenugsamkeit. Deshalb beurteilten sie die schwierige Situation im Licht ihres eigenen Vermögens und ihrer Hilfsquellen, anstatt alles von Ihm aus zu sehen. Als Er zu ihnen sagte: „Gebt ihr ihnen zu essen“, dachten sie an ihre Brote und Fische - was für ein jämmerlich kleiner Vorrat. Und sie hätten doch sagen können: „Herr, zu Dir blicken wir auf, wir werden ihnen gern all das geben, was Du uns gibst.“
Wie leicht kommt uns in den Sinn, was sie hätten sagen können, und doch fallen wir in denselben Fehler wie sie. Wir haben zu lernen, daß, wenn Er befiehlt, Er auch befähigt. Er gab bei dieser Gelegenheit die Befähigung, die Jünger brauchten Seine reichen Gaben nur zu verteilen. So empfingen sie Unterweisung über die Fülle der Versorgung, die in Ihm war.
Bevor Jesus die Brote und die Fische vermehrte, blickte Er zum Himmel auf und verband dadurch Sein Handeln öffentlich mit Gott. In Vers 18 finden wir Ihn wieder allein im Gebet. Er drückte damit die abhängige Stellung aus, die Er durch Seine Menschheit eingenommen hatte. Die Gnade war Gottes Gnade, obwohl sie durch Ihn zu den Menschen ausströmte.
Nachdem so die Jünger einen Schimmer von Seiner Fülle wahrgenommen hatten, warnte Er sie vor Seiner näherkommenden Verwerfung und deren Folgen, soweit es sie betraf. Das Volk war im Blick auf Seine Person noch völlig im dunkeln, doch Petrus - und zweifellos auch die anderen Jünger - wußte, daß Er der Christus Gottes oder der Messias war. Auf dieses Bekenntnis des Petrus hin gebot der Herr ihnen, dies niemand zu sagen. Dieser ausdrückliche Befehl muß sie sehr überrascht haben, da die frohe Botschaft, daß sie den Messias gefunden hatten, bis zu diesem Zeitpunkt die Hauptsache ihres Zeugnisses gewesen war. Doch jetzt war der Augenblick gekommen, daß sie wissen sollten, daß vor Ihm nicht die irdische Herrlichkeit des Messias lag, sondern der Tod und die Auferstehung. Eingefügt in diese Mitteilung, sprach der Herr von sich selbst als dem Sohn des Menschen - ein Titel mit viel weiter gehender Bedeutung. Der Messias wird über Israel und die Nationen herrschen nach
Indem der Herr in dieser Weise von sich selbst sprach, begann Er ihre Gedanken auf die neuen bevorstehenden Entwicklungen zu lenken, ohne sie bis jetzt im einzelnen darzulegen. Doch gab Er ihnen schon sehr deutlich zu verstehen, daß, wenn der Tod vor Ihm stand, auch sie damit zu rechnen hatten. Das ist sicherlich die Bedeutung der Worte: ... der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf täglich.“ Sich selbst verleugnen ist den Tod innerlich annehmen - den Tod aller Regungen des eigenen Willens. Sein Kreuz täglich aufnehmen ist den Tod äußerlich annehmen, denn wenn die Welt jemanden sah, der sein Kreuz trug, dann wußte sie, daß er zum Tod verurteilt war.
Die Verse 24-26 führen diesen Gedanken weiter aus. Es gibt Leben entsprechend den Vorstellungen dieser Welt, das aus all den Dingen besteht, die den Geschmack des natürlichen Menschen ansprechen. Wenn wir jenes Leben zu retten suchen, verlieren wir es nur. Der Pfad des Jüngers geht jedoch dahin, jenes Leben um Christi willen zu verlieren, und dann retten wir das Leben im eigentlichen Sinn, nämlich das, was wirklich Leben ist. Ein Weltmensch greift nach dem Leben dieser Welt und endet damit, daß er sich selbst verliert, und dieser Verlust ist ewig und deshalb nicht wiedergutzumachen. Der Jünger, der das Leben dieser Welt verliert, ist am Ende kein Verlierer. Vers 26 spricht lediglich von jemand, der sich schämt. Das Umgekehrte ist jedoch ebenso wahr: Dem, der sich nicht schämt, wird der Herr am Tag Seiner Herrlichkeit Anerkennung geben.
Der Herr wußte, daß Seine Worte die Jünger wie ein Schlag treffen würden, und deshalb hatte Er für sie sofort eine große Ermunterung bereit, nicht so sehr durch Worte als dadurch, daß Er sie Seine Herrlichkeit schauen ließ. Er gewährte es nicht allen, sondern dreien, die Er auswählte, sie konnten es dann den übrigen mitteilen. In der Verklärung sahen sie das Reich Gottes, da sie für diesen kurzen Augenblick „Augenzeugen seiner herrlichen Größe“ (
Wieder finden wir, daß der Herr betet, und Lukas allein berichtet, daß die Verklärung sich ereignete, als Er betete. Es ist eine eindrucksvolle Tatsache, daß es der betende, abhängige Mensch war, der als der König in Seiner Herrlichkeit erstrahlte. Lange zuvor hatte David gesagt: „Ein Herrscher unter den Menschen, gerecht, ein Herrscher in Gottesfurcht“ (
Moses ist ein Bild der Heiligen, die aus den Toten auferweckt worden sind, und Elias derer, die ohne zu sterben, in den Himmel entrückt worden sind. Und schließlich vertreten Petrus, Jakobus und Johannes die Heiligen, die auf der Erde sein werden, gesegnet im Licht Seiner Herrlichkeit.
Während die Jünger vom Schlaf beschwert waren, sprachen die himmlischen Heiligen mit dem Herrn über Seinen nahenden Tod, der die Grundlage ist, auf der die Herrlichkeit ruhen muß. Lukas nennt ihn Seinen „Ausgang“, denn er bedeutete Sein Hinausgehen aus der irdischen Ordnung, in die Er eingetreten war, und Sein Eingehen In die Welt jener durch die Auferstehung aus den Toten. Als die Jünger aufwachten, war es der einzige Gedanke des Petrus, die irdische Ordnung fortzusetzen und seinen Meister darin zu halten. Er würde auch Moses und Elias darin zurückbehalten haben, wenn ihm gestattet worden wäre, die drei Hütten zu bauen. Bis jetzt erfaßte er nicht die Wirklichkeit der himmlischen Ordnung der Dinge, die sich gerade vor seinen Augen entfaltet hatte. Die höchste Herrlichkeit des Herrn Jesus hatte er noch nicht eigentlich begriffen.
Deshalb kam in diesem Augenblick die Wolke - offensichtlich die wohlbekannte Wolke der göttlichen Gegenwart - und überschattete sie in ihrer Klarheit, so daß sie sich fürchteten und schwiegen. Dann verkündete die Stimme des Vaters die höchste Herrlichkeit des Herrn Jesus und zeichnete Ihn aus als den einen und einzigen Sprecher, auf den alle hören sollten. Weder Moses noch Elias sollen auch nur für einen Augenblick auf eine Stufe mit Ihm gestellt werden. In der Tat sollte Jesus „allein gefunden“ werden. Obwohl Petrus in diesem Augenblick die volle Bedeutung all dessen nicht verstand und deshalb in jenen Tagen „niemand etwas verkündete“, tat er das später, wie seine Anspielung darauf in seinem zweiten Brief so deutlich zeigt. Dieses Erleben befestigte für ihn und für uns das prophetische Wort, indem es sicher verbürgte, daß wir in der Erwartung „des ewigen Reiches unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus“ nicht „künstlich erdichteten Fabeln“ gefolgt sind, sondern auf zuverlässiger Wahrheit ruhen.
Wie groß war der Gegensatz, als sie am nächsten Tag von dem Berg herabgestiegen waren! Oben war alles Herrlichkeit gewesen, die Macht und Herrlichkeit Christi, umgeben von Ordnung und Frieden. Unten unterlag alles der Macht Satans und war in Unordnung und Verwirrung. Die neun am Fuß des Berges zurückgebliebenen Jünger hatten nicht vermocht, den besessenen Sohn zu heilen, den ein besonders bösartiger Dämon heimgesucht hatte. Der verzweifelte Vater wandte sich an den Herrn, doch offensichtlich hatte er kaum mehr Hoffnung, daß Er etwas ausrichten könnte. Jesus handelte sofort und bewirkte die Befreiung des Knaben. Alle erstaunten sehr über die herrliche Größe Gottes. Die majestätische Macht, die Er inmitten dieser Verstörung am Fuße des Berges entfaltete, entsprach völlig der Herrlichkeit, die auf seinem Gipfel am Tag zuvor offenbart worden war.
Unmittelbar nachdem Er Seine Macht kundgetan hatte, sprach Er ein weiteres Mal von Seinem Tod. Er sagte: „Fasset ihr diese Worte in eure Ohren.“ Welche Worte? so möchten wir fragen, denn Lukas hat keine besonderen Mitteilungen in Verbindung mit der Austreibung des unreinen Geistes berichtet. Vielleicht beziehen sich diese Worte auf die Unterredung auf dem heiligen Berg, deren Thema Sein Ausgang gewesen war. Doch hier lag in diesem Augenblick die Schwierigkeit bei den Jüngern: Sie konnten ihre Gedanken nicht von der Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Reiches auf der Erde lösen, und doch wäre das nötig gewesen, um zu verstehen, daß Er im Begriff stand zu sterben. Die traurige Folge davon sehen wir in Vers 46.
Von Natur aus sind wir eingebildete Geschöpfe und lieben Berühmtheit und Größe über alles; und das Fleisch in einem Jünger ist nicht anders als das in einem Ungläubigen. Jesus begegnete der Überlegung ihrer Herzen mit dem Anschauungsunterricht an einem Kind und auch durch Worte, die uns zeigen, daß wahre Größe da gefunden wird, wo sich die Unbedeutsamkeit eines Kindes offenbart und wo dieser „geringste“ Jünger ein treues Abbild seines Meisters darstellt. Ein unbedeutendes Kind aufnehmen bedeutet den göttlichen Meister aufnehmen, wenn das Kind „in meinem Namen“ kommt. Die Bedeutung liegt in dem Namen, nicht in dem Kind.
Johannes fühlte sich offensichtlich von dieser Begebenheit in seinem Gewissen so angesprochen, daß er ein Erlebnis anführte, das bereits einige Zeit zurücklag. Sie hatten einem eifrigen Arbeiter gewehrt, weil „er nicht mit uns nachfolgt“. Sie hatten dem „uns“ viel zu viel Wichtigkeit beigemessen, denn schließlich umfaßt es nur eine Gruppe von Einzelpersonen, die in sich selbst ohne Bedeutung sind. Alle Bedeutung lag in dem Namen, wie der Herr es ihnen gerade erläutert hatte. Nun hatte jener Mann, der die Dämonen ausgetrieben hatte - gerade in dieser Sache hatten sie versagt -, es „in deinem Namen“ getan. Er hatte somit die Kraft des Namens, und sie hatten die eingebildete Wichtigkeit des „uns“. Der Herr verfuhr mild, doch fest mit Johannes. Jenem Arbeiter hätten sie nicht wehren sollen. Er war für den Herrn und nicht gegen Ihn.
Lukas stellt nun zum Schluß des Kapitels vier weitere Begebenheiten zusammen. Es scheint, daß der Herr, nachdem Er den Jüngern die Macht Seiner Gnade und die Kraft des Reiches Gottes demonstriert hatte, sie jetzt belehrt hinsichtlich der Gesinnung, die ihnen geziemte als solchen, die zu beidem gebracht sind. Auch warnt Er sie vor Dingen, die ihren Dienst behindern könnten.
Das erste Hindernis ist offensichtlich Selbstsucht. Diese kann eine ausgesprochen persönliche Form annehmen, wie in Vers 46. Oder sie mag kollektiv geprägt sein, wie in Vers 49. Und dann wieder mag sie sich hinter dem Eifer um das Ansehen des Meisters verstecken, und das ist die raffinierteste Form. Unbestritten war die Haltung der Samariter ein Unrecht. Aber Er ging hinauf nach Jerusalem, um zu sterben, während Jakobus und Johannes Seine Bedeutung herausstellen wollten - und nebenbei auch ihre eigene - dadurch, daß sie den Tod über andere brachten. Tatsächlich hatte Elias so gehandelt, als er sich der Gewalttat eines abtrünnigen Königs gegenübersah, aber der Sohn des Menschen hat eine andere Gesinnung. Das war die Schwierigkeit bei den Jüngern: sie gingen bis jetzt nicht ein in den Geist der Gnade - dieser Gnade, die ihren Meister auszeichnete.
Die drei Begebenheiten, die in knappem Bericht das Kapitel abschließen, zeigen uns, daß, wenn wir in der Tat Jünger und für das Reich zubereitet sein wollen, wir uns vor lediglich natürlicher Energie hüten müssen. Wir brauchen mehr als natürliche Kraft, wenn wir einem verworfenen Christus nachfolgen wollen. Auch darf es keine Halbherzigkeit und keine Unentschlossenheit geben. Den Erfordernissen des Reiches gebührt Vorrang vor allem anderen.